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Die Nebelkerze Dembélé

04.12.2018, 12:14 Uhr von:  Sascha
Die Nebelkerze Dembélé

Seit über einem Jahr spielt Dembélé jetzt in Barcelona. Bislang keine echte Erfolgsstory. Dabei sagt der Rummel um Dembélés Eskapaden viel über den Fußball aus.

Vor etwas über einem Jahr fing es an: Ousmane Dembélé wurde zu einem großen Thema in der Sportwelt. Natürlich wissen wir Dortmunder sehr gut, warum der junge Franzose auf einmal so in den Blickpunkt rückte. Er streikte sich von unserem BVB weg und wechselte für einen horrenden Betrag jenseits der 100-Millionen-Euro Grenze zum FC Barcelona. Aber auch dort taucht „Ous“ regelmäßig in den Texten der Journalisten auf. Als Skandalnudel.

Er ernähre sich nicht vernünftig, brauche einen Privatkoch, der ihn vom übermäßigen Barbecuegenuss abhält, verpasse unentschuldigt das Training, besuche häufig Partys – und habe wohl auch noch eine Klage seines früheren Dortmunder Vermieters am Hals, weil er seine Wohnung als ziemlichen Saustall hinterlassen habe. Kurz gesagt: Dembélés Werdegang nach seinem unrühmlichen Abgang ist bislang nicht gerade eine einzigartige Erfolgsstory. Dass man das aus Sicht eines BVB-Fans mit hämischer Genugtuung zur Kenntnis nimmt, ist da wohl völlig nachvollziehbar. Trotzdem sagt dieser Vorgang über die Person hinaus vieles über den maroden Zustand des Profifußballs aus.

Vordergründig ist das natürlich das Paradebeispiel für einen verzogenen Wohlstandsjüngling, der in einer Fußballwelt ohne Grenzen aufgewachsen ist. Ein Spieler, der schon in jungen Jahren ein Millionenvermögen besitzt und damit jedes Gespür für Verantwortung, Arbeitsmoral und die notwendige Professionalität verloren hat. Er ist dabei nur die Speerspitze vieler vorgeblich bodenständiger Jungprofis, die im Fußballbuisness ohne moralischen Kompass „produziert“ wurden – er treibt es nur bunter als viele andere. Das ist natürlich alles andere als eine neue Erkenntnis. Die Nachwuchsakademien erziehen keine selbstständigen Menschen, sie bringen Hochleistungsfußballer hervor.

Wichtiger ist jedoch, wenn man sich mal vor Augen führt, über wen man nicht spricht. Dembélé ist mit seinen Eskapaden jetzt seit einem Jahr im Blickfeld. Selbst hier in Deutschland war er immer mal wieder Thema, obwohl sein Bezug zur Bundesliga aus gerade einmal einer einzigen Profisaison besteht. Das mediale Interesse der spanischen Sportpostillen rund um die „Marca“ ist da noch um ein Vielfaches größer. Und warum? Weil er mal das Training geschwänzt und lieber mit Freunden an der Konsole gezockt hat. Weil ein 20-jähriger Bengel auf eine Party geht. Und weil er gerne Fleisch auf den Grill haut. Das sind die Verfehlungen, mit denen er es schafft, eine breite Front Kritiker gegen sich zu vereinen.

Wenn Dembélé denn mal für Barca auf dem Platz ran darf, spielt er neben einem gewissen Herrn Lionel Messi. In erster Instanz wurde Messi 2016 wegen Steuerhinterziehung zu 21 Monaten Gefängnis verurteilt. Als Ersttäter wurde diese Strafe später in eine Strafzahlung von 252.000 Euro umgewandelt. Noch tiefer in die Tasche greifen musste sein Dauerrivale um den Titel des besten Spielers der Welt, Christiano Ronaldo. In seiner Zeit in Madrid schaffte er es in Verhandlungen mit der Staatsanwaltschaft, eine Strafe wegen Steuerhinterziehung auf zwei Jahre Haft und 18,8 Millionen Euro Strafe zu drücken. Und trotzdem blieb ihm mutmaßlich noch genug Geld, um einer Amerikanerin Schweigegeld nach einer vorgeworfenen Vergewaltigung zu zahlen. Natürlich fanden beide Fälle Beachtung in der Öffentlichkeit, allerdings immer nur kurz. Binnen Wochenfrist wurden wieder Youtubevideos mit artistischer Ballbehandlung abgefeiert und die Megastars wie gehabt verehrt.

Beide sind nur die oberste Spitze der Spitze des Eisbergs. Die „Football Leaks“ haben in den letzten Jahren regelmäßig Erstaunliches, Widerliches, Unmoralisches und Wahnwitziges aus dem europäischen Profisport über Spieler, Trainer, Funktionäre und Berater veröffentlicht und in der Regel wurden all diese Berichte mit einem erstaunten „Ach, wie grotesk ist das denn?“ zur Kenntnis genommen und zu den Akten gelegt. Ohne Dembéles Verhalten, dessen Vertragswerk auch Teil der Football Leaks-Enthüllungen war, gutheißen zu wollen, aber was bitte hat Dembélé denn so Schlimmes angestellt, dass sein Tun permanent kritisch beäugt und breitgetreten wird, während Straftaten rasch zu den Akten gelegt und aus dem Gedächtnis gestrichen werden? Warum ist er der Buhmann einer Sportindustrie, während Trikots von Steuerhinterziehern echte Verkaufsschlager sind?

Weil Dembélé Skandale liefert, über den man sich ereifern kann, ohne dass sie wirklich den Fußball an sich in Frage stellen. Man kann über ihn im TV, in den Zeitungen, an den Stammtischen und den sozialen Medien die Nase rümpfen und ihn als Symbol für das darstellen, was im Sport falsch läuft, ohne dass es Konsequenzen hat. Außer natürlich für ihn. Aber nicht für die tolle Glitzer- und Glamourwelt an sich. Wenn man sich an Dembélé abarbeitet, muss man nicht darüber nachdenken, dass eine Vielzahl der sportlichen Helden mit ihrer Popularität in der Gesellschaft Millionen verdienen, sich dann aber dem Steuerdienst entziehen. Nicht darüber, dass junge Menschen aus Afrika nach Nordeuropa verbracht werden und die Mehrzahl von ihnen, die es nicht zu den Profis schafft, sich selbst überlassen wird. Nicht darüber, dass im Profifußball Gestalten herum laufen, die nicht nur eine Nähe zur organisierten Kriminalität haben, sondern Teil von ihr sind. Wir können weiterhin Typen für ein tolles Tor abzufeiern, ohne zu hinterfragen, was für ein widerliches Frauenbild in ihren Köpfen vorherrscht. Hierzu kann jeder mal die Begriffe „Premier League Frauen-Monopoly“ bei Google eingeben.

All diese Themen poppen kurz auf und verschwinden ganz schnell im Hintergrund, bevor sie dem Fußball gefährlich werden können. Und natürlich machen wir Fans dabei auch mit und sorgen dafür, dass wir uns weiterhin auf Samstag 15.30 Uhr freuen können. Zum Glück wird sich immer ein Dembélé finden, über den man reden kann.

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