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Sicherheit im Stadion: Niederlande - Ein toter Hooligan und Kombitickets

12.08.2014, 11:09 Uhr von:  Redaktion

Ende des Jahres 2012 wurde im deutschen Fußball das Papier "Sicheres Stadionerlebnis" verabschiedet. Doch wie sieht es in unseren Nachbarländern aus? Unsere Serie beschäftigte sich bereits mit den Verhältnissen in Österreich der Türkei, Schweden, der Schweiz, Belgien und Italien. Heute schauen wir auf die Situation in den Niederlanden.

Rauchbomben werden von Choreos verdecktDie Situation der Fußballfans in den Niederlanden ist eine der schlechtesten in ganz Europa. Teilweise selbstverschuldet gibt es viele und extreme Einschränkungen. Nicht zuletzt deswegen findet man rund ums Westfalenstadion auch immer öfter niederländische Fußballfans, die einfach mal ganz entspannt ein Spiel sehen wollen. Die Situation in den Niederlanden ist in den letzten Jahren ein großes Stück sicherer geworden, dies jedoch zu einem hohen Preis. Hohe Strafen für Gewalttäter, Meldepflicht für Stadionverbotler, Registrierung zum Ticketkauf, Kombitickets, Sitzplätze, Gräben zwischen Tribüne und Spielfeld, Geisterspiele, leere Gästeblöcke, Alkoholverbot im weiten Kreis und totale Kameraüberwachung im und um das Stadion herum sowie in den Innenstädten haben niederländische Stadien sicher und das Fußballerlebnis zunichte gemacht.

Anders als in vielen anderen Ländern sind diese Maßnahmen allerdings nicht unbegründet und auch nicht stark überzogen. Die Gewalt im niederländischen Fußball ist extremer als in vielen anderen Ländern und teilweise vom extremen Drogen- (vor allem Kokain) und Alkoholkonsum der Fans verursacht. 1987 wurde während eines Spiels zwischen Den Haag und Ajax über die neutrale Tribüne hinweg mit Glasflaschen, Stühlen und Betonstücken geworfen. 1991 wurde ein Fan vom FC Twente bei einer Messerstecherei in der Innenstadt von Enschede von Feyenoordfans tödlich verletzt. 1997 artete die stets wachsende Gewalt in Hooligankämpfen zwischen Ajax und Feyenoord aus und endete mit einem toten Ajaxfan. Er starb an einer Hirnverletzung, die ihm mit einem Klauenhammer zugefügt worden war. Die dabei gebrauchten Waffen (Messer, Baseballschläger, Hämmer) und der Verlauf dieser Schlacht auf einem Feld nahe der Autobahn lassen einem das Blut in den Adern gefrieren (volkskrant.nl). Die Möglichkeit einer Racheaktion hängt seither in der Luft und wird von Ajax-Hooligans immer wieder angekündigt. Spiele zwischen den beiden Vereinen finden seit geraumer Zeit unter Ausschluss der Gästefans statt.

2006 haben Hooligans von Ajax das Klubhaus von ADO Den Haag gestürmt, Molotowcocktails und Nitratbomben geworfen und die sich darin befindlichen Menschen, unter denen sich viele, nicht der Hooliganszene angehörende Jugendliche befanden, mit Messern und Baseballschlägern angegriffen und teilweise schwer verletzt. Das Ganze war eine Racheaktion aufgrund des Brandes des Ajax-Fanheims ein Jahr zuvor, das den ADO-Hooligans zugeschrieben wurde. Auch wenn diese Art der Gewalt mittlerweile zum Glück selten ist, so sind Vandalismus und Gewalt bei fast jedem Spiel der Risikovereine Ajax, Feyenoord und ADO Den Haag zu befürchten. Aber auch PSV, Twente, Utrecht und Groningen haben ein nicht zu verachtendes Potential an Gewalttätern in den eigenen Reihen.

Selbst vor Gewalt gegen Spieler wird dabei nicht Halt gemacht. 2011 wurde bei einem Duell zwischen AZ und Ajax der Torhüter von AZ von einem Fan auf dem Feld angegriffen und bekam für seine Gegenwehr vom Schiedsrichter die rote Karte. Um sich selbst zu schützen verließ das Team von AZ daraufhin das Spielfeld. Die rote Karte wurde später zurückgezogen und das Spiel unter Ausschluss der Öffentlichkeit gespielt.

Ein Tunnel führt die Fans in Rotterdam vom Bahngleis zum GästeblockIn den Niederlanden wurde auch schnell auf die Vorfälle in England in den 80ern reagiert und alle Stadien sofort mit Sitzplätzen und Gräben zwischen Tribüne und Feld umgerüstet. Glücklicherweise werden aber die Sitzplätze nicht ganz so streng gehandhabt wie beispielsweise in England. Auf den Ultratribünen wird größtenteils gestanden, dadurch ist die Stimmung in den Heimsektoren auch oft sehr gut. Ob es allerdings der Sicherheit dient, dass dabei leicht zerbrechliche und als Wurfgeschoss missbrauchbare Plastikstühle im Weg stehen, sei dahingestellt.

Am meisten leiden die Fans unter den eingeführten Kombitickets. Die Reise zu einem Auswärtsspiel beginnt normalerweise beim eigenen Stadion. Da muss man das Ticket für die Reise vorzeigen, welches in ein Bus- oder Zugticket umgetauscht wird, womit man zum gegnerischen Stadion reisen kann. Die Busse werden dort in separaten Käfigen geparkt, weit weg von den restlichen Fans. Unter Begleitung der Polizei und des Ordnungsdienstes werden die Fans daraufhin ins Stadion gebracht. Oft gibt es dafür extra eingerichtete Tunnels oder Überführungen und separate Bahnsteige, wodurch die Gästefans nicht mehr mit den Heimfans in Berührung kommen können. Der Gästeblock selbst ist nicht selten komplett mit Plastikwänden abgeschirmt und liegt im oberen Teil des Stadions, sodass man kaum mehr das Gefühl hat, sich im Stadion zu befinden. Auch die Stimmung aus dem Gästeblock kommt dadurch kaum auf dem Spielfeld an. Dass die Gästefans dafür dann oft auch noch ziemlich hohe Preise für die Karten bezahlen, schränkt das Erlebnis zusätzlich ein.

Rund 70% (!!!) aller Spiele werden dabei als Risikospiele eingestuft. Es gibt drei Risiko-Kategorien (A, B und C), die unterschiedliche Maßnahmen zur Folge haben. Kategorie A-Spiele unterliegen keinerlei Reiseeinschränkungen, Kategorie B kennt die Möglichkeit einer Kombiregelung, Kategorie C-Spiele haben verpflichtende Kombitickets. Auch der Ausschank von Alkohol wird der Kategorie angepasst. Bei Kategorie C-Spielen wird in und um das Stadion keinerlei Alkohol ausgeschenkt. Erst wenn die Auswärtsfans wieder in den Bussen oder Zügen zurück sind, dürfen die angrenzenden Kneipen wieder normales Bier ausschenken.

Bengalos sind in holländischen Stadien üblichPyrotechnik erscheint dagegen als ein relativ geringes Problem und wird in den Niederlanden, vielleicht auch aufgrund der viel schlimmeren anderen Problemen, kaum wahrgenommen. Zwar werden am Eingang teilweise Spürhunde eingesetzt, um Pyromaterial zu finden und es droht eine Strafe von 5-10 Jahren Stadionverbot und € 1000.- Buße, weshalb die Pyrotechnik auch ganz bewusst so eingesetzt wird, dass die Täter nicht erkannt werden (unter Spruchbändern oder Choreotüchern, durch vermummte Täter), aber es kommt nur selten zu medienwirksamen Vorfällen. Eine Ausnahme bildete dabei sicherlich das Pokalfinale 2014 zwischen Zwolle und Ajax, wo die Fans von Ajax durch das gezielte Werfen von Rauchbomben auf das Feld einen verspäteten Anpfiff und einen Spielunterbruch nach nur fünf Minuten Spielzeit bewirkten. Letztendlich war der Tenor aber eher, dass sie sich damit ins eigene Fleisch geschnitten hatten, da das Spiel bei einer 1:0-Führung unterbrochen wurde und am Ende mit 1:5 verloren ging. Der Gegner hatte durch die Unterbrechung die Möglichkeit bekommen, sich vom frühen Gegentreffer zu erholen und so überwog in der Berichterstattung fast schon Hohn über eine stark misslungene Aktion anstatt Entsetzen über das Geschehene.

Es überascht bei der ganzen Vorgeschichte nicht, dass die Fans ziemlich selbstkritisch das eigene Verhalten genauso als Ursache für die Maßnahmen sehen wie beispielsweise das Verhalten der Polizei. Das Verhältnis der meisten Fans zur Polizei ist relativ entspannt, solange diese nicht mit Hunden, Knüppel und Pferden ihre Macht demonstriert. Die Medien werden von Fanseite auch immer wieder für ihre reißerische Berichterstattung kritisiert. Eher selten hingegen ist die Kritik an der Politik und den Vereinen von Seiten der Fans. Vielmehr ist die stets aufgeworfene Frage bei Diskussionen mit niederländischen Fußballfans: „Warum ist es in Deutschland möglich, dass Fans beider Vereine durcheinander laufen und in den Niederlanden nicht?“ Eine Antwort darauf bin ich ihnen bisher schuldig geblieben.

Rotterdamfans stehen in Utrecht neben dem GästeblockEine Gefahr für die Zukunft liegt darin, dass stets mehr Fans die Kombiregelungen umgehen und dadurch nicht im Gästeblock, sondern zwischen den Heimfans sitzen, was die Maßnahme letztendlich auf die schlimmste mögliche Weise ad absurdum führt. Auch das Drogenproblem ist noch immer allgegenwärtig und es heißt, in den meisten Stadien wird auf den Klos der Ultratribüne regelmäßig Kokain konsumiert. Da ein Großteil der Gewalt in den 80er und 90er Jahren auf Kokainkosum zurückzuführen ist, wirkt das nicht gerade beruhigend.

Dennoch kann man nicht abstreiten, dass die Maßnahmen eine gewisse Wirkung erzielt haben. Ob es den Preis wert war, das muss jeder selbst einschätzen. Auswärtsfan in den Niederlanden zu sein würde mir jedenfalls wenig Spaß machen und so ist es auch keine Überraschung, dass selbst bei Spielen, in denen Auswärtsfans zugelassen sind, die Gästeblöcke oftmals einen ziemlich verlassenen Eindruck machen.

Nadja, 12.08.2014

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