Spielbericht Profis

Junges Ensemble trotzt weißem Ballett

28.09.2016, 19:51 Uhr von:  Redaktion

Einem mäßigem Intro folgte eine mäßige Stimmung auf der Südtribüne„Es ist der vielleicht größte Name im Weltfußball“. Und damit hatte Thomas Tuchel vielleicht auch nicht ganz so unrecht. Auf der PK vor dem ersten CL-Heimspiel der neuen Saison auf der hellsten und größten Fußballbühne Europas, merkte man dem Cheftrainer der Borussia die fast schon kindliche Vorfreude und die noch gebündelte Euphorie förmlich an, die der Name „Real Madrid“ nach wie vor in allen Ecken der Welt heutzutage entfacht. Wo immer das „weiße Ballett“ auch hinreist, es ist für den Kontrahenten mit ziemlich großer Sicherheit das bisherige Spiel des Jahres. Nicht anders ist wohl auch die Gemütslage einer ganzen Stadt zu beschreiben, dessen Verein sich zugegebenermaßen noch in der frühesten Phase einer lange Spielzeit befindet, jedoch über ein Jahr nach der mit Pathos gefüllten Hymne „der Allerbesten“ lechzen musste, und diese an einem eigentlich gewöhnlichen Dienstagabend nun endlich wieder erklingen hören durfte. Nach ziemlich genau 559 Tagen sollte es wieder so weit sein.

Ob die große Robert - Lewandowski - Show oder das unfassbar emotionale Siegtor durch Marcel Schmelzer — für die königlichen Madrilenen sind die letzten Reisen in den schwarzgelben Pott eher mit negativen Erinnerungen verbunden. Die letzten drei Partien im Tempel gingen allesamt mit einem Torverhältnis von 2:8 verloren. Und die mächtige „muro amarillo“ sollte an diesem glorreichen Fußballabend dabei helfen, dass die spanischen Hauptstädter im besten Fall auch im vierten Versuch nacheinander auf heiligem Dortmunder Boden sieglos blieben.

Taktik & Personal

Ginter und Sokratis bildeten erneut die InnenverteidigungBitter, aber wenig überraschend suchte man den katalanischen Verteidiger Marc Bartra in der ersten Elf bei dem wohl gerade für ihn so besonderen Spiel. An seiner Stelle in der Innenverteidigung bekam Ginter das Vertrauen geschenkt. Bürki, Sokratis, Schmelzer und Piszczek sollten des weiteren dafür sorgen, dass die spanische Offensivmaschinerie um „BBC“ (Bale, Benzema, Cristiano) nicht ins Rollen kommt. Als defensive Absicherung vor der Abwehrkette durfte wie gewöhnlich Jule Weigl ran. Der in den letzten Wochen absolut überragend aufspielende portugiesische Neuzugang Rapha Guerreiro durfte ebenso wie Castro eine Reihe weiter vorne im Mittelfeld fungieren, Götze und Dembele komplettierten die offensive Kette hinter der Spitze. Die unangefochtene schwarzgelbe Lebensversicherung „Auba“ wurde, zum Glück, rechtzeitig wieder fit und agierte in vorderster Front.

Bei Real Madrid nimmt Legende (und Trainer) Zidane im Vergleich zum letzten Ligaspiel gegen Las Palmas vier Änderungen vor. Im Tor darf Stammkraft Navas wieder ran, im Abwehrverbund startet Danilo anstelle von Nacho. Die Innenverteidigung bilden erneut Kapitän Ramos und der französische Youngster Varane. Das Mittelfeld und die Offensive verkörpern dann (ebenfalls) ausnahmslose Weltklasse: Modric, Kroos und James, machen es sich hinter Bale, Benzema und, natürlich, Cristiano Ronaldo gemütlich. Was sich anhört wie eine selbsterstellte Traumelf beim Fußballmanager, war einfach nur die erste Elf der Königlichen. Kann man mal so machen. Auf der Bank sollte man unter anderem so unbekannte Namen wie Morata, Pepe und Isco vorfinden. Wer kann der kann.

Erste Hälfte

Mario Götze stand wieder in der StartelfDie Anspannung übertrug sich in einer Wechselwirkung förmlich vom Rasen und den Spielern auf die Zuschauer im Stadionrund, und genauso wieder zurück. Diese Symbiose sorgte vom Anpfiff weg für eine nur selten erlebte Atmosphäre. Die schon im Vorfeld emotional aufgeladene Begegnung begann standesgemäß mit einem gellenden Pfeifkonzert bei Ballbesitz für Real. Spielerisch hätte die erste Aktion des Spiels für den BVB deutlich günstige ausfallen können, handelte man sich doch schon nach knappen zwei Minuten nach einem Handspiel den ersten Freistoß aus gefährlicher Position ein. Die Ausführung von Standardsituationen solcher Art sind bei der Mannschaft von Zinedine Zidane nicht diskutierter und werden selbstverständlich vom Gipfelgeschöpf der männlichen Evolution, von der fleischgewordenen Reinkarnation von Zeus, Adonis und ein bisschen Gott ausgeführt. Kurzum: Der solide getretene Freistoß von Ronaldo wurde von Bürki gewohnt stark und souverän pariert.

Der BVB brauchte jedoch nicht besonders lange, um sich von der ersten „Schrecksekunde“ zu erholen. Fast im direkten Gegenzug wurde Götze von Modric in ähnlich gefährlicher Position zu Fall gebracht. Dass die Madrilenen einen ebenfalls form - und auch sonst starken Torhüter ihr Eigen nennen dürfen, ist nicht erst seit der endgültigen Degradierung von Legende Iker Casillas bekannt. Den von Castro stark getretenen Freistoß, konnte Keylor Navas mindestens gleichwertig gut wie unser Schweizer mit der #38 zuvor abwehren.

Guerreiro und Kroos im ZweikampfIm Offensivspiel der Madrilenen ließ sich zumindest zu Beginn die wohl angestrebte Taktik ansatzweise erkennen: Außenverteidiger Danilo schaltete sich immer wieder über links in die Angriffe mit ein. Im Defensivverhalten schienen die Königlichen ebenfalls ein taktisches Mittel gegen das Dortmunder Aufbauspiel gefunden zu haben: Bei Ballbesitz des BVB und in der ersten Phase des Spielaufbaus, nahm James Jule Weigl fast in Manndeckung und rückte ihm über weite Phasen des ersten Spielabschnitts nicht von der Pelle.

Dass Fußball ein manchmal komischer und frustrierender Sport sein kann, zeigte dann die 17. Spielminute der Partie auf „wunderbare“ Art und Weise. Der BVB, bis zu diesem Zeitpunkt die deutlich aktivere, bessere und gefährlichere Mannschaft, kassierte mitten in die eigene Drangphase ein äußerst unglückliches Gegentor. Das 1:0 durch (wen sonst?) Ronaldo wurde „begünstigt“ und eingeleitet von einem zuvor im Angriff leichtfertig verschenkten Ball im gegnerischen Strafraum.

Die Borussia wirkte nach dem Rückstand zwar nicht geschockt, musste sich aber jedoch trotzdem kurz schütteln und den offensiven Anschluss wieder finden. Vor allem Dembele zeigte über die gesamte erste Hälfte ein Spiel voller Licht und Schatten. Gute Antritte und Abschlüsse, wechselten sich mit festgefahrenen Dribblings und übersehenen freien Mitspielern ab. Für einen so jungen und noch unerfahrenen Akteur war dieser Abend eine sicherlich lehrreiche Erfahrung.

Aubameyang und Ginter bejubeln den AusgleichAuf Seiten der Madrilenen ragte im ersten Spielabschnitt vor allem der junge französische Verteidiger Raphael Varane raus. Was der Verteidiger vor allem in den direkten Duellen mit Aubameyang abriss und leistete, war überaus bemerkenswert und verdient ein an dieser Stelle außerordentliches Lob. Doch in der 43. Minute konnte dann auch er nichts am verdienten Dortmunder Ausgleich ändern. Nach einem Freistoß von Guerreiro, wehrte Keylor Navas den Ball äußerst unglücklich zum eigenen Mitspieler ab, der Ball fiel Auba vor die Füße und musste nur noch reingestolpert werden. Der verdiente und zu diesem Zeitpunkt vor der Halbzeit vor allem psychologisch wichtige Ausgleichstreffer, war das absolut logische Resultat des bisherigen Spielverlaufs. Den ersten Spielabschnitt beendete Ronaldo anschließend mit einem klaren Abseitstor.

Zweite Hälfte

Der erste Schreck der zweiten Halbzeit ließ nicht allzu lange auf sich warten. Nach einem Zweikampf sank Ginter zu Boden, humpelte vom Platz und musste am Spielfeldrand behandelt werden. Vom leicht mitgenommenen Gesicht von Thomas Tuchel konnte man die Gedanken förmlich ablesen. Auf der Bank suchte man beim BVB nämlich vergeblich nach einer echten Alternative für die Position des Innenverteidigers. So machte sich Felix Passlack äußerst zügig und aktiv warm, am Ende konnte Matze jedoch weiter - und sogar durchspielen.

Ginter gegen VaraneDie ersten fünf Minuten nach Wiederanpfiff gestalteten die Borussen noch solide, kreierten zwei gute Chancen und waren durch den Treffer kurz vor der Halbzeit scheinbar wiedererstarkt. In Minute 55 musste Götze für seinen ziemlich besten Freund Schürrle den Platz verlassen, und einhergehend damit erlebte das Spiel der Borussia einen seltsamen Knick. Die Pässe wurden ungenauer, die Bewegungen und die Besetzungen in den richtigen Räumen unentschlossener und langsamer.

Die Madrilenen übernahmen für gut und gerne 25 Minuten das Spiel, ließen Ball und Gegner gut laufen und kontrollierten das Spiel im gegnerischen Stadion. Die Offensivbemühungen des BVB verlaufen gerade in dieser Phase auffällig oft im Sande, da das schnelle Umschaltspiel so gut wie gar nicht funktioniert und durch viele Unzulänglichkeiten in der Präzision stagniert. Diese Unsicherheiten, wusste ein Team von Weltklasse - Format wie Real Madrid früher oder später natürlich zu nutzen, und so kam es dann auch wie es kommen musste. Nach einer kurz ausgeführten Ecke brachte Cristiano den Ball mit einer scharfen Flanke an den langen Pfosten, der völlig freie Benzema scheiterte noch aus spitzem Winkel an Pfosten und Latte gleichzeitig, bevor der Ball schließlich Varane vor die Füße fiel und sich Sekunden später im Netz wieder sah. Die 2:1 - Führung des Titelverteidigers war zu diesem Zeitpunkt der Partie nicht unverdient.

Die Eckfahne musste nach dem 2-2 dran glaubenDoch für Schwarz-Gelb gab es keinerlei Grund den Kopf in den Sand zu stecken. Mit der Einwechslung des US-Boys Pulisic eine knappe Viertelstunde vor Schluss, entfacht die Borussia wieder ihre offensive Power und fing damit an auf den verdienten Ausgleich zu drücken. Chancen von Schürrle und Pulisic leiteten eine etwas hektische und hitzige Schlussphase ein, in der die Dortmunder nun klar überlegen waren und Real sich bei dem glänzend aufgelegten Navas bedanken konnte, der sich mit einigen formidablen Paraden auszeichnen konnte.

Was dann im Anschluss und wenige Minuten vor dem Schlusspfiff passierte, ist wohl einer der Hauptbeweggründe, wieso man als Team jedes Jahr alles daran setzten sollte die Königsklasse zu erreichen. Der Treffer von Andre Schürrle zum 2:2 und zum damit absolut verdienten Ausgleich, ließ das Stadion in seinen Grundfesten erbeben. Gänsehaut-Stimmung gepaart mit purer Ekstase, ergab die für diesen Abend fast perfekte abschließende Symbiose. Nach einem überragenden Antritt von Pulisic, verpasste Aubameyang dessen Hereingabe mit einem verunglückten Fallrückzieher, und Schürrle hämmerte den Ball mit voller Überzeugung unter die Latte. Die Schlussoffensive brachte leider nichts mehr ein, so dass sich die Schwarz-Gelben am Ende mit nur einem Punkt „begnügen“ mussten.

So lieferte schlussendlich auch dieser glorreiche Abend des internationalen Spitzenfußballs mal wieder den ohnehin nicht wirklich notwendig zu erbringenden, aber den erneuten Beweis: Dortmund und Champions League — das gehört einfach zusammen!

Fazit

Meist zufriedene Gesichter nach AbpfiffEin hochklassiges, emotionales und am Ende für den BVB äußerst verdientes Unentschieden. Für die junge Dortmunder Mannschaft war die Partie gegen den aktuellen Titelverteidiger eine Prüfung auf allerhöchstem Niveau, die letztlich auf souveräne Art und Weise gemeistert wurde. Bis auf eine Phase von ca. 25 Minuten in der zweiten Halbzeit, in der die Borussia nicht zu ihrem Spiel fand und ungewöhnlich viele Abspiel - und Konzentrationsfehler aufwies, war Schwarz-Gelb über die restliche Spielzeit ein mindestens ebenbürtiger Gegner. Mit den Einwechslungen von Pulisic und Schürrle, bewies Cheftrainer Tuchel den richtigen Riecher für die am Ende entscheidenden Impulse für das teils nicht zwingende Offensivspiel des BVB. Der späte Ausgleich ließ das Westfalenstadion erbeben, und ein Hauch von Malaga wehte durch den Tempel. Am Ende blieb das kleine „Wunder“ jedoch aus, und der nach zweimaligem Rückstand hochverdient erkämpfte Punkt blieb an diesem Abend in Dortmund. Damit bleibt Real Madrid immer noch ohne Sieg in Dortmund.

Besonders hervorzuheben muss man zu aller letzte aber noch einen Mann: Julian Weigl. Was dieser erst 21-jährige Typ in seinem ersten CL-Heimspiel gegen solch einen Gegner für eine Ruhe, Gelassenheit und Souveränität an den Tag legte, ist absolut herausragend. Spielte starke 100 Pässe, und verbuchte erst in Minute 51 seinen ersten Fehlpass. Dirigierte und organisierte im Mittelfeld das Spiel, bestimmte das Tempo und hatte die meisten Ballbehauptungen (elf). Chapeau für solch eine Leistung, Jule!

Statistik

BVB: Bürki - Piszczek, Sokratis, Ginter, Schmelzer - Weigl - Castro, Guerreiro (77.), Götze (58. Schürrle), Dembele (73. Pulisic) - Aubameyang

Real Madrid: Navas - Carvajal, Ramos, Varane, Danilo - Modric, Kroos, James (69. Kovacic) - Bale, Benzema (90. Morata), Ronaldo

Emre Mor sorgte für viel betrieb nach seiner EinwechselungSchiedsrichter: Mark Clattenburg
Assistenten: Simon Bennett, Jake Collin
Torrichter: Lee Mason, Andre Marriner
Vierter Offizieller: Harry Lennard

Tore: 0:1, Ronaldo (17.), 1:1, Aubameyang (43.), 1:2, Varane (68.), 2:2, Schürrle (87.)

Zuschauer: 65.849 (ausverkauft)

Karten: Schmelzer, Weigl, Guerreiro, Aubameyang - Ramos

Torschüsse: 20:13

Ecken: 6:6

Ballbesitz: 60 : 40 %

Stimmen zum Spiel

Thomas Tuchel:

Thomas Tuchel konnte sich mit der Punkteteilung anfreunden„Wir haben eine sehr gute erste Halbzeit gespielt. Es gab viele gute Situationen rund um den 16er. In der zweiten Halbzeit haben wir nach fünf Minuten den Zugriff verloren. Es hat sich lange so angefühlt, als könnten wir das Spiel nicht mehr drehen. Wir haben nach den beiden Chancen plötzlich den Mut verloren, die Positionen nicht mehr gut gefunden und hatten viele Ballverluste. Wir sind mit dem 2:2 nicht 100 Prozent zufrieden, aber wir sind auch weit davon entfernt, dass Ergebnis nicht wertschätzen zu können. Es fühlt sich gut an, nach zweimaligem Rückstand nicht verloren zu haben. Aber wir haben das Gefühl, dass wir es noch besser können“.

Zinedine Zidane:

„Nach der Führung ist es kein gutes Gefühl, wenn man drei Minuten vor dem Ende noch den Ausgleich kassiert, Dortmund hat am Anfang viel Druck gemacht. Wir sind aber frustriert, weil wir ein ganz gutes Spiel gemacht haben. Das schwierige ist, den Spielern klar zu machen, dass sie ein besseres Ergebnis verdient gehabt hätten. Aber sie sind intelligent, und wir werden uns erholen und für das nächste Spiel vorbereiten.“

28.09.2016, Boris Davidovski

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