Unsa Senf

Ein taktischer Blick auf den BVB Stillstand

25.08.2025, 21:24 Uhr von:  Anton
Stillstand

Zwei Spiele, keine Niederlage – und trotzdem ein Gefühl der Ernüchterung. Borussia Dortmund wirkt nach dem Saisonstart wie eingefroren: Ein unausgewogener Kader, ein ideenloses Offensivspiel und ein Trainer, der Stabilität bringt, aber keine Weiterentwicklung.

Eine Begegnung im DFB-Pokal sowie das erste Saisonspiel in der Bundesliga haben bereits ausgereicht, damit das wohlwollende Bild, das die Verantwortlichen von Borussia Dortmund in der Vorbereitung zeichnen wollten, erste Risse und Dellen bekommen hat.

Zwar steht noch keine Niederlage auf der Haben-Seite, aber die beiden absolvierten Partien von Borussia Dortmund sind doch in vielerlei Hinsicht aussagekräftig. Sie zeugen von einem fundamental unausgewogenen Kader und einem nicht minder fatalen Offensivspiel.

Niko Kovač hat die Mannschaft letztes Jahr zweifelsfrei stabilisiert. Ich habe es selbst nicht geglaubt und mich lange dagegen gewehrt, aber in dieser Phase war er genau das, was nötig war. Er brachte eine gewisse Ernsthaftigkeit an den Tag und wusste mit Disziplin sowie simplen aber sinnvollen Änderungen zu überzeugen. Die Grundtugenden, die Borussia Dortmund unter Nuri Şahin abhandengekommen waren, fanden ihren Weg zurück.

Erste Risse im System Kovač

Aber bereits bei der Klub-WM wurden Defizite erkennbar, sobald es über die Basics hinausging. Gegen tiefstehende Gegner fehlten die Ideen, den Block zu überspielen – sowohl mit einem Mittelfeldblock aus drei Spielern als auch mit zwei Spielern auf einer Höhe und zwei Halbraumspielern davor. Es wurden im Laufe des Turniers viele Ausreden dafür gefunden (lange Saison, Hitze etc.) und diese hatten sicherlich alle einen Funken Wahrheit in sich, doch mit voranschreitender Amtszeit werden die Defizite von Niko Kovač, was seine offensiven Ideen angeht, immer deutlicher. Insbesondere sein zuletzt präferiertes 3-5-2 wirft große Fragen auf.

Über Niko Kovačs gesamte Karriere zieht sich eine bestimmte Mittelfeldstruktur. Einige Bayern-Fans sprechen in diesem Zusammenhang vom „U des Todes“. Das lässt sich insbesondere an Pass-Statistiken demonstrieren: Viele Pässe gehen horizontal und nach hinten, sodass die Form eines des Buchstaben „U“ mit Hilfe der Pässe gezeichnet wird. Niko Kovač ist kein Trainer, der aggressiv das Zentrum bespielen will; er bevorzugt Sicherheit gegenüber Dynamik und Progression nach vorne. Das „U des Todes“ stieß schon gegen Essen an seine Grenzen.

Ernüchterung in Essen

Marcel Sabitzer und Pascal Groß ließen sich zwar immer wieder tief fallen und forderten Bälle, aber es fehlte wiederum an Anspielstationen, die in der Lage waren, den Ball ins letzte Drittel zu tragen und die beiden Spitzen – in diesem Fall Maxi Beier neben Guirassy – in gefährliche Räume zu bringen. Diese Dreierreihe aus Groß, Sabitzer und Felix Nmecha führte auch dazu, dass man Daniel Svensson seiner größten Stärke beraubte, da dieser als einziger Spieler auf links die Breite halten musste und nicht wie gewohnt ins Zentrum abkippen konnte. Keine große Überraschung also, dass der Schwede vermutlich sein schlechtestes Spiel in Schwarzgelb machte.

Die Folge der ausbleibenden Bälle war, dass Guirassy sich oft fallen ließ, um Bälle früher zu bekommen. Doch auch dann fehlten erneut Ballträger, die diese ins letzte Drittel tragen und Beier bedienen konnten, der bis zu seiner Auswechslung völlig in der Luft hing. Julian Brandt hat zweifellos das Potenzial, dieses Profil auszufüllen, steckt aber leider in einer nicht enden wollenden Formkrise. Leicht besser wurde es mit der Hereinnahme von „Königstransfer“ Jobe Bellingham, von dessen Gradlinigkeit nach vorne einmal mehr enorm viel verlangt wurde. Leider scheinen sich Jobe und Brandt aktuell mit dürftigen Leistungen abzuwechseln.

Das aktuelle Spiel von Borussia Dortmund spielt sich größtenteils um die Mittellinie ab, während die beiden Spitzen völlig alleine auf weiter Flur waren. Das daraus resultierende Armutszeugnis war, dass man gegen den Drittligisten Rot-Weiss Essen kein anderes Mittel fand, als Beier und Guirassy mit langen Bällen zu bespielen.

Spieler ohne Wirkung auf St. Pauli

Wer auf Besserung am Millerntor gehofft hatte, wurde enttäuscht. Für Nmecha rückte Jobe Bellingham in die Startelf und statt Beier sollte Adeyemi dem Spiel offensichtlich mehr Breite geben, um Svensson in dieser Hinsicht zu entlasten. Das „U des Todes“ war hier einmal mehr zu bewundern, denn in den ersten 25 Minuten wurde der Ball möglichst viel von links nach rechts getragen. Das Positionsspiel von Bellingham, Svensson und Adeyemi war schlicht mangelhaft. Alle drei standen sich immer wieder auf den Füßen, da sie dieselben Räume besetzen wollten, und eine daraus mögliche Überzahlsituation verpuffte immer wieder durch technische Fehler. Nicht umsonst wurde Adeyemi nicht nur einmal von Bensebaini und Co. lautstark zur Schnecke gemacht.

Taktische Analyse des BVB beim Spiel gegen St- Pauli
© Grafik: Between the Posts (https://betweentheposts.net )

Auf der anderen Seite versuchte Groß zwar immer wieder, dem Spiel Tiefe zu verleihen, nur fehlten einmal mehr die Anspielstationen, da Couto diese Wege selten bis nie ging. So blieb Groß oft nichts anderes übrig, als Guirassy tief zu schicken. Dortmunds Lebensversicherung hat viele Qualitäten, doch das Spiel in der Tiefe gehört wohl kaum zu seinen größten fünf.

In den allerwenigsten Fällen konnte der BVB ins griffige Gegenpressing kommen, das unter Niko Kovač eine der wenigen Konstanten ist. Auch hier sind die Abstände zwischen vorderster Linie und dem Mittelfeldblock dahinter problematisch und St. Pauli wusste sich immer wieder daraus zu befreien. Hier liegt auch ein großer Teil der Frustration: Trotz der zweifellos geringeren Kaderqualität schafft es Trainer Alexander Blessin, seiner Mannschaft ein Korsett zu geben, mit dem sie einen Gegner attackieren und im eigenen Ballbesitz Lösungen finden können. Das taktische Korsett von Niko Kovač führt dagegen größtenteils dazu, dass die Spieler sich gegenseitig die Räume wegnehmen.

Stillstand auf jeder Ebene

Noch einmal: Niko Kovač war ein sehr guter Trainer für die Phase, in der er verpflichtet wurde. Er kann einer Mannschaft Stabilität verleihen. Sobald es jedoch darum geht, mit dem Ball Lösungen zu finden, stößt er schnell an seine Grenzen. Der Verein stagniert unter ihm – was nicht seine Alleinschuld ist, das sei klar hervorgehoben. Er selbst sprach nach dem Spiel im Interview mit Patrick Wasserziehr an, dass aktuell die Unterschiedsspieler von der Bank kommen. Die Wahrheit ist aber auch, dass Borussia Dortmund seit dem Verkauf von Jude Bellingham keinen absoluten Unterschiedsspieler mehr hat und die sportliche Führung um Sebastian Kehl und Lars Ricken nicht in der Lage zu sein scheint, dieses Defizit auszugleichen.

Es ist keine Entwicklung erkennbar. Sowohl auf dem Platz, an der Seitenlinie und bei den Verantwortlichen für die Kaderplanung. Es ist Stillstand. In jeglicher Hinsicht. 

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