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Monika Lazar (Grüne): "Wenn der Kapitän der Nationalmannschaft eine Regenbogenbinde in Russland tragen würde, das wäre doch schon mal was"

19.09.2017, 12:16 Uhr von:  Redaktion
Monika Lazar (Grüne): "Wenn der Kapitän der Nationalmannschaft eine Regenbogenbinde in Russland tragen würde, das wäre doch schon mal was"

In Vorbereitung auf die Bundestagswahl 2017 haben wir mit der sportpolitischen Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion Monika Lazar u.a. über den Antidopingkampf, Fußballkultur und die Vergabe von Großturnieren gesprochen.

schwatzgelb: Frau Lazar, vor der Bundestagswahl am kommenden Sonntag möchten wir ein wenig die Sportpolitik der vergangenen vier Jahre analysieren und wollten uns dazu die Arbeit des Sportausschusses näher anschauen. Dann mussten wir aber schnell feststellen, dass es nur wenige öffentliche Sitzungen gibt. Woran liegt das und wie stehen Sie dazu?


Monika Lazar: Dass Ausschusssitzungen nicht-öffentlich stattfinden, ist im parlamentarischen Betrieb durchaus üblich. Allerdings gibt es in der Sportpolitik selten Anlässe, die eine nicht-öffentliche Sitzung unabdingbar machen, zumal der Sportausschuss bis vor einigen Jahren regulär öffentlich getagt hat. Die grünen Mitglieder im Sportausschuss haben seit Beginn der Wahlperiode immer wieder versucht, die Öffentlichkeit im Ausschuss herzustellen. Leider wurde das immer von der Mehrheit der Großen Koalition verhindert, was wir sehr bedauern.

schwatzgelb: Was waren die großen sportpolitischen Themen der vergangenen vier Jahre? Was konnten Sie erreichen, mit welchen Entwicklungen sind Sie unzufrieden?

Monika Lazar: Was uns regelmäßig beschäftigt, sind u.a. die großen Sportveranstaltungen, insbesondere die Planungen von Olympischen und Paralympischen Spielen und Fußballweltmeisterschaften. Die gescheiterte Olympiabewerbung Hamburgs etwa war ein Thema, oder Olympia und die Fußball-WM in Brasilien, besonders weil es hier einige kritische Aspekte gab. Die Menschen- und Bürgerrechtsverletzungen sowie ökologische Skandale haben uns beschäftigt. Und wie sich nun im Nachhinein gezeigt hat, stehen viele der Spielstätten jetzt leer und verfallen. Hier brauchen wir in Zukunft viel nachhaltigere Konzepte.

Was mich persönlich in der ausgehenden Legislaturperiode am meisten gefreut hat, war die Wiederauflage des Dopingopfer-Hilfegesetzes. Durch dieses haben viele Opfer des DDR-Zwangsdopings, die durch den ersten Entschädigungsfond noch nicht entschädigt wurden, nun einen Anspruch auf eine einmalige finanzielle Unterstützung. Dafür haben wir Grüne jahrelang gekämpft und uns von Seiten der Regierungsfraktionen bis vor zwei Jahren noch Einiges an Unverständnis anhören müssen. Letztlich konnte sich die Regierung dann doch zu einer Neuauflage des Gesetzes durchringen. Das freut mich, denn es zeigt sich, dass auch der neue Fond in Anspruch genommen wird. Sogar die Frist zur Antragsstellung wurde gerade noch mal verlängert.

Unzufrieden bin ich immer wieder bei Diskussionen im Sportausschuss oder im Plenum, die Fan-Themen betreffen. Viele meiner KollegInnen, besonders auf Seiten der Union, zeigen hier wenig Sachverstand und Willen zu differenzieren. Zu unserem Fankultur-Antrag gab es eine absurd geführte Debatte im Plenum mit vielen Zwischenrufen. In dem Antrag setzen wir uns u.a. für eine Reform der Datei „Gewalttäter Sport“ ein und wir zeichnen ein differenziertes Bild der Ultra-Bewegung. Da sehen einige Law-and-Order-Politiker der Union natürlich rot und fangen das Poltern gegen die „Chaoten“ an. Da würde ich mir in Zukunft mehr Differenzierung wünschen.

schwatzgelb: Zu den Aufgaben des Sportausschusses gehört auch das Thema der Spitzenförderung, die als ineffektiv und intransparent kritisiert wurde. Wie stehen Sie zu dem Thema und was haben Sie in dieser Hinsicht erreicht?

Monika Lazar: Die Spitzensportreform beschäftigt uns schon seit einiger Zeit. Wir Grüne hätten uns auch gern noch viel früher und intensiver in den Reformprozess eingebracht. Leider wurde der Sportausschuss kaum von Innenministerium und DOSB miteinbezogen. Der Reformprozess fand und findet weitestgehend hinter verschlossenen Türen statt. Das kritisieren wir weiterhin, denn letztlich ist es auch der Sportausschuss, der über den Sport-Etat des Innenministeriums entscheidet.

Wir Grüne kritisieren die Reform auch inhaltlich. Gerade in Zeiten der großen Dopingskandale muss man sich fragen, ob die Medaillenfixierung, die auch das neue Konzept in sich trägt, überhaupt noch zeitgemäß ist. Wir hätten uns eine gesellschaftliche Debatte über den Spitzensport gewünscht: Welchen Sport wollen wir eigentlich fördern? Wie misst man Erfolg, zählen nur Medaillen? Wollen wir uns wirklich mit Nationen vergleichen, die teils massive Doping-Probleme haben? Diese Debatte blieb leider aus.

Was aber durchaus unser Verdienst war: Im überarbeiteten Förderkonzept wurde als grundlegende Förderbedingung mit aufgenommen, dass Verbände Maßnahmen zur Prävention sexualisierter Gewalt und zur Prävention von Korruption und Spielmanipulation umgesetzt haben müssen, um überhaupt als förderwürdig zu gelten. Dafür haben wir uns kontinuierlich eingesetzt und konnten so, auch wenn wir den Reformansatz insgesamt sehr kritisch sehen, wenigstens ein bisschen was in die richtige Richtung bewegen.

schwatzgelb: Warum ist Spitzensport wichtig und förderungswürdig?

Monika Lazar: Die SpitzensportlerInnen repräsentieren Deutschland nicht nur im Ausland, sondern sind häufig auch wichtige Vorbilder für junge Menschen. Sie können dazu beitragen, dass Kinder und Jugendliche im Verein Sport treiben und sich dort ehrenamtlich engagieren. Das ist nicht nur gut für deren Gesundheit, sondern auch für unsere Gesellschaft. In Vereinen wird Integration und Inklusion gelebt, Werte wie Fairplay und Teamgeist werden hier vermittelt. Auch als Vorbilder zur Prävention von Doping oder Rassismus taugen SpitzensportlerInnen hervorragend.

Außerdem denke ich, dass von der Forschung im Hochleistungsbereich früher oder später auch immer der Breitensport profitiert, z.B. wenn es um Trainingsmethodik oder Gesundheits- und Unfallprävention geht.

schwatzgelb: An der Basis beklagen viele Sportvereine seit Jahren Nachwuchsmangel. Was sind Ihrer Meinung nach die Ursachen und auf welche Weise wollen Sie den Breitensport fördern

Monika Lazar: Über die Ursachen kann ich nur spekulieren. Es gibt sicher viel Konkurrenz zum Vereinssport. Ein geändertes Freizeitverhalten, durch Videospiele etwa, mag da ein Grund sein, ein anderer, dass viele Sportarten mittlerweile nicht mehr an Vereinsstrukturen gebunden sind. Damit meine ich die Fitnessstudios, aber auch die ganzen Funsportarten, wie z.B. Skateboarden, die nicht unbedingt die klassischen Vereinsstrukturen benötigen.

Dennoch finde ich es wichtig, die klassischen Vereinsstrukturen besser zu fördern. Im Verein werden Werte vermittelt, hier wird Integration und Inklusion gelebt, im Idealfall gibt es geschulte Ansprechpartner für Präventionsfragen, hier wird ganz grundlegende pädagogische Arbeit geleistet, die Elternhaus und Schule prima ergänzen.

Breitensport fällt grundsätzlich in die Zuständigkeit der Länder. Auf Bundesebene setzen wir uns aber für eine bessere Unterstützung des Ehrenamts ein, zum Beispiel durch die Übernahme von Versicherungen, durch Qualifizierung und zertifizierte Weiterbildungsmöglichkeiten sowie durch verbesserte Freistellungs- und Anerkennungsregeln.

Gleichzeitig wollen wir mehr Geld im Bundeshaushalt für Fortbildungen und Supervision bereitstellen – damit Engagement nicht in Überforderung mündet. Wir wollen mit gezielter Information und Ansprache dafür sorgen, dass Angebote zum freiwilligen Engagement allen gesellschaftlichen Gruppen offenstehen.

Da wo Bürokratie Engagement verhindert, muss sie möglichst reduziert werden. Als Bundestagsfraktion sind wir für eine Entbürokratisierung beim Führungszeugnis eingetreten, ohne dass die hohen Standards beim Schutz von Kindern und Jugendlichen reduziert werden.

Wir setzen uns außerdem für Angleichungsschritte der Ehrenamtspauschale an den Übungsleiterfreibetrag ein. Mit einer Ehrenamtskarte soll eine preisermäßigte Nutzung von öffentlichen Sport-, Kultur- und Freizeiteinrichtungen möglich sein.

schwatzgelb: Ein großes Thema der vergangenen Legislaturperiode war die Verabschiedung des Antidopinggesetzes. Die Grünen haben dagegen gestimmt. Weshalb?

Monika Lazar: Wir hatten beim Antidopinggesetz vor allem rechtspolitische Vorbehalte. Zum Beispiel gehört das Recht auf Selbstschädigung zum Kernbereich des verfassungsrechtlich geschützten Persönlichkeitsrechts. Das Strafrecht ist für uns das falsche Mittel, um Menschen davon abzuhalten, sich selbst "zu schädigen", etwa mit Doping.

Außerdem kritisieren wir am verabschiedeten Gesetz die Stellung der AthletInnen. Selbstverständlich braucht es unangemeldete Kontrollen, dennoch dürfen Sportlerinnen und Sportler aber nicht völlig rechtlos gestellt werden.

schwatzgelb: Welche Maßnahmen müssten Ihrer Meinung nach ergriffen werden, um Doping im Sport zu verhindern?

Monika Lazar: Da muss auf allen Ebenen was getan werden. Das fängt im Fitnessstudio und im Breitensport an. Auch hier sind verbotene und gesundheitsschädliche Substanzen ein großes Problem. Hier muss die Prävention schon ansetzen. Auch in die Schulen und Hochschulen muss man gehen, auch hier wird gedopt, z.B. mit Ritalin bei der Prüfungsvorbereitung. Doping ist so gesehen ein gesamtgesellschaftliches Problem.

Wir brauchen Aufklärung über die Gefahren und die rechtlichen Konsequenzen von Doping in den Vereinen. Wir brauchen die unangekündigten Kontrollen, wie wir sie aktuell im Leistungssportbereich haben.

Aber wir müssen uns auch einer ganz grundsätzlichen Debatte stellen, wie ich es schon bei der Spitzensportreform gesagt habe. Wollen wir diesen verrückten internationalen Wettbewerb weiter mitgehen? Wollen wir wirklich eine Spitzensportförderung, bei der Geld nur fließt, wenn ausreichend Aussicht auf Medaillen besteht? Fördern wir damit nicht ein System, das ganz ungesunde Züge angenommen hat?

schwatzgelb: Wie zufrieden sind Sie mit dem aktuellen Stand im Antidopingkampf und wie kann er intensiviert werden? Wie bewerten Sie die Mitwirkung der Sportverbände?

Monika Lazar: Die Anti-Doping-Organisationen müssen finanziell solide aufgestellt sein und müssen wirklich unabhängig von den Sportverbänden und dem IOC sein. Da ist durchaus noch Luft nach oben. Für die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) haben wir etwa in einem Haushaltsantrag eine höhere finanzielle Förderung vorgeschlagen. Diese wurde leider von der Mehrheit der Großen Koalition abgelehnt.

International braucht es auch klare, nachvollziehbare Regeln. Als der russische Staatsdoping-Skandal vor den Spielen in Rio öffentlich wurde, gab es ja die uneinheitlichen Entscheidungen von IOC und IPC (dem Internationalen Paralympischen Kommitee; Anm. d. Red.) zur Zulassung der russischen AthletInnen. Das muss in Zukunft besser gehandelt werden. Für jeden Akteur im Sportsystem muss klar sein: Wenn ich das und das mache, droht mir die und die Konsequenz.

schwatzgelb: Im Fußball heißt es immer, Doping würde nur wenig bewirken. Wie bewerten Sie den Umgang mit Doping im Fußball? Sehen Sie eher Vereine oder Verbände in der Pflicht?

Monika Lazar: Wie man so liest, ist der Umgang mit Doping im Fußball noch relativ lax im Vergleich zu anderen Sportarten. Ich denke, da sind alle Akteure gefragt, besonders Verbände und Vereine, um auch hier den Anti-Doping-Kampf zu stärken. Das wäre sicher auch ein gutes Thema für den Sportausschuss kommende Wahlperiode: Anti-Doping-Maßnahmen im (deutschen) Fußball. Falls ich nach den Bundestagswahlen wieder im Sportausschuss sein sollte, werde ich das meinen KollegInnen mal vorschlagen.

schwatzgelb: Vor kurzem erregte die einvernehmliche Trennung der ARD von Mehmet Scholl Aufsehen, nachdem sich Scholl zuvor geweigert hatte, über Doping im russischen Fußball zu reden. Welchen Anspruch haben Sie an die Sportberichterstattung der öffentlich-rechtlichen Sender und wie zufrieden sind Sie mit deren Sportberichterstattung?

Monika Lazar: Ich wünsche mir eine Sportberichterstattung, besonders auch bei den Öffentlich-Rechtlichen, die mehr als nur die sportlichen Ergebnisse zeigt. Zu oft habe ich den Eindruck, dass SportjournalistInnen Fans sind, die es auf die andere Seite des Zauns geschafft haben. Hier fehlt oft eine kritische Distanz.

Es gibt natürlich auch positive Gegenbeispiele. „Sport inside“ im WDR ist immer sehr informativ und die ARD-Dopingredaktion leistet herausragende Arbeit. Die Recherchen von Hajo Seppelt haben ja den russischen Staatsdopingskandal mitaufgedeckt. Wir nutzen solche Recherchen dann natürlich auch für unsere politische Arbeit. Hajo Seppelt war dann dieses Jahr auch als Sachverständiger bei der öffentlichen Anhörung im Sportausschuss zum McLaren-Bericht (dem Bericht der WADA zum Doping in Russland; Anm. d. Red.) eingeladen. Genau solche journalistische Arbeit brauchen wir noch mehr.

Vielleicht kann man es ja bei den Öffentlich-Rechtlichen ja auch als Chance begreifen, wenn man beim Poker um Übertragungsrechte von Sportgroßveranstaltungen gegen private Konkurrenten verliert. Das frei werdende Geld könnte man ja in die investigative Sportberichterstattung stecken.

schwatzgelb: Aktuell dreht sich im Fußball viel um den Konflikt der Fans mit dem DFB. In der Kritik stehen u. a. Fragen der Sportsgerichtsbarkeit und der Kommerzialisierung. Wie bewerten Sie den Einsatz von Kollektivstrafen wie die Sperrung ganzer Tribünen für Vergehen einer weit kleineren Gruppe?

Monika Lazar: Kollektivstrafen lehne ich entschieden ab. In unserem Bundestagswahlprogramm sprechen wir uns auch klar gegen diese aus. Rechtstaatlich sind Kollektivstrafen mehr als fragwürdig, denn sie treffen immer eine Mehrheit an unschuldigen Fans, die für die Vergehen einer meist kleinen Minderheit einfach mitbestraft werden. Wenn man Pech hat, sind sie sogar kontraproduktiv. Denn die unschuldigen, aber z.B. von einer Blocksperre betroffenen Fans solidarisieren sich unter Umständen dann mit den Gewalttätern.

Von daher fand ich auch den Vorstoß des DFB gut, vorerst auf Kollektivstrafen zu verzichten und wieder in einen Dialog mit der aktiven Fanszene zu treten. Gesprächsbedarf gibt es ja zu Hauf: neben den Kollektivstrafen auch 50+1, die ausufernde Kommerzialisierung, die chinesische U20, die fanunfreundlichen Anstoßzeiten usw. Ich hoffe nur, dass dieses Dialogangebot vom DFB ernst gemeint war und nun ein ergebnisoffener Dialog auf Augenhöhe und mit allen relevanten Akteuren geführt wird und dass auch alle Parteien dieses Gesprächsangebot annehmen.

schwatzgelb: Die Grünen haben im Bundestag eine Reform der Datei Gewalttäter Sport gefordert und kritisiert, dass Einträge in vielen Fällen nicht aufgrund nachgewiesener Vergehen erfolgen. Welche Reformen halten Sie konkret für notwendig?

Monika Lazar: Da gibt es Einiges zu tun. Zunächst mal müssen alle Personen, die ungerechtfertigter Weise, etwa nach einem Freispruch, dort gespeichert sind, sofort aus der Datei gelöscht werden. Außerdem darf es einfach nicht sein, dass man teilweise in dieser Datei landet, nur weil man mal in eine Personalienfeststellung beim Fußball geraten ist. Das kann ja wirklichen jeden treffen, der zum Fußball geht. Und bei Ein- und Ausreise kann ein solcher Dateieintrag ja ganz unangenehme Konsequenzen haben. Dann sind wir für eine Benachrichtigungspflicht. Denn nur wer weiß, dass er irgendwo gespeichert ist, kann auch dagegen vorgehen und Widerspruch einlegen. Außerdem könnte eine Benachrichtigung auch einen pädagogischen Effekt haben, eine Art Warnschuss für Personen, die beim Fußball auffällig geworden sind und jetzt wissen, dass sie sich in Zukunft zusammenreißen müssen. Außerdem wollen wir auch die Löschungsfristen reduzieren, die wir aktuell als zu lang ansehen.

schwatzgelb: Der DFB steht nicht nur bei den Fans in der Kritik, auch die Affäre rund um die Vergabe der Weltmeisterschaft 2006, die möglicherweise mit Stimmenkauf realisiert wurde, belastet das Image des DFB. Ist die WM 2006 für Sie trotz der Enthüllungen rund um die WM-Vergabe noch ein Sommermärchen?

Monika Lazar: Ich persönlich bin kein Fan des damals zelebrierten Party-Patriotismus, der Fanmeilen und der abgepackten Wurst, designt zur Weltmeisterschaft. Für viele war die WM 2006 aber jenes viel beschworene Sommermärchen. Deswegen ist es sehr schade, dass dieses nun im Nachhinein getrübt wird und durch die Korruptionsvorwürfe, egal wie die Verfahren ausgehen, für immer ein „Geschmäckle“ an der Sommermärchen-Erzählung haften bleiben wird.

Diese Vorwürfe müssen natürlich vollumfänglich aufgeklärt werden und gegebenenfalls müssen auch politische Konsequenzen gezogen werden. Auf Initiative von uns Grünen wurde das Thema mehrfach im Sportausschuss diskutiert. Das hat manchmal Einiges an Überzeugungsarbeit bei den anderen Parteien gekostet. Und leider haben wir auch nicht immer alle Gäste bekommen, die wir zu dem Thema gerne gehört hätten.

schwatzgelb: Wie zufrieden sind Sie mit der Aufklärungsarbeit des DFB?

Monika Lazar: Nun ja, so ganz zufrieden bin ich da nicht. Zwar war es sicherlich gut, dass der DFB auch selbst ein Stück weit zur Aufklärung beigetragen hat, indem er die Kanzlei Freshfields für eine Untersuchung engagiert hat. Auch ein paar Reformen hat der DFB ja angestoßen. Aber ich frage mich dann schon, wie sich der DFB dann anderseits erdreisten kann, eine Einladung in den Sportausschuss zum Thema in einem relativ schnippischen Ton abzusagen und erst auf öffentlichen Druck hin doch zu kommen.

Mit der parlamentarischen Aufarbeitung sind wir bisher leider noch nicht so weit gekommen, wie wir gehofft hatten. Jetzt müssen wir erstmal die Ermittlungsergebnisse der Staatsanwaltschaften, denen ja ganz andere Mittel zur Verfügung stehen als uns Abgeordneten, abwarten und dann kann die politische Diskussion und Aufarbeitung weitergehen.

schwatzgelb: Der Deutsche Fußball-Bund bewirbt sich aussichtsreich um die Europameisterschaft 2024, was vermutlich wieder mit hohen Kosten für die Steuerzahler verbunden sein wird. Wie ist dies angesichts des Millionengeschäfts Fußball noch zu rechtfertigen?

Monika Lazar: Für mich ist klar, dass, falls Deutschland erfolgreich im Bewerbungsverfahren ist, es keine Steuerbefreiung für die UEFA geben darf. Wer Geschäfte in Deutschland macht, der soll auch Steuern in Deutschland zahlen, so einfach ist das.

Wenn das der Fall ist, die Sommermärchen-Affäre bis dahin vollumfänglich aufgeklärt ist und der gesamte Vorbereitungsprozess wirklich transparent und partizipativ gestaltet wird, kann ich mir die EM 2024 in Deutschland durchaus vorstellen. Schöne Stadien und eine vielfältige Fußballkultur haben wir ja durchaus zu bieten.

schwatzgelb: Schauen wir in die kommende Legislaturperiode. Was werden Ihrer Meinung nach die großen sportpolitischen Themen sein?

Monika Lazar: Die Spitzensportreform von BMI (dem Innenministerium; Anm. d. Red.) und DOSB wird uns auch die nächsten Jahre noch beschäftigen. Hier geht es ja drunter und drüber. Alle paar Wochen verwerfen sich BMI und DOSB und finden sich dann wieder zusammen. Es hat etwas von einer Seifenoper. Diese wird durch die ganzen Verzögerungen und Unsicherheiten leider aber auf dem Rücken der AthletInnen und TrainerInnen ausgetragen.

Dann stehen natürlich die Fußballweltmeisterschaften in Russland und Katar an. Bezüglich der Menschenrechtslage gibt es da ja in beiden Ländern massive Vorwürfe, etwa im Zusammenhang mit Zwangsarbeit auf WM-Baustellen. Das werden wir natürlich auch parlamentarisch begleiten.

Auch die Dopingvergangenheit sowohl in Ost- als auch in Westdeutschland wird uns sicher weiter beschäftigen. Dass es in Ostdeutschland staatlich angeordnetes Zwangsdoping gab, ist ja mittlerweile unumstritten. Mit den beiden Dopingopfer-Hilfegesetzen hat die Politik auch ein Zeichen der Anerkennung an die Opfer des Systems gesendet. Aber auch im Westen gab es systematisches Doping: Stichwort Universität Freiburg. Hier ist noch Einiges an Aufarbeitung zu leisten und vor allem kritisch zu beleuchten, inwieweit und bis zu welcher Ebene auch im Westen staatliche Institutionen in dieses Doping-System verstrickt waren.

schwatzgelb: In Nordrhein-Westfalen wird über eine Bewerbung um die Olympischen Sommerspiele diskutiert. Halten Sie eine solche Bewerbung für zeitgemäß, solange der IOC sich in Bezug auf die Transparenz von Vergabeverfahren, den Kampf gegen Korruption und einen nachhaltigen Antidopingkampf nicht reformiert?

Monika Lazar: Zunächst einmal muss man ja sehen, dass die letzten beiden deutschen Olympiabewerbungen in München und Hamburg am Widerstand der Bevölkerung gescheitert sind. Auch deswegen ist ja selbst der DOSB recht zurückhaltend, was eine erneute Olympia-Bewerbung angeht.

Mittel- bis langfristig müssen wir uns natürlich schon überlegen, wo wir solche Sportgroßereignisse haben wollen. Die Tendenz zu autoritären Staaten als Austragungsorte ist ja in den letzten Jahren zu beobachten, das kann auf Dauer nicht die Lösung sein. Damit will ich gar nicht sagen, dass wir in Deutschland alles besser machen. Die Sommermärchen-Affäre etwa hat ja gezeigt, dass auch bei uns einiges im Argen liegt. Aber in Europa hätten wir zumindest schon mal einige Grundvoraussetzungen für faire olympische und paralympische Spiele erfüllt.

Falls das Thema Olympia an Rhein und Ruhr also keine Eintagsfliege bleiben sollte, müssen wir vorher ganz klare Bedingungen aufstellen, die unbedingt eingehalten werden müssen: Planung und Kosten müssen transparent sein, ein Nachhaltigkeitskonzept, das seinen Namen verdient, muss vorliegen, Umweltbehörden und lokale Interessengruppen müssen miteinbezogen werden, menschen- und bürgerrechtliche Standards müssen eingehalten und überwacht werden und die involvierten Sportverbände und -funktionärInnen dürfen nicht korruptionsbelastet sein. Und besonders wichtig: Die Bevölkerung muss dem ganzen Projekt natürlich zustimmen!

schwatzgelb: Im kommenden Jahr findet die Fußballweltmeisterschaft in Russland statt. Die russische Regierung steht u. a. wegen Menschenrechtsverletzungen und dem Ukraine-Konflikt in der Kritik. Wie wollen Sie mit dieser Problematik umgehen?

Monika Lazar: Das ist sehr schwierig. Bei Boykott-Forderungen bin ich immer sehr skeptisch. Ich bin der Meinung, politische Konflikte sollten nicht im Sport ausgetragen werden. Das hatten wir im Kalten Krieg schon mal und das hat keinem was gebracht.

Das heißt aber bei Weitem nicht, das man unkritisch gegenüber Putin und Co bleiben soll. Auch im Fußballkontext kann man ja Position beziehen. Politische Gäste können sich ja auch mit Oppositionellen im Rahmen der WM treffen. Wünschenswert wäre es natürlich auch, wenn sich die Sportler und Verbände zur Menschenrechtssituation äußern würden. Das birgt für sie kaum Gefahren, hat aber einen großen Medien-Effekt.

Auch der DFB und die Nationalspieler können Zeichen setzen: das kann etwas ganz Kleines sein. Wenn der Kapitän der Nationalmannschaft eine Regenbogenbinde in Russland tragen würde, das wäre doch schon mal was, oder wenn das ganze Team Regenbogen-Schnürsenkel trägt.

schwatzgelb: Was raten Sie homosexuellen Fans, die zu den Fußballweltmeisterschaften in Russland oder Katar fahren möchten?

Monika Lazar: Dass man sich über so eine Frage Gedanken machen muss, ist traurig. Fußball ist alles und auch homosexuell. In den LGBTI-feindlichen Ländern Russland und besonders auch Katar müssen sich nicht-heterosexuelle Menschen aber sicher vorher gut informieren.

Ich denke, man sollte auf die Reisehinweise des Auswärtigen Amtes achten. Als Ansprechpartner vor Ort sind die Fanbotschaften der Koordinationsstelle der Fanprojekte (KOS) sehr kompetent. Auch Netzwerke wie Football Against Racism in Europe (FARE) und die Football Supporters Europe (FSE) können sicher weiterhelfen.

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