Im Gespräch mit...

...Carsten Cramer: Wir verkaufen

23.04.2007, 00:00 Uhr von:  Felix DvB
...Carsten Cramer: Wir verkaufen

Carsten Cramer von Sportfive mag keine Anglizismen. Sein eigentlicher Titel ist "Senior Director", aber er spricht lieber von "Marketingleiter des BVB". Im Interview mit schwatzgelb.de spricht der 38-Jährige über krasse Werbeformen, Zusammenhalt in der Region und gibt Fehler zu.

schwatzgelb.de: Was ist ein Event?

Carsten Cramer: Da ich kein Freund von Anglizismen bin, würde ich das Wort „Event“ nicht benutzen. Wenn man es übersetzt, dann ist Event eine riesengroße Veranstaltung, etwas Außergewöhnliches, etwas Besonderes. Das trifft durchaus auf die Heimspiele des BVB zu. Deshalb finde ich, dass jedes Heimspiel von Borussia Dortmund ein Event ist.

schwatzgelb.de: Wie schmückt Sportfive dieses Event Heimspiel aus?

Carsten Cramer: Das Heimspiel von Borussia Dortmund ist das absolute Highlight. Darauf arbeiten wir die ganze Woche hin. Wir verkaufen VIP-Karten, die Bandenwerbung, die Trikotwerbung. Wir vermarkten vom Trikot bis zur Anzeige im Stadionmagazin alle kommerziellen Rechte und versuchen diese bestmöglich an Unternehmen zu veräußern. Das alles zielt darauf ab, dass sich Borussia Dortmund alle sieben Tage in der Bundesliga, alle 14 Tage zu Hause, von seiner besten Seite zeigt.

schwatzgelb.de: Ist dieser Arbeit im Moment einfach oder eher schwierig?

Carsten Cramer: Eher spannend. Einen Tabellenersten zu vermarkten ist einfach. Im Moment zeigt es sich wieder, wie unplanbar der Fußball ist. Das ist nicht schön für uns und keine leichte Aufgabe. Ich bin selten so frustriert nach Hause gefahren, wie nach dem Bochum-Spiel. Sogar verzweifelt, ich habe mir ernsthafte Sorgen gemacht. Andererseits ist eine totale Solidarität zu spüren. Das soll nicht heißen, dass alle möglichen Fehler verziehen werden. Aber allen Mitarbeitern beim BVB ist es wahnsinnig wichtig, dass es gut geht. Diese Form der Rückendeckung habe ich noch nicht erlebt.

schwatzgelb.de: Du sagtest, Du warst frustriert. Frustriert als Fan oder als der Rechtevermarkter?

Carsten Cramer: Wenn um 15.30 Uhr das Spiel angepfiffen wird, dann stehe ich grundsätzlich alleine irgendwo im Westen im Notausgangsbereich und rege mich über das Spiel im positiven wie im negativen auf. Ich hasse nichts mehr als Niederlagen. In dem Moment – das gilt nicht nur für mich, sondern auch für die anderen Mitarbeiter – sind wir durch und durch BVB-Fans. Das ist hochemotional, deswegen ist man nach Niederlagen auch sehr enttäuscht oder nach dem Spiel gegen Bayern meint man, man könne die Bundesliga erobern.

schwatzgelb.de: Inwieweit kannst Du nachvollziehen, dass der BVB-Fan das ganze Drumherum bei Heimspielen nicht ganz so toll findet?

Carsten Cramer: Ich kann nachvollziehen, dass der Fan eine gewisse Skepsis hat. Und dass Leute wie wir mit Bedacht betrachtet werden, kann ich auch nachvollziehen. Ich glaube aber, dass es da unnötigerweise viele Mißinterpretationen gibt, die dazu führen, dass man in uns das „personifizierte Unheil! sieht, was sicherlich nicht berechtigt ist. Denn wir sind weder irgendwelche Interessensverhökerer noch irgendwelche herzlosen Seelenverkäufer. Wir versuchen einfach nur im Sinne des BVB, bestmögliche Arbeit zu machen.

schwatzgelb.de: Ist die Halbzeitpause gegen Stuttgart, als Heidi Klum mit ihren Kandidatinnen von „Germany’s next Topmodel“ den Rasen zum Catwalk machte, ein Beispiel für diese bestmögliche Arbeit?

Carsten Cramer: Nein. Ich finde das vom Grundsatz her nicht verkehrt, aber das passte einfach nicht. Auch wir machen Fehler.

schwatzgelb.de: Wie kam es genau zu dieser Heidi-Klum-Geschichte?

Carsten Cramer: Wir hatten vor zwei Jahren eine Anfrage von GQ, ob wir nicht mal Lust hätten, die Spieler anstatt mit Kindern mit irgendwelchen Models einlaufen zu lassen. Da haben wir gesagt: Nee, Leute, Klamauk machen wir nicht. Da wird ganz klar eine Grenze überschritten, das ist ja peinlich. Aber bei Heidi Klum haben wir gesagt, dass es ja eigentlich nicht so uncool ist, wenn sie so etwas in der Halbzeitpause machen möchte. Wir haben gesagt, wenn das nicht zu albern ist, dann ist das ok. Und wir haben natürlich immer ein Interesse daran, dass der BVB wahrgenommen wird. Wir finden es schade, wenn über Borussia Dortmund wenig geschrieben, gesprochen und berichtet wird. Nicht wegen der Kohle, sondern weil das nicht gut für uns ist. Bei Heidi Klum haben wir gedacht, das ist ein Thema, von dem können wir profitieren, also wieso nicht. Es spricht doch auch irgendwie für Borussia Dortmund, dass Heidi Klum es gerade bei uns machen wollte, nicht in München, nicht auf S*****. Es hat am Ende nicht funktioniert und das würden wir nicht noch mal machen. Wir lernen aus den Fehlern. Damals war es einen Versuch wert, aber das brauchen wir nicht noch mal.

schwatzgelb.de: Das heißt, in Zukunft brauchen wir ähnliche Aktionen nicht mehr zu befürchten?

Carsten Cramer: Wir besprechen alles mit dem Verein ab. Wir tauschen uns mit der Fanabteilung aus. Wir versuchen ja nicht, irgendwelche aberwitzigen Vermarktungsideen durchzusetzen. Am Saisonbeginn klären wir ab: Was wollen wir bieten? Wie weit können wir gehen? Wir wollen den Sponsoren ja auch gar nichts verkaufen, was die Menschen gar nicht wollen. Deswegen gibt es diesen Austausch mit der Fanabteilung. Das ist aber leider keine Garantie, dass wir irgendwann nicht noch einmal einen Fehler machen.

schwatzgelb.de: Wo sind denn die Grenzen? Wird es wie in Frankreich oder Österreich mit Werbung zugekleisterte Trikots geben?

Carsten Cramer: Was da abläuft, ist krass. Diese vielen Werbeschilder sind ja auch für die Kunden nicht gut. Man geht ja in der Masse unter, dadurch sinkt ja auch der Wert der Werbung.

schwatzgelb.de: Wie wird Stadionwerbung in Zukunft aussehen?

Carsten Cramer: Es wird mit Sicherheit keine riesigen Videowände im Stadion geben. Aber Werbetafeln mit Leuchtschrift wie in Frankreich üblich kann ich mir schon vorstellen. Ich glaube auch, dass es in Zukunft so etwas wie virtuelle Werbung geben wird, das heißt, der Zuschauer am Fernsehen sieht andere oder mehr Werbung als der Zuschauer im Stadion.

schwatzgelb.de: Wie geht Ihr mit unseren Farben um?

Carsten Cramer: Ich glaube, dass wir relativ sensibel mit den Interessen umgehen. Ich sehe auch bei der Umsetzung des Namensrechtes am Stadion keine Farben außer schwarz und gelb. Dafür haben wir eine Menge getan, denken wir. Wir haben aber erfreulicherweise eine Menge Partner, die darauf eingehen. Wenn ich sehe, was die RAG im Moment im Bereich Anzeigen macht, das ist doch sensationell. Das hat doch Jahre lang keiner mehr gemacht, wie die die Farben schwarz-gelb in Deutschland platzieren, finde ich einfach super. Unsere Aufgabe ist es, dafür bei den Firmen die Begeisterung zu wecken und auch die Befindlichkeiten, wie weit kann man gehen und wie weit darf es definitiv nicht gehen.

schwatzgelb.de: Was ist mit Biene Emma?

Carsten Cramer: Emma ist ganz klar ein Kids Club-Thema.Und da achten wir ganz gezielt und nicht aus Opportunität den Fans gegenüber darauf, dass es das Maskottchen des Kids Club ist und dass es halt nicht die Animationsfigur von Borussia Dortmund ist. Trotzdem braucht man für Kinder ein anderes Vehikel, mit dem man Borussia Dortmund in irgendwelche Welten hineintragen kann, in denen er vorher noch nicht war. Man kann nicht erwarten, dass jeder als BVB-Fan zur Welt kommt. Man muss ja auch jemanden die Möglichkeit auch mal später BVB-Fan zu werden, ohne dann BVB-Fan zweiter Klasse zu sein.

schwatzgelb.de: Ihr seid deutschlandweit tätig und betreut neun Vereine. Ich habe bei Dir rausgehört, dass Ihr alle BVB-Fans seid. Ist das wichtig, dass Ihr nicht nur für den Verein arbeitet, sondern auch etwas emotional bei der Sache seid?

Carsten Cramer: Hier in Dortmund ist es eine besondere Situation. Alle Mitarbeiter haben ihre Wurzeln im Ruhrgebiet, alle sind von Anfang an seit 1999 dabei. Und deswegen haben alle einen besonderen Bezug zu Borussia Dortmund. Es ist extrem wichtig, dass es eine Identifikation mit dem Verein gibt. Ich finde aber, es muss nicht immer sein, dass man durch und durch Fan ist. Wir sind gerne an jedem Spieltag von 9 Uhr morgens bis 22 Uhr abends im Stadion. Ohne Identifikation mit dem Verein würde das ja gar nicht gehen.

schwatzgelb.de: Wie wirkt sich denn die momentane Situation auf Eure Arbeit aus?

Carsten Cramer: Wir versuchen natürlich, unsere Arbeit unabhängig vom sportlichen Ergebnis zu machen. Trotzdem wirkt sich das natürlich auf unsere Arbeit aus. Borussia Dortmund hat den Ruf eines erfolgreichen, ambitionierten Vereins gehabt. Jetzt hat der Verein sportliche Sorgen. Es wäre schon leichter für uns, wenn die Mannschaft weiter oben stände.

schwatzgelb.de: Leichter in welcher Hinsicht?

Carsten Cramer: Wir müssen z. B. 4000 Plätze im Gastronomiebereich verkaufen. Und es ist ja nicht so, dass die Leute uns immer anrufen. Man muss die Leute für Borussia begeistern. Wenn man sie erstmal im Stadion hat, dann sind sie alle begeistert. Dann sagen sie: das ist was Außergewöhnliches hier. Für mich sind Sponsoren normale Zuschauer, sie sind auch Fans, wenn auch andere als auf der Südtribüne. Sie haben am Ende aber alle ein Interesse, nämlich dass Borussia Dortmund erfolgreich Fußball spielt.

schwatzgelb.de: Welche Reichweite hat die „Marke“ BVB?

Carsten Cramer: Der BVB ist eine im Ruhrgebiet verwurzelte Marke, aber auch eine Marke, die nationale Ausprägung hat. Wir können nachweisen, dass man mit Borussia Dortmund die Menschen ins Flensburg wie in Garmisch-Patenkirchen oder im Osten erreicht. Und das können nur sehr wenige Vereine. Und Borussia hat durchaus auch noch eine gewisse internationale Wahrnehmung. Das sind Argumente um Firmen für eine Kooperation mit dem BVB zu gewinnen. Borussia Dortmund ist aber darüber hinaus auch der Verein, der die größte Dichte an Fans in seinem Einzugsgebiet hat. Unser Verein besitzt eine Akzeptanz in seinem Raum, wie kein anderer Verein. Nicht wie die da drüben (zeigt nach Westen…) oder die Bayern in München oder Berlin. Das ist außergewöhnlich: Total verwurzelt und stark akzeptiert in der Region, dazu starke Partner aus der Region, wie zum Beispiel die RAG: Und trotzdem mit deutschlandweiter Wahrnehmung.

schwatzgelb.de: Glaubst Du, dass in fünf bis zehn Jahren Eure Arbeit einfacher wird?

Carsten Cramer: Ich glaube, dass die Welten, die aufeinanderprallen – Fan und Marketing – nicht mehr so weit voneinander entfernt sind. Das ist alles normaler geworden. Vieles hat sich relativiert und alles gleicht sich an. Es ist auch selbstverständlicher geworden.

schwatzgelb.de: Ist dieser Gegenpol Fan nicht auch gut für Euch?

Carsten Cramer: Ich finde, dass wir uns unheimlich gut ergänzen können. Ich sehe keine Konkurrenz zwischen uns. Ohne die Fans, ohne die Menschen, die Borussia lieben, ginge es gar nicht. Aber wir haben auch eine gewisse Daseinsberechtigung. Das ist wie in einer Ehe. Da muss auch mal einer sagen: Nee. So geht’s nicht. So lange der Spannungsbogen von einer Seite nicht überdreht wird, finde ich das absolut ok. Dass es ohne Fans nicht geht und dass die Abhängigkeit vom Fan viel größer ist, als Abhängigkeit zu uns, ist klar.

schwatzgelb.de: Könnte der Verein sich eigentlich nicht auch selbst vermarkten?

Carsten Cramer: Weiß ich nicht. Ich finde schon, dass es manchmal ganz gut ist, wenn man jemand Außenstehenden nimmt. Und der Verein kann sich dann um seine Kernkompetenz, den Sport, kümmern. Dadurch verzettelst Du Dich nicht, mischst Dich aber auch in bestimmte andere Bereiche nicht ein. Und wir machen nichts anderes als Marketing. Eine klare Aufgabenverteilung hat durchaus Sinn.

schwatzgelb.de: Welcher Spieler lässt sich am besten vermarkten?

Carsten Cramer: Alle. Die Mannschaft ist überaus sympathisch und authentisch. Da verstellt sich keiner.

schwatzgelb.de: Haben die vielen Trainerwechsel einen Einfluss aufs Image?

Carsten Cramer: Ja, Sport und Personalpolitik haben Einfluss aufs Image. Aber im Moment ist alles darauf ausgerichtet, sportlichen Erfolg wiederherzustellen. Es ist schön, wenn eine gewisse Kontinuität in der Personalpolitik da ist, aber am Ende ist der sportliche Erfolg das Wichtigste.

schwatzgelb.de: Sind wir denn nächste Saison noch Erstligist?

Carsten Cramer: Ich bin durchweg positiv. Der Trainer hat mich voll angesteckt mit seinem Optimismus. Nach dem Bochum-Spiel war ich völlig am Ende, dachte, das geht schief. Aber jetzt bin ich wieder deutlich positiver gestimmt.

schwatzgelb.de: Was wünschst Du Dir denn für ein Fanverhalten gegenüber Eurer Arbeit?

Carsten Cramer: Ich wünsche mir ein authentisches Fanverhalten, so wie sie es empfinden. Wir versuchen uns nicht zu verstellen. In Fankreisen wird ja vermutet, dass wir immer so eine Maske aufsetzen, wenn wir was mit Borussia zu tun haben. Ich komme zwar nicht aus dem Ruhrgebiet, sondern aus Münster. Aber das wirklich tolle hier ist, dass hier alles echt ist. Ich habe auch mal zwei Jahre in Hamburg gearbeitet. Da wirkt vieles irgendwie aufgesetzt. Hier ist alles direkt und ich hoffe, dass das so bleibt. Die Fans sollen ihren Unmut äußern, aber auch ihre Begeisterung zeigen. Das ist für mich das Wichtigste. Diese Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit.

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