Spielbericht Profis

Drei tolle Tage in Russland – und ein ziemlich dünner Kick

30.11.2015, 22:25 Uhr von:  Redaktion

Weihnachtsstimmung in KrasnodarQäbälä, PAOK und Krasnodar statt Arsenal, Marseille und Madrid: Was hatten wir nicht alle gelacht über diese Auslosung und unsere Gruppe in der Europa League, die wie gemalt dafür schien 18 Punkte und einen soliden Gruppensieg für das Selbstbewusstsein einzufahren? Doch wie schon in der Qualifikation tat sich Borussia auch gegen die Griechen und Russen schwer, konnte gerade auswärts kaum die Erwartungen der Fans und Experten erfüllen. Immerhin blieb für den schwarzgelben Anhang der kleine Bonus bestehen, unbekannte Städte in unbekannten Regionen zu bereisen – also genau das zu tun, was sich nicht wenige insgeheim von der Europa League versprochen hatten. So erlebten die rund 350 mitgereisten Borussen eine intensive Tour voll ungewohnter Eindrücke und konnten die meisten auf einen Ausflug zurückblicken, den es so noch nicht gegeben hatte.

Unsere Reisegruppe hatte bereits recht früh entschieden, das Spiel in Krasnodar für einen Kurzurlaub zu nutzen und die knapp 100 Euro für das Visum nicht nur für das eine Spiel ins Feuer zu werfen. Letztlich fiel die Wahl auf anderthalb Tage in Krasnodar und einen ebenso langen Aufenthalt in Rostow am Don, dem kulturellen, intellektuellen und wirtschaftlichen Zentrum im Süden Russlands unweit der ukrainischen Grenze.

Land und Leute

Putin war allgegenwärtigUnsere Anreise erfolgte mit Aeroflot über Moskau. Bereits am Frankfurter Flughafen gab es eine Ausgabe der Moskauer Deutschen Zeitung zu ergattern, die den Flug ein wenig kurzweiliger gestaltete. Besonders zu begeistern wusste die Reportage über zwei afrikanisch-stämmige Rapper, die derzeit Moskau aufmischten und mit einem eigenen Label am Heldenstatus arbeiteten – ihr erfolgreichster Song war eine Hymne auf Wladimir Putin, den die Rapper wie „über 80 Prozent der russischen Bevölkerung“ wohl ziemlich großartig fanden („Hart, härter, Putin“). Ebenso fiel eine Anzeige ins Auge, in der Walther Seinsch in seiner Funktion als ehemaliger Präsident des FC Augsburg als unabhängiger Berichterstatter beschrieben wurde. In seinem soeben erschienenen Buch „Wladimir Putin – der Dämon? Über die Putin-Phobie des Westens“ „stellt er Fragen, die andere nicht zu stellen wagen“. Abgesehen von einigen wenigen kritischen Texten (es handelt sich ja nicht um Propaganda!) ging es im Wesentlichen um Putins Großartigkeit und die brillante Einsicht, erfolgreiche deutsche Gesetze wie das Rauchverbot in Russland übernommen zu haben.

Tatsächlich schienen die Russen, denen wir begegneten, ziemlich begeistert von ihrem Präsidenten zu sein: Sein Konterfei war auf allerhand Devotionalien abgebildet, von Tassen, Magneten und Büchern über T-Shirts und Matroschkas bis hin zu Postern und geschnitzten Streichholzschächtelchen (Motive: beim Angeln, Streicheln eines Tigers und eines Bären, beim Reiten mit nacktem Oberkörper, beim Schusstraining mit Pistole, als Kampfpilot vor einer MiG). Straßenverkäufer lachten über ihren „russkiy tsar“, der zu ihren meistverkauften Motiven gehörte, und immer wieder waren Menschen mit seinem Gesicht auf der Brust im Straßenbild auszumachen. Es war ungewohnt und spannend zu sehen, wie allgegenwärtig Putin im Alltag zu sein schien, auch wenn sich natürlich nicht auflösen ließ, wie repräsentativ unser Eindruck letztlich war.

Entlang der Hauptstraße gab es einige schöne EckenAbgesehen von einer ziemlich lustlosen und schikanösen Passkontrolle bei der Einreise, geldgierigen Taxifahrern am Flughafen und einer Hand voll sonstiger Funktionsträger, begegneten uns die Menschen freundlich, aufmerksam und zuvorkommend. Die wenigsten sprachen englisch, einige bemühten sich um ein paar Brocken deutsch und ganz vereinzelt gab es tatsächlich ein paar Sprachtalente - im Großen und Ganzen war aber sicher von Vorteil, dass wir mit einem russischen Fan unterwegs waren und uns in der Heimatsprache verständigen konnten. So umarmte uns ein Mann im Rostower Gorki Park überschwänglich zur Begrüßung und setzte an zu einem Monolog, wie großartig Deutschland doch sei und wie toll es wäre, wenn mehr Deutsche nach Russland zu Besuch kämen. Kellner in Kneipen und Restaurants legten ganz selbstverständlich (und wie so oft in Osteuropa) einen Service an den Tag, wie man ihn in Deutschland höchstens aus den teuersten Betrieben kennt. Der kleine Ausschnitt der russischen Realität, den wir in diesen Tagen zu sehen bekamen, war in vielerlei Hinsicht intensiv und machte Lust auf mehr.

Rund um das Stadion

Einen organisierten Marsch zum Stadion gab es nicht, da die Polizei einen solchen lange Zeit nicht wünschte. Erst spät hieß es, dass die Polizei wohl doch kein allzu großes Problem mit einem Marsch habe, solange denn Gehsteige benutzt und auf Provokationen jeder Art verzichtet werden würde. Der Ultramob, der wohl der größte vor Ort gewesen sein dürfte, bewegte sich schnell und zügig in Richtung Stadion – die Polizei hielt sich im Hintergrund, Angriffe gab es nicht zu verzeichnen. Auch Kleingruppen konnten sich frei bewegen und liefen keine besondere Gefahr, angegriffen zu werden – nach unseren Informationen kam es nur zu einer unfreiwilligen Rangelei, die sich jedoch in Grenzen hielt und in Deutschland genauso hätte vorkommen können.

Etwa 350 Fans begleiteten den BVB nach KrasnodarObwohl das Rauchen in stark frequentierten Gegenden (zu denen neben Flughäfen und Bahnhöfen auch Innenstädte, Uferpromenaden oder eben Stadien mit ihrer Umgebung zählen) ebenso unter Strafe verboten war wie das öffentliche Trinken von Alkohol, verzichtete die Polizei auf Kontrollen und zeigte sich von ihrer lässigen Seite. Fans wurden bestimmt darauf hingewiesen, dass sie ihren Müll und leere Flaschen gefälligst zum Mülleimer bringen sollten – Anzeigen oder Probleme wegen das Rauchens oder Trinkens gab es nicht. Auch sonst hielten sich die Polizisten, die mangels Sprachkenntnissen ohnehin kaum hätten kommunizieren können, im Hintergrund. Stattdessen hatte der FK Krasnodar Deutsch-Studentinnen zum Spiel eingeladen, die als Dolmetscher zwischen Fans, Polizei und Ordnern fungierten. Sie erklärten hilfsbereit und in freundlichem Ton, was die sonst doch eher raubeinigen Sicherheitskräfte wünschten. Als die Polizisten dann erkannt hatten, dass von den deutschen Fans keinerlei Gefahr ausging und diese vor dem Stadion einfach in Ruhe ihr Bier trinken wollten, tauten letztlich auch sie ein wenig auf – einige stellten sich später sogar für Fotos zur Verfügung und versuchten, in ihrer grundsätzlich eher harschen Art hilfreich zu sein. Das hätte – gerade in Russland – auch ganz anders aussehen können.

Das Spiel

Auf dem Papier eine klare Kiste, sollten es für den BVB eine ganze Reihe neuer Spieler richten. Pierre-Emerick Aubameyang, Marco Reus und Shinji Kagawa blieben zur Schonung oder aufgrund kleinerer Blessuren zuhause – in einem wirklich wichtigen Spiel hätte man sie wohl aufbringen können. Neben Roman Weidenfeller rückten mit Sven Bender, Gonzalo Castro, Jonas Hofmann, Adrian Ramos und Lukasz Piszczek gegenüber der Niederlage in Hamburg gleich fünf neue Spieler in die Startformation, um sich über eine gute Leistung auch für weitere Aufgaben anbieten zu können. Das mit 31.000 Zuschauern nicht ganz ausverkaufte Stadion, etwa 6.000 Plätze waren frei geblieben, wurde dominiert von großen und gewöhnlich eher ruhigen Sitzplatztribünen. Der Gästeblock war immer wieder zu hören, verpuffte aufgrund der spärlichen Besetzung und des fehlenden Dachs jedoch recht stark in der Schüssel – die Ultras in der Heimkurve waren zahlmäßig wenn überhaupt nur knapp in der Mehrheit und hatten zur Stimmung so gut wie nichts beizutragen. So wurde es nur dann etwas lauter, wenn vor den Fans auf der Gegengerade Fahnenträger entlang rannten und die russischen Fans, dem Fahnenträger folgend, zur Laola ansetzten.

Blick ins Rund des Kuban StadionSportlich war es ansonsten wieder ein Satz mit X. Kapitän Mats Hummels, der sich in letzter Zeit zunehmend kritisch beäugt fühlt und sich unter der Woche mit einem lautstarken Protest gegen die mediale Diskussion u.a. seiner sportlichen Defizite wendete, verursachte direkt in der 27. Sekunde einen unnötigen Elfmeter. Pavel Mamaev schob den Ball zur Führung in die Maschen, wieder einmal musste der BVB also ein Handicap mit in die Partie nehmen. Während sich der FK Krasnodar als spielerisch deutlich limitiert erwies und vor allem auf Konter setzte, tat die Borussia mehr für das Spiel – nur aber leider nichts, was von Erfolg gekrönt worden wäre. Die optische Überlegenheit, die mit ihrem großem Ballbesitz, viel Aufwand und wenig Durchschlagskraft bisweilen stark an den späten FC Bayern unter Louis van Gaal erinnerte, täuschte über die insgesamt doch ziemlich müde Vorstellung des BVB hinweg. So spielten nur Ramos (8. Minute, Heber über den Torwart an die Latte, und 45. Minute, guter aber leider gehaltener Kopfball), Ilkay Gündogan (10./25. Minute aus der Distanz) und Bender nach einer Ecke (45. Minute) nennenswerte Chancen heraus – für eine Spitzenmannschaft in der Bundesliga wie auch im Europapokal viel zu wenig.

Die Heimkurve war kaum voller als der GästeblockDie zweite Halbzeit geriet offensiv ein wenig besser: Piszczeks Kopfball verfehlte das Tor nur um wenige Zentimeter (53.), Ramos konnte sich per Kopf abermals nicht durchsetzen, Henrikh Mkhitaryan traf nach guter Vorarbeit Marcel Schmelzers den Pfosten (75.) – auch Charles Kaboré hätte sich beinahe in die Liste der Dortmunder Torschützen eintragen können, doch landete sein Kopfball nach einer Abwehraktion auf der eigenen Latte und prallte letztlich ins Toraus. Die eigene Offensivarbeit erkaufte sich der BVB mit defensiver Stabilität, die in zunehmendem Maße flöten ging. Zu leicht ließen sich die Borussen nun auskontern und ermöglichten den Hausherren Torraumszenen, die sich normalerweise eigentlich nicht hätten ergeben dürfen. Das Resultat waren meist harmlose Schüsse, die sich entweder parieren ließen oder das Tor weit verfehlten – doch machen wir uns nichts vor: Gegen eine Mannschaft vom Kaliber des FC Bayern hätten wir alleine in dieser Halbzeit vier bis fünf Treffer kassiert. Es blieb letzten Endes bei einem 0:1, das nicht nur den erwarteten Gruppensieg kosten könnte, sondern die mitgereisten Fans alles andere als glücklich machte.

Nach dem Spiel

Als die Borussen nach einiger Wartezeit im Block ihre Heimreise antreten konnten (unter ihnen befanden sich rund 25 russische BVB-Fans, die zum Teil tagelange Anhaltertouren aus der Westukraine oder mehr als 7.000km Anreise von Sachalin im äußersten Osten Russlands auf sich genommen hatten), gingen sie mit gesenktem Haupt und immer noch leicht angefressen ihres Weges. Verabschiedet wurden sie von einigen dutzend Anhängern des FK Krasnodar, die geradezu euphorisch ihre Schals zum Tausch entgegenstreckten und den BVB-Fans mit ausgedehntem Beifall Spalier standen. Es war eine weitere Szene, die man vom russischen Fußball eher nicht erwartet hatte, dem mäßigen Spiel aber zumindest noch ein versöhnliches Ende bereiten konnte.

Statistik

FKK: Dykan - Jedrzejczyk, Granqvist, Sigurdsson, Kaleshin - Akhmedov, Kaboré - Smolov, Pereyra, Mamaev - Ari
Wechsel: Gazinsky für Pereyra (75.), Laborde für Mamaev (84.), Torbinskiy für Akhmedov (85.)

BVB: Weidenfeller - Piszczek, Bender, Hummels, Schmelzer - Weigl - Gündogan, Castro - Hofmann, Mkhitaryan - Ramos
Wechsel: Januzaj für Hofmann (68.), Ginter für Piszczek (80.) Leitner für Weigl (86.)

Tor: Mamaev (2., Elfmeter)
Gelbe Karten: Pereyra, Kaboré, Jedrzejczyk, Ari - Hummels

SSC, 30.11.2015

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