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Das Recht zu scheitern oder: Warum Mario Götze eine zweite Chance verdient hat

29.03.2016, 15:35 Uhr von:  Gastautor
Das Recht zu scheitern oder: Warum Mario Götze eine zweite Chance verdient hat

Die Diskussion um eine mögliche Rückkehr von Mario Götze zum BVB löst gerade in der Länderspielpause einige klare Positionierungen aus. Auch von euch kam ein Gastkommentar, der sich für eine Rückkehr des Bayern-Spielers aussprach.

Seit einer Woche geistert ein Gerücht durch die Fußballwelt und sorgt unter den Fans unseres geliebten Ballspielvereins für kontroverse Diskussionen. Mario Götze, in Dortmund groß gewordenes „Super-Talent“, soll, so wird spekuliert, frustriert seine Zelte bei Bayern München abbrechen und zu Borussia Dortmund zurückkehren. Die Meldung schlug – trotz ihrer dubiosen Quelle – unter uns Fans ein wie eine Bombe. In der Zwischenzeit haben sich viele Kommentatoren in sozialen Medien, Blogs und Zeitungen zu der Frage geäußert. Die Meinungen gehen dabei von „Götze, verpiss Dich“ und „das trauen sich Watzke und Co. nie“ über „es ist mir egal“ bis zu „das würde mich sehr freuen“ stark auseinander. Ich gebe zu, dass ich zunächst an eine klassische „Länderspielpausen-Ente“ geglaubt habe und spontan gedacht habe: „Hoffentlich nicht“. Zudem bin ich der Meinung, dass wir sportlich durchaus auf diesen Wechsel verzichten können. Und dennoch: Sollte es so kommen, hoffe ich, dass Götze mit offenen Armen empfangen wird. Warum?

Auch ich kann nicht vergessen, wie ich in der Nacht auf den 23. April 2013 von meinem vibrierenden Smartphone geweckt wurde, das mir verkündete, Götze werde zu den Bayern wechseln. Zwischen Unglaube und Fassungslosigkeit mischten sich schon früh Wut und Enttäuschung. Wut über den Zeitpunkt, Wut über sein Ziel, Wut auf die Bayern und Enttäuschung darüber, dass unser wunderschönes Fußball-Märchen, an das ich so gern geglaubt hatte, endgültig sein Ende gefunden hatte. Götzes Wechsel war der traurige Höhepunkt eines schleichenden Niedergangs meiner „Echten Verliebtheit“ zur Meistermannschaft 2010/11. Den Weggang von Sahin und den Wechsel Kagawas hatte diese Liebe noch ausgehalten. Doch schon kurz nach dem Scheitelpunkt, dem Pokalfinale 2012 in Berlin, bemerkte ich, dass langsam Alltag eingekehrt war. Es war kein grauer Alltag, es war ein bunter Alltag, der uns in das Finale der Champions League führte. Der uns Highlights wie Málaga oder das Madrid-Hinspiel bescherte.

Duell im Mittelfeld: Götze gegen Miki

Und dennoch spürte ich, dass die Beziehung zwischen Mannschaft und uns Fans im Begriff war abzukühlen. Ich bemerkte wieder jene Distanz, wie sie in den Jahren vor der Klopp-Ära üblich war und bei fast allen anderen Profifußballvereinen üblich ist. Trotzdem hielt ich mich trotzig an unserem naiven „11-Freunde müsst ihr sein“-Traum fest und wollte nicht wahrhaben, dass wir wieder so würden, wie wir nicht mehr sein wollten. Dieser Traum zerplatzte durch Mario Götzes Wechsel endgültig. Noch kurz zuvor hatte Götze seinen Vertrag bei uns verlängert. Er hatte sich ein Grundstück in Dortmund gekauft und öffentlich damit kokettiert, er könne sich vorstellen, noch ewig bei der Borussia zu bleiben. Von Seiten des Vereins hatte man diese Legende zusätzlich damit befeuert, dass man noch im Januar 2013 von Rentenverträgen fabulierte und man nicht gedenke, Götze abzugeben. Zeitgleich hatten Berater und Spieler bereits Verhandlungen aufgenommen. Um im Bild der Beziehung zu bleiben: Götze hatte mich betrogen und auch noch mit meinen Gefühlen gespielt, um dann schließlich vor einem der wichtigsten Spiele der jüngeren Vereinsgeschichte seine Affäre öffentlich und mit dem Verein Schluss zu machen. Entsprechend fiel die Reaktion der Fans aus, deren Wut und Enttäuschung auch noch durch die Verantwortlichen des BVB verstärkt wurde. Watzke erklärte die diplomatischen Beziehungen zum FC Bayern München für beendet, wollte nicht mehr mit KHR zu Mittag essen und warf dem Branchenprimus unlauteren Wettbewerb vor. Zu allem Überfluss verloren wir die Bayern nicht nur in der Bundesliga aus den Augen, sondern auch noch das Finale in London. Unser alter sportlicher Nebenbuhler hatte in diesem Jahr zurückgeschlagen. Vor allem aber machte er uns klar, dass unsere traumhafte Reise endgültig ihr Ende gefunden hatte.

Diese Gemengelage dürfte dazu geführt haben, dass die Personalie Mario Götze so emotionsgeladen war und noch immer ist. Hinzu kommt, dass Götze es uns Fans nicht gerade schwer macht, ihn nicht zu mögen. Sein kantenfreies Auftreten und sein öffentliches Verhalten und Vermarkten (Faithboy, Fanmiles, Nike-Auftritt) hinterlassen den Eindruck eines abgehobenen Jungmillionärs, dessen Liebe nicht mehr allein dem Sport, sondern vor allem auch dem eigenen Markenaufbau dient. Ob dies der Wahrheit entspricht oder nicht sei mal dahingestellt. Bedingungslos geliebt habe ich Mario Götze schon zu Dortmunder Zeiten nie. Mir sind die Paul Lamberts, Günter Kutowskis, Marcel Schmelzers und Neven Subotics näher.

Warum also sollten wir, wenn Mario Götze tatsächlich zu uns wechselt, ihn trotzdem mit offenen Armen empfangen? Ich habe lange darüber nachgedacht, wie ich reagieren würde, wenn der Wechsel zustande käme. Wie ein Teil der Fans reagieren wird, ahne ich: Bestenfalls mit Ablehnung, voraussichtlich aber mit Pfiffen und Schmähungen. So erging es auch Jens Lehmann zu Beginn seiner Dortmunder Zeit.

Weigl - ein Münchner in Dortmund

Ein anderer Teil wird ihm die kalte Schulter zeigen. Ich hingegen würde mich freuen, wenn man ihm seine Rückkehr nach Dortmund durch einen freundlichen Empfang erleichtert. Nicht, dass man mich falsch versteht. Ich habe nichts gegen kultivierten Hass und Emotionen im Fußball. Nichts langweilt mich mehr als ein Fußballspiel, in denen die gegnerische Mannschaft so langweilig und die gegnerischen Fans so wenig ernstzunehmend sind, dass es sich nicht mal lohnt, sie zu hassen. Und nichts finde ich schlimmer, dass es so aussieht, als würde es bald nur noch Vereine geben die – frei nach den Fans des Chelsea FC – „too cute to be hated“ sind.

Und dennoch würde ich mir wünschen, dass wir unseren Hass nicht gegen unsere eigenen Spieler richten. Der wohl einleuchtendste Grund hierfür ist, dass es der Mannschaft wenig helfen, sondern vielmehr schaden dürfte, wenn sich die eigenen Fans an einem einzelnen Spieler abarbeiten. Dies gilt ganz besonders für Götze, der ohnehin nicht den Eindruck vermittelt, unter Druck besser zu spielen.

Vor allem aber hege ich den Wunsch aus folgenden Überlegungen. Wir als Fans verstehen uns als eine große, gemischte Familie. Speziell wir bei Borussia Dortmund empfinden unsere Liebe und Treue zum Verein als etwas, was über das normale Fansein hinausgeht und uns von vielen anderen Vereinen abhebt. Vielleicht ist der potentielle Wechsel Götzes genau einer dieser Momente, in denen wir als Fans zeigen können, dass Borussia Dortmund doch nicht so ist wie jeder andere Verein. Vielleicht schaffen wir es, unseren Zorn beiseite zu schieben und zu verzeihen. Ja, ich weiß, dass Götze Fehler gemacht hat und wir haben es ihn auch deutlich spüren lassen. Er hat uns getäuscht und verletzt und wir haben ihn ausgepfiffen, beschimpft und es hat uns Freude bereitet, dass er bei seinem vermeintlichen Wunschtrainer scheitert. Dennoch sollten wir nicht vergessen, dass er zum Zeitpunkt des Wechsels erst 21 Jahre jung war.

Doch bald wieder beim BVB?
Hätten meine Eltern und Freunde nach jeder (dämlichen) Entscheidung, die ich im Alter zwischen 18 und 25 getroffen hätte, stets für immer den Stab über mich gebrochen, wäre es ziemlich einsam um mich herum. Tatsächlich hat man mich aufgerichtet, mir verziehen und mir geholfen. Gleiches wünsche ich mir auch von der BVB-Familie, die auch nicht frei von Fehlern ist und deren Mitglieder auch stets 2. Chancen hatten, sich zu rehabilitieren. Wir sollten nicht die Hybris besitzen, jemanden abzuweisen, der reu- und demütig zu uns zurückkehrt und uns um Verzeihung bittet. Und auch wenn das Gleichnis des verlorenen Sohnes schon oft bemüht wurde, so empfinde ich sein Ende als bemerkenswert. Es endet mit den Worten des Vaters an den treuen, daheimgebliebenen Bruder, der sich über dessen Verhalten beklagt, dem abtrünnigen Sohn ein Willkommensfest zu bereiten: „Mein Kind, du bist immer bei mir, und alles, was mein ist, ist auch dein. Aber jetzt müssen wir uns doch freuen und ein Fest feiern; denn dein Bruder war tot und lebt wieder; er war verloren und ist wiedergefunden worden.“ In diesem Sinne hoffe ich, dass wir Fans, egal wer sich uns zuwendet, jeden mit offenen Armen in die schönste Fußballfamilie der Welt aufnehmen.

geschrieben von Jannis

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