Unsa Senf

BVB-Vorstand entscheidet über hybride Mitgliederversammlung Vorstandsbeschluss statt Mitgliederentscheidung?

23.06.2025, 11:20 Uhr von:  giog  
Das Bild zeigt die BVB-Verantwortlichen auf der Bühne der Mitgliederversammlung, während das Vereinslied gesungen wird

Medienberichten zufolge könnte der BVB-Vorstand Anfang der Woche beschließen, dass die Mitgliederversammlung 2025 im hybriden Format stattfindet. So berechtigt die Diskussion darüber ist, so unverständlich ist die Art und Weise, wie das Thema auf die Tagesordnung gelangt ist.

Vorspann

Wer regelmäßig Inhalte von schwatzgelb.de konsumiert, weiß, dass wir seit über 15 Jahren keine Inhalte des Axel Springer-Verlags auf unseren Plattformen dulden und auf derartige Pressemeldungen grundsätzlich auch nicht reagieren. Die vergangenen Wochen und das Geplänkel um die Präsidentschaftswahl erschweren diese redaktionsinterne Leitlinie zusehends. 

Von gebrochenen Versprechen, der Gefahr eines von Ultras gesteuerten BVB-Präsidenten, gefährdeten Sponsorendeals und anderen Unsinnigkeiten war zuletzt in der (Sport-)BILD die Rede. Das Narrativ ist stets identisch: die vermeintlichen Gefahren einer Wiederwahl des amtierenden Präsidenten Dr. Reinhold Lunow auf der einen, die Notwendigkeit der Wahl des Noch-Geschäftsführers Hans-Joachim Watzke zum Präsidenten auf der anderen Seite. 

Dass man im Boulevardjournalismus keine sachliche Auseinandersetzung erwarten darf – geschenkt. Dass dabei aber durchweg Erzählungen etabliert und mit vereinsinternen Quellen belegt werden, die vor allem einer Seite dienlich sind, muss klar benannt und kritisiert werden. Schlüsse hinsichtlich der Integrität einiger verantwortlicher Personen von Borussia Dortmund muss jeder für sich selbst ziehen.

Nun wird in der BILD also die Durchführung einer hybriden Mitgliederversammlung aufgeworfen. Diese Idee ist weder gesamtgesellschaftlich neu, noch wurde sie im Umfeld von Borussia Dortmund noch nie diskutiert. Schon 2020, als aufgrund der Corona-Pandemie die Mitgliederversammlung als Präsenzveranstaltung abgesagt werden musste, gab der Vorstand zu Protokoll, dass eine digitale Veranstaltung für seinerzeit 160.000 Mitglieder technisch nicht umsetzbar sei.

Gleichwohl muss man die Vehemenz, mit der dieses Thema aktuell platziert wird, in einem ganz bestimmten Kontext lesen: Im Zuge der Mitgliederversammlung 2024 wurde bereits diskutiert, welche Teilnehmerzahl denn einem ordnungsgemäßen Mitgliederbeschluss die notwendige Legitimität verleihen würde. Mit Blick auf die kommende Mitgliederversammlung und die Wahlen der Vorstandsämter wird dieses Thema nun offenbar erneut aufgegriffen.

Zur Rechtslage

Grundsätzlich kann ein Verein durch seine Satzung festlegen, in welchem Format er seine Mitgliederversammlung abhalten möchte. Dieser vereinsrechtliche Grundsatz hat 2023 eine weitgehende Änderung erfahren. Im Zuge der Corona-Pandemie sollte es Vereinen erleichtert werden, auch ohne explizite Satzungsgrundlage eine Mitgliederversammlung hybrid (also in Präsenz und digital) oder komplett digital durchzuführen. Hierzu erlaubt das Vereinsrecht neuerdings dem für die Einberufung der Mitgliederversammlung zuständigen Organ (hier: der Vorstand des e.V.), auch ohne entsprechende Satzungsgrundlage eine hybride Mitgliederversammlung anzusetzen.

Diese Möglichkeit greift aber nur dann, wenn die Satzung einen hybriden Modus nicht ausschließt. Klar: wenn die Satzung keine Vorgaben zum Veranstaltungsmodus macht, ist für eine hybride Veranstaltung eine Satzungsänderung durch Beschluss der Mitglieder nicht notwendig; ein Vorstandsbeschluss reicht dann nach der neuen Regelung aus. Wenn es aber eine klare Vorgabe dazu in der Satzung gibt, kann sich auch der Vorstand darüber nicht einfach hinwegsetzen.

Die Satzung von Borussia Dortmund deutet den Veranstaltungsmodus an verschiedenen Stellen an. So ist etwa in § 11 Abs. 3 von „anwesenden“ Mitgliedern die Rede, die stimmberechtigt sind. Auch werden Beschlüsse gemäß § 16 Abs. 2 „durch Handaufheben“ gefasst – Anknüpfungspunkte also, die auf die Notwendigkeit einer physischen Anwesenheit hindeuten. 

Es wäre aber wohl ebenso gut vertretbar, dass „anwesend“ auch „digital anwesend“ bedeuten könnte; „Handaufheben“ könnte genauso gut eine elektronische Stimmabgabe sein. Auch könnte man mit guten Argumenten darauf verweisen, dass bei der Verabschiedung der gegenwärtigen Regelungen in der BVB-Satzung vor einigen Jahren solche digitale Varianten schlicht nicht bedacht worden sind. Daraus ließe sich wiederum „na, dann hat man digitale Formate ja auch nicht explizit ausschließen wollen“ genauso gut ableiten wie „seinerzeit hatte man nur die Präsenzveranstaltung im Blick - dann können wir in diese Vorschriften nicht einfach andere Varianten hineinlesen.“

Abstimmungskarten (ja/nein/Enthaltung) bei der BVB-Mitgliederversammlung
Kernbestandteil einer jeden MV: Abstimmungen im Rahmen von Beschlüssen und Wahlen

Vorzüge eines hybriden Formats - und zahlreiche offene Fragen

Losgelöst von der uneindeutigen Rechtslage bringt das Format einer hybriden Mitgliederversammlung einige Vorzüge mit sich. Der Modus verspricht zweifellos ein Mehr an Inklusion und ermöglicht BVB-Mitgliedern die Teilnahme, die das Präsenzformat üblicherweise vor Schwierigkeiten stellt. 

Auch ist der BVB ein Verein, dessen 220.000+X Mitglieder über Deutschland und den ganzen Globus hinweg verteilt sind. Diese Personen hätten es deutlich leichter, sich einfach vor dem heimischen Rechner zuzuschalten. Insgesamt könnte ein hybrider Modus also die Mitgliederpartizipation durchaus stärken.

Aber: Die Mitgliederversammlung ist das höchste Organ von Borussia Dortmund. Was manchmal zur Floskel verkommt, sollten wir uns in dieser Frage ganz besonders vor Augen halten. Es leuchtet nicht ohne Weiteres ein, dass der Veranstaltungsmodus des beschließenden Organs von Borussia Dortmund nicht von eben diesem Organ selbst definiert werden soll, sondern durch den Beschluss eines dreiköpfigen Vorstandes. Denn ungeachtet der genannten Vorteile bringt dieser Modus auch zahlreiche Schwierigkeiten mit sich.

Die persönlichsten Argumente zuerst: für mich ist die Mitgliederversammlung von Borussia Dortmund ein Forum, auf dem wir Mitglieder einmal im Jahr zusammenkommen und unseren Verein leben und gestalten. Dieses Forum und der darin geführte Diskurs lebt in erster Linie von einem persönlichen Austausch. Die Mitgliederversammlung 2024 ist ein tolles Beispiel hierfür: Was medial mitunter als „Rheinmetall-Krach bei Borussia Dortmund“ dramatisiert wurde, war in der Westfallenhalle ein von (fast) allen Beteiligten geschätzter Austausch von Argumenten auf Augenhöhe, der vom Mikro im Saal über das Podium mit den Verantwortlichen bis zur Erbsensuppe im Anschluss an die Sitzung offen, sachlich und mitunter emotional geführt wurde. Für mich sind das Momente, in denen ich Stolz verspüre, Teil dieser Gemeinschaft zu sein.

Eine hybride Veranstaltung würde diesen Charakter – je nach Ausgestaltung – gravierend verändern. Vor allem aber müssten zahlreiche wichtige Fragen beantwortet werden: 

Welche Rechte dürfen die digital zugeschalteten Mitglieder wahrnehmen? 

Wie stellen wir sicher, dass die digital Anwesenden mit gleichen Rechten ausgestattet sind – oder dürfen sie nur zusehen und abstimmen? 

Dürfen die Zugeschalteten auch Redebeiträge formulieren und wenn ja, per Videoschalte oder per Chatfunktion? 

Wie können sie ad hoc-Anträge zur Geschäftsordnung stellen? 

Wie wird der Zugang zur Versammlung kontrolliert – was ist das digitale Gegenstück zur (Mitglieder-)Ausweiskontrolle in der Halle? 

Wie wird sichergestellt, dass sich eine Person nicht zusätzlich zur eigenen Mitgliedschaft mit den Mitgliedsnummern von Oma und Opa an drei Geräten parallel einloggt? Und wie wird verhindert, dass eine Person nicht in der Halle per Hand und zusätzlich am Handy digital abstimmt? 

Wie kann innerhalb weniger Monate ein technisch stabiles System gewährleistet werden, welches die Server nicht ähnlich überlastet wie das Ticketsystem? Und wie groß ist die Gefahr der Anfechtbarkeit der Versammlung, sollte es doch zu technischen Schwierigkeiten kommen?

Das Podium mit den versammelten BVB-Verantwortlichen lauscht den Wortmeldungen der Mitglieder
Ort des Austauschs und der Diskussion: Wortbeiträge als Ausdruck der Mitgliedermitbestimmung

Plädoyer für eine offene Diskussion ohne wahltaktische Überlegungen

Ich bin grundsätzlich kein Gegner eines hybriden Formats. Insbesondere der inklusive Aspekt ist für mich ein sehr gewichtiges Argument. Rechtlich wird man mit guten Argumenten vertreten können, dass der Vorstand um Dr. Reinhold Lunow, Silke Seidel und Bernd Möllmann einen solchen Modus per Beschluss durchsetzen kann – man kann aber auch nicht ausschließen, dass dies weiterer rechtlicher Klärung bedarf. 

Die zahlreichen Detailfragen machen aber deutlich, dass eine hybride Mitgliederversammlung kein feststehender Begriff ist, sondern auf ganz unterschiedliche Art und Weise ausgestaltet werden kann. So eine weitreichende Entscheidung mit tiefgreifenden Auswirkungen auf unsere Vereinskultur kann deshalb nicht einfach vom Vorstand entschieden werden, ohne dass die Mitglieder selbst an diesem Prozess teilnehmen sowie ihre Wünsche und Vorstellungen einbringen.

Und schließlich der Elefant im Raum: Schon der lancierte BILD-Artikel macht deutlich, dass der Diskussion um eine hybride Veranstaltung im Jahr der Präsidentschaftswahl der Makel der persönlichen Vor- und Nachteile anhaftet. Auch hier ist das Narrativ der Boulevardmedien klar: Dr. Lunow als Gegner des hybriden Formats, der sich vor Ort auf seine gut organisierte aktive Fanszene verlassen könne; Watzke als Befürworter, der auf einen ordentlichen Sprung bei der Teilnehmerzahl hoffe und dann mit seiner Bekanntheit punkten wolle. Eine solche Vermischung von wichtigen Fragen mit wahltaktischen Erwägungen beschädigt nicht nur das Vertrauen in die Entscheidungsträger, sondern auch in die demokratischen Strukturen unseres Vereins.

Dass der Vorstand über ein hybrides Format nachdenkt, ist weder rechtlich abwegig noch grundsätzlich verkehrt. Die Diskussion darüber muss aber vereinsöffentlich, sachlich und transparent geführt werden. Wenn sie stattdessen in die Boulevardmedien getragen wird, untergräbt dies das Vertrauen in die demokratischen Prozesse unseres Vereins. Gerade in einem Jahr, in dem ein neuer Vorstand gewählt werden soll, braucht es keine taktischen Manöver, sondern maximalen Respekt vor der Mitgliedschaft. Und das bedeutet auch: eine offene Debatte über den Ort, an dem wir BVB-Mitglieder unsere wichtigsten Entscheidungen treffen – und vielleicht anschließend gemeinsam unsere Erbsensuppe essen.

Die Mitgliederversammlung in den Dortmunder Westfalenhallen, Abstimmung mit Stimmkarten im Plenum
Der Souverän des eingetragenen Vereins

Unterstütze uns mit steady

Weitere Artikel