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Ciriaco Sforza: "Ich würde es begrüßen, wenn jeder Verein dieses Thema professionell behandelt."

11.11.2019, 09:27 Uhr von:  Inken Seb
Ciriaco Sforza: "Ich würde es begrüßen, wenn jeder Verein dieses Thema professionell behandelt."

Es ist bedeckt und regnet immer mal wieder, als wir auf dem Rückweg vom Sommer-Trainingslager des BVB Richtung Wil aufbrechen. Auf dem Plan steht ein Interview mit Ciriaco Sforza, der aktuell Trainer des FC Wil, einem Schweizer Zweitligisten, ist. Sforza hat gerade das Training geleitet und bittet noch um ein wenig Zeit, um kurz zu duschen. Währenddessen führt uns der Pressesprecher des FC Wil über das Gelände. Es ist beschaulich, aber professionell und modern. Besonders auf die Jugendarbeit ist man stolz. Wir treffen den Präsidenten, quatschen über Fußball, über Favre und die Schweizer Ligen. Ins Stadion des FC Wil kommen durchschnittlich 1.500 - 2.000 Fans zu den Spielen. Während seiner aktiven Karriere erlebte Sforza vor allem die andere Seite: große Vereine (er spielte beim FC Kaiserslautern, Bayern München und Inter Mailand), große Kulissen und Titel. Nach seiner aktiven Zeit entschloss Sforza sich, den Trainerschein zu machen. Er realisierte aber auch, wie sehr ihn der Druck in ein Loch gezogen hatte, wie die Freude verloren ging. Im Gespräch blicken wir auf diese Situation, seine Karriere und wie sich Druck äußert:

schwatzgelb.de: Du hast Meisterschaften gewonnen, bist CL-Sieger, hast mit Kaiserslautern auch Abstiegskampf gehabt …

Ciriaco Sforza: Ja, Abstiegskampf aber nur kurz mal.

… du musstest mit Medien und mit Fans zurechtkommen. Als kleiner Überblick zum Einstieg: Kannst du uns eine Zusammenfassung geben, wo als Profifußballer Druck entsteht und wo du am meisten Druck verspürt hast?

Wo als Fußballer Druck entsteht? Also ich glaube, wenn du Profifußballer wirst, kriegst du den Druck ganz schnell. Du fängst auf einmal an, dir Gedanken zu machen, willst keinen Fehler machen. Was ist, wenn ein Fehler passiert? Dann fängt der Kopf, das Hirn noch mehr an zu überlegen. Wenn ich heute Revue passieren lasse, dann ist es wichtig, dass du ein gutes Umfeld hast: einen guten Trainer, einen guten Verein, damit du offen damit umgehen kannst. Das war zu meiner Profizeit so, wie ich es jetzt auch erlebe. Mit wem konnte ich darüber reden? Mit 1-2 guten Freunden, vielleicht mit dem Papa zu Hause, der immer die vertraute Person für mich war. Wenn du Profi wirst, dann ist immer Druck da. Es kommen Zuschauer, es ist die Presse, das Stadion ist ausverkauft. Es kommen Elfmeter, Niederlagen. Da ist überall Druck. Siege und Niederlagen erzeugen eine Gemütsschwankung ins Positive oder Negative, aber der Druck ist immer da. Wenn ich mir das heute anschaue und was ich selber erlebt habe: in dem Moment, wo du einen Vertrag unterschreibst, hast du Druck und das darf man nicht unterschätzen.

Wie äußert sich dieser Druck?

Es ist ein innerlicher Druck, den niemand nach außen zeigen will. Der Gedanke, dass man dann für einen Schwächling gehalten wird, ist weit verbreitet. Aber wir sind alle Menschen. Ich finde, man darf keine Hemmungen haben und muss das ansprechen, weil man damit nie alleine dasteht. Mit diesem innerlichen Druck können einige gut umgehen, aber viele nicht. Der Umgang wird von verschiedenen Faktoren beeinflusst. Wenn du zum Beispiel in einem Verein bist, der nicht vorne mitspielt, sondern im Mittelfeld Richtung Abstieg, ist der Druck noch größer. Dann kommt es aufs Alter an: Jung, mittel, älter, das ist auch wieder ein Unterscheid. Aber Druck ist immer da. Soll mir keiner erzählen, dass er keinen Druck hat, dann lügt er. Den innerlichen Druck spürst du immer.

War das nur innerlich oder hat sich das auch anders geäußert? Per Mertesacker sagte zum Beispiel, dass er häufig zu Toilette musste oder sich übergeben hat.

Es sind verschiedene Typen. Manche brauchen ihre Ruhe, manche brauchen laute Musik, um sich abzulenken. Es ist unterschiedlich, wie der Körper reagiert. Jeder ist anders. Das bekommt man in der Kabine natürlich mit.

Wie bist du mit dem Druck umgegangen?

Am Anfang fiel mir das leicht. Wenn ich das für mich Revue passieren lasse, dann hatte ich anfangs kaum Probleme damit. Gegen Ende, die letzten 5-6 Jahre vielleicht und nach meinem Karriereende, habe ich dann erst richtig realisiert, wie viel Druck auf mir gelastet hat. Das habe ich am Anfang nicht so wahrgenommen. Wenn du älter wirst, denkst du über viel mehr Sachen nach und machst dir Gedanken. „Was ist, wenn es heute so läuft?“. Du fängst an, Bausteine anzubauen. Es fließt nicht mehr so richtig und das habe ich für mich gemerkt.

Ist man unbedarfter, wenn man aus der Jugend kommt? Hat das auch was damit zu tun, dass die eigene Persönlichkeit wächst und man vielleicht auch eine Familie gründet?

Ich finde, du hast das richtige Wort benutzt. Du hast am Anfang nicht so viel Druck. Klar, einen gewissen Druck schon, aber nicht so viel Verantwortung. Wenn du in eine Position hereinkommst, wo du mehr Verantwortung übernimmst, dann hast du auch mehr Gedanken im Kopf und wenn deine Leistung dann nicht passt, machst du dir noch mehr Gedanken. Das ist wie eine Kette. Da musst du Ruhe bewahren, mit dir selbst klarkommen. Dann kommt das Thema Familie. Das ist nicht unbedingt negativer Druck, aber es ist auch Verantwortung. Aber stell dir mal vor, es läuft im Job nicht gut und es läuft in der Familie nicht gut, dann hast du immer mehr Baustellen und das darf man nicht unterschätzen.

Du bist zweimal von Kaiserslautern zu Bayern gegangen, beim ersten Mal waren es 12 Millionen Mark Ablöse. Das war wahnsinnig viel Geld. Wie bist du damit umgegangen? Ist stelle mir das unglaublich schwierig vor, wenn man irgendwo aufläuft und hat einen Rucksack.

Der Rucksack ist groß und schwer. Du kommst zu einem Verein, wo marketingmäßig und öffentlichkeitsmäßig viel Druck herrscht. Du musst vom ersten Tag an Topleistungen abrufen, auf und neben dem Platz. Aber am Anfang ging es, weil ich das in der Form noch nicht kannte, da war mehr Vorfreude auf das Neue. Ich habe zwar den Verein gekannt, aber ich wusste noch nicht, was intern passiert. Ich habe dann Eindrücke gesammelt und das wuchs dann jeden Tag immer mehr. Du musst reinkommen und verstehen, zu verarbeiten und dann kommen die gewissen Straßen links rechts, die guten, die schlechten und jeder macht es anders. Ein Beispiel, das ich selber miterlebt habe: Sebastian Deisler, der von Hertha zum FC Bayern gekommen ist und die ganze Situation mit dem Scheck, die herausgekommen ist, das war nicht einfach für ihn. Der hat vom ersten Tag an massiven Druck gehabt. Du hast ihm das vom ersten Tag an angesehen, dass er nicht mehr so viel Freude hat. Dazu kamen dann noch Verletzungen, etc.

Wenn man das sieht, dass jemand so gebrochen ankommt. Versucht man da als Mannschaft einzuwirken und spricht oder ist man da fast ein bisschen beruhigt, weil ein Konkurrent um die Position ausfällt?

Ich würde nicht sagen „beruhigt“. Natürlich versucht man ein bisschen Kontakt aufzubauen. Wenn der Mensch aber selber nicht aufmacht, dann ist es schwierig, ihm zu helfen. Für manche sind die Mitspieler natürlich auch die falschen Ansprechpartner. Die wenden sich eher an den Trainer oder an einen Externen. Manche öffnen sich gar nicht. Es liegt in jedem selber, wie er mit der schwierigen Situation umgeht.

Also wäre ein verpflichtender Mentaltrainer oder Psychologe keine Option, weil der Spieler den ersten Schritt machen muss?

Ich finde, heutzutage ist es Pflicht, in einem Verein so einen Menschen, so einen „Berufspsychologen“ zu haben. Klar muss der Betroffene aufmachen, aber man muss die Hemmschwelle klein halten und braucht dann die positive Unterstützung. Das kann nicht nur der Trainer sein oder der Sportdirektor oder die Mitspieler, sondern es muss ein Profi sein. Nur so kann der Patient aufmachen. Das muss man verstehen. Ich finde im Fußball unterschätzt man das ein bisschen. Ich würde es begrüßen, wenn jeder Verein dieses Thema professionell behandelt.

Hätte dir das damals persönlich geholfen oder hast du dich jemandem im Verein geöffnet?

Ich habe mich erst später geöffnet, aber ich habe es noch rechtzeitig gemerkt. Ich habe nach meiner Karriere gemerkt, als ich meinen Trainerschein gemacht habe und ich die Trainerlaufbahn angefangen habe, dass ich nicht mehr weiterkomme, auch mit mir selber als Mensch. Ich war ohne Energie, ohne Freude und habe gemerkt: „Hey Junge, jetzt musst du was machen. Du darfst keine Hemmungen haben, du musst keine Angst haben, sondern du musst vorwärts schauen.“ Vorwärts schauen vor allem in dem Sinne, dass du ehrlich mit dir umgehst. Das ist das Wichtigste.

Wie bist du das dann angegangen?

Ich habe mir wirklich eine Person auf guten Rat von einem Arzt von mir, der mit mir eng war, gesucht und bin in Kontakt getreten und habe bei dieser Person eine Therapie angefangen. Aber immer mit dem ersten Punkt, es liegt an dir selber. Er kann dich begleiten und unterstützen, aber du bist in dem Prozess die wichtigste Person.

Hattest du das Gefühl, dass es dir erst richtig schlecht gehen muss?

Der Mensch ist so. Der kapiert es erst, wenn er richtig am Boden ist und merkt, jetzt muss ich was machen. Heute, wo ich das gelernt habe, schalte ich auch mal zwei Gänge zurück, wenn es mir zu viel wird. Es geht mir ums Leben, es geht mir um Freude. In so einer Therapie verändert man sich natürlich auch. Der Hauptkern bist du selber. Klar brauchst du Unterstützung, aber du musst zu dir ehrlich sein. Nicht was der andere sagt oder andere wollen, sondern was du willst, ist wichtig.

Was heißt bei dir zwei Gänge zurückschalten?

Als Trainer bist du immer im Vordergrund. Da musst du immer Disziplin haben, du musst immer Vorbild sein. Aber du brauchst gute Leute an deiner Seite, Spezialisten, denen man auch mal Arbeit abgeben kann, um auch mal runterzufahren. Ich muss nicht immer 1000% da sein, sondern kann auch mal abgeben. Früher habe ich immer gesagt, ich muss powern, powern, powern. Heute sage ich, ich werde powern, wenn es notwendig ist, aber ich kann auch abgeben, wenn ich muss.

Fällt es dir mit deiner Erfahrung und dem, was du durchlebt hast, leichter, Schwäche zu zeigen, auch vor deinen Spielern?

Ja, ich bin anders geworden. Ich habe aus den Erfahrungen, die ich gemacht habe, gelernt. Ich weiß, wo ich nicht mehr hin will. Ich bin offener, ruhiger, menschlicher und ich habe auch kein Problem mit dir, mit ihr (zeigt auf Nicky) oder mit der Mannschaft darüber zu sprechen, wo die Probleme sind. Das heißt, ich bin nicht der Schwächling, sondern ich habe aufgemacht und der andere kann mich besser verstehen und ich kann ihn auch besser verstehen. So kommen wir auch zum Ziel.

Er kann dich begleiten und unterstützen, aber du bist in dem Prozess die wichtigste Person.

Du hast eben gesagt, dass man viel mit der Presse und Öffentlichkeit zu tun hat. Was haben diese dauernden Bewertungen, teilweise vielleicht auch unfairen Bewertungen mit dir gemacht?

Das geht ans Herz. Das geht auch an die Energie. Das kann dich kaputt machen. Wenn du sensible Leute hast, die das aufnehmen und das alles glauben, dann kannst du dir vorstellen, was in dem Menschen abgeht. Es gibt Leute, die lesen das und schmeißen es weg, aber ich weiß nicht, was mit denen in ein paar Jahren passiert. Aber es gibt auch Leute, da geht es sehr nah ran. Bei mir hat es Wellen gehabt: mal nah, mal weiter weg, aber das ist auch ein Prozess. Wenn ich heute sowas lese, bespreche ich das mit einem kleinen Kreis, den wichtigsten Personen, zum Beispiel mit unserem Pressesprecher und dann reflektieren wir das. Du brauchst einen kleinen Kreis, der Loyalität und Qualität verbindet und dann hast du auch ein bisschen mehr Ruhe.

Hast du alle Presseberichte über dich gelesen damals?

Alle? Da müsste ich jetzt lügen, aber du nimmst viel auf. Das ist ja auch normal. Dann willst du wissen, was hat der geschrieben, was hat der geschrieben? Ist das wahr, ist das nicht wahr? Das ist ein Prozess. Heute lese ich das, aber ich bewerte das anders, weil für mich die Arbeit innerlich klar ist und ich von dem überzeugt bin, was ich mache. Dass der Journalist schreiben muss, was er sieht und es vergleicht und einordnet, ist doch ganz legitim. Aber es ist wichtig, dass du es selber ehrlich einordnen kannst.

Wenn wir noch mal auf die Fans zurückkommen: Du hast am Betzenberg gespielt.

Das ist toll, wie in Dortmund.

Die Fans sind nah am Rasen, es ist stimmungsvoll. Ist es dann einfacher ein Heimspiel zu haben oder ist auswärts dann einfacher?

Nein, ich habe es geliebt. Weil Fans oft ein unglaubliches Gefühl für die Situation haben. Spieler und Fans waren sich in Kaiserslautern immer sehr nah. Dann ist es ein schönes Gefühl. Aber wenn du merkst, zwischen Fans und Spieler herrscht ein bisschen kalte Energie, dann kommt der Druck. Ich habe es immer sehr genossen, weil sie uns unterstützen wollten, wenn wir ehrliche Arbeit abgeliefert haben. Klar gibt es auch Momente, in denen es nicht läuft. Dann wird es auch Druck geben. Das ist in jedem Stadion so. Das ist in Dortmund auch so. Die Fans unterstützen die Mannschaft, wenn sie ehrliche Arbeit sehen. Wenn es nicht läuft, dann hast du Druck, damit musst du dann umgehen lernen.

Sebastian Kehl sagte mal, dass es schwierig sein kann, zu Hause zu spielen, weil alle Augen auf dich gerichtet sind und das lähmt, gerade wenn es nicht so gut läuft. Beim Auswärtsspiel sind die Fans überschaubarer.

Ich verstehe, was Sebastian sagen will. Aber es ist doch das tolle, wenn du Heimspiele hast, dass dich da 80.000 unterstützen. Dass dann der Rucksack kommt, ist doch klar. Als Fan wirst du wahrscheinlich sagen, dass wir dafür bezahlt werden. Aber manchmal ist es von außen schwierig, zu verstehen, wo der Spieler oder die Mannschaft Probleme haben. Das muss dann intern gelöst werden, indem man Leute hat, denen man vertrauen kann.

Hattest du mal Probleme mit Fans, dass du beleidigt wurdest oder so?

Auswärts, na klar. Anfangs geht dir das nahe. Aber du darfst dann auch selber nicht provozieren. Wenn sie nur auf dich neidisch sind, dann haben sie Respekt. Das ist eine Anerkennung. Aber du darfst es nicht provozieren und du darfst dich selber nicht provozieren lassen. In meiner ganzen Karriere habe ich nicht einmal ein Problem mit einem Fan gehabt, wo mir etwas zu nahe gegangen ist.

Wie hast du es geschafft, dich nicht provozieren zu lassen?

Ich habe mich auf das Spiel konzentriert. Ich habe versucht, Freude zu haben. Meistens war es ja auswärts, aber nochmal, dann haben sie Respekt gehabt. Das ist auch etwas Positives und es für jemanden, der dich beleidigt, ist es das Schlimmste zu sehen, dass du Freude hast.

Du hast eben schon die Bezahlung angesprochen. Häufig wird ja gesagt: Fußballer verdienen so viel Geld, die haben keinen Druck. Druck hat die- oder derjenige, der in einem prekären Arbeitsverhältnis ist und eine Familie ernähren muss. Was würdest du dieser Aussage entgegnen?

Für mich sind das zwei verschiedene Arten von Druck. Alles, was mit Familie zu tun hat, ist eine ganz enorme Form von Druck. Gerade, wenn man Kinder hat und diese ernähren muss und ein gutes Leben ermöglichen will. Familie kann die unglaublich viel geben, aber Verantwortung, Sorgen um deine Liebsten, können einen ganzen Korb voll Druck vollladen. Der Druck eines Fußballers hat damit nichts zu tun und ist anders gelagert. Geld spielt meistens keine Rolle und deswegen wirkt die Verantwortung weniger belastend. Beim Fußballer ist aber der Druck der Öffentlichkeit, vorm öffentlichen Versagen ausschlaggebend. Du bekommst Druck von der Presse, von den Mitspielern, vom Verein. Das sind zwei verschiedene Arten von Druck, die man beide nicht unterschätzen darf. Es ist immer öfter im Sport so, dass viel Geld verdient wird, gutes Geld, so dass man sein Leben lang versorgt ist. Aber du weißt nicht, was innerlich bei diesen Personen abgeht, mit Alkohol, Drogen oder Selbstmord, mit Unzufriedenheit. Das sind dann Dinge, wo es dir nicht weiterhilft, wenn du viel Geld hast.

Hast du mal ein Spiel gehabt, wo du danach das Gefühl hattest, jetzt habe ich wirklich versagt.

Das kann sein, ja. Ich wüsste jetzt auf Anhieb keins, wo es wirklich hängen geblieben ist. Aber es gab sicher Spiele, wo ich gesagt habe „heute hast du so einen Scheiß gespielt, da wärst du besser zu Hause geblieben“. Da waren einige Spiele dabei, das ist normal. Heute sage ich „was soll das, das ist menschlich“. Wenn ich drüber nachdenke, dann habe ich damals sicher Druck gespürt. War es zu viel oder war es noch okay? Das kann ich heute nicht mehr bewerten.
Wir dürfen nicht vergessen, der Mensch darf auch solche Situationen haben, wo es ihm nicht gut geht und er seine Leistung nicht wie gewohnt abrufen kann. Das muss man akzeptieren und respektieren. Viele verstehen das nicht. Und wie wir eben gesagt haben: er verdient viel Geld und am Ende ist es trotzdem nur ein Fußballspiel. Wenn niemand akzeptieren kann, dass die Tagesform mal nicht perfekt ist, baut sich ein enormer Druck auf. Wir müssen einfach ein Bewusstsein dafür schaffen, dass es bessere und schlechtere Tage gibt. Klar, die Spieler sollen als Mannschaft ausstrahlen, dass sie gewinnen wollen, aber wenn es dann aus irgendwelchen Gründen nicht klappt und Fans und Medien das akzeptieren, dann wären wir einen Schritt weiter.

Du warst bei Kaiserslautern, München und Inter. Wie haben sich diese Stationen unterschieden? Auch im Hinblick auf Druck?

Druck hast du überall. Kaiserslautern war eher familiär, bei Bayern musst du gewinnen, Inter ist ein großer Traditionsverein, wo ein bisschen Chaos drin war. So kann man es vergleichen. Bayern ist ein Topverein, wo du gewinnen musst, aber auch alles kriegst. Bei Kaiserslautern ist es freundschaftlicher, mit viel Tradition, da hat sich etwas entwickelt. Da ist auch Druck, aber auf einer anderen Ebene. Bei Inter wollten sie mit Bayern, mit Juve, mit Real Madrid und den anderen Großen mithalten, aber es war zu chaotisch.

Wie hat sich dieses Chaos auf dein persönliches Wohlbefinden ausgewirkt?

Darum bin ich nicht lange geblieben. Ich habe gemerkt, ich passe da nicht hin. Es gibt Typen, die können ins Chaos rein, das ist ihnen scheißegal und es gibt Typen, die merken schnell, dass es gar nichts für sie ist. Ich musste das auch erst für mich verstehen. Deswegen kann ich es so zusammenfassen: Familiär, Chaos und Winner-Verein. Heutzutage brauche ich den Anker einer klaren und loyalen Struktur.

Ist das Karriereende vielleicht sogar die größere Belastung?

Nein, für mich war es wunderbar. Warum? Ich konnte für mich positiv abschließen. Ich habe alles gewonnen, ich habe nach einer schweren Achillessehnenoperation, mit der ich lange ausgefallen bin, nochmal gespielt. Mein letztes Spiel war sogar gegen Dortmund und danach habe ich meine Schuhe genommen, habe sie weggeworfen und habe gesagt: „So, meine Herren, ich habe es wieder geschafft, ich habe wieder auf dem Platz gestanden“. Ich konnte für mich positiv abschließen. Deswegen war das für mich okay. Ich konnte für mich sagen „es ist gut so“. Ich habe nicht mit mir gerungen, sondern es war mein innerlicher Entscheid.

Ist das vielleicht auch eine Strategie, um mit Druck umzugehen, Abschlüsse zu finden?

Wenn man es erstmal verstanden hat, dann ja. Wenn man loslassen kann und akzeptieren kann, dass es so wird oder so ist, dann ist das gut. Aber wenn man immer dagegen kämpft, dann ist man innerlich noch nicht klar mit sich selber.

Wie wird man klar mit sich selber?

Indem man ehrlich zu sich selber ist. Nicht nur oberflächlich sagen „jetzt ist der und der zufrieden“. Jetzt habe ich das gesagt, was er hören wollte. Aber du musst doch auf dich achten. Du musst mit dir zufrieden sein, mit dir glücklich sein. Das dauert dann vielleicht länger, aber wichtig ist, dass du mit dir im Reinen bist. Ich kann nicht für die anderen sprechen, aber bei mir war es so. So habe ich das erlebt.

Es ist wichtig, dass niemand Angst hat, sich bei diesem Thema zu öffnen.

Hast du da eine bestimmte Strategie zur Ehrlichkeit? Brauchst du eine Auszeit in der Natur, den Jakobsweg oder ähnliches?

Nein, ich merke inzwischen einfach, wenn es mir zu viel wird und ich keine Freude mehr habe. Dann sage ich entweder, dass ich das nicht mache oder wenn es mir zu viel wird, dann gehe ich. Immer mit Anstand und Respekt, aber ich sage dann, okay, ich muss jetzt das machen, was menschlich rüberkommt und für mich stimmt. Das ist für mich das A und O.

Du warst in der Karriere als Wortführer bekannt und standst deswegen oft im Rampenlicht. War das eine Entwicklung oder muss man dafür der Typ sein?

Ich finde es braucht beide Punkte. Du brauchst gewisse Charaktereigenschaften, die angeboren sind. Du kommst dann natürlich auch in eine Entwicklung rein. Bestimmte Sachen kannst du dann lernen, aber es hat schon viel mit deinem eigenen Charakter zu tun.

Guckt man sich das von den anderen Spielern ab, weil man Vorbilder hat?

Am Anfang ja, das habe ich auch gemacht. Am Anfang hast du gewisse Punkte aufgenommen, vom Typen her, von der Spielart, vom Umgang mit Medien, aber nachher musst du dich schon auf dich selber konzentrieren.

Würdest du jungen Spielern eher Zurückhaltung empfehlen?

Nein, ich finde heutzutage brauchst du Jungs, die mutig sind, frech sind, aber auch Disziplin haben. Aber insgesamt brauchst du doch mutige Jungs, die Fußball spielen wollen, die gewinnen wollen, die auch als Mannschaft denken. Du musst gewissen Raum für Qualität lassen, das finde ich wichtig heute im Fußball.

Wie werden Spieler im Jugendbereich auf den psychischen Leistungsdruck vorbereitet?

Da habe ich ein bisschen zu knabbern, weil ich damit nicht zufrieden bin. Wenn du einen jungen Spieler schon so einschränkst und sagst „du darfst das nur noch so machen und es geht nur noch um Erfolg“, dann wird er sich nicht mehr entwickeln. Er wird sich nicht als Fußballer und auch nicht mehr als Mensch entwickeln, weil das Korsett zu starr ist. Da stellt sich schnell die Frage, wie lange das gut geht. Wir haben im Jugendfußball viele wichtige Phasen, 10-jährige, 13-jährige, 15-jährige, da entwickeln sich die Jugendlichen enorm weiter, es verändert sich viel im Leben. Deswegen muss der Spaß immer da sein. Der Mensch ist das Wichtigste. Das wird für mich im Fußball vernachlässigt. So ist meine Erfahrung.

Ist es denn ein Problem bzw. siehst du es als Problem an, dass Fußballer neben der Karriere keine Ausbildung machen und nach der Karriere die Perspektive fehlt?

Also ich glaube, man muss immer schauen, bei welchem Verein man ist und wie die Situation ist. Kann man noch eine Ausbildung parallel machen? Heutzutage ist die Belastung im Fußball viel größer. Da muss man sich dann fragen, ob der Junge das hinkriegt. Klar wäre es wichtig, wenn er was in der Hinterhand hat. Aber wenn das Talent so groß ist und man sagt „aus dem kann wirklich was werden und wir packen es menschlich und sportlich an“, dann muss man ihn auch so unterstützen. Man muss schauen, wie der Typ ist. Es gibt Spieler, die musst du auf zwei verschiedenen Schienen begleiten und andere, da musst du voll auf Fußball setzen. Wir müssen das in den Vereinen sehen und spüren, wen wir wie unterstützen müssen.

Wie war das bei dir?

Ich habe mich mit 16 klar entschieden. Ich bin das Risiko eingegangen und habe mit 16 meinen ersten Profivertrag bei den Grashoppers Zürich erhalten, allerdings mit der Absicherung, wenn ich es in den ersten zwei Jahren nicht schaffe, dann hilft der Verein, ins Berufsleben einzusteigen. Da war also eine kleine Sicherung drin. Aber für mich war klar, ich will das anpacken und vorwärtsgehen.

Nach dem Karriereende gab es dann da auch Vereine, die dir helfen wollten?

Nein, nicht direkt. Für mich war klar, dass ich so schnell wie möglich meinen Fußballlehrer anfangen will. Das habe ich dann auch in Köln gemacht, weil ich mich im Fußball wohlfühle und da hinpasse. Den Fußballlehrer habe ich in Eigeninitiative angefangen.

Abschließend noch: Erinnerst du dich noch daran, wie du von Robert Enkes Tod gehört hast, was dir durch den Kopf ging als du von den Umständen erfahren hast?

Das sind traurige Momente, ganz klar. Ich war erstmal traurig, aber ein paar Minuten später fragst du dich natürlich: „Warum ist das passiert?“. Da kommen dann natürlich viele Gedanken auf: wollte er nicht mehr, hat er sich nicht getraut, diese Schwelle zu überwinden und über seine Probleme zu sprechen? Druck, Stress, Angst, negativ – da kommen immer Fragen auf. Ich werde nicht über Robert, der jetzt im Himmel ist, bzw. über die Umstände mutmaßen, weil es nicht fair ist. Aber wenn du es ansprichst, dann kommen natürlich als erstes die Fragen in Kopf neben einer immensen Traurigkeit.

In der letzten halben Stunde, wo wir gesprochen haben, ging es mir immer um den Menschen. Ich appelliere daran, dass egal wer es ist, man ihn menschlich behandelt. Es ist wichtig, dass niemand Angst hat, sich bei diesem Thema zu öffnen. Es ist normal, es ist menschlich, dass man Probleme hat. Niemand ist sorgenfrei. Vielleicht hätte ein besserer Umgang damals schon geholfen und etwas verhindern können. Aber aus diesem Anlass darüber diskutieren zu müssen, macht traurig, das macht betroffen. Jeder hat einen Rucksack dabei und das ist doch ganz normal. Wir müssen lernen, über diese Probleme zu reden, ohne dass jemand als Schwächling bezeichnet wird. Offen zu einander sein, ist das A und O. Man muss es ehrlich meinen und dann mit Respekt miteinander umgehen. Das habe ich für mich in den schwierigsten Zeiten gelernt.

Vielen Dank für deine Offenheit und das Interview.

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