Unsa Senf

Wie sag ich's meinem Trainer?

24.10.2019, 15:46 Uhr von:  Sascha
Wie sag ich's meinem Trainer?

Viele Fans stellen sich das Leben als Spieler, Trainer oder Funktionär im Profifußball toll vor. Bewunderung, Aufmerksamkeit und vor allem viel Geld. Diese Vorstellung ist natürlich nicht falsch, blendet aber auch die hässlichen Seiten aus. Tausendfache Pfiffe gegen einen Spieler, wenn in schlechten Zeiten ein total einfacher Pass statt beim Mitspieler im Seitenaus landet oder gar lautstarke Raus-Rufe für Trainer oder Funktionäre, wenn es überhaupt gar nichts mehr läuft. Wie diese persönlichen „XY raus“-Rufe auf den Betreffenden wirken müssen, sollte sich jeder mit einem Mindestmaß an Empathie vorstellen können. Andererseits, was macht man, wenn man wirklich der Meinung ist, dass es in dieser Konstellation keinen Sinn mehr macht? Oder anders: wie sagt man in nett „Favre raus“?

Zuerst einmal sollt man anführen, dass Lucien Favre eben das ist, was ihm viele absprechen: ein absoluter Fachmann in Sachen Taktik. Er macht sich Gedanken über den Gegner, passt die Spielweise diesen Anforderungen an und ist auch durchaus bereit, etwas Überraschendes zu probieren. Gegen Gladbach startete er mit einer Achse Schulz und Hakimi auf einer Seite, während Manuel Akanji als rechter Verteidiger eingesetzt wurde. In Mailand wählte er personell eine identische Aufstellung, änderte die Grundformation allerdings in eine Fünferkette, um hinten noch kompakter zu stehen. Das Ergebnis war für den Fan zwar nicht besonders ansehnlich, aber effektiv. Nur die Schlafmützigkeit von Nico Schulz verhinderte, dass man mit einem 0:0 und ohne echte Chance für den Gegner in die Kabine ging.

Auch wenn es nicht alle sehen wollen: Favre coacht durchaus aktiv

Und genau das ist das Problem an Favres Spielweise. Sie ist durchdacht, nüchtern, sachlich und vor allem ergebnisorientiert. Die erste Halbserie mit ihm hat Spaß gemacht, allerdings dürften Ergebnisse wie das 4:3 gegen Augsburg, oder das 4:2 in Leverkusen eben genau das Gegenteil von dem Fußball sein, den Favre präferiert. Schon in der Rückserie wurden die Vorgaben des Trainers besser umgesetzt. Für einen Torabschluss wird auf die bestmögliche Gelegenheit gewartet, man überlässt dem Gegner oft den Ball, zieht sich nach Führungen eher zurück, um defensiv stabil zu stehen und verzichtet im Allgemeinen auf zu viel Rambazamba. Paradoxerweise sank die Punkteausbeute mit zunehmender Umsetzung der Vorgaben auf dem Platz. Im Gegensatz zum Unmut auf den Rängen, die allerdings verständlicherweise ihre Schwierigkeiten mit einer Borussia hatten, die nach einem Torerfolg nicht weiter daran arbeitet, den Gegner endgültig zu erledigen. Dass Favre damit aber erfolgreich sein kann, hat er in Berlin, Gladbach und Nizza bewiesen. Er muss damit allerdings auch Erfolg haben, weil das die einzige Legitimation für diese Spielweise ist. Für den Fan ist diese sachliche, oft ins Leidenschaftslose abdrifentende Spielweise keine Freude und wird nur dann erträglich, wenn sie übermäßig viele Punkte aufs Konto spült. Ohne Siege können sich allenfalls Taktikfans an der Suche nach dem perfekten Moment erfreuen.

Bislang eher eine Enttäuschung: Julian Brandt

Dass sich der Erfolg jetzt seit einem Dreivierteljahr eher im überschaubaren Rahmen bewegt, liegt an einer großen Diskrepanz zwischen Stärkenprofil des Kaders und taktischer Wunschausrichtung des Trainers. Dabei darf natürlich absolut nicht unter den Tisch fallen, dass bei vielen Spielern individuell deutlich Luft nach oben in der Leistungsskala ist. Wo ein Jadon Sancho letztes Jahr mit Toren und Vorlagen von sich reden machte, fällt er diese Saison mit Beschwerden über sein Rating in der neuen FIFA-Version und brotlosem Rumgezappel am Ball auf. Wo ein Kapitän Marco Reus in der letzten Saison noch voranging und vor allem wahnsinnig wichtige Laufarbeit verrichtete, vergeudet er aktuell wertvolle Luft mit sinnlosen Wegen in bedeutungslosen Räumen. Ein Manuel Akanji in der momentanen Verfassung wird Manchester eher als Tourist, denn als dauerhaften Arbeitsplatz kennen lernen und von den Neuzugängen haben bislang nur Mats Hummels und mit Abstrichen Thorgan Hazard überzeugen können. Vor allem der als Königstransfer angesehene Julian Brandt konnte bislang noch nicht nachdrücklich unter Beweis stellen, dass die 25 Millionen aufgrund einer Ausstiegsklausel wirklich ein Schnapperpreis waren. Er fällt eher durch defensive Unzulänglichkeiten und deutliche technische Mängel beim ersten Kontakt auf.

Trotz allem muss man aber feststellen, dass der Kader an sich ganz klar auf eine offensive Stärke hin ausgerichtet war. Selbst in der Innenverteidigung wurde mit der Rückkehr von Mats Hummels nicht allein auf mehr Stabilität gesetzt, sondern auch auf seine Qualitäten in der Spieleröffnung. Die Mannschaft sollte, ziemlich klar, im letzten Drittel ihre wahren Stärken zeigen. Damit prallt sie aber auf die Vorstellungen ihres Trainers, der dieses Drittel nach Möglichkeit nur dann betreten möchte, wenn sich erstklassige Gelegenheiten dazu bieten und dem im Zweifel die Absicherung im Mittelfeld und Kompaktheit in der Abwehr wichtiger sind als ein Feuerwerk von Torchancen. Im Nachhinein wäre man bei der Kaderplanung für diese Saison gerne dabei gewesen und würde liebend gerne wissen, was und wie hier die Absprache zwischen sportlicher Leitung und Trainerteam gelaufen ist. Dass eine Planung mit Favre eher schwierig ist und dessen von vielen Seiten bestätigter Hang zum Zweifeln und Zögern die Sache noch verkompliziert, ist dabei ebenso Fakt wie der Umstand, dass ein Verein in der langfristigen Ausrichtung der Mannschaft immer ein Stück weit unabhängig agieren muss. Trotzdem ist auffällig, wie sehr man hier am Bedarf des Trainers vorbei geplant hat. Und, diese Anmerkung muss gestattet sein, es ist nicht das erste Mal, dass Transferaktivitäten deutlich von den Vorstellungen des Trainers abweichen. Zumindest scheinen die Transfers von Schürrle und Götze als Warnzeichen noch nicht deutlich genug gewesen zu sein.

Es wirkt nicht so, als hätten Watzke und Zorc sich intensiv mit dem Trainer über Transfers besprochen

Am Ende steht man dann bei der banalen Feststellung, dass der Trainer das schwächste Glied in der Kette ist. Die Mannschaft personell umzubauen, wird erst wieder im Sommer umfangreich möglich sein und dann wohl auch nur mit finanziellen Verlusten. Auch ein Wechsel auf Funktionärsebene brächte ad hoc keine Änderungen. Bleibt also fast nur, die Besetzung auf der Trainerbank an den Möglichkeiten des Kaders auszurichten. Die sind ja, auch wenn das aktuell von einigen bestritten werden mag, nicht so klein. Viele Trainer würden sich freuen, mit so einem besetzten Kader arbeiten zu können. Es spricht wenig dafür, dass es mit Favre in absehbarer Zeit merklich besser wird, dafür müssten sich entweder Trainer oder die Mannschaft fundamental in ihren Denkweisen ändern.

Insofern führt eigentlich kein Weg an einer anderen Besetzung auf der Trainerbank vorbei. Auch wenn es schade ist, weil an der fachlichen Qualifikation Favres eigentlich nichts auszusetzen ist. Er ist einfach der falsche Mann am falschen Ort.

Unterstütze uns mit steady

Weitere Artikel