SG Spezial

#Keine Schwäche - Die große Leere. Über Depressionen.

22.12.2019, 16:11 Uhr von:  Ferdinand

Die schwarze Leere kam in einer Nacht im Jahre 2012. Ich wachte nachts auf und hatte das Gefühl in einen Abgrund zu schauen. Tief in mir war alles leer, da war dieses Gefühl, dass alles keinen Sinn mehr hat. Ich wurde panisch. Wo kam dieses Gefühl her? Lag es daran, dass die Zeit damals, beruflich wie privat, stressig und problematisch war? Für einen Moment überlegte ich, meine Schwester anzurufen, um sie zu fragen, wo ich Hilfe bekommen kann.

Depressionen liegen bei uns in der Familie, meine Schwester war lange Zeit stationär in Behandlung. Damals entschieden meine Eltern vernünftigerweise, offen mit der Situation umzugehen. So beschäftigte ich mich immer mehr mit dem Thema und konnte es einordnen, als es bei mir selbst auftrat: massive Stimmungsschwankungen, die teilweise durch kleinste Anlässe ausgelöst wurden, Antriebslosigkeit, die mich tagelang Dinge aufschieben ließ, die umgehend erledigt werden mussten, Gereiztheit, die jegliches normale Gespräch mit anderen Menschen unmöglich machte, Selbstzweifel und Endlosgrübeleien. All dies war Ausdruck einer Depression.

Eine Depression hat viele Gesichter. Die Eindrücke, die ich hier beschreibe, mögen auf andere gar nicht zutreffen. Zudem habe ich maximal den Rand dieses Abgrunds kennengelernt. Ich weiß, dass es viele noch weitaus schlimmer getroffen hat und ich weiß auch, dass es für Außenstehende schwierig ist, nachzuvollziehen, was in depressiven Phasen in der Person vorgeht. Viele neigen dazu, dem oder der Betroffenen gut gemeinte Ratschläge zu erteilen. „Jeder ist mal schlecht drauf!“ oder „ Reiß dich doch mal zusammen!“ sind dabei die beiden Klassiker. Diese Ratschläge sind gut gemeint, bewirken jedoch das Gegenteil. Dem Betroffenen wird das Gefühl gegeben, dass er selbst schuld ist an seinem Zustand, weil er es im Gegensatz zu anderen nicht schafft, dagegen anzugehen. Dabei sind Depressionen nichts anderes als eine Stoffwechselerkrankung und Antriebslosigkeit und niedergeschlagene Stimmung sind zwei der Symptome. Ein Mensch, der an Depressionen erkrankt ist, kann sich nicht „einfach mal zusammenreißen“. Kein Mensch würde jemandem mit Gipsfuß sagen, dass er sich doch jetzt mal zusammenreißen und die 200 Meter sprinten soll. Und genau so kann auch ein Mensch in einer depressiven Phase sich nicht einfach zusammenreißen. Der Körper blockiert.

Ich habe meine Schwester damals, 2012, nicht angerufen. Der Gedanke daran, dass ich jemanden habe, der meine Situation versteht und den ich jederzeit bedingungslos anrufen kann, reichte aus, um mich so weit wieder zu beruhigen, dass ich schlussendlich wieder einschlief. Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war da nichts mehr, außer jenem unguten Gefühl in der letzten Nacht eine neue Ausdrucksweise der Depression kennengelernt zu haben. Und doch war da das gute Gefühl, eine Rückfallebene zu haben, jemand an den ich mich wenden kann.

Die Erfahrung aus dieser Nacht hat sich nie wiederholt. Die anderen Symptome treten immer mal wieder auf. Ich habe das große Glück, dass meine Familie und Freunde Verständnis haben. Mir den nötigen Raum und die Zeit geben, die ich in diesem Moment brauche. Häufig fehlt bei Nichtbetroffenen dieses Verständnis. Weil es schwierig ist, etwas zu verstehen, was für Nichtbetroffene kaum nachzuvollziehen ist.

Depressionen können jeden treffen. Es kann die Freundin sein, die immer so selbstbewusst auftritt und ihr Leben doch komplett im Griff hat, es kann der Kumpel sein, der jede noch so trübe Veranstaltung mit seinem großartigen Humor auflockert. Und plötzlich ziehen diese Personen sich zurück, meiden den Kontakt oder reagieren abweisend. Es ist menschlich, sich im ersten Moment davon gekränkt zu fühlen, aber vielleicht steckt dahinter keine böse Absicht – sondern eine Krankheit.

Warum schreibe ich diese Zeilen? Vielleicht kam dem einen oder anderen von Euch beim Lesen das Gefühl bekannt vor. Weil er es selbst auch so empfindet. Oder weil er die gleichen Symptome bei Freunden, Bekannten wiedererkannt hat. Sollte das passiert sein: Scheut Euch nicht, Hilfe zu holen. Für Euch oder für andere. Depressive Menschen sind nicht einfach schlecht drauf oder haben keinen Bock aufs Leben. Depressionen sind #KeineSchwäche, sondern eine Krankheit, die lebensbedrohlich sein kann, aber gut behandelbar ist, besonders, wenn sie früh entdeckt wird.

Passt auf Euch und andere auf. Seid vorsichtig mit gut gemeinten Ratschlägen. Seid geduldig und habt Verständnis füreinander. Und holt Euch rechtzeitig Hilfe, wenn Ihr das Gefühl habt, der Situation nicht gewachsen zu sein.

WICHTIG: Depressionen können jeden treffen. Sie sind keine Einbildung, sondern eine Krankheit, die mittlerweile gut behandelt werden kann. Wenn Ihr akut Hilfe braucht, wendet Euch an die Telefonseelsorge unter 0800 111 0 111 und 0800 111 0 222 (kostenlos).

In unserer Reihe #KeineSchwäche sind bereits erschienen:

Teil 1: SG Spezial: #KeineSchwäche – 10 Jahre nach Robert Enkes Tod

Teil 2: Ciriaco Sforza: "Ich würde es begrüßen, wenn jeder Verein dieses Thema professionell behandelt."

Teil 3: #KeineSchwäche – "Gemeinsam das Leben festhalten." Die Robert-Enke-Stiftung

Teil 4: #KeineSchwäche: "Das ist der Balanceakt" – Im Gespräch über Depressionen im Profisport mit Sportpsychologe Sebastian Brückner

Teil 5: #KeineSchwäche - Babak Rafati: "Im Fußball wird Druck generell unterschätzt"

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