Unsa Senf

Was mich am Profifußball ankotzt

01.06.2017, 09:28 Uhr von:  Sascha
Was mich am Profifußball ankotzt

Fußball ist ein wunderschönes Spiel. Warum ist die Verpackung nur so dreckig?

Zugegeben, kein besonders innovativer Titel für einen Text. Schließlich drehen sich mittlerweile viele Beiträge rund um den Fußball darum, was alles schief läuft. Helene Fischer, Pyrotechnik, Kollektivstrafen, verkaufte Stadionnamen, Wappenküsser-und-dann-Weiterzieher – alles scheiße. Ich mag es auch nicht, ich brauch das alles nicht. Aber trotzdem, es ist nicht das, was mich wirklich anekelt. Es ist einfach das immer stärker werdende Gefühl, einem moralisch ziemlich verkommenem Haufen beim Schmierentheater zuzuschauen (und dafür auch noch immer weiter fleißig ein Ticket für die nächste Vorstellung zu kaufen).

Da schaffen es Spieler, einerseits todernst in die Kamera zu schauen und „Respect“ einzufordern und haben gleichzeitig kein Problem damit, sich mit Geldern aus Ländern bezahlen zu lassen, die auf Menschenrechte schei… einen feuchten Dreck geben. Man muss ja schon froh sein, wenn sie sich noch soviel Restanstand bewahrt haben, diese Gelder wenigstens vollständig dort zu versteuern, wo es den Menschen zu Gute kommt, die ihnen den Hintern pudern. Und selbst wenn sie es nicht tun – interessiert doch keinen. Messi und CR7 werden genau so sicher um eine Haftstrafe herum kommen, wie ihre Tore auch in der nächsten Saison weiter bejubelt werden.

Da ist es nur folgerichtig, dass der oberste Vertreter der europäischen Topclubs wegen eines Zollvergehens vorbestraft ist. Wer kennt nicht dieses Problem, dass man im Urlaub von guten Freunden ein paar Rolexuhren zugesteckt bekommt, die man dann bei der Wiedereinreise glattweg vor der Zollschranke vergisst, zu versteuern. Und niemand steht auf und verpasst Kalle einen „Schlach innen Nacken“, wenn er fehlende „Moral“ beim Transfergebahren englischer Vereine anprangert, oder „Betrug“ brüllt, wenn ein Schiedsrichter nicht wie gewünscht entscheidet. Was für ein verschrobenes Wertebild.

Auf die Führungsebenen von FIFA und UEFA schauen wir am besten gar nicht mehr. Dort scheint „Integrität“ ein Schimpfwort zu sein und Bestechlichkeit eine Art Gesellschaftssport. Man hat sich aber schon so sehr daran gewöhnt, dass die beiden einzigen Menschen, die vielleicht ernsthaft von Innen dagegen vorgehen wollten, vor allen Augen abgesägt werden konnten und die öffentliche Reaktion ein banales: „Hihi – die schaffen jetzt endlich offiziell die Ethik ab“ war.

Warum mir das alles heute einfällt? Wo es doch beim BVB ein wahrhaft anderes Thema gibt, das nichts mit all diesem Rotz zu tun hat? Weil das eben nicht stimmt. Weil sich auch bei uns im Kleinen das Unmoralische längst als Standard durchgesetzt hat. Eins vorweg: Ich glaube, nein ich bin mir sicher, dass Tuchels Entlassung nicht nur absolut richtig, sondern notwendig war. Weil man vieles von dem, was man in der Zeitung gelesen hat, schon im Vorfeld hören konnte. Von Leuten, bei denen man sich sicher sein kann, dass sie keinen Mist erzählen.

Warum sie das wussten? Weil sie es wissen sollten. Und weil sie es weitererzählen sollten. Oder warum sonst hatte auf einmal direkt nach dem Interview bei der Funkegruppe von der Süddeutschen bis hin zum Herdecker Bauernboten jedes Medium seinen persönlichen „Warum Thomas Tuchel doof ist“- Text parat? Alles nur ein großer Zufall und eiligster Investigativjournalismus? Komm mal aus deinem Märchenschloss raus, Prinzessin. Es sollte sich verbreiten, dass Thomas Tuchel nicht der liebe, nette Traineronkel ist, zu dem er irgendwann zwischen Weihnachten und Silvester anscheinend mutierte. Allein die Vorstellung, dass Tuchel nachts durch Europas Innenstädte läuft, um an der nächsten Burgerschmiede mit den Einheimischen über ihr Leben zu philosophieren, ist ja auch so herrlich beknackt, dass sie eigentlich wahr sein musste.

Ist sie aber vermutlich nicht. Ich weiß, vielen hängt es schon zu den Ohren raus, aber von Kuba gibt es sogar eine offizielle Aussage darüber, dass Thomas Tuchels Realität häufiger nichts mit der seines Umfelds zu tun hat. Aber es klingt gut. Es ist PR. Wo TV-Starlets Strandselfies im knappsten Bikini von sich posten, säuselt man im Fußball irgendwas von tollen Fans und wie groß doch der Verein ist, in die Mikrofone.

Was bei Borussia in der letzten Zeit passiert ist, war so etwas wie die Ruhrpottversion vom „Game of Thrones“. Und Thomas Tuchel ist dabei weder der edle und gute Ned Stark, noch Watzke der finstere Ramsay Bolton, der seine Gegner nur zum Spaß quält. Gilt umgekehrt aber wohl genau so. Wo auf der einen Seite ein „anonymer Spieler“ mit der Presse sprechen darf, anscheinend ohne dass der Verein gleich auf Maulwurfsjagd geht, geht auf der anderen Seite bei der Bild die Meldung über Tuchels Dienstzeitende parallel zum dessen neuen Twitter-Account online. Also, ehrlich. Zufälle gibt’s, die gibt’s gar nicht.

Aktion und Reaktion. Nichts davon offen und ehrlich. Hier eine Andeutung, da etwas zwischen den Zeilen – und alles möglichst hintenrum. Und eigentlich beiße ich mir in den Arsch, weil ich mir eingestehen muss, dabei mitgemacht zu haben. Schon allein indem man für die eine oder andere Seite Partei ergriffen hat. Die beste Reaktion wäre ein: „Lasst mich damit in Ruhe, ich will Fußball gucken“ gewesen.

Ich weiß, das ist alles noch weit von den Vergehen weg, die ich eingangs erwähnt habe. Aber es fügt sich zu einem ziemlich jämmerlichen Bild eines Sports, in dem die ständige Erwähnung von Fairness und Anstand nichts anderes sind als Etikettenschwindel.

Das macht unseren Sport kaputt – nicht Helene Fischer.

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