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Das schwarze Loch in der Zentrale

29.06.2016, 15:50 Uhr von:  NeusserJens
Das schwarze Loch in der Zentrale
Was plant Thomas Tuchel?

Der BVB hat bereits umfangreich auf dem Transfermarkt zugeschlagen. Doch wenn auch Mkhitaryan den Club verlässt, klafft in der Spielfeldmitte bald ein riesiges Loch.

Künftig nicht mehr gemeinsam am Ball?

Dem Vernehmen nach verlässt mit Henrikh Mkhitaryan am kommenden Wochenende nach Mats Hummels und Ilkay Gündogan der dritte Spieler mit 2017 auslaufendem Vertrag für eine Rekordsumme den Verein. Der Armenier, der 2013 als "Nachfolger" von Mario Götze zum BVB stieß, hatte aber nicht nur die Vertragslaufzeit mit Hummels und Gündogan gemein, er war ebenso wie die beiden in der abgelaufenen Saison maßgeblich verantwortlich für den Aufbau des Offensivspiels beim BVB. Ihre Wechsel spülen zwar ungeahnte Summen in die Kassen der Borussia, sie reißen aber auch ein kreatives Loch.

In den Medien wird André Schürrle vom VfL Wolfsburg als möglicher "Ersatz" gehandelt. Der Nationalspieler, der bereits in Mainz mit unserem Trainer Thomas Tuchel zusammenarbeitete, soll sich nach Informationen unserer Redaktion bereits mit dem BVB über eine Zusammenarbeit einig sein. Der Transfer hängt offenbar nur noch an wenigen Details zwischen den Vereinen, ist prinzipiell aber so gut wie abgeschlossen. Dass Tuchel seinen "Ziehsohn" gern zurück hätte, ist offenkundig. Ob dieser jedoch in der Lage ist, die aufgetretenen Lücken zu füllen, lassen wir an dieser Stelle offen.

Wir möchten gar nicht bezweifeln, dass André Schürrle über herausragende Qualitäten verfügt. Ist er aber der Spielertyp, den der BVB nun braucht?

So könnte das Spielermaterial des BVB aussehen

Unsere Bestandsaufnahme offenbart, dass Tuchel in der kommenden Saison auf den offensiven Mittelfeldpositionen über mannigfaltige Möglichkeiten verfügt. Neben dem Urdortmunder und letztjährigen Vizekapitän Reus, der seine Stärken vor allem dann ausspielen kann, wenn er mit Tempo und Platz auf eine Verteidigungslinie zuläuft, standen in der letzten Saison bereits Publikumsliebling Kagawa, welcher vor allem in hohen Pressingstrukturen direkt hinter/neben dem Stürmer überzeugt, und der langjährige Leverkusener (und designierte Gündogan-Nachfolger) Castro im Kader. Dieser tat sich im tieferen Spielaufbau beim BVB leider schwer und machte seine besseren Partien in den offensiveren Rollen des BVB-Mittelfelds. Dabei waren außerdem bereits die beiden jugendlichen Senkrechtstarter Pulisic und Passlack, welche mit der U19 des BVB gemeinsam ihren dritten deutschen Meistertitel in Folge gewinnen konnten. Besonders der US-amerikanische Nationalspieler überzeugte dabei mit schnellen, frechen Flügelläufen und erfrischendem Verhalten in 1-gegen-1-Situationen.

Wechseln sich ab: Gündogan geht, Rode kommt.

Die gut gefüllten Kassen leerte Borussia zum Teil dafür, eine internationale Krabbelgruppe ins Westfalenstadion zu holen. Der Ex-Frankfurter Sebastian Rode, welcher beim FC Bayern nicht mehr an Arturo Vidal vorbeikam, ist mit 25 Jahren der bisher älteste Neuzugang und soll für mehr Robustheit und Agressivität im zentral-defensiven Mittelfeld sorgen. Auf ähnlicher Position ist der 20-jährige spanische U-Nationalspieler Mikel Merino zu hause, welcher gerade erst seinen ehemaligen Club zurück in die erste spanische Liga führte und zum Liga-Spieler des Monats gewählt wurde. Seine großen Stärken liegen in der Balleroberung und Spielübersicht, einige vergleichen ihn daher bereits mit Barcelonas Sergio Busquets. Aktuell noch weiter hinten heimisch ist der Franko-Portugiese Raphaël Guerreiro, der dringend benötigte Entlastung bei Marcel Schmelzer auf der Position des Linksverteidigers bringen soll. Der antrittstarke Linksfuß ist entlang der Außenlinie variabel einsetzbar und dürfte sicher auch eine offensive Alternative darstellen, sodass er mit Schmelzer gemeinsam für Wirbel von links sorgen könnte.

Als wahre Juwelen könnten sich zwei weitere offensive Außenspieler entpuppen: Emre Mor, 18, und Ousmane Dembélé, 19, sind beide dafür bekannt, trickreich, dribbelstark und torgefährlich zu sein. Beobachter greifen bei Vergleichen ins ganz hohe Regal und sprechen bei Mor, der nicht erst bei der Europameisterschaft eine herausragend enge Ballführung demonstrierte, vom "neuen Messi", während Dembélé angeblich alle Qualitäten eines jungen Cristiano Ronaldo mitbringen soll. Beide tendieren jedoch dazu, mit dem Ball am Fuß auch mal eine falsche Entscheidung zu treffen und kommen sicher nicht als fertige Spieler nach Dortmund, die allein das Spiel eines Champions-League-Teilnehmers bestimmen können. Lernen könnten beide Jungspunde von Routinier Kuba, der nach einer mäßig erfolgreichen Leihe in Italien vorerst zum BVB zurückkehren wird und auf dem rechten Flügel um eine neue Chance kämpft.

Könnten künftig gemeinsam die linke Flanke stürmen
Sollte André Schürrle, welcher als Linksaußen über einen wirklich hervorragenden Abschluss verfügt, nun tatsächlich noch zum Team stoßen, besäße der BVB ein exzellent bestücktes offensives Mittelfeld. Kaltschnäuzigen Ziel- und Abschlussspielern wie Reus, Schürrle oder Dembélé stehen bereits jetzt kombinationsstarke Spieler zur Seite, die für ein echtes offensives Feuerwerk sorgen können. Doch fraglich bleibt: Wer sortiert das ballbesitzlastige Offensivspiel des BVB? Wer treibt den Ball aus der Defensive in die Offensive? Wer zieht hinter Flügelläufern und klassischen Zehnern die Strippen im Mittelfeld?


Was bei all den Offensivjuwelen und Defensivarbeitern fehlt, ist jemand, der unserem Spiel Struktur gibt, ein wirklicher "Spielmacher", wie Gündogan es in guten Zeiten war. Ein Spieler, der den Ball zur Not bei der eigenen Verteidigung abholt und mit klugen Pässen oder wendigen Läufen sicher und konsequent nach vorn treibt, ohne dabei Gefahr zu laufen, dem gegnerischen Pressing zu erliegen oder einen vermeidbaren Fehlpass zu spielen. Ein Spieler, der das Tempo des Spiels aus dem zentralen Mittelfeld bestimmt und es entweder beruhigt oder mit einem brillanten Schnittstellenpass explodieren lässt. Wir haben viele Spieler für den letzten Pass im Kader, doch wer bringt das Abspiel davor? Sahin und Weigl sind hervorragende Passspieler - Nuri ist aber nicht dynamisch genug, um den Ball selbst schnell nach vorn zu tragen und Julian geht für diese Disziplin ein wenig die Kreativität ab.

Natürlich besteht auch die Möglichkeit, dass das letztjährige 4-3-3/3-4-3 in der Form gar nicht mehr praktiziert wird, sondern Tuchel mit den neuen Spielern auch taktisch etwas komplett Neues plant. Dennoch wirkt die bisherige Transferphase, so aufregend und interessant der bevorstehende Neustart auch sein mag, von den Zielen bei offensiven Neuverpflichtungen ein wenig eindimensional. Gündogan besaß eine Fülle an Vorzügen, die in dieser Kombination auf dem globalen Fußballmarkt wahrlich selten zu finden sind. Dennoch sollte der BVB versuchen, einen Spieler seiner Art zu finden, um sich nicht der Möglichkeiten zu berauben, die seine Aufstellung in der Vergangenheit mit sich brachte. Hummels' und Mkhitaryans Abgänge können von den bisherigen Neuverpflichtungen möglicherweise - wenn vermutlich auch nicht in der gebotenen Qualität - aufgefangen werden, doch einen Spielertypen wie Gündogan sucht man im Kader (und auf kolportierten Einkaufslisten) bisher vergebens.

Möglicherweise entpuppt sich Mikel Merino als dieses fehlende Puzzlestück, vielleicht macht Dzenis Burnic aus der eigenen U19 einen riesigen Entwicklungsschritt und drängt sich als spielmachende Alternative auf. Eventuell muss der BVB aber auch noch ein bisschen Geld in die Hand nehmen, um einen vielversprechenden Spieler zu kaufen, der diese Position füllen kann - auch wenn das bei der notwendigen Qualität sicher nicht günstig würde. Die Alternativen sind rar gesät, aber durchaus vorhanden. Der BVB sollte sie ergreifen, denn sonst klafft in der Zentrale möglicherweise ein riesiges Loch - und das könnte den Neustart unnötig ins Stottern bringen.

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