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schwatzgelb.de spielt: Pro Evolution Soccer 2017

30.09.2016, 09:45 Uhr von:  NeusserJens
schwatzgelb.de spielt: Pro Evolution Soccer 2017

Auch wenn das Spielgefühl auf dem Feld bei Pro Evolution Soccer überragte, trieben fehlende Lizenzen mich in die Arme von EA Sports. Bis zu diesem Spätsommer! Denn ab sofort ist unsere Borussia aus Dortmund ein prominentes lizensiertes Team im Spiel. Grund genug, mal wieder einen Blick auf PES zu werfen.

Lange ist es her, dass ich Pro Evolution Soccer gespielt habe. Auch wenn das Spielgefühl auf dem Feld meist überragte, so trieben mich fehlende Lizenzen und die gesamte Präsentation dann irgendwann doch in die Arme von EA Sports. Bis zu diesem Spätsommer! Denn neben dem FC Barcelona ist auch unsere Borussia aus Dortmund ein prominentes lizensiertes Team im Spiel. Grund genug, mal wieder einen Blick auf PES zu werfen.

Knapp einen Monat nachdem Marco Reus es per internationaler Abstimmung auf das weltweite Cover von FIFA 17 geschafft hatte, ließ Konami die Bombe platzen: Nach dem FC Barcelona, welcher das spätere Spiel als Topmarke zieren sollte, wurde der BVB als weiteres großes lizensiertes Team präsentiert. Den Club des Spielers, der das eigene Spiel verkörpert, für sich zu gewinnen, war der erste kleine Treffer des vergleichsweise winzigen Entwicklerteams gegen den Marktführer. Mit entsprechender Vorfreude startete ich, früher großer und langjähriger Verfechter von PES, in das Erlebnis Pro Evolution Soccer 2017.

Das Spiel begrüßt mich mit einer stimmungsvollen Version der Hymne des FC Barcelona, intoniert von den Fans im Camp Nou, unterlegt von Spielszenen mit den Stars des katalanischen Clubs. Die Einstimmung gelingt, die Präsentation des Spiels nähert sich immer mehr dem Konkurrenten von EA. So auch das Hauptmenü, das mit seiner Kachel-Optik endlich von den umständlichen Listen weg ist und sich langsam dem Lauf der Zeit anpasst. Ich will nicht viel Zeit verlieren und starte direkt ein Freundschaftsspiel, bei dem ich unter "Weitere Mannschaften Europas" endlich den Verein meines Herzens finde: BV Borussia 09 Dortmund. Kurz einen zufälligen Gegner gewählt, die Steuerungsoptionen auf manuell gestellt und ab ins Spiel!

Doch was ist das? Bei der Trikotauswahl guckt mich Mats Hummels skeptisch aus einem schwarzgelben Jersey an. Nachdem das erste Update mit den aktuellen Transfers im letzten Jahr erst deutlich nach dem Release des Spiels veröffentlicht wurde, hat Konami gelernt und ich kann über eine simple Kaderaktualisierung dafür sorgen, dass Hummels sich genau so aus dem Staub macht wie im echten Leben. Nun steht dem ultimativen Spielerlebnis nichts mehr im Weg! Leider beginnt es trotzdem mit einer Enttäuschung. Obwohl Konami sich die Lizenz für den BVB sichern konnte, läuft dieser - zumindest aktuell - nicht im altehrwürdigen Westfalenstadion auf. Das soll zwar per Patch nachgeliefert werden, kommt allerdings erst im November und es gefällt mir prinzipiell nur bedingt, viel Geld für halbfertige Produkte auszugeben.

Der erste Eindruck vom Spiel, nachdem ich längere Zeit keine Fußballsimulation mehr gezockt habe, ist durchwachsen. Das Spiel fühlt sich schwammiger an als erhofft und ich komme damit schlechter zurecht als erwartet. All die Tricks und Kniffe, die ich mir über Jahre bei FIFA angeeignet habe, zeigen keine Wirkung. Und so kommt es immer und immer wieder vor, dass Aubameyang trotz schier unmenschlicher Geschwindigkeit von bestenfalls mittelmäßigen Verteidigern abgelaufen wird, als habe der Geschwindigkeitswert des Spielers überhaupt keinen Einfluss auf seine tatsächliche Bewegung. Ich zahle sehr viel Lehrgeld und fresse einige Gegentore, bis ich den Controller zum ersten Mal entnervt zur Seite lege und noch mal im Internet nachschlage, was ich denn falsch mache. Dort entdecke ich dann auch, dass ich bei manueller Schusssteuerung den Ball flach halte, indem ich vom gegnerischen Tor weg ziele, was nicht nur total unsinnig erscheint, sondern vor allem sehr, sehr viel Übung benötigt.

Trainieren für myClub und Champions League

Ich fange also noch mal da an, wo jeder gute Fußballer beginnt: auf dem Trainingsplatz. Im Trainingsmodus werden verschiedene Grundlagen und Techniken spielerisch gezeigt und raffinierend erlernt, so wie es Pro Evolution Soccer schon seit Jahrzehnten ermöglicht und FIFA mittlerweile mit den Skill-Games ähnlich anbietet. Der Ehrgeiz hält mich wach, ich spiele alle Grundlagentrainings und erst tief in der Nacht gehe ich zu Bett, weil ich das Gefühl habe, das Spiel langsam zu beherrschen.

Auf und ab: CL-Finale

Als ich am nächsten Tag von der Arbeit komme, wage ich es, den BVB durch eine Champions-League-Saison zu spielen. Die komplette UEFA-Lizenz macht es möglich, die Spiele mit der echten Hymne und den richtigen Grafiken zu erleben, was der Präsentation des Spiels enorm hilft. Hinzu kommt, dass viele BVB-Spieler wirklich herausragend und nahezu täuschend echt aussehen - während andere leider vollkommen generisch daherkommen. Außerdem gefällt mir das Kommentatorenduo, bestehend aus Marco Hagemann und Hansi Küpper, wirklich deutlich besser als Fuss/Buschmann, auch wenn sie leider nicht annähernd alle Namen der BVB-Spieler beherrschen. Das ist schade und ein weiterer Dämpfer. Ich kämpfe mich also nach der Auslosung in die Partien, starte schwach und steigere mich von Spiel zu Spiel. Während es mir anfangs nahezu unmöglich war, einen Pass sauber an den Mann zu bringen, habe ich nach mehreren Partien endlich den Dreh raus und positioniere sowohl Pass als auch Spieler so, dass schöne Angriffe und - dank lange geübten Torschüssen - auch Treffer für mich dabei herausspringen. Endstation in der Champions League ist erst im Finale, welches ich nassgeschwitzt nach ständigem Hin und Her im Elfmeterschießen gegen MD WHITE (also Real Madrid) verliere, eine wahre Achterbahnfahrt der Gefühle.

Wenige Tage später wage ich mich nun an den Modus, der meine größte Sucht bei FIFA, Ultimate Team, ablösen könnte: myClub. Nach illustrer Einführung wähle ich einen Trainer und merke erst danach, wie wichtig (und richtig) diese Wahl war. Anders als bei Ultimate Team gibt nämlich der Trainer vor, wie euer Team agiert und eure Einstellungsmöglichkeiten bei der Taktik sind fortan - nicht wie im allgemeinen Spiel - leider sehr eingeschränkt. Also Augen auf bei der Trainerwahl! Danach wird mir das Transfersystem nähergebracht, welches mit seinen Scouts deutlich von Ultimate Team abweicht und leider viel zu häufig einem Glücksspiel gleicht. Ihr könnt bis zu drei Scouts mit verschiedenen Fähigkeiten kombinieren, um so idealerweise möglichst präzise nach Spielern zu suchen. Aus dem Pool dieser Spieler zieht ihr dann, wie beim Lotto, einen Ball und habt entweder Glück oder Pech, wen ihr erwischt. Was anfangs mit hochwertigen Freiscouts noch spaßig ist (Yeah, ALABA! Seltenheit schwarz, 86 Gesamtstärke!), wird dann zur Qual, wenn ihr wirklich präzise nach Spielern suchen wollt, euch aber keine entsprechenden Scouts leisten könnt. Ähnlich wie bei Ultimate Team werden diese nämlich versteigert und ihr könnt mit erspielten Punkten mitbieten. Nur: Scouts sind unfassbar teuer, besonders, wenn sie qualitativ hochwertige Spieler ermöglichen sollen. Und so ist es nahezu unmöglich, gezielt nach einem Linksverteidiger von Borussia Dortmund unter 24 zu suchen, ohne dafür hunderttausende von Punkten zu investieren - für einen einzelnen Spieler wohlgemerkt. Das deprimiert und so wird myClub eher nicht meine Lieblingsdisziplin.

Der Härtetest: Neffe, 11 Jahre

Zurück auf den Platz und jetzt auch zur Königsdisziplin: 1 gegen 1 mit echten Gegenspielern. Um PES wirklich auf Herz und Nieren zu prüfen, habe ich meinen Neffen, 11 Jahre alt, eingeladen, welcher zuhause fleißig FIFA13 auf der WiiU spielt und bei FIFA15 von mir regelmäßig zweistellig Tore eingeschenkt bekommt. Jetzt wird sich zeigen, aus welchem Holz PES geschnitzt ist und ich habe ein wenig Angst, dass es für meinen Neffen nach meiner Tortur zu Beginn zu schwer sein wird.


Pustekuchen. Wählt man nicht den Weg, das Spiel ohne sämtliche Ziel- und Bewegungshilfen spielen und meistern zu wollen, ist es wunderbar einsteigerfreundlich und relativ einfach - sogar zu einfach. Die Partien gegen meinen Neffen offenbaren alle Stärken und vor allem Schwächen des Spiels, vom Gefühl bis zum Balancing. Während ich konstant mit dem BVB spiele, testet er sich durch verschiedene Teams. Was mir daran besonders gefällt: Jeder Gegner fühlt sich für mich komplett anders an. Während ich gegen Barcelona relativ gut dafür sorgen kann, dass er nicht allzu gefährlich vor mein Tor kommt, indem ich selbst viel Ballbesitz habe, kontert er mich mit Atletico regelmäßig gnadenlos aus und erzielt gefühlt mit jedem Schuss einen Treffer. Erst als wir durch erhöhten Schwierigkeitsgrad dafür sorgen, dass die Torwartleistung steigt, kann ich gegen die konterlastige Truppe aus Madrid überhaupt Land sehen, nachdem ich zuvor bis zu 5 Gegentore pro Halbzeit einstecken musste. Entweder mein Neffe hat zuviel geübt - oder das Spiel bevorzugt Kontermannschaften massiv. Dass vermutlich eher Letzteres stimmt, lässt sich auch daran erkennen, dass selbst unser Übungsleiter Thomas Tuchel von PES als Kontertrainer eingestuft wird. Neben Tempogegenstößen wirken auch Distanzschüsse ein wenig zu mächtig und spielt man mit Paris, kann man mit Edinson Cavani offenbar wirklich alles machen - außer über Wasser laufen.

Aber ich will nicht nur meckern (weil ich so schlecht gegen meinen Neffen abgeschnitten habe): Pro Evolution Soccer spielt sich einfach wundervoll echt und lebendig. Von Ausrutschern bei nassem Rasen über verzweifelte Torhüter bei abgefälschten Gegentoren; von Mannschaften, die sich komplett anders anfühlen und bespielen lassen bis zu Angriffen, die eigentlich nie dem vorigen gleichen: Ich habe nicht das Gefühl, ein statisches Videospiel zu spielen, sondern erlebe lebendige Fußballpartien, die einfach unberechenbar sind. Und obwohl ich meinen Neffen nach Kritikpunkten ausquetschte, er über den inkonsequenten Schiedsrichter und das zu einfache Toreschießen meckerte, blieb am Ende immer, dass es ihm unheimlich viel Spaß gemacht habe.

Denn trotz vieler fehlender Lizenzen und mangelnder Sorgfalt in der Umsetzung der wenigen Vorhandenen, die virtuellen 90+x Minuten zwischen den Pfiffen des Schiedsrichters sind wirklich toll. Es gibt Makel und Aufreger, natürlich, aber das Spiel- und Kontrollgefühl ist mit ein bisschen (mehr) Übung wirklich herausragend. Das gilt insbesondere, und da will ich nun nicht zuviel vorwegnehmen, wenn man PES2017 mit FIFA17 vergleicht, welches ich dank Gesamtpräsentation und Ultimate Team sicher weiterhin häufig spielen werde. Fußballliebhaber und Kontrollfreaks werden aber wohl an Pro Evolution Soccer mehr Freude haben. Und das kann ich voll und ganz nachvollziehen.

P.S.: All jene, die ein bisschen Aufwand nicht scheuen, können sich Pro Evolution mit Namen und Grafiken aus dem Internet mittlerweile nicht mehr nur auf dem PC, sondern zumindest auch auf der PS4 zurechtschustern. Das bringt zwar immer noch kein Westfalenstadion, aber zumindest darf Mats Hummels dann endlich auch in einem roten Trikot grimmig gucken. Um den Derbysieg zu holen, braucht ihr diese Anstrengungen jedoch nicht. Also geht's raus und spielt Fußball!

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