Ein Brief an Arne (von Scherben)

Redaktion - 16.10.2018, 12:10 Uhr

Lieber Arne, ein guter Freund von mir war beim letzten Heimspiel gegen Augsburg mit seiner zweitältesten Tochter zum ersten Mal im Stadion. Die Kleine ist jetzt dreieinhalb Jahre alt, und sie erinnerte mich sofort an ihre ältere Schwester und deren ersten Besuch. Beide Mädchen mit ganz großen Augen, geflasht von dem ganzen Drumherum, ganz nah beim Papa. Mein guter Freund hat mir dann erzählt, dass der erste Besuch ihrer großen Schwester auch bei einem Spiel gegen Augsburg war, sogar bei einem 5:1. Und meine Erinnerungen bewegten sich von dem Kind mit den leuchtenden Augen weg, das in meinen Gedanken noch auf den Schultern ihres Vaters saß, und ich dachte an dich.

Dieses Spiel gegen Augsburg damals war das erste Spiel nach deinem Tod vor drei Jahren, der Schlusspunkt eines langen Wochenendes mit deiner Beerdigung am Samstag und einem Heimspiel am Sonntag. Ich habe natürlich fürchterlich geweint, samstags an deinem Sarg und sonntags bei "You'll Never Walk Alone", aber das ist nicht das Einzige, was ich von diesem Wochenende in Erinnerung halte. Wir haben viel über dich gesprochen, über deine guten und über deine schlechten Eigenschaften: Über diese Bissigkeit, dass du meist zu schnell etwas zu harsch wurdest, die vermutlich jedem vom uns irgendwann mal auf den Sack ging. Aber sie hatte mit deinen Prinzipien zu tun, und du hast bedingungsloser als die meisten von uns für das gekämpft, was du für richtig erachtet hast. Und in diesem Kampf hast du nicht nur Verbündete gesucht, sondern auch Freunde gefunden. Ich weiß nicht, ob dir das bewusst war, aber ich kenne niemanden, der so wie du die Fähigkeit besitzt, Menschen zusammenzubringen und für die richtige Sache anzutreiben. Und das wirkt weit über deinen Tod hinaus. Nicht nur bei schwatzgelb.de, wo wir dir vermutlich in letzter Zeit ein bisschen zu zahm gewesen wären, und nicht nur in Dortmund. Auch Jahre später sprechen Leute bei Facebook oder Twitter so voller Liebe und Respekt über dich, selbst wenn sie dich persönlich kaum gekannt haben. Und für mein eigenes Leben habe ich das Gefühl, dass du ein Netz aus vielen Personen gespannt hast, mit denen ich tief verbunden bin und auf die ich mich bedingungslos verlassen kann. Auch das hat mir dieses Wochenende damals gezeigt und dafür bin ich dir bis heute sehr dankbar.

Wir haben nach deinem Tod bei schwatzgelb.de vereinbart, dass möglichst alle von uns ihre Erinnerungen an dich aufschreiben, um sie für Ramona und Jonas zu konservieren. Ich habe damals keinen persönlichen Text für dich geschrieben, weil ich noch nicht das Gefühl hatte, deine Abwesenheit für mich adäquat einordnen zu können. So richtig kann ich das bis heute nicht, und ich treffe immer noch häufig Menschen, die mich an dich erinnern, so dass ich dann für einen Bruchteil einer Sekunde das Gefühl habe, wieder mit dir sprechen zu können. Aber die Zeit hilft, um die Dinge in die richtige Perspektive zu rücken. Als meine Frau und ich dich das letzte Mal besucht haben, eine Woche vor deinem Tod, wolltest du das Treffen sogar noch kurzfristig absagen, weil meine Frau schwanger war und du Angst hattest, sie mit einer Erkältung anzustecken. Ich bin froh, dass wir trotzdem gemeinsam da waren und mit dir in die "heimelige Atmosphäre einer onkologischen Station" (deine Worte) eintauchen durften. Und unser letzter persönlicher Kontakt war am Tag vor deinem Tod, als du dich tierisch über ein Foto von unserem gemeinsamen Freund Tobi und mir gefreut hast, das wir zusammen auf einem Konzert aufgenommen haben. Ich finde, das sagt unglaublich viel über dich aus. In einer Phase, als es dir selbst richtig dreckig ging, war es dir wichtig, noch Fürsorge für deine Mitmenschen zu übernehmen. Und diese Freude über das Foto war echt, obwohl wir beide gesund und munter waren. Oder besser gesagt, weil wir gesund und munter waren. Und an dich gedacht haben.

Mein guter Freund und seine Tochter sind dann in der 60. Minute abgehauen, weil es für das Mädchen doch noch etwas zu trubelig war. Als Fan tat es mir für ihn leid, weil die verpasste letzte halbe Stunde zu den schönsten Stadionerlebnissen gehört, denen ich in den vielen Jahren meines Fandaseins beiwohnen durfte. Aber gleichzeitig weiß ich, wie viel so ein gemeinsamer Tag wert ist, nicht nur in der Hinsicht, dass man versucht, seiner Tochter die Leidenschaft für den BVB näherzubringen. Sondern vor allem, weil man überhaupt die Chance hat, Dinge gemeinsam zu erleben. Meine Frau hat sich damals nicht bei dir angesteckt, der Kleinen geht es gut, und beide kriegen heute einen extra dicken Kuss von mir. Und ich werde sehr dankbar sein, wenn ich gemeinsam mit meinem Mädchen zum ersten Mal ins Stadion gehen darf, und dann werde ich wieder an dich denken.

Du fehlst.

Dein Mathias

Scherben, 16.10.2018

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