Jahreshauptversammlung Borussia Dortmund "Presseschau" zur Jahreshauptversammlung
Es ist ein schwieriger Spagat, nicht in die gleiche dumpfe Medienschelte zu verfallen, wie populistische Kräfte am Rande der Gesellschaft, trotzdem aber berechtigte Kritik zu üben. Die Kommentare in der "Welt" und der "Süddeutschen Zeitung" zur JHV machen das jedoch notwendig.
Die Mitgliederversammlung des Ballspielverein Borussia 09 e.V. Dortmund im Jahre 2025 ist geschafft. Zum Glück, möchte man sagen, weil es für alle Beteiligten eine fordernde Veranstaltung war, die mit ihrer schieren Länge von über 12 Stunden zuzüglich Verspätung auch konditionell den Teilnehmern viel abverlangt hat. Nach so einer Anstrengung empfiehlt es sich, die Muskeln zu lockern und einmal durchzuschütteln. Hilfreich dabei dürften die Kommentare dazu von Oliver Müller und Freddie Röckenhaus sein, bei denen man intensiv abwechselnd den Kopf schütteln oder ihn auf den Tisch knallen möchte. Das wäre kein Problem, wenn die beiden für Schülerzeitungen oder kostenlose Samstagszeitungen, die eigentlich nur eine Schutzhülle für eine Vielzahl von Werbeprospekten sind, schreiben würden und nicht für deutschlandweite Leitmedien „Welt“ und die „Süddeutsche Zeitung“.
Man weiß eigentlich gar nicht so genau, wo man anfangen will beim Korrigieren und Richtigstellen. Die Welt spinnert sich eine Revolution zusammen, bei der die „organisierten Fans […] ihre Muskeln haben spielen lassen“, an der auch unser Fanzine strategisch beteiligt gewesen sein soll, weil – Achtung – wir im Vorfeld im Rahmen des offiziellen Stadionvorprogramms angemerkt haben, dass sich alle auf einen langen Tag einstellen und sich etwas zu Essen mitbringen mögen. Insgesamt sollte der Eindruck erweckt werden, dass eine kleine Gruppe im Stile amerikanischer Filibusterreden die Veranstaltung so weit in die Länge gezogen hat, bis man im kleinen Kreis alle möglichen Entscheidungen durchdrücken konnte.
Abstimmung im kleinen Kreis
Nun ist die Vorstellung irgendwie lustig, Teil einer Verschwörung zu sein, allerdings passt ein Umstand nicht so wirklich in diese Lesart. Der BVB muss nämlich irgendwie darin involviert gewesen sein, weil man selbst in der Einladung darauf hinwies, dass die Veranstaltung bis nach 24 Uhr gehen könne und gratis Wasser an alle Anwesenden verteilte. Grund für die von allen befürchtete Länge waren zum Einen wirklich eine Vielzahl unterschiedlicher Anträge zur Änderung der Satzung, zum Anderen aber schlicht und ergreifend Probleme und Verzögerungen im Ablauf durch die hybride Form, die der Vorstand selber beschlossen hat. Zuerst konnten sich Mitglieder nicht am Einlass registrieren lassen, sodass die Versammlung mit einer Stunde Verspätung begann, dann gab es technische Probleme mit Doppelabstimmungen und ganz generell dauerte der hybride Abstimmungsprozess wesentlich länger als gewohnt. In der Folge waren nach acht Stunden gerade einmal die Tagesordnungspunkte bis nach den Vorstandswahlen abgearbeitet. Niemand hatte wirklich Spaß daran, in juristische Diskussionen zu Satzungsänderungen zu einem Zeitpunkt einzusteigen, zu dem man eigentlich schon lieber längst zuhause auf der Couch sitzen und den Tatort gucken wollte.
Dabei blendet man noch die Umstände aus, dass es mit den Missbrauchsvorwürfen ein Thema gab, das dringend auf den Vereinstisch zur Aussprache musste und die letzten Monate schlicht und ergreifend die dringende Notwendigkeit von Satzungsänderungen aufgezeigt haben. Es ist ein schlechter Witz, dass bei einem Verein mit über 200.000 Mitgliedern vor der Wahl Rechtsgutachten bemüht werden müssen, um die simple Frage zu klären, wie viele Kandidaten ein Wahlausschuss vorschlagen darf oder muss.
Kampf dem Kommerz
Worum es der organisierten Fanszene dabei geht? Wie bei jeder guten Verschwörungstheorie natürlich um Macht und Einfluss. Macht, in dem man sich erdreistet zukünftig viel stärker bei der Besetzung der Gremien mitzureden und Einfluss bei der Durchsetzung von… wie eklig… Werten. In die gleiche Kerbe haut Freddie Röckenhaus, bei dem die Chefetage der Süddeutschen so langsam wirklich überlegen sollte, ob man ihm nicht den Redaktionszugang zum Selbstschutz sperren sollte, bevor das Bild des einstmals hervorragenden Investigativjournalisten komplett verblasst ist.
Er schafft es tatsächlich eine „postfaktische“ Zeit der „Konspirationstheorien“ anzuprangern und im übernächsten Satz zu erklären, dass beim BVB eine „kleine Gruppierung innerhalb des Klubs de facto bereits den Verein übernommen“ habe. Ziel sei eine Umwidmung des BVB auf „moralische oder politische Werte“, obwohl der BVB nur ein Fußballclub sei. Sein Kollege Oliver Müller orakelt unter anderem, dass „beispielsweise Lieferketten bei Lieferanten thematisiert werden“.
Ganz davon abgesehen, dass Sorgfalt bei Lieferketten mittlerweile sogar gesetzlich verankert ist, wird hier – postfaktisch – ein Narrativ bedient, das so offensichtlich ist, dass es einem Journalisten eigentlich auffallen müsste. Ein einfacher Blick in das Vereinsregister zeigt, dass der Ballspielverein Borussia 09 e.V. Dortmund ein gemeinnütziger Verein ist. Damit ist er steuerbefreit und hat einen enormen finanziellen Vorteil. Um diesen Status zu erhalten, muss er eben dem Gemeinwohl dienen. In der Satzung wird dazu auch ausgegeben, dass der Verein ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Ziele im Sinne der Abgabenverordnung verfolgt. Viele der hier so misstrauisch beäugten Werte dienen der Förderung des demokratischen Staatswesens und stärken die Stellung des Vereins. Das Bereitstellen von Werbeflächen für Sponsoren und von Millionengehältern für Profifußballer fallen dagegen eher nicht in den Bereich der Gemeinnützigkeit.
Natürlich wollen wir alle einen sportlich erfolgreichen BVB und eine starke KGaA ist in unser aller Interesse. Allerdings wird niemand bestreiten, dass der Profifußball in immer schnelleren Maße moralische Grenze einreißt und überschreitet. Ist es da wirklich verwerflich, wenn Vereinsmitglieder als Gegengewicht den Charakter des Wohles für die Gemeinheit und dem Einstehen für Werte einfordern? Nichts anderes als eine ausgewogene Balance zwischen beiden Polen soll erreicht werden.
Mitbestimmung als Schreckgespenst
Gänzlich irritierend ist, mit welchem Argwohn die beiden Schreiber einem Mehr an Mitbestimmung gegenüberstehen. Bislang ist es so, dass die Vereinsmitglieder nur in einem sehr begrenzten Teil Einfluss auf die personelle Besetzung von Gremien haben, die ihrerseits eine auf eine Person begrenzte Vorauswahl für die Posten im Vereinsvorstand treffen. Das ist im Endeffekt eine aufs Minimum begrenzte Möglichkeit zur Selbstbestimmung, mit der die Mitglieder nicht mehr zufrieden sind. Daraus erwuchs nun der Wunsch nach mehr Teilhabe am demokratischen Prozess, durchgesetzt auf Basis festgeschriebener Mehrheitsverhältnisse – wenn Journalisten diese Vorstellung schlaflose Nächte bereitet, dann fällt einem nicht mehr viel ein. Zumal alle Forderungen sachlich argumentiert waren, vorgetragen von Personen mit Doktortiteln und Juristen. Qualitativ um Längen hochwertiger als einige Beiträge der Funktionsträger auf dem Podium. In diesem Punkt ist es mehr als verständlich, dass Müller und Röckenhaus das Mäntelchen des Schweigens über diese Passagen legen.
Letzterer führt auch noch vorwurfsvoll an, dass Aki Watzke für die mangelnde Aufarbeitung bei den Missbrauchsvorwürfen in Regress genommen würde, obwohl die sich „zu keinem Zeitpunkt in dem von ihm geleiteten Profibereich“ abgespielt hätten. Im rein chronologischen Sinne ist das zwar richtig, ob die KGaA für die Vorgänge vor der Ausgliederung der Fußballabteilung in eine Kapitalgesellschaft im Rahmen des Spaltungsplans aber nicht doch zumindest mitzuständig ist, ist eine Frage, die sich sicherlich nicht so einfach wegwischen lässt. Alles gänzlich unabhängig von der Tatsache, dass es ziemlich unerträglich ist, im Rahmen von Kindesmissbrauch die Mitverantwortung aller Personen, die ohne Zweifel spätestens mit der Meldung eines Opferanwalts im Jahr 2010 von den Vorwürfen wussten, mit unterschiedlichen Zuständigkeiten der Organisationseinheiten wegzuschieben.
All das waren Punkte, die von deutlich mehr Mitgliedern als in den Jahren zuvor, von Mitgliedern aller Altersklassen, von „aktiven Fans“, Fanclubmitgliedern und Einzelfans diskutiert und per Abstimmung entschieden wurden. Ohne Einschüchterungen, Taschenspielertricks und Winkelzüge. Die wohl demokratischste Revolution der Welt.
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