Spieler im Fokus

„So wird Fußball ein Stück weit gerechter und fairer“: der Video Assistent geht in die Praxisphase

21.07.2017, 15:47 Uhr von:  Redaktion

Es ist das automatische Grinsen, das sich auf meinem Gesicht ausbreitet, wenn ich an den 09. April aus dem Jahre 2013 denke. Es sind Gefühle, die man im Idealfall als Fan zwar mehr als nur einmal erlebt, aber in dieser Intensität – man möchte fast sagen – Gott sei Dank dann doch nicht so häufig hat, so dass man in den Momenten, in denen man sich an sie zurückerinnert, das selbe Gänsehautgefühl zu spüren bekommt, wie damals, im Stadion, oder am Fernseher, als Felipe Santana unseren Ballspielverein mit einem Abseitstreffer in das höchste Glücksgefühl und somit Halbfinale der Champions League bugsierte. Ein Tor, das eigentlich gar nicht hätte fallen dürfen und mit den modernen Erneuerungen, die am 20. Juli in Köln vorgestellt worden sind, so vermutlich auch nicht mehr fallen wird.

Es wurde viel über den Sinn oder Unsinn eines Videoschiedsrichters diskutiert, gerade wir Dortmunder wissen wie nah beieinander Freud und Leid bei Fehlentscheidungen liegen können. Es lässt sich schwer leugnen, dass der Video Assistent zu Lasten einer Vielzahl an Emotionen fallen wird. Und dennoch startet in der kommenden Saison die zweite Phase des Testlaufes Video Assistent, der bereits vor einem Jahr gestartet wurde und nun in der Bundesliga praktisch getestet wird.

Pressekonferenz

Die Pressekonferenz in Köln stand ganz unter dem Motto „den Fußball gerechter machen, Fehlentscheidungen minimieren“. So standen Sascha Stegemann, Dr. Holger Blask und Ansgar Schwenken einer Vielzahl an Journalisten Rede und Antwort und ließen auch einen Blick auf das Video Assist Center werfen. Doch fangen wir von vorne an. In der vergangenen Saison wurden bereits anhand intensiver Schulungen und Übungen die Arbeitsprozesse eines Videoassistenten geprobt. Mittels Offline- und Pre-live -Tests haben alle aktuellen Schiedsrichter der 1. Bundesliga und vier weitere aus der 2. Bundesliga insgesamt 127 verschiedene Spiele geschaut, analysiert, auf Fehlentscheidungen untersucht und den technischen Prozess mehrfach durchlaufen. Dabei musste jeder Schiedsrichter mindestens sechs mal im Video Assist Center in Deutz arbeiten und mindestens zwei Live-Tests absolvieren.

Arbeitsplatz eines Videoschiris

Der Fokus der Fehlentscheidungen soll auf vier Aspekte gelegt werden, die das Treffen von groben Fehlentscheidungen minimieren sollen:

1. das An- und Aberkennen eines Tores bei Abseitsentscheidungen oder Handspielen

2. die Rechtmäßigkeit einer roten Karte

3. die Entscheidung über einen gegebenen oder nicht gegebenen Elfmeter

4. die Vermeidung von Spielerverwechslungen bei der Verteilung von gelben und roten Karten

Die Komplexität der Fehlentscheidungen und der Frage, ab wann man eingreifen dürfe, wurde bei genauerem Nachfragen deutlich. Interessant war hierbei vor allem, dass die Rechtmäßigkeit einer gelben Karte und somit auch einer gelb-roten Karte nicht überprüft wird. Als Erklärung nannte man, dass auf diese Weise jedes Eingreifen eines Spielers überprüft werden müsste, was aus zeitlichen und organisatorischen Gründen nicht möglich sei. Auch die Frage des Zeitpunktes der Überprüfung warf einige Fragen auf. Ein nicht geahndeter falsch ausgeführter Einwurf, der zum Tor führt, würde nicht zur Aberkennung des Tores führen, da es sich um eine Spielsituation handelt, die nicht aus dem Spielfluss hinaus entstanden ist. Auch im laufenden Spiel hat man sich ein Zeitlimit von 15 Sekunden gesetzt, die vom Tor rückwirkend überprüft werden. Ein etwaiges Foul, das 17 Sekunden vor der Entstehung des Tores begangen wurde, würde somit keine Rolle mehr spielen. In der vergangenen Spielzeit gab es etwa 104 Fehlentscheidungen von Schiedsrichtern, die in den Aufmerksamkeitsbereich eines Video Assistenten gefallen wären. Von diesen Fehlentscheidungen wären 77 reparabel, während 27 Entscheidungen unumgänglich gewesen wären. Dabei handelte es sich vor allem um falsche Abseitsentscheidungen.

Arbeitsplatz in Nahaufnahme

Werfen wir nun einen Blick in die Praxis und den Arbeitsalltag eines Videoassistenten im Zusammenspiel mit dem Schiedsrichter. In das Video Assist Center in Köln, bestehend aus einer Vielzahl an Bildschirmen, die pro Spiel jeweils von einem Video Assistenten und zwei Operatoren beobachtet und bedient werden, wurden insgesamt 1,8 Millionen Euro investiert. Hier stehen alle 21 Kameraeinstellungen zur Verfügung und können je nach Spielsituation in den Vordergrund gezogen, vergrößert und wiederholt werden. Ein Supervisor bewacht das Geschehen im Raum und schreitet ein, sobald ein Video Assistent ein Signal gibt. Der Schiedsrichter auf dem Spielfeld muss von diesem Geschehen noch nichts mitbekommen. Bei erhärtetem Verdacht einer falsch oder nicht getroffenen Entscheidung nimmt der Video Assistent über Funk Kontakt zum Schiedsrichtergespann auf dem Platz auf. Andersrum kann auch ein Schiedsrichter Kontakt zum Video Assistenten aufnehmen, wenn er bezüglich einer Entscheidung Sicherheit braucht. Ausgeschlossen ist das Intervenieren von Spielern. Dies wird als Unsportlichkeit bewertet und mit einer gelben Karte bestraft. Durchschnittlich wurden die Entscheidungen im ersten Jahr der Testphase zwischen 10 und 40 Sekunden gefällt. Insgesamt soll die Entscheidungsdauer die 120 Sekunden nicht übertreffen, um den Spielfluss nicht zu sehr einzuschränken.

Dr. Holger Blask betonte, dass für den Erfolg des Video Assistenten die Akzeptanz der medialen Zuschauer wichtig sei, da die meisten Leute die Spiele durch ein Medienprodukt verfolgen. Tatsächlich hatte man während der Pressekonferenz das Gefühl, dass vor allem der Zuschauer vor den Bildschirmen intensivst in die Entscheidungsfindung des Video Assistenten eingebunden werden soll. Mittels diverser Symbole, Split-Screens und Wiederholungen der entscheidenden Kameraperspektive soll dem Zuschauer vor dem Bildschirm ein höchstes Maß an Transparenz geboten werden. Im Stadion hingegen muss sich der Zuschauer einzig auf die Gestik des Schiedsrichters und ein Symbol, das auf einer Leinwand eingeblendet wird, verlassen. Auf eine Wiederholung von Spielszenen nach veränderter Entscheidung wird gänzlich verzichtet. Ob hierdurch Tumulte im Stadion bei strittigen Szenen vermieden und Schiedsrichter dadurch geschützt werden sollen, wurde nicht weiter erläutert. Insgesamt war man sich aber der Tatsache bewusst, dass es sich bei der Einführung eines Video Assistenten um eine neue mentale Herausforderung für Schiedsrichter handele. Es ist nicht zu leugnen, dass der Druck eine rechtmäßige Entscheidung zu treffen durch die Unterstützung von technischen Hilfsmitteln erhöht wird. Ein wichtiger Aspekt sei hierbei, laut Sascha Stegemann, das sehr große Vertrauen, das Schiedsrichterkollegen untereinander besitzen.

Videoassist: Zeichengebung

Insgesamt lässt sich festhalten, dass man sich als Fußballfan nun auf den praktischen Einsatz dieser Testphase einlassen muss. Deutschland ist das erste Land, das den Einsatz eines Video Assistenten tatsächlich in der Praxis umsetzt. Auch Frankreich, Portugal und Spanien haben an der Testphase teilgenommen, planen jedoch nicht diese aktiv in der kommenden Spielphase einzusetzen. Bei den Protagonisten war ein gewisser Stolz nicht zu überhören, dass man das erste Land mit einem eigenen Center sei, das den Sport gerechter machen soll. Ob dies tatsächlich so sein wird, wird sich die nächsten Monate zeigen.

Ida, 21.07.2017

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