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Sicherheit im Stadion: Italien - Italienische Verhältnisse

05.08.2014, 21:48 Uhr von:  Redaktion

Ende des Jahres 2012 wurde im deutschen Fußball das Papier "Sicheres Stadionerlebnis" verabschiedet. Doch wie sieht es in unseren Nachbarländern aus? Unsere Serie beschäftigte sich bereits mit den Verhältnissen in Österreich, der Türkei, Schweden, der Schweiz und Belgien. Heute schreibt Kai Tippmann über Italien.

Die Fankurve von Udine im Jahre 2008Im Jahr 2014 über italienische Fankultur zu schreiben, hat jede Menge mit Archäologie zu tun. Denn das, was mittlerweile europaweit als „Ultras“ geliebt, gehasst, aber zumindest diskutiert wird, haben die Italiener in der zweiten Hälfte der 60er Jahre erfunden. Megaphone, Doppelhalter, 90-minütiger Dauersupport, Gruppen mit martialischen Namen und strengen Hierarchien, Pyrotechnik, Zaunfahnen, Choreos, Fanmärsche...

Ein echtes Erfolgsmodell ist diese Art Fankultur geworden, selbst von der „Gazzetta dello Sport“ zum Exportschlager geadelt - nur in Italien selbst scheut man keine Mühen, das Phänomen schnellstmöglich wieder verschwinden zu lassen. Wohlgemerkt, nicht etwa die Gewalttäter oder Pyromanen unter den Ultràs, sondern das ganze Konzept. „Wir müssen die Ultra-Logik brechen“ (ballesterer.at) nannte das Roberto Massucci, Sekretär des Osservatorio Nazionale sulle Manifestazioni Sportive (Nationale Beobachtungsstelle für Sportveranstaltungen). Gemeint ist: Den Ultràs dadurch Nachwuchs und Wasser abzugraben, dass man Kurven farblos, grau, unspontan, leise und damit unattraktiv macht. Wie immer wird dies mit dem Kampf gegen Gewalt begründet, denn mit einer Abschaffung von Gewalttätern kann ja niemand ein ernsthaftes Problem haben.

Niemand hätte bestreiten wollen, dass die italienische Ultràbewegung auch ein Gewaltproblem hatte. Geboren als direkte Folge der politischen Auseinandersetzungen der 60er Jahre durchlebte diese Fankultur ihre „goldenen Jahre“ inmitten blutiger Gewaltepisoden, denen zeitweise jährlich dutzende Menschen zum Opfer fielen, man schrieb die „bleiernen Jahre“. Fußballstadien, seit jeher Katalysator und Brennglas für gesellschaftliche Probleme, waren keine Insel der Glückseligen und so nahm auch diese Jugendkultur zunächst Sachschäden, Verletzte und Tote in Kauf; ganz im Einklang zu den sonstigen Kommunikationsformen einer gewaltbereiten Gesellschaft. Reagiert wurde hierauf spät, erste Versuche, Stadien sicherer zu machen stammen aus dem Jahr 1995, nicht zufällig zeitgleich mit dem Aufkommen der ersten Pay TV-Sendungen. Aber auch in den knapp 20 Jahren seitdem hat sich am Grundtenor der Sicherheitstaktiken nichts geändert: im Gegensatz zu Deutschland mit seinem Netzwerk aus Fanbeauftragten und Fanprojekten, Fankongressen und Fandemonstrationen und was sich sonst noch alles unter „institutionalisiertem Dialog“ gruppieren lässt, hieß die Antwort in Italien schon immer: Repression.

Leere Stadien (hier Udine) sind in Italien an der TagesordnungUnd der Blumenstrauß an Stadionbesuchsverhinderungsmaßnahmen aus Gesetzen, Normen und Bürokratie ist mittlerweile wirklich beeindruckend: Das Betreten italienischer Fußballstadien ist nur mit namensgebundenen Eintrittskarten möglich, hierbei werden die Personalausweisdaten und die persönliche Steuernummer abgefragt und bei Erwerb online in Echtzeit mit der zentralen Datenbank der zuständigen Polizeibehörden abgeglichen. Für den Erwerb von Dauerkarten und Karten für jedweden Auswärtsblock ist die ungeliebte Fankarte „Tessera del Tifoso“ notwendig. Auch für diese legt man Pass oder Ausweis im Original, Lichtbilder und Steuerkarte vor und erhält sie dann zugeschickt, wenn man nicht gerade irgendwann schon einmal ein Stadionverbot hatte. Sämtliches Material, das mehr als die Vereinsfarben beinhaltet – also beispielsweise ein Wort oder ein Symbol – muss eine Woche vor dem Spieltermin schriftlich beim Verein genehmigt werden, der nach der Zulassung durch die Polizei dann den für das Einbringen der Fahne vorgesehenen Eingang und die Uhrzeit vorgibt. Massive Vorkontrollen, elektronische Drehkreuze und weitgehende Handlungsfreiheit der vor Ort befindlichen Sicherheitsbeamten runden das Sicherheitspaket ab.

Besonders spannend wird es, wenn Massuccis „Osservatorio“ - ein Gremium, dem Polizeibehörden, Vereine, Fußballverband, Autobahnraststättenbetreiber und die Bahn, aber kein Fanvertreter angehören – entscheidet, dass es sich bei dem Spiel um ein Risikospiel handelt. Dann wurden gern Heimkurven, Gästekurven oder auch gleich das ganze Stadion geschlossen, nach Einführung der „Tessera del Tifoso“ ist das in den Profiligen nicht mehr nötig. Einerseits, weil die überwiegende Zahl der aktiven Fans dieses Instrument ablehnt und schlichtweg nicht mehr auswärts fährt. Andererseits, weil sich aus den Reglementierungen der Tessera auch gern absurde Situationen entfalten: Beim diesjährigen Zweitliga-Derby Modena gegen Carpi beispielsweise. Die beiden Städte liegen ca. 20 Kilometer voneinander entfernt und die gesetzestreue Fantrennung gar nicht einfach. Für das Spiel gab es acht Fankategorien: Fans von Modena aus Modena mit Tessera, Fans von Modena aus Modena ohne Tessera, Fans von Modena aus Carpi mit Tessera, Fans von Modena aus Carpi ohne Tessera...und umgekehrt. Für alle diese Fankontingente gab es unterschiedliche Vorverkaufsstellen, Stadiontore und Sektoren. Effekt? Niemand hat das System verstanden und bei einem Derby, das ein Potential für mehr als 20.000 Besucher hat, verloren sich gerade einmal 2.000 beim Spiel.

Ungefähr 4.500 Fans unterliegen aktuell einem Stadionverbot, von insgesamt über 20 Milionen, aber nur 1.250 davon müssen auf der Wache unterschreiben. Aus Angst, dass 1.250 das Verbot umgehen, sind die Daten von allen aufgenommen worden!
Lorenzo Contucci (Fananwalt)

Nochmal die Kurve in Udine im Jahre 2008Natürlich beeinflussen auch der wirtschaftlich-technische Niedergang der Liga die Zuschauerzahlen, eine lange Serie von Korruptions-, Manipulations-, Doping-, Wett- und anderen Skandalen, sehr hohe Ticketpreise, massive Jugendarbeitslosigkeit, alte und baufällige Stadien oder schlichtweg eben die Bürokratie beim Kartenkauf. Fakt ist jedenfalls, dass sich die Stadionauslastung im fußballverrückten Stiefel seit Jahren im freien Fall befindet. Mit direkten Auswirkungen auf die Rubrik „Stadion“ in der Einnahmesituation der Vereine. Zur Hochzeit der Stadiongewalt in den 80ern und bis Mitte der 90er waren italienische Fußballstadien in der Regel übrigens voll. Schlimmer noch, der gewaltige Zuschauerverhinderungsapparat hat zum gegenteiligen Effekt geführt: Während man in den Kurven, der Heimat der Ultràs, meist noch Zuschauer findet, sind die Tribünen mittlerweile verwaist. Von den „Familien mit Kindern“, die man nach der Vertreibung der aktiven Fans im Stadion begrüßen wollte fehlt weiterhin jede Spur. Während die hitzigsten der Fans, für die Fußball das Wichtigste im Leben ist, immer noch versuchen, eine Möglichkeit, einen Kompromiss zu finden, bleibt die gemäßigte Fraktion der „Normalos“ mittlerweile oft einfach weg.

Die Gewaltepisoden nehmen derweil parallel zum allgemeinen Zuschauerschwund tatsächlich weiter ab, auch wenn sie das schon seit 20 Jahren tun. Die breite Ablehnung der Fankarte sorgt auch dafür, dass viele Ultràgruppierungen eben nicht mehr auswärts fahren oder sich gleich ganz aufgelöst haben. Auf dialogische, konstruktive Fanarbeit wartet man weiterhin. Für die nächste Saison sind zwar Pläne zur Einführung von „Fan's Liaison Officers“ durchgesickert, Stand heute gibt es aber keinerlei intitutionalisierte Fanarbeit: Keine szenekundigen Beamten, keine Fanvertreter, keine Fanprojekte, kein wie auch immer gearteter Dialog von Vereinen, Verband oder Behörden mit den Stadionbesuchern. Die Tatsache, dass italienische Clubs seit jeher monarchisch regierte Mäzenen-Spielzeuge sind, tut hierbei ihr übriges. Trotzdem hält man unbeirrt am Kurs fest. Nachdem es letztes Jahr gelungen ist, seit Jahrzehnten tradierte gesangliche Schmähungen des Gegners unter dem Etikett „territoriale Diskriminierung“ mit zahlreichen Kurvenschließungen zu strafen, befindet sich im Maßnahmenpaket für die kommende Saison auch das „prophylaktische und gruppenbezogene Stadionverbot“.

„Fährt beispielsweise ein Bus mit Fans an einer Autobahnraststätte vor und kommt es seitens der Insassen zu Rechtsverstößen, kann der ganze Bus auf die Wache gefahren werden und alle Mitfahrer erhalten ein SV.“ (altravita.com)

Und so könnte es aussehen (Westfalenstadion 2008 anlässlich des Qualifikationsspiels zum UEFA Cup)Kurzum, im Gegenteil zu Deutschland, wo sich mehrere Fankulturen den Platz in der Kurve teilen, heißt lebendige Fankultur in Italien einfach „Ultrà“. Wenn ich diese aus den Stadien entferne, breitet sich dort nicht etwa endlich „spontaner, spielbezogener Support“ aus, sondern schlichtweg gar nichts. Sehr schön war das beim vorletzten Mailänder Derby zu beobachten, als beide Kurven in seltener Solidarität das Spiel bestreikten: keine Fahnen, kein Gesang, nichts Buntes, nichts Lebendiges...nur ein riesiger grauer Betonkasten mit einem undefinierten Hintergrundrauschen. Im Gegensatz zur Situation vor 10 Jahren, als das San Siro allein per Dauerkarten gefüllt wurde, gab es diesmal an der Abendkasse noch problemlos Tickets. Natürlich flackert hier und da die Fußballbegeisterung noch auf, so in Bari, als nach dem Ausstieg der Inhaberfamilie Mattarese plötzlich knapp 50.000 Zuschauer das Ende der Rückrunde feierten und das Team fast noch ins Finale der Play Offs sangen. Auch in anderen Stadien wie bei Sampdoria, Hellas Verona oder Taranto hebt man sich gern aus dem tristen Einerlei des Ligaalltags ab, aber der triste Ligaalltag ist eben auch wirklich häufig sehr leer und ziemlich leise.

Der Autor: Kai Tippmann ist gebürtiger Berliner und lebt seit Jahren in Italien. Er beschäftigt sich intensiv mit der italienischen Fußball- und Ultraszene. Er hat u.a. die Bücher “Tifare Contro”, “Cani Sciolti – Streunende Köter” und “Il Teppista – der Rowdy” ins Deutsche übersetzt, betreibt den anerkannten Italien-Blog altravita.com und nahm Teil in der ZDF-Doku „Verrückt nach Fußball“.

mrg, 05.08.2014

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