
„Felix hat selbst betont, dass er alle Menschen respektiert und liebt, unabhängig von ihrer Hautfarbe, Religion oder sexueller Orientierung“ – so wird unserer damaliger und ehrenwerter Vorsitzender der Geschäftsführung Aki Watzke zusammen mit unserem Präsidenten Dr. Reinhold Lunow auf der Vereinswebsite im Zuge des Nmecha-Transfers zitiert. Nun, was ist davon geblieben? Nichts. Nmecha tritt dieses Zitat, das ja, glaubt man der Pressemitteilung, sein eigenes ist, spätestens nach nun vergangenen knapp zwei Jahren mit Füßen.
In einem Video auf TikTok ist zu sehen, dass Nmecha offenbar das Buch „Understanding the Purpose and Power of Women. God’s Design for Female Identity“ liest, ein Buch von Myles Munroe, einem evangelikalen Prediger und Pastor. Ich hätte evangelikal gerne präzisiert, ich habe aber leider keine Infos zu seiner konkreten Gruppe gefunden.
Ok, Felix Nmecha liest offenbar irgendein Buch und das ist, so mutet es schon der Titel an, wohl nicht so … sagen wir „politisch korrekt“. Kleiner Aufreger, weiter geht’s?
Ganz so einfach ist es leider nicht, fürchte ich, und ich möchte etwas aufdröseln, warum. Sowohl Myles Munroe als auch dieses Buch sind ein ziemlich perfektes Beispiel von Frauenfeindlichkeit (Misogynie). Bevor wir tiefer eintauchen, müssen wir definieren:
Was ist frauenfeindlich (misogyn) und was ist Sexismus?
Frauenfeindlichkeit (Misogynie) beschreibt die „Annahme einer ontologischen Minderwertigkeit von Frauen […]“, kurz: die Abwertung von Frauen (gegenüber Männern).[^1] Während Frauenfeindlichkeit logischerweise nur gegen Frauen gerichtet ist, ist Sexismus „die Abwertung, Benachteiligung und Herabwürdigung eines Menschen aufgrund des (zugeschriebenen) Geschlechts“. [^1] Sexismus und Frauenfeindlichkeit ausüben können Menschen ganz unabhängig vom Geschlecht, während von Frauenfeindlichkeit auch nur Frauen betroffen werden können, von Sexismus betroffen sein aber ebenso Männer.
[^1]: Inge Schmincke 2018: „Frauenfeindlich, sexistisch, antifeministisch? Begriffe und Phänomene bis zum aktuellen Antigenderismus“, in: Aus Politik und Zeitgeschehen 2018(17), Link.
Das Buch ist frauenfeindlich.
Das oben genannte Buch ist ein Paradebeispiel für Frauenfeindlichkeit. Ich sage vorneweg, dass ich das Buch nicht gelesen habe, sondern mich lediglich mit (wohlgesonnenen, nicht kritischen) Inhaltsangaben wie dieser oder dieser hier auseinandergesetzt habe. Grob geht es in dem Buch um die der Frau von Gott zugedachten Rolle und Aufgabe in der Welt. Nach Meinung des Autors besteht sie aus diesen drei Kernelementen: Die Frau als Verstärkerin, die Frau als Spiegelbild und die Frau als Lebensspenderin. Wir gehen das jetzt alles mal durch.
Mit der Verstärkerin-Rolle meint Munroe, die Frau ist dazu gedacht, eine Begleiterin des Manns zu sein, damit er nicht alleine ist. Sie soll gut für den Mann sein und seine Vision teilen, ihm helfen und sich ihm anpassen. Unter der Spiegelbild-Rolle versteht der Autor, dass die Frau als Objekt der Liebe des Mannes gemacht ist und dies spiegeln sollte.
Außerdem soll sie das Verhalten des Mannes spiegeln. Wenn eine Frau die ganze Zeit unglücklich und depressiv ist, deutet das demnach darauf hin, dass der Mann kein guter Ehemann ist (An dieser Stelle sei angemerkt, dass Depressionen eine Krankheit sind, für die in vielen Fällen niemand etwas kann und die behandelbar sind. Mehr dazu auf der Website der Robert Enke Stiftung.)
Zuletzt meint Munroe mit der Lebensspenderin-Rolle, dass Frauen natürlich Kinder gebähren, aber auch aufgrund ihrer Natur neues Leben in Dinge einhauchen. Frauen seien demnach eine Art multiple kreative Ader, die alles mulitpliziert, was man ihnen gibt.
So, genug frauenfeindliche Indoktrination für heute. Ich kürze das mal ab mit einem Kommentar, mit dem ein queerer Freund von mir (obendrein noch Theologe) auf die ganze Sache reagiert hat: „Es geht hier kein bisschen darum, wie Frauen sind, sondern nur darum, wie sie sein sollen. Wie Gott sie angeblich gedacht hat. Es handelt sich somit lediglich um eine (gewaltvolle!) Wunschvorstellung eines narzistischen und unselbstständigen Mannes, der dafür zu allem Überfluss Gott missbraucht.“
Das, was Munroe beschreibt, ist einfach nur eine frauenfeindliche Ideologie, die stark in die Richtung eines gewissen Andrew Tate geht. Frauen werden dabei sehr konkrete und festgelegte Rollen zugewiesen, die sich dabei immer im Rahmen von bekannten Geschlechterstereotypen bewegen. Im Zentrum steht offensichtlich ein androzentristisches Weltbild.
Das bedeutet, der Mann hat die entscheidende Rolle, auf ihn kommt es an, er steht in verschiedensten Dimensionen im Zentrum (wortwörtliche Übersetzung von androzentristisch: männerzentriert).
Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
In Artikel 2, Absatz 1:
Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt […].
Und schließlich in Artikel 3, Absatz 2:
Männer und Frauen sind gleichberechtigt. […]
Wenn Frauen Männern untergeordnet sind, ist das ohne Diskussion gegen die Verfassung unserer Gesellschaft.
An dieser Stelle möchte ich noch kurz auf ein Zitat von Munroe aufmerksam machen, das seine frauenfeindlichen Einstellungen sehr verdichtet auf den Punkt bringt:
„The male was created by God to create what he wants. The woman you are looking for, brother, does not exist. She is in your head. Your job is to take the raw material you married and cultivate her into the woman in your head. So if you have been married for 20 years and you still don’t like the product you get, that is your fault.
(Übersetzung: Der Mann wurde von Gott geschaffen um das zu machen, was er möchte. Die Frau, nach der du suchst, Bruder, existiert nicht. Sie ist in deinem Kopf. Deine Aufgabe ist es, das Rohmaterial, das du geheiratet hast, zu nehmen und sie in die Frau in deinem Kopf umzuformen. Wenn du also seit 20 Jahren verheiratet bist und das Produkt, das du bekommen hast, immer noch nicht magst, dann ist das dein Fehler.)"
Er beschreibt Frauen als ein Produkt, das Männern sich zurechtformen. Das ist unmenschlich.
Nur ein Buch?
Wie gezeigt ist dieses Buch in hohem Maße frauenfeindlich. Die Frage ist nur: Ist es deswegen auch unlesbar? Oder anders: Kann man Felix Nmecha den Inhalt des Buches vorwerfen, nur weil er das Buch offenkundig liest?
Ich verstehe die Argumentation und auf Social Media kann man durchaus vergleiche mit Nazi-Literatur lesen, bei deren Lektüre man ja auch nicht gleich ein Nazi ist. Das stimmt natürlich völlig. Eine pauschale Aburteilung ist unfair und wird dem Sachverhalt nicht gerecht. Stattdessen kommt es auf eine Einzelfallprüfung an und führen wir diese durch, kann man durchaus Kritik an Nmecha äußern, denn dieser ist schon in der Vergangenheit mit grenzüberschreitenden bis queerfeindlichen Äußerungen aufgrund seines fundamentalchristlichen Glaubens aufgefallen. Somit liegt der Verdacht bei ihm ohnehin nahe, dass er Einstellungen vertritt, die nicht mit dem Grundgesetz und unserem Grundwertekodex konform sind (wie zum Beispiel Queerfeindlichkeit) – und damit auch gegen eingangs zitiertes Versprechen verstoßen.
Auch aufgrund seines Glaubens ist es nicht naheliegend, dass er das Buch liest, um zu analysieren, wie der Autor Frauen verdinglicht, sie ihrer Subjektivität beraubt und somit zu Menschen zweiter Klasse degradiert. Gleichwohl kann es durchaus sein, dass Nmecha nicht die Auffassungen Munroes teilt und für diese Möglichkeit sei ihm hiermit die Chance gegeben, sich von den Inhalten des Buches zu distanzieren. Ich lasse mich sehr gerne überraschen und bin bereit, meine Kritik an Nmecha in Teilen zurückzunehmen, sollte dies geschehen.
Vorbildfunktion
Fakt ist: Felix Nmecha hat als Fußballprofi eine Vorbildfunktion, der er gerecht werden sollte. Einerseits, weil er Person des öffentlichen Lebens ist, andererseits, weil er Repräsentant (als Spieler und Werbefigur) für Borussia Dortmund ist (und welcher Schaden für den Verein schon jetzt mit seiner Person verbunden ist, wurde schon vielfach hier diskutiert, zum Beispiel in diesem Beitrag). Eben deshalb handelt er, insbesondere wenn er mit Borussia Dortmund unterwegs ist, nicht als Privatperson, sondern als Teil des Vereins.
Selbst wenn Felix Nmecha die Gedankenwelt dieses Buches nicht teilt, geht er dann aber nicht verantwortungsbewusst mit seiner Vorbildfunktion um, weil er bewusst oder unbewusst in Kauf nimmt, dass Menschen dieses Buch sehen, ohne dass es kritisch eingeordnet wird. Das ist ein großer Schaden für unseren Verein, denn letztendlich ist das Buch im Kontext des Vereins zu sehen.
Aber ich möchte noch auf einen anderen Punkt eingehen, der in der Debatte häufig geäußert wird:
Religionsfreiheit vs. Menschenrechte
Jetzt habe ich so oft das Grundgesetz zitiert, jetzt sollte ich auch nicht Artikel 4, Absatz 1 und 2 unterschlagen:
(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit der religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.
(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.
Da dieses Grundrecht allerdings von den anderen zitierten Grundrechten, allen voran Artikel 1, Absatz 1, eingeschränkt wird, kann nur kurz zusammengefasst werden: Dieses Argument ist schlichtweg falsch. Sobald Religionsfreiheit Grundrechte anderer Menschen einschränkt – was bei Queer- und Frauenfeindlichkeit fraglos der Fall ist –, kommt sie nicht mehr zur Geltung.
Konsequenzen
Was bleibt von diesem erneuten „Vorfall“?
Felix Nmecha sollte sich unverzüglich von dem Inhalt dieses Buches distanzieren, wenn er nicht den wohlbegründeten Eindruck hinterlassen möchte, dass er sich mit der Ideologie des Autoren identifiziert. Auch der BVB sollte eine klare Distanz zu diesem Buch einnehmen und sich aktiv zu Frauen- und LGBTQ*-Rechten bekennen. Ja, es gibt den Grundwertekodex, aber Verstöße müssen eben auch benannt werden.
Sollte sich Nmecha nicht distanzieren, muss es Konsequenzen geben. Offenkundig handelt es sich um einen Verstoß gegen das der Öffentlichkeit gegenüber kommunizierte Versprechen, alle Menschen zu respektieren. Auch der DFB sollte dann Konsequenzen aus diesem Vorfall ziehen und Nmecha die Möglichkeit verwehren, für die deutsche Nationalmannschaft aufzulaufen. Sämtliche Diversitätsprogramme des DFB werden konterkariert durch verantwortungslose Spieler wie Felix Nmecha und das muss sanktioniert werden.
Geschrieben von Jakob.
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