Unsa Senf

Ich habe nichts gegen München...

23.09.2013, 17:12 Uhr von:  Redaktion

... ich würde nur nie zu den Bayern gehen. Nicht wenige von uns haben im Frühjahr beim Wechsel von Faithboy Mario Götze zum FC Bayern den alten Hit der Toten Hosen rausgekramt und inbrünstig mitgesungen. Und natürlich ist München eine schöne Stadt mit seinen piekfeinen Menschen, den dicken Autos, dem sympathischen Dialekt – und dem wahren Münchener Verein, den Löwen vom TSV 1860 München. Denn so steht es in der Legende geschrieben: Ein wahrer Münchener hält zu den Sechzgern, die für das Arbeitermilieu, also ehrliche Arbeit stehen, während beim FC Bayern allenfalls Bonzen und Wurstfabrikanten zu finden sind. Da ist es doch angenehm, dass es in der zweiten Pokalrunde zwar zur Wiesnzeit nach München geht, wir uns aber nicht mit dem Stern des Südens herumplagen müssen.

Blödsinn. Wer sich nur ein wenig mit der Geschichte der Löwen beschäftigt, stellt schnell fest, dass sie kein Deut besser als der FC Bayern sind, eher gilt das Gegenteil. Der FC Bayern ist zwar den Vorurteilen entsprechend von jeher ein bürgerlicher Klub, in dem heute Dax-Konzerne und Steuerbetrüger das Sagen haben. Aber das war nicht immer so. Die historischen Wurzeln des Vereins liegen mehr im weltoffenen und künstlerischen Umfeld Schwabings, und auch Juden nahmen gleichberechtigt am Vereinsleben teil. Der langjährige jüdische Vereinspräsident Kurt Landauer prägte nicht nur die Aufstiegsphase der Bayern bis zur Meisterschaft 1932, sondern wurde selbst während der Kriegsjahre vom Verein verehrt. Als die Bayern 1943 zu einem Gastspiel in der Schweiz antraten und den auf der Tribüne sitzenden emigrierten Landauer wahrnahmen, grüßten sie ihn herzlich.

Während der "böse" FC Bayern in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu den wenigen Klubs mit Anstand gehörte, befürwortete der "gute" TSV den Machtwechsel von 1933. Auch die Sechzger haben einen bürgerlichen, meist beamtlichen oder kaufmännischen Hintergrund. Daneben waren aber auch Angehörige des bayerischen Königshauses und der Militärspitze Sympathisanten des Vereins. 1860 München war dementsprechend ein konservativ-nationalistisch geprägter Club, in dem auch "alte Kämpfer" der NS-Bewegung, die am Hitlerputsch von 1923 teilgenommen hatten, eine gesellschaftliche Heimat fanden. Es ist daher kein Wunder, dass die Vereinsspitze die "Machtergreifung" der Nazis feierte: "Der Turn- und Sportverein München von 1860 begrüßt freudig die aus der völkischen Umgestaltung entsprungene Wiedergeburt deutschen Volkstums, deutscher Einheit und innerer Freiheit." Und natürlich war auch der Antisemitismus im Turn- und Sportverein populär: "Es ist nicht der Auszug der Juden aus deutschen Turnvereinen [...], nein, es ist der befreiende, reinigende verjüngende Geist einer neuen großen Zeit [...]. Die Unklarheit verschwindet, das Herumtasten hört auf." Die Rivalität mit dem FC Bayern beruhte nicht nur auf lokaler Konkurrenz, sondern auch auf dem Image der Bayern als "Judenklub". Die Löwen mussten von den Nazis nicht erst gleichgeschaltet werden, sie waren vielmehr von Beginn an mit Freuden bei der Sache.

Zwar wurde nach Ende des Zweiten Weltkriegs ein umfangreicher Personalwechsel vorgenommen, eine Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit während der NS-Zeit fand aber erst 2009 statt. Zuvor waren selbst bis nach der Jahrtausendwende bei Spielen antisemitische oder rassistische Sprüche keine Seltenheit. Stattdessen legte sich der Klub eine neue Identität zu und betonte seine Herkunft aus dem Arbeiterviertel Giesing. Die Vereinsstrukturen und das Vereinsleben blieben weitgehend unverändert. Immer noch dominierten bürgerliche Mitglieder und nach Ansicht der Vereinsoberen diente der Fußball weiterhin der Erziehung und Ertüchtigung der deutschen Jugend. Auch die lange Zeit genossene Bevorzugung durch die Stadt setzte bald wieder ein, indem Steuerschulden großzügig gestundet wurden. Geradezu unverschämt waren dabei Bettelbriefe an die Stadt, die auf die angebliche Benachteiligung der Löwen im "Dritten Reich" verwiesen.

Die sportliche Rivalität zwischen dem BVB und den Löwen in den 1960er Jahren

Natürlich ist die Dortmunder Abneigung gegen den FC Bayern derzeit größer, weil die Rivalität wesentlich ausgeprägter ist. Während der Rekordmeister in den letzten drei Jahren immerhin zwei Bundesligapunkte gegen den BVB erkämpfen konnte, durften die Löwen als Zweitligist gar nicht erst antreten. Aber auch das war mal anders. In den 1960er Jahren gab es sogar für einige Jahre eine recht bemerkenswerte sportliche Konkurrenz. Unter ihrem Trainer Max Merkel, der zuvor schon einmal den BVB ins Finale um die Deutsche Meisterschaft geführt hatte, erlebten die Löwen ihre erfolgreichste Phase mit einem Pokalsieg 1964, den Einzug ins Europapokalfinale 1965 und den Gewinn der deutschen Meisterschaft 1966. Der BVB wiederum war 1963 Meister geworden, holte 1965 den Pokal und 1966 den Europapokal. Bei so viel Erfolg lag es nahe, dass beide Mannschaften wiederholt in wichtigen Partien aufeinandertrafen, darunter zwei entscheidende Spiele um die Meisterschaft. Das erste Spiel fand am 22. Juni 1963 statt. Damals empfing die Borussia die Löwen in der heimischen Roten Erde zum Endspiel um den Sieg in der Vorrundengruppe der deutschen Meisterschaft. Dortmund hätte ein Unentschieden gereicht, um in das Finale einzuziehen. Es wurde eine Demonstration: Mit je zwei Toren von Jürgen Schütz und Timo Konietzka (der später zu 1860 gehen sollte) wurden die Löwen mit einem 4:0 zu Bettvorlegern verarbeitet. Im letzten Endspiel um eine deutsche Meisterschaft gegen den 1. FC Köln folgte dann ein weiterer 3:1 Erfolg und der dritte Titel für den BVB.

Aber Max Merkel schwor Rache und bekam sie 1966. Der BVB war gerade mit einem 2:1 Erfolg über Liverpool erster deutscher Europapokalsieger geworden, doch in der Bundesliga waren noch drei Spieltage zu absolvieren und der BVB verlor den Faden. Vor dem Triumph von Glasgow war die Truppe vom Borsigplatz noch Spitzenreiter gewesen und konnte die Führung trotz einer unglücklichen Niederlage gegen Werder Bremen in den nächsten Spieltag retten. Am vorletzten Spieltag kam der Konkurrent aus München in die Rote Erde. Es war das erste Heimspiel für die Europapokalhelden, die zunächst durch Bundeskanzler Ludwig Erhard vor dem Spiel mit dem silbernen Lorbeerblatt ausgezeichnet wurden. Alle Aufmerksamkeit galt dem zurückliegenden Erfolg und nicht der bevorstehenden Herausforderung. Ein Sieg sollte her, es wurde aber ein verdientes 0:2. Die Feierei kostete dem BVB, der physisch und psychisch ausgelaugt war, den Titel. Für die Löwen ist es bis heute der einzige geblieben.

Die Sechzger werden nicht sympathisch

Beide Vereine erlebten in den folgenden Jahren einen stetigen Niedergang, der beim BVB für einige Jahre in die Zweitklassigkeit führte, während 1860 bis in die 1990er Jahre ganz in der Versenkung verschwand. Die Münchener Erfolge der 1960er Jahre waren nicht zuletzt auf Pump erzielt worden, verschwenderische Großmannssucht blieb aber auch in den folgenden Jahrzehnten und Ligen üblich. 1982 verloren die Löwen aufgrund einer Fristverletzung die Lizenz und stiegen zwangsweise in die Bayernliga ab. Nun wurde erst Recht der Mythos gepflegt, der sympathische Underdog aus der bayerischen Hauptstadt zu sein, während der arrogante und steinreiche FC Bayern Deutschlands Fußball dominierte.

Der Wiederaufstieg in die 1. Bundesliga gelang erst 1994 mit dem charismatischen Führungsduo Karl-Heinz Wildmoser und Werner Lorant. Wer auf "Typen" im Fußball steht und damit maskuline Dampfplauderer meint, war bei denen an der richtigen Adresse. Wildmoser wollte seinen Klub in die europäische Spitze führen und machte sich dabei mit den Bayern gemein: Sie seien wie der FC Bayern, hießen nur anders, sagte er einmal und ließ seinen Worten Taten folgen. Nach nur einer Erstliga-Saison im traditionellen Sechzger-Stadion an der Grünwalder Straße zogen die Löwen in das Olympiastadion um, wo der Erzrivale seine großen Erfolge gefeiert hatte. Und schlimmer noch: Wildmoser wollte eine Stadionehe "bis dass der Tod uns scheidet": Mit dem gemeinschaftlichen Bau der Allianzarena verloren die Löwen nicht nur vollkommen ihre Identität, sondern übernahmen sich auch finanziell. Dass sich der Präsidentensohn Karl-Heinz Wildmoser junior, der als Vertreter von 1860 in der Arena-Geschäftsführung saß, im Zuge des Baus der Untreue und Bestechlichkeit schuldig machte und zu vier Jahren Haft verurteilt wurde, rundet das Bild dieser Ära ab. Überschuldet stiegen die Löwen 2004 wieder in die zweite Bundesliga ab. Natürlich handelte es sich dabei aus Vereinssicht nur um einen Betriebsunfall, der umgehend wieder gut zu machen sei. Jedes Jahr auf’s Neue, meistens mit einem neuen Trainer.

In der Vergangenheit war der Verein also eigentlich in jeder Phase seines Bestehens auf irgendeine Weise unsympathisch und in dieser Hinsicht bleibt der TSV auch in der Gegenwart ein wahrer Traditionsverein. Kann er sportlich schon nicht mit den Bayern mithalten, versucht er es zumindest auf der Antipathieskala. Und so holte sich der mal wieder vollkommen überschuldete Verein 2011 einen Scheich als Investor. Hasan Abdullah Ismaik muss von den Studiobossen des FC Hollywood gecastet worden sein, so perfekt passt er in die Rolle des unseriösen Geschäftemachers, der mit einem eigenen Fußballklub berühmt und beliebt werden will. Zu seinen ersten Ankündigungen gehörte denn auch, auf eine Stufe mit dem FC Barcelona kommen zu wollen. Mit Friedhelm "Pep" Funkel soll jetzt schon der dritte Trainer das Ziel in Angriff nehmen.

Nein, 1860 München ist nicht der sympathische Lokalrivale des FC Bayern. Vermutlich liegt es einfach an der Stadt.

Patrick, 23.09.2013

Foto Max Merkel: Kroon, Ron / Anefo, Wikimedia

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