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Sicherheit im Stadion: Norwegen - wenig Gewalt - viel Dialog

23.02.2016, 16:37 Uhr von:  Redaktion
Sicherheit im Stadion: Norwegen - wenig Gewalt - viel Dialog

Ende des Jahres 2012 wurde im deutschen Fußball das Papier "Sicheres Stadionerlebnis"verabschiedet.

Doch wie sieht es in unseren Nachbarländern aus? Unsere Serie beschäftigte sich bereits mit den Verhältnissen in Österreich, der Türkei, Schweden, der Schweiz, Belgien, Italien, den Niederlanden, Spanien und Frankreich sowie Polens. Heute schauen wir auf die Situation in Norwegen:

Hintergrund:

Choreo bei Odds - Oversen

Die norwegische Fußballkultur war viele Jahre stark von der englischen Fußballkultur geprägt und eiferte dieser nach, was sich in den letzten 10 bis 15 Jahren jedoch verändert hat. Jetzt dominiert wie in Deutschland auf den Rängen die Ultraszene, auch wenn man die norwegische Szene nicht zu 100 % mit der deutschen vergleichen kann. Dazu sind die gesellschaftlichen Verhältnisse zu unterschiedlich. Stichwort Öl! Außerdem ist die Szene total unpolitisch; weder rechte noch linke Politik wird auf den Rängen geduldet.

Die großen Vereine dominieren auch die Fanszene, also Rosenborg BK, Vålerenga, Brann und Lillestrøm. Brann war 2015 in der 2. Liga, Lillestrøm war in den letzten Jahren ebenfalls manchmal im Abstiegskampf. Bei den anderen Vereinen hat die Ultrakultur nicht so ganz Fuß fassen können. Ihr seid ja bei Odd in Skien zu Besuch gewesen, was normalerweise eine ganz kleine Fanszene mit sehr wenigen Ultras ist, die gegen euch aber gut mobilisiert haben.

Die größte Szene werdet ihr in Trondheim bei Rosenborg BK finden. Sie wird von zwei Ultragruppierungen dominiert, den Ultras Nidaros und Fn13. Ultras Nidaros ist eine ältere Gruppierung, die 1999 gegründet wurde und sich aus Leuten im Alter zwischen 25 und 40 Jahren zusammensetzt. Fn13 (Fraktion Nord 2013) ist eine recht neue Gruppierung aus dem Jahr 2013 und besteht meist aus jungen Leuten im Alter von 15 bis 25 Jahren.

Bei Vålerenga waren bis vor kurzem immer die englischen Tribünen das Vorbild, bis eine Ultragruppierung namens Ikaros gebildet wurde. Zwischen diesen und den „älteren“ Fans gab es bald Streitigkeiten wegen Bannern, Trommeln, usw. Vålerenga hat auch eine Hooligangruppe, die Isko Boys. Mittlerweile haben sich die alten Fans, die auf die englische Szene schwören, und die Ultras/Isko auf unterschiedliche Blöcke verteilt. Darunter leidet die Fanszene in Oslo, die nun nicht mehr so gut und dominierend ist, wie sie einmal war. Nach dem Saisonende hat der Verein der Hooligangruppe ein kollektives Stadionverbot erteilt und alle Fans müssen in demselben Block stehen.

Stabaek-Bod

Für Brann bedeutete der Abstieg 2014 ein Erwachen für die Fans, die letztes Jahr daher sehr gut mobilisiert haben und mit dem Aufstieg belohnt wurden. Die Szene in Bergen kann man eigentlich nicht eine Ultraszene nennen. Es handelt sich vielmehr um eine komische Mischung aus Ultrakultur und englischer Fußballkultur. Beispielsweise werden dort keine Trommeln oder Megaphone verwendet, aber es wird viel Pyro abgebrannt und viele Choreos gemacht. Die Ultragruppierung in Bergen heißt BGG (Bergens Glade Gutter).

In Lillestrøm, wo einmal die beste Szene war, leidet man unter dem sportlichen Verfall des Vereins. Es gab in den letzten Jahren auch viel internen Streit zwischen Ultras (Ultras Felt C, UFC), normalen Fans und einer Hooligangruppierung. Die Hooligangruppe ist während des letzten Winters von der Polizei aufgelöst worden. Sie haben Aufenthaltsverbot in Lillestrøm, wenn Spiele ausgetragen werden und dürfen nicht zu den Auswärtsspielen fahren. Hoffentlich wird dies zu einer Besserung für die Szene in Lillestrøm führen.

Ein anderer Verein, bei dem in den letzten Jahren die Ultras großen Zulauf erhalten haben, ist Strømsgodset aus Drammen. Dort machen sie sehr gute Choreos und sowohl zu Hause wie auswärts herrscht eine gute Stimmung.

Stabaek-Vlerenga

Bei Stabæk haben wir eine der ältesten Ultragruppierungen, die Ultras 1912, eine kleine, aber gute Gruppe, die viel Stimmung im Stadion macht. Dort wird viel Pyrotechnik verwendet und sie haben gute Choreographien.

Der Fußball in Norwegen hat in den letzten fünf bis sechs Jahren unter einem Niedergang gelitten. Nach einem wahnsinnigen Boom in den Jahren 2006 bis 2009 mit vollen Stadien, aber nicht so gutem Fußball, ging es seit 2010 bergab. Die Zuschauerzahl wurde immer geringer und der Fußball immer schlechter. Aber für die Fans wurden die Verhältnisse besser. Langsam sahen die Vereine und der Verband ein, dass ohne Fans im Stadion nichts los ist. Deshalb haben beispielsweise bei meinem Verein die Fans einen großen Einfluss und sind ein aktiver Diskussionspartner des Vereins. Das gilt nicht für alle Vereine, aber bei den großen Vereinen ist das eher die Regel geworden. Die meisten Vereine in Norwegen sind Mitgliedervereine und von der AGM gesteuert. Die 50+1-Regel ist in Norwegen nicht eingeführt, aber Investoren bekommen bei der AGM in Norwegen keinen Einfluss. Durch das norwegische Gesetz ist der Sport in Norwegen so reguliert, dass Investoren oder Sponsoren keinen Einfluss bekommen können.

Letztes Jahr erlebten wir wieder einen Wachstum bei den Zuschauerzahlen und einen Aufschwung des norwegischen Fußballs. Zwei norwegische Mannschaften haben sich für die Europa League qualifiziert und Rosenborg wurde wieder Meister und Pokalsieger.

Für Fans in Norwegen ist die Gesamtsituation im Vergleich zu Deutschland sehr, sehr gut. Es gibt sehr wenig Gewalt und das Gewaltpotential ist sehr gering. Wie ich weiter oben geschrieben habe, gibt es Hooligans in Norwegen, aber die Szene ist sehr klein, der einzige Verein, der eine große Hooligangruppe hat, ist Vålerenga. Sie müssen aber ins Ausland fahren, um sich prügeln zu können und besuchen mittlerweile fast jedes Wochenende Schweden, um einen Kampf auszutragen. Die anderen Vereine haben nur sehr wenige gewaltbereite Fans.

EuropaLeague Rosenborg-Debrecen

In 2012 wurden erstmals Fanbeauftragte in Norwegen eingestellt, was ebenfalls die Bedingungen für die Fans verbesserte. Hauptberufliche Stellen für Fanbeauftrage sind noch nicht überall eingeführt, meistens handelt es sich um eine Mischung aus Ehrenamt und bezahlter Stelle.

Haben wir überhaupt Probleme? Im Vergleich zu Deutschland eher nein. Meiner Aussicht nach ist das größte Problem der Verband NFF und die Liga NTF, das Verständnis von Fankultur und der fanatische Hang zu allem, was in England passiert, sowie die Sitzplätze und die Kommerzialisierung von Fußball. Aber im Gesamtbild sind die Probleme sehr, sehr klein und lassen sich nach und nach im Dialog überwinden.

Der Dialog zwischen den Vereinen und den Fans in Norwegen hat sich nach der Einführung von Fanbeauftragten verbessert und auch das Verhältnis der Fans zu Verband und Liga ist besser geworden. Man hört auf uns und lässt uns unsere Ansichten vertreten. Zu 100% einig werden wir uns sicherlich nie, aber dass immer eine Möglichkeit für einen Dialog besteht, ist positiv.

Wie die Lage in den unterschiedlichen Vereinen einzuschätzen ist, kann ich nicht sagen, da ich nur für meinen eigenen Verein, Rosenborg BK, sprechen kann. Bei uns ist das Verhältnis zwischen den Fans und dem Verein ausgezeichnet, die Probleme werden nicht durch Aussperrungen von Fans gelöst, sondern die Fans treffen sich regelmäßig mit der Vereinsleitung und führen einen sehr guten und konstruktiven Dialog.

Eine erste Pokalrunde in Vuku (Norwegen)

Das Verhältnis von Fans zur Polizei ist ja immer ein großes Thema beim Fußball. Wie ist das in Norwegen? Der Unterschied zwischen Norwegen und Deutschland ist enorm. Die Polizei nimmt keine Massenmusterungen an einem Spieltag vor. Man sieht sehr selten einen Polizisten in voller Kampfausrüstung. Die Polizei führt lieber einen Dialog mit den Fans, als mit dem Knüppel zu schlagen und Tränengas zu gebrauchen. Als Fanbeauftragter führe ich immer einen Dialog mit der Polizei und ich spüre, dass es in den letzten Jahren eine Änderung im Verhalten gegeben hat. Die Polizei hat jetzt einen Gesprächspartner und kann einen konstruktiven Dialog führen. Meistens – so ist mein Eindruck – halten die Fans Abstand zu den Polizisten, aber es gibt keinen Hass oder einen ständigen Ausnahmezustand zwischen Polizei und Fans.

Wie ist es mit Pyrotechnik In Norwegen? Bei uns kann man legal auf den Rängen Pyrotechnik abbrennen. Das bedeutet nicht gleich „Feuer frei“, denn man muss eine Genehmigung vom Verein, von der Polizei und von der Feuerwehr bekommen. Die verwendete Pyrotechnik muss ein Zertifikat aus der EU haben und von einem geprüften Hersteller stammen. Manchmal gibt es Einschränkungen für den Gebrauch, das heißt beispielsweise, wenn man 30 Bengalos abbrennen wollte, kann es vorkommen, dass man nur die Genehmigung für 10 erhält. Auch die Auswärtsfans können eine Genehmigung bekommen, aber das ist nicht so einfach, weil man dann einen Antrag bei dem Verein, den man besucht, stellen muss. Zusammengefasst kann man sagen, dass es für das Thema eine gewisse Öffnung gibt, aber der Wille zum Abbau aller Schranken bei den Vereinen nicht sehr groß ist.

Es wird in Norwegen auch illegal Pyrotechnik abgebrannt, wobei deren Zahl geringer geworden ist, seitdem die Möglichkeit zum legalen Abbrennen gegeben ist. Ein illegaler Gebrauch von Pyrotechnik führt zu Geldstrafen für den Verein, und man riskiert auch eine Geldstrafe von der Polizei, wenn man beim Abbrennen identifiziert wird. Außerdem kann man ein Stadionverbot vom Verein bekommen.

Es ist der Verband, der die Regeln handhabt und die Geldstrafen an die Vereine übermittelt. Und der ist hier der Schuldige. Die Vereine haben jedes Jahr die Möglichkeit, die Regeln zu ändern, aber sie sind zu feige, um diesen Kampf gegen den Verband zu führen. Der Verband ist hier der große Gegner, dem man ständig erklären muss, dass Strafen und Verbote überhaupt nichts regeln oder verbessern. Die Politiker lassen bei uns den Fußball in Frieden, es gibt keine Einmischung und große Schlagzeilen, um Stimmen zu bekommen. Sehr gut so.

Torjubel Mjndalen-Strmsgodset

Bei einigen Vereinen ist der Dialog zwischen Fans und Verein leider nicht so gut und manchmal können selbst ganz kleine Ausschreitungen, die fast keinen stören, mit Stadionverboten bestraft werden, aber nur, weil die Medien eine große Sache daraus machen. Meistens passiert dieses bei den kleineren Vereine, die nicht so große Fanszenen haben und deren Verständnis für Fankultur eher gering ist.

Ihr in Dortmund habt ja eine sehr gute Kultur für die Auswärtsfahrten. Ich selbst finde es viel einfacher, in Deutschland zu reisen als in Norwegen, das Auswärtsfahren in Norwegen ist nämlich eine ganz andere Sache als in Deutschland. Wegen der norwegischen Topografie muss man immer viel Zeit einplanen und alles sehr gut vorbereiten. Es gibt bei uns nicht so viele Autobahnen, die Eisenbahn fährt nicht überall hin und man muss sehr oft einen Flieger nehmen, um nicht so viel Zeit zu brauchen. Es gibt aber immer Leute, die auf den Bus schwören oder das Auto benutzen. Für uns in Trondheim wohnende ist der kürzeste Reiseweg zu einem Auswärtsspiel eine vier Stunden lange Busfahrt auf eher schlechten Straßen nach Molde. Wenn wir nach Tromsø, Stavanger oder beispielsweise Bergen wollen, müssen wir ein Flugzeug benutzen, wenn wir am Montag wieder pünktlich bei der Arbeit sein wollen. Aber das klappt auch nicht immer. Und auch bei uns wird viel Bier konsumiert. Aber alles kostet sehr viel Geld, das kennt ihr bestimmt nach eurem Besuch hier.

Für die Auswärtsfans gibt es eigentlich keine großen Einschränkungen. Nicht erlaubt sind lediglich politische Äußerungen, aber das ist auch den Heimfans verboten. Trommeln, Megaphone, Banner, zwei Halter usw. sind alle erlaubt. Die Voraussetzungen sind dabei für alle Vereine gleich, man macht keinen Unterschied zwischen den Vereinen.

Wir haben auch in Norwegen sogenannte Risikospiele, meistens sind das die Derbys zwischen Vereinen, die sich hassen. Bekannte Spiele sind:

Lillestrøm – Vålerenga

Nachbarderby, langgehegter Hass

Vålerenga – Brann

Oslo gegen Bergen

Rosenborg – Molde

Hassvereine

Rosenborg – Lillestrøm

Hassvereine

Strømsgodset - Mjøndalen

Nachbarderby mit schon 80 Jahre andauernder Feindschaft

Brann – Rosenborg

Bergen gegen Trondheim


Der Unterschied liegt eigentlich in den Vorbereitungen vor dem Spiel, dem Dialog zwischen den Vereinen, der Polizei und den Fans sowie in der Polizeibereitschaft am Spieltag. Und selbstverständlich in der Stimmung zwischen den Fans am Spieltag. Aber wir können uns zum Beispiel nicht mit eurem Ruhrderby vergleichen. Rosenborg hat ja sein eigenes Derby gegen einen blauweißen Verein, Molde (scheiß Verein) und das sind für uns die zwei wichtigsten Spiele im Jahr. Aber das große Polizeiaufgebot, das ihr ihn Deutschland erlebt, würdet ihr in Norwegen niemals finden.

Zusammengefasst kann man die norwegische Fanszene so beschreiben: Friedlich, keine Gewalt, Wille zu Dialog zwischen Fans, Verband, Liga und Vereinen und eine wachsende Ultraszene.

Arne Christian ist Fanbeauftragter bei Rosenborg BK

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