Spielbericht Profis

Fußball in Darmstadt muss man wohl lieben…

03.03.2016, 16:15 Uhr von:  Redaktion

Der Gästeblock am Böllenfalltor tobteGroß war die Freude über den wohl interessantesten Aufsteiger der Saison – und sie war es vollkommen zu Recht: Ein komplett verbautes Stadion, das wohl schon am Tag seiner Eröffnung alt aussah. Ein Trainer, der keine Entschuldigungen sucht und unaufgeregt seiner Arbeit nachgeht. Spieler, die all ihr Können auf den Platz bringen und leidenschaftlich Fußball spielen. Pommesbuden mit Schwenkgrill und Bierstände mit Feldblick, die in ihrer Anordnung geradezu Festivalstimmung verbreiten. Ein Gästeblock, den man erst nach einem kleinen Gewaltmarsch über unbeleuchtete Trampelpfade rund um Wald und Universität erreichen, ohne Anleitung aber kaum finden kann. Ordner, die am Gästeeingang so richtig fest in den Schritt packen und jegliche Vorsorgeuntersuchung obsolet machen, da sie selbst winzige Knötchen mit Sicherheit finden würden. Das Auswärtsspiel in Darmstadt war nichts für schwache Nerven, aber ein Highlight für alle Liebhaber – schon lange ging es in der Bundesliga nicht mehr so authentisch zu.

Typisch Böllenfalltor: Viele Stehplätze und FlutlichtmastenWir befinden uns im Stadion am Böllenfalltor in Darmstadt. Schon der Name klingt nach purer Erotik, sodass nicht einmal der Sponsor als Präfix besonders viel kaputtmachen könnte. Wir betreten das Stadion zum Medieneingang, schlängeln uns durch zwischen VIP-Anbau, Toilettenwagen sowie allerlei Fressbuden und Glutamatpalästen, deren Gerüche in jede offene Pore der Kleidung einziehen. Irgendwo geht es eine Treppe rauf, dann wieder eine Treppe nach ganz unten in den Keller.

Links der Weg in die Mixed Zone, die nach dem Spiel heillos überfüllt sein sollte, direkt daneben ein Tischkicker. Vorbei an Schiedsrichterkabine und Sportamt geht es zur Herrentoilette, die den originalen Charme der 1990-er Jahre versprüht. Rechts geht es vorbei an der Gästekabine in den Medienarbeitsraum, in dem später auch die Pressekonferenz stattfinden sollte. Giftgrüner Linoleumboden, hinten eine Theke, dazwischen einige Stühle mit Klapptischen. Der Trainertisch ist in einer Wandnische eingelassen, irgendwas zwischen zwei und drei Metern breit, und könnte augenscheinlich seiner Schnitzereien gut und gerne mal in einer Schule gestanden haben. An den Wänden hängen Bilder vergangener Tage – blutverschmierte Spieler, Spieler mit Gesichtsmaske, Cheftrainer Dirk Schuster beim Frankfurt Marathon. Und weil das Motto „form follows function“ gerade hier gelten muss, fehlt selbstverständlich nicht der Mauszeiger im Gesicht des Maskierten. Man konnte greifen, fühlen, spüren, wie die Spieler des SV Darmstadt hier den Aufstieg in die Bundesliga gefeiert hatten.

Feierte Bundesligadebüt: Felix PasslackAuf dem Weg zum Sitzplatz muss ich mich erst einmal umsehen. Auf solchen Stühlen hatte ich zuletzt in der Schule gesessen, irgendwann in den 1990-er Jahren, und sie hatten sich schon damals als ziemlich zweckmäßig erwiesen. Ein schöner Blick auf den prall gefüllten Gästeblock, stehende Menschen auf der Treppe direkt neben dem eigenen Platz, einige Meter weiter die ortsansässigen Ultras. Es war wie ein Ausflug in alte Zeiten, denen viele Fußballfans in den Glas- und Betonpalästen bis heute nachtrauern. Zugegeben: Für den modernen BVB-Profi, der alle zwei Tage vom Flugzeug ins Hotel und wieder zurück ins Flugzeug stiefelt, mag das ebenso wie der ramponierte Rasen kein Zuckerschlecken und alles andere als erstrebenswert sein. Doch aus Sicht eines Fans ist vollkommen klar: Die Bundesliga braucht mehr Darmstadt und weniger Hoffenheim, denn solche Vereine sind das Salz in der Suppe. In diesem Sinn: Viel Glück und Erfolg auf dem Weg zum Klassenerhalt, wir kommen gerne wieder! Idealerweise bei 25° und Biergartenwetter…

Kommen wir zum sportlichen Teil. Gegenüber dem Heimspiel gegen Hoffenheim hatte Thomas Tuchel auf acht Positionen rotiert, sodass eine direkte Gegenüberstellung nun wirklich gar keinen Sinn mehr ergibt. Interessant waren daher vor allem die Personalien Roman Bürki, der schwer erkältet zuhause geblieben war, Marco Reus und Lukasz Piszczek, die trotz Einsatzbereitschaft kleinere Wehwehchen hatten und deshalb eine Regenerationspause bekamen, und Felix Passlack, der sein Bundesligadebüt in der Startelf feiern durfte. Ansonsten nähert sich Tuchel mit beinahe furchteinflößender Geschwindigkeit seinem viel beschworenen Mantra einer Mannschaft, die losgelöst von Namen und Positionen dazu bereit sein müsse, in jedweder Konstellation guten Fußball zu spielen.

Darmstadt hielt lange gut dagegenMit 75 Prozent Ballbesitz ging es für den BVB dann auch in die ersten 25 Minuten, doch hielt Darmstadt mit 59 Prozent gewonnener Zweikämpfe gut dagegen. Schiedsrichter Manuel Gräfe ließ viele Szenen laufen und damit theoretisch Spielfluss zu, der praktisch angesichts der engen Formation der Hausherren und des wirklich üblen Rasens nicht wirklich gelingen wollte. So fehlten dem BVB lange Zeit das passende Rezept und die nötige Bissigkeit, um sich gefährlich vor das Darmstädter Tor zu bewegen. Wenn es denn einmal gelang, waren es meist Standards oder Einzelaktionen, bei denen im letzten Moment jedoch die Genauigkeit fehlte (5. Minute: Freistoß Ilkay Gündogan, Neven Subotic im Nachschuss glücklos / 8. Minute: Konter Pierre-Emerick Aubameyang scheitert an schwachem Pass zu Adrian Ramos / 25. Minute: Nach einer Ecke stören sich Aubameyang und Ramos gegenseitig und bringen sich um die Torchance).

Auch Darmstadt blieb gefährlich, wenngleich es sich meist um Konter oder lange Bälle handelte. So erreichte in der 7. Minute ein weiter Ball Marcel Heller, gegen den Weidenfeller unter Einsatz aller Kräfte und körperlichen Robustheit gerade noch klären konnte – die Lilien hätten gerne einen Elfmeter gesehen, doch hätte es diesen wohl selbst dann nicht gegeben, wenn Gräfe nicht bereits auf Abseits entschieden gehabt hätte. Die heimischen Ultras feierten sich derweil selbst (11. Minute: „Ich hab‘ hier noch keinen Pissborussen gehört!“) und scheuten nicht vor wunderbarem Liedgut zurück wie: „Auf geht’s Darmstadt schießt ein Tor, oder zwei, oder drei, vier, fünf!“ Großes Kino.

0:1: Feiner Abstauber von Adrian RamosNachdem die Partie etwas im Mittelfeld festgesteckt war, ging die beste Chance des Spiels in der 36. Minute etwas überraschend an den SV Darmstadt. Sandro Wagner bekam den Ball von der rechten Seite und brachte das Leder aus nicht einmal zehn Metern in Richtung Tor – Weidenfeller wäre vollkommen machtlos gewesen, hatte aber Glück, dass der Ball ganz knapp am linken Pfosten vorbeikullerte. Beinahe im Gegenzug machte es der BVB dann deutlich besser: Mats Hummels, nach anderthalb verkorksten Jahren und viel Kritik endlich wieder in Topform, setzte Gonzalo Castro in Szene, der wiederum Aubameyang am rechten Pfosten sah. Christian Mathenia zeigte auf der Linie einen Weltklassereflex, konnte aber nicht verhindern, dass Ramos aus kürzester Distanz zum Führungstreffer abstaubte. Kurz darauf hätte Gündogan erhöhen können, doch stand er einerseits im Abseits und wäre andererseits ein 0:2 noch zu viel des Guten gewesen.

Beide Mannschaften kamen ohne Wechsel aus der Kabine, im Gästeblock ging es wie schon in der ersten Halbzeit munter zu. So viel traditionellen Old-School Support gab es schon lange nicht mehr und man konnte aus der Entfernung erahnen, wie viel Spaß der schwarzgelbe Anhang gehabt haben musste. Der BVB behielt nun das Oberkommando, auch wenn die Darmstädter immer wieder nachsetzten und nervten - so bekam etwa Subotic in der 51. Minute in Nähe des eigenen Strafraums einige Probleme, konnte sich aber durchfummeln und irgendwie auch durchsetzen.

Eifrig bemüht, doch Aubameyang tat sich schwerEine Minute später entstand ein Konter, der zum 0:2 führen hätte führen müssen: Diesmal hatte Ramos Aubameyang freigespielt, der den Ball aus drei Metern nur über die Torlinie hätte drücken müssen – doch der Ball kullerte nur so über den Schlamm, dass tatsächlich noch ein Abwehrspieler den Ball von der Linie kratzen konnte. Es war die größte Dortmunder Druckphase, die mit vielen ungenutzten Chancen (54. Aubameyang, 55. Gündogan), letztlich aber auch dem nun verdienten 0:2 belohnt wurde: Castro hatte Erik Durm in Szene gesetzt, der sich wie ein junger Gott durch den Darmstädter Strafraum tankte und den Ball beherzt ins Tor schob.

Die Darmstädter Fans wussten, dass ihre Stunde geschlagen hatte, und sangen minutenlang die gleiche Strophe: „Oooooh wir sind immer da, wir sind immer da, wir sind immer da, wir sind Darmstädtaaa!“ (Sollte es in Zukunft mal zu langweilig werden, hier ein paar Reimvorschläge: „selbst in Afrikaaa!“, „auch bei Schlechtwettaaa!“, „grilln gern Frankfurtaaa!“, „nutzen Parisaaa!“, „wolln mehr Lamettaaa!“) Die Mannschaft schien ein Ohr auf der Tribüne zu haben und kam fast zum Anschlusstreffer: Wagner legte im Strafraum auf Vrancic, der den Ball nach Rettungsaktion von Hummels nur über das Tor legen konnte.

Der Gästeblock brachte eine Schalparade und feierte munter vor sich hin, während der BVB sich in Rausch (Achtung, Wortwitz!) spielte: Erst zielte Rausch knapp am Tor vorbei (Haha!), dann enteilte Aubameyang dem Gegner und rannte in hohem Tempo auf das Mathenia zu. Im Strafraum wurde er am Trikot gezogen und durch den Zupfer wohl entscheidend gestört, spielte aber weiter und vergab letztlich seine Großchance (ob das Foul zum Elfmeter gereicht hätte, sei dahingestellt, doch darf das sportliche Verhalten betont werden).

Jubel nach Spielende: Es blieb beim 0:2Auf dem Platz ging es in der Folge nur noch um die Frage, wie hoch der Auswärtssieg letztlich ausfallen würde. Darmstadt hatte gut dagegen gehalten, ein sehr viel attraktiveres Spiel geboten als noch Ingolstadt vor wenigen Wochen, aber kaum mehr ein Mittel gegen einen vor allem in der zweiten Hälfte starken BVB. Interessanter war neben der Frage, ob Mainz in München gewinnen würde (Hehe!), also vor allem das Drumherum. Die Darmstädter sangen weiter: „Wir schreien die Lilien nach vorne, singen auswärts genauso wie daheim, kämpfen für die lebendige Kurve und scheißen auf Frankfurt am Main“. Auf der Anzeigetafel wurden Fanbilder eingeblendet, selbstverständlich Old School mit Windows-Fehleranzeigen und Mauszeiger, der diese Fehlermeldungen wegklickte. Und im Gästeblock ging es rund mit dem wohl schönsten Gesang der Woche, der am Samstag im Westfalenstadion hoffentlich so richtig laut ertönen wird: „Wer wird deutscher Meister? BVB Borussia!“

Ja, es war ein wirklich schöner Spieltag mit einer richtig guten Auswärtsfahrt. Mehr davon!

Stimme zum Spiel

Sympathischer Trainer: Dirk SchusterDirk Schuster: "Herzlichen Glückwunsch zum Sieg an Borussia Dortmund, der vollkommen in Ordnung geht. Vor allem eine Sache liegt mir heute am Herzen und es spricht sehr für Thomas Tuchel, dass er dieses Thema uns nicht selbst zum Vorwurf gemacht hat: Ich schäme mich, unseren Gästen so einen Rasen anbieten zu müssen. Dieser Rasen hat kein Bundesliga-Niveau, doch können wir an dieser Situation leider nichts ändern, weil wir nicht der Eigentümer des Stadions sind. Die Bedingungen sind so schlecht, dass wir das Abschlusstraining gestern wegen einer zu hohen Verletzungsgefahr abbrechen mussten. Das ist keine Entschuldigung und auch keine Ausrede, sondern ein Fakt: Wir freuen uns, alle 14 Tage auf einem ordentlichen Platz spielen zu dürfen – und der ist nicht hier. Ansonsten hatten wir sicherlich Pech, dass wir das Tor direkt vor dem ersten Gegentreffer nicht selbst gemacht haben. Aber auch das möchte ich nicht als Entschuldigung anführen, denn für uns ging es die ganze Saison um den Klassenerhalt. Alle Spieler wissen es, wir wissen es und jeder ist darauf vorbereitet, dass es noch ein harter Kampf werden wird.“

Statistik

D98: Mathenia - Jungwirth, Sulu, Rajkovic, Caldirola - Niemeyer, Gondorf - Heller, Vrancic, Rausch - Wagner
Wechsel: Kempe für Vrancic (63.), Platte für Niemeyer (82.), Sirigu für Heller (85.)

BVB: Weidenfeller - Ginter, Subotic, Hummels, Durm - Gündogan, Weigl - Passlack, Castro - Aubameyang, Ramos
Wechsel: Mkhitaryan für Passlack (70.), Leitner für Gündogan (83.)

Tore: 0:1 Ramos (38.), 0:2 Durm (53.)
Gelbe Karte: Subotic

Noten

Biss sich durch die Partie: Neven SuboticWeidenfeller: Sicherer, aber nur selten geprüft Note 2,5.

Ginter: Ebenfalls sicher, aber sicher keine glanzvolle Parte. Note 3,5.

Subotic: Hatte immer wieder kleinere Probleme, musste sich in vielen Situationen ins Spiel beißen. Bekam die einzige gelbe Karte des Spiels, als er für Weigl retten musste. Note 4,5.

Hummels: Oft zu Recht kritisiert, muss man ihn für dieses Spiel in gleicher Weise loben: Starke Spieleröffnung, die das Spiel jederzeit dynamisch werden ließ, wenn er den Ball hatte. Ohne größere Fehler in der Defensive, zeigte er lange vermisste Führungsqualitäten. Note 2.

Durm: Bekam Hummels Ärger nach einem Darmstädter Angriff zu spüren, war mit dem Treffer zum 0:2 aber sicherlich einer der Matchwinner. Note 2,5.

Gündogan: Nicht Fisch, nicht Fleisch. Gute Ansätze und ordentliche Standards, aber stets ohne das nötige Glück oder die letzte Genauigkeit. Note 3.

Weigl: Nach einigen schwächeren Spielen wieder in Topform, spielte sichere Pässe und gab der Mannschaft Stabilität. Note 2.

Passlack: Hatte einen undankbaren Gegner für das Profidebüt erwischt, der auf furchtbarem Rasen mit engen Räumen kaum Platz zur Entfaltung bot. Kämpfte sich aber solide in die Partie und wird in den kommenden Wochen sicher öfter zu sehen sein. Note 3,5.

Ein Tor, eine Vorlage: Adrian RamosCastro: Bekam zuletzt einige Verschnaufpausen, die zu immer neuen Nachfragen und Ärger bei Tuchel führten – im Kader sei einfach kein Platz gewesen, Castro habe aber gut trainiert und sei jederzeit in Topform verfügbar. Eben das zeigte Castro auch in Darmstadt: Eine Torvorlage, dazu bei vielen Offensivaktionen unmittelbar beteiligt – eine starke Partie und Note 2.

Aubameyang: Eine Vorlage, zwei verpasste Großchancen – es war nicht sein Spiel. Note 4.

Ramos: Oft geschimpft, nun mit einer Vorlage und dem zweiten spielentscheidenden Tor in Folge. Nach langer Zeit taut Ramos langsam auf und zeigt, warum Tuchel so viel von ihm hält. Note 2.

SSC, 03.03.2016

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