Unsa Senf

Am Tag vor dem Clásico

10.04.2019, 10:28 Uhr von:  DocKay

Ein Weg zurück in die noch fühlbare Vergangenheit, den der BVB zusammen mit den Opfern des Holocaust beschreitet.

Die Woche begann wie jede Woche vor dem vielleicht wichtigsten Spiel der Saison. Es war wieder einmal die Herausforderung von echter Liebe an Arroganz, Überheblichkeit und Dominanz gepaart mit Steuerverfehlungen und Mia san Mia. Doch dieses Jahr war es etwas anderes. Nach vielen Jahren war das 100. Duell in der Bundesliga, ein Duell auf Augenhöhe und geprägt von der Tatsache, dass wir als Tabellenführer nach München fuhren. Das erste Ziel was Trainer Niko Kovac neben anderen nicht erreicht hatte. Nein er ging nicht als Tabellenführer in dieses Spiel und trug in seinem Rucksack einen schmeichelhaften 5:4 Sieg im Pokalspiel gegen den 1.FC Heidenheim von 1846.

Im Verlauf der Woche erhöhte sich der Pulsschlag meines schwarzgelben Herzes. Nein ich wollte nicht nach München fahren. Zu tief saß der Stachel der erlebten Niederlagen im Wembley Stadion und im Olympiastadion in Berlin. Unsere Jungens werden es auch ohne mich schaffen. Ach ja und da war ja auch noch der Termin am 5.4.2019 im Stadion. Das Zeitzeuginnen Gespräch mit Eva Szepesi, die als ungarische Jüdin den Holocaust und Auschwitz überlebte.

Ich hatte im vergangenen Jahr die Veranstaltungen in der Steinwache besucht, die nach 75 Jahren an den Beginn der Judenverfolgung erinnerten und war fest entschlossen an der Gedenkstättenfahrt nach Auschwitz/Birkenau im Sommer teilzunehmen, eine Veranstaltung, die von den Fanbeauftragten mit dem Fan-Projekt Dortmund e.V. und dem BVB organisiert wird. Dadurch kam es auch zur Einladung zum Zeitzeuginnen Gespräch mit Eva Szepesi. Auf dem Weg ins Westfalenstadion am besagten Freitag veränderte sich meine Anspannung. Ich merkte, dass sich meine Gedanken lösten von Ergebnissen, von Sieg, Niederlage und Unentschieden und ich dachte an die Aussagen unseres Trainers Lucien Favre im Rahmen der Pressekonferenz vor dem Bayernspiel: Egal was passiert es ist nichts entschieden. Ich entfernte mich von Aufstellungsvarianten. Paco, Raphael und Lukasz traten in den Hintergrund. Was würde mich an diesem Abend erwarten. Ich war mir bewusst einen ganz besonderen Menschen kennenzulernen, eine Frau, die zu den „child survivors“ gehörte, das heißt zu den nur 400 Personen, die als Kinder die Haft in den Konzentrationslagern überlebten. Nur zur Erinnerung, im Holocaust wurden zwischen 5,5 und 6,3 Millionen Juden ermordet. Die genaue Zahl lässt sich aufgrund der Quellenlage nicht ermitteln. Unwillkürlich bekam ich Gänsehaut. Fußball war in meinen Gedanken plötzlich kein Thema mehr.

Vortrag und Gespräch mit Eva Szepesi - Foto: Lina Nikelwoski

Im Vortragsraum herrschte eine beeindruckende Stille. Die Anwesenden waren sich des für sie historischen Ereignisses bewusst. Man war unsicher und ließ den Dingen seinen Lauf. War es angebracht zu applaudieren oder einfach nur respektvoll still zu sein? Die Anspannung löste sich ein wenig als Daniel Lörcher und Andreas Kahrs die Begrüßungsworte sprachen. Sie fassten sich entsprechend kurz und stellten Eva Szepesi vor. Andreas Kahrs, Historiker an der Humboldt Universität in Berlin, erklärte noch einmal die geographische Situation von Budapest, Sered und Auschwitz. Danach begann die Autorin von „Ein Mädchen allein auf der Flucht“ über ihre Kindheit zu erzählen. Eine 86-jährige in Budapest geborene Eva Diamant, die ab dem 5. April 1944 den Judenstern tragen musste. Sie berichtete von ihrem Vater, der zum Arbeitsdienst nach Weißrussland verpflichtet wurde und von der sich zuspitzenden Stimmungslage in Ungarn einhergehend mit der Kooperation ihres Vaterlandes mit den Nationalsozialisten. Ihre Mutter erkannte den Ernst der Situation und organisierte ihre Flucht mit der Tante in die Slowakei. Die damals 11-jährige sollte sich taubstumm stellen ohne zu verstehen warum dies alles passiert. Ihre Mutter Valery und ihr jüngerer Bruder Tamas blieben zurück. Ihr Gedanke sie jemals wieder zu sehen sollte sich nicht erfüllen. Im Verlauf der Flucht wurde sie durch die Nationalsozialisten entdeckt und kam ins Sammellager nach Sered. Mit dem letzten Transport wurde dann Szepesi in einem Viehwaggon ins KZ Auschwitz-Birkenau gebracht wo sie sich als 16-jährige ausgab und somit der Gaskammer entkam. Ihre Häftlingsnummer A26877 trägt sie heute noch als Brandmarke. Komatös erlebte sie die letzten Tage im Lager Auschwitz, wurde für tot gehalten und entging dem Todesmarsch Ende Januar 1945. Die Schilderungen des Aufenthaltes im KZ Ausschwitz waren beeindruckend und stimmten fassungslos. Durch einen russischen Soldaten gerettet kehrte sie nach Budapest zurück. Die ungarische Revolution führte sie und ihren neuen Mann Andor Szepesi schließlich nach Frankfurt.

Hier schließt sich der Kreis und jeder wird sich fragen warum gerade Deutschland. Auf die Frage antwortet Eva, dass sie hier ihre Heimat gefunden, was Heimat auch immer bedeutet. Eine mehr als überraschende Antwort. Ich frage sie warum sie 50 Jahre nicht über ihre Erlebnisse in Auschwitz gesprochen hat. Anlässlich der Veröffentlichung von Steven Spielbergs Schindlers Liste wurde sie 1995 von der Shoah Foundation eingeladen und nahm dann an der Gedenkveranstaltung zum 50. Jahrestag der Befreiung in Auschwitz teil. Dies war der Beginn sich als Zeitzeugin zu engagieren.

Foto: Lina Nikelwoski

Von ihrer Tochter erfahre ich, dass das Holocaust Thema in der Familie ein Tabuthema bedeutete. Es wurde nicht angesprochen weil es Traurigkeit bewirkte. Unwillkürlich fühle ich mich an mein Elternhaus erinnert aber auch an meine Schulzeit. Man redete nicht darüber oder man erhielt die Antwort „das habe ich nicht gewusst“. Eva wird nach der Verantwortlichkeit gefragt und sie antwortet, dass die jetzige Generation für das Geschehene nicht verantwortlich ist. Sie sei allerdings verantwortlich für die Zukunft und auch diese Aussage ist bemerkenswert. Wir sind glaube ich Teil dieser Generation und sollten jegliche antisemitische Tendenzen im Keim ersticken. Mit dem Rucksack unserer Geschichte müssen wir auch unseren Kindern den richtigen Weg weisen. Wir als BVB haben hier auch eine gesellschaftspolitische Verantwortung. Dazu passt das Engagement und die Spende für den Ausbau der Gedenkstätte Yad Vashem.

Bei der Signatur der Bücher bekommt Eva einen BVB Schal geschenkt und man erkennt ein Lächeln in ihrem Gesicht. Der schwarzgelbe Kreis schließt sich und wir erfahren, dass ihr Enkel in Belgien ein Alex Witsel Fan ist. Eine bemerkenswerte Frau, die man mit Ihrer Familie zu einem Heimspiel des BVB einladen sollte. Ich werde auf jeden Fall bei meinem Besuch in Auschwitz an sie denken und auch an ihre Mutter und ihren Bruder. Vielleicht kann ich ja ihre Namen an der Gedenkstätte finden. Erst seit dem Jahre 2016 als sie diese Namen gelesen hat kann sie um ihre ermordeten Familienmitglieder trauern. Möge sich diese Geschichte nie wiederholen.

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