Serie

Taktik-Gedöns: Hannover

29.12.2014, 13:47 Uhr von:  Redaktion

Ende des Jahres 2012 wurde im deutschen Fußball das Papier "Sicheres Stadionerlebnis" verabschiedet. Doch wie sieht es in unseren Nachbarländern aus? Unsere Serie beschäftigte sich bereits mit den Verhältnissen in Österreich, der Türkei, Schweden, der Schweiz, Belgien, Italien, den Niederlanden, Spanien,und Frankreich. Heute schauen wir auf die Situation bei unseren Nachbarn in Polen.

Spiel Lech gegen BorussiaPolen und seine Fanszene faszinieren mich schon seit einer langen Zeit und die Bitte diesen Artikel zu schreiben konnte ich unmöglich ablehnen! Nur wie diesen Artikel schreiben über eine Fanszene, die man nicht jede Woche erlebt? Nach längerer Suche bekam ich endlich Kontakt zu Jakub, der auch diesen Text verbrochen hat! Er ist ein leidenschaftlicher Fan von ŁKS Łódź und Schreiberling bei dem polnischen Fanmagazin "To My Kibice"! Ich weiß, dass dieser Text einige Fragen aufwerfen kann und ich hoffe, dass sich vielleicht der ein oder andere Leser intensiver mit dieser faszinierenden Fanszene auseinandersetzen möchte. Zur Ergänzung kann ich jedem das Interview mit SKWK (Fanvereinigung von Wisla Kraków) empfehlen. So, jetzt wünsche ich euch viel Spaß und jetzt schon einmal wielkie dzieki dla Kubusia!

Krieg in den Stadien? Ja, Krieg für Identität.

In den 90er Jahren fand der Ausdruck „Krieg in den Stadien" große Beliebtheit bei den polnischen Medien und beschrieb die Hooliganschlachten, die sich nicht nur aufs Stadion begrenzten, sondern auch in den Zügen, Bahnhöfen und in den Straßen ausgetragen wurden. Zur damaligen Zeit war es üblich, dass sich nicht nur Hooligans an den Kämpfen beteiligten, sondern alle Fans im Stadion mitmischten. Es waren wilde Zeiten- die Zeit des Krieges.

Obwohl in den letzten Jahren kaum etwas in den Stadien vorgefallen ist, ist der Ausdruck „Krieg in den Stadien" nicht deplatziert. Die körperliche Auseinandersetzung findet nun zwar weit entfernt von den Fußballplätzen statt, aber die Fans kämpfen um Ihre Identität, um die Identität ihrer Tribüne. Die Entwicklung der letzten Jahre kann nur als eine Enttäuschung beschrieben werden. Wir Fans haben begonnen vereinsbezogene Fanvereinigungen zu gründen, selbst wenn die Fanszenen noch so klein waren und sogar ein landesweiter Fanzusammenschluss (Ogólnopolski Zwiazek Stowarzysen Kibicow) auf die Beine gestellt wurde. Die OZSK sollte unsere vereinte Stimme in den Diskussionen mit der Polizei und PZPN (polnischer Fußballverband) sein.

Im Zuge dieser ganzen Maßnahmen wurden die Tribünen „zivilisierter", die Hooliganschlachten gingen stark zurück und die Fanszenen begannen immer schwierigere und kompliziertere Choreos durchzuführen. Unsere Pläne schienen zu funktionieren: In den Stadien ging es nicht mehr so chaotisch zu, es wurde unterschieden zwischen Ultras und Hooligans und die körperliche Auseinandersetzung verlagerte sich außerhalb der Stadien. All dies wurde zusammen mit der starken Lobby des landesweiten Fanzusammenschlusses erreicht, die uns Fans garantieren sollten, dass wir uns selber um unsere Belange kümmern könnten.
Wir dachten durch die Arbeit der OZSK einen erfolgreichen Weg gefunden zu haben, um in Zukunft endlich unsere Ruhe vor politischen und polizeilichen Umtrieben zu haben. Wir haben Schikanen wie die Einführung der Karta Kibica akzeptiert, (Die Karta Kibica ist eine Fankarte, die jeder Stadionbesucher zum Kartenkauf benötigt und neben Foto auch persönliche Daten (ID/Personalausweisnummer) erfasst, wir haben die Namenslisten für Auswärtsfahrten akzeptiert, die jedem gastgebenden Verein bis 24 Stunden vor Anstoß vorliegen müssen, wir haben Videoüberwachung durch Polizei akzeptiert, usw...

Wir haben sehr viele Zugeständnisse gemacht, um unsere Ziele auf legalem Weg zu erreichen. Dafür pflegten wir enge Kontakte zu unseren Vereinen, führten einen Dialog mit PZPN (polnischer Fußballverband) und selbst Politiker saßen mit uns an einem Tisch. Die Fans hatten berechtigte Hoffnung auf eine Legalisierung von Pyrotechnik und das die Pöbeleien bei Fußballspielen (Schmährufe, Plakate) nicht mehr bestraft, sondern als Teil der Fankultur akzeptiert werden.

Unser Gedanke war „Wenn wir uns gut verhalten und unser Ansehen in der Öffentlichkeit besser wird, dann werden Polizei und Verband uns endlich in Ruhe lassen; sie müssten dann endlich einsehen, dass es falsch ist die Fans zu dämonisieren".

Am Anfang meines Berichtes habe ich von einer „Enttäuschung" gesprochen. Dies ist der einzige passende Begriff für die Situation der polnischen Fans seit 2011. In diesem Jahr beschloss die Politik mit harten Bandagen gegen die Fans vorzugehen. Die Politik ignorierte jede Statistik, die die wachsende Sicherheit in den Stadien belegen konnte. Sie nutzten jede Schlägerei, jeden Blocksturm (wen juckte es, dass es nur alle Jubeljahre mal passierte) und jeden Einsatz von Pyrotechnik, um uns in ein schlechtes Licht zu rücken.

Wisla-Liege, Polizeieinsatz wegen Teil eines SpruchbandesIn diesem Zuge ging die Party erst richtig los. War es kein Einsatz von Pyrotechnik, dann reichte das Stehen auf den Treppen, das Aufhängen von unseren Fahnen, usw. . Die Spirale drehte sich weiter und brachte immer neue Schikanen ans Tageslicht. Seit dieser Zeit wird der Kampf um unsere Identität fortgesetzt und das oft mit weitreichenden Folgen. Die Welt der Politik fuhr nun schweres Geschütz auf. Einige Fans wurden ohne Verurteilung für Monate in den Knast gesteckt (man denke an die EM und die Berichterstattung) und viele absurde Strafen für kleine Vergehen waren keine Seltenheit mehr. Der Rekord liegt bei 500 PLN für das Abaschen einer Zigarette auf den Boden und das Benutzen von vulgären Ausdrücken! Gegen aktive Fangruppen greift man auch gerne zu Stadionverboten, die sich jeder Logik entziehen! Hier reicht es schon, wenn man sich nicht auf dem Platz, der auf der Karte steht, einfindet und stattdessen das Spiel lieber bei seinen Freunden verfolgen möchte.

Das Strafmaß für die Nutzung von Pyrotechnik ist nun vergleichbar mit dem Niveau einer Strafe für Körperverletzung. Das ist aber nicht alles. Die Medien greifen diese Themen gerne auf und veröffentlichen immer mehr erfundene Stories über die böse und gefährliche Seite der Fans. Dies ist ein gutes Beispiel, um die veränderte Wahrnehmung von Fans in der polnischen Gesellschaft zu zeigen: Vor ein paar Jahren wurden Choreos mit Bengalen noch gefeiert, sogar als Teil einer lebendigen Fankultur dargestellt und heute werden die selben Aktionen der Öffentlichkeit als Ausdruck der Hooliganproblematik präsentiert.
Viele Fans vermuteten, dass diese Aktionen nur im Rahmen der bevorstehenden EM 2012 durchgeführt wurden und werteten die Maßnahmen als kurzer, aber intensiver Schlag gegen die Fans, um eine sichere EM in Polen zu garantieren. Unglücklicherweise, 2 Jahre nach der EM, finden Diskussionen statt die Gesetzte strenger zu formulieren und noch härtere Strafen auszusprechen.

Aktuell arbeiten die Politiker an einem neuen Gesetz zur Sicherheit bei Massenveranstaltungen. Diese Maßnahme soll dem Voivode die Befugnis geben (so was wie ein Ministerpräsident) ein ganzes Stadion für Zuschauer zu schließen oder harte Strafen wegen kleinster Vergehen auszusprechen. Dieses Vorhaben seitens der Politik ist die nächste Stufe im Kampf gegen die aktive polnische Fanszene.

Weitere Beispiele gefällig?
Das Verbot von Pyrotechnik wird nun aller Voraussicht nach ausgedehnt und soll sich nicht nur auf das Geschehen im Stadion beziehen. Für das Entzünden einer Fackel auf dem Weg zum Stadion kann nun eine Geldstrafe, einen längeren Aufenthalt bei der Polizei oder eine gemeinnützige Arbeit anstehen. Das ein 2-jähriges Stadionverbot dafür ausgesprochen wird, muss man hier, glaube ich, nicht extra erwähnen.

Reymonta 22 während des FanboykottsNatürlich versuchen wir durch Gespräche und intensiven Diskussionen mit den nötigen Ansprechpartnern diese Gesetzesänderung zu verhindern, aber die Gegenseite ignoriert unsere Meinung kategorisch. Ein anderer Aspekt dieses Gesetzes sieht ein Stadionverbot vor, selbst wenn die vorgeworfene „Straftat" nichts mit dem Stadionbesuch zu tun hat. Also, eine Auseinandersetzung mit anderen Fußballfans abseits des Stadions kann vom Gericht mit einer empfindlichen Strafe geahndet und zusätzlich noch mit einem Stadionverbot belegt werden.

Wer jetzt denkt, dies sei alles, der irrt sich gewaltig. Selbst das bloße Trinken von Alkohol in der Öffentlichkeit kann ausreichen ein Stadionverbot zu bekommen. Wenn wir schon einmal dabei sind, dann ist es noch wichtig zu erwähnen, dass ein Gericht dann auch den Fan dazu verpflichten kann sich während den Spielen bei der Polizei zu melden. Diese Auflage wird aber nicht nur für den eigenen Verein gelten.... wenn das Gericht es für richtig erachtet, dann muss sich die Person selbst bei Spielen der befreundeten Vereine bei der Polizei einfinden (Viele Vereine in Polen pflegen intensive Freundschaften zueinander; Beispiel: Slask, Wisla und Lechia).

Schaut man sich die aktuelle Lage an, dann bekommt man den Eindruck, dass die aktiven Fans in Polen die Staatsfeinde Nr. 1 darstellen. Die Polizei kann selbst die Fingerabdrücke auf den Bengalen überprüfen und die Überwachung im und am Stadion ermöglicht selbst die Kontrolle der Logos auf den Socken. Selbst unsere Tribünenfahnen (Zaunfahnen haben eine sehr große Bedeutung für polnische Fans) sind für die Polizei ein Problem, da sie dort die Gefahr sehen, dass wir uns dahinter verstecken und unbemerkt Pyro zünden können.

Der Kampf rund um die Legalisierung von Pyrotechnik ist heute als Freiheitskampf der polnischen Fanszenen zu verstehen. Die Ultras versuchen ständig neue Wege zu finden, um die Verbote zu umgehen, aber die neuen Gesetze würden den typischen Support, den man von polnischen Fans kennt, so gut wie unmöglich machen. Der Versuch diese Thematik über die OZSK in den Griff zu bekommen, ist immer noch ohne einen einzigen erhofften Erfolg.

Bild von Legia Warschau -BorussiaWir werden immer noch als Wilde wahrgenommen und sind in der Öffentlichkeit ein Synonym für Randale und Bandenkriminalität. Früher war dies mal anders, die Medien lobten uns für das tolle Bild, welches wir mit den Choreos sowie großen Pyroshows erzeugt hatten und stellten die Kreativität einzelner Aktionen in den Vordergrund. Heute nutzt man den kleinsten Pyroeinsatz, um uns in die gewalttätige Ecke zu stellen. Die Politiker glauben den Medien blind und bekämpfen Pyro wie einst die gewalttätigen Ausschreitungen auf den Tribünen. Es wird alles für bare Münze genommen und wir werden nicht angehört. Politiker und Medien zeichnen in der Öffentlichkeit das Bild des drogenverkaufenden Kriminellen, der am Wochenende zum Fußball geht, dort Pyrotechnik zündet und im Anschluß wilde Schlägereien mit anderen Fans oder Polizei sucht.Natürlich ist dies nicht die Wahrheit, aber die normalen Leute hinterfragen nichts und glauben der Berichterstattung.

Für uns ist das alles nicht leicht, aber wir werden weiter kämpfen. Der Kampf um unsere Identität, um unsere Fankultur wird weitergehen und wir werden diesen nicht aufgeben. Wir stehen auch in Zukunft für unsere Überzeugungen und unserer Vorstellung einer lebendigen Fankultur ein. Unser Kampf darf einfach nicht verloren gehen. Jeder weiteren Repression werden wir mit unserer Leidenschaft und unserer Hingabe zum Fußball entgegentreten. Es ist unsere einzige Waffe und es ist eine gute. Wir hoffen, dass sich das auch nicht ändern wird!

Jakub, Doro, kesterter, 29.12.2014

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