Eua Senf

Über Vermissen, Tränen und BVB-Familie Wenn der Stadionbesuch zu schwer wird

04.09.2025, 07:12 Uhr von:  Nina T.  
Blick zum Westfalenstadion

Ein Heimspiel voller Erinnerungen – zwischen Freude und Trauer. Unsere Gastautorin Nina erinnert uns daran: Schaut nicht weg, wenn jemand im Stadion kämpft.

Erstes Heimspiel der neuen Saison, Sonnenschein und ein paar Wolken, bisschen schwül. Die lieben Nachbarn betreuen die Hunde und die schwarzgelben Plünnen sind gewaschen. 

Hätte schlechter laufen können.

Zwischen Hundeschule und Abfahrt noch was Kleines gegessen und eine Tablette gegen die Kopfschmerzen genommen. Ein perfekter Parkplatz für das winzige Auto am Polizeipräsidium. 

Hätte schlechter laufen können. 

Meine größte Sorge sind die Kopfschmerzen, aber die verfliegen beim Spaziergang zum Stadion. Eine Union-Gruppe höre ich irgendwo hinter mir. Es geht überraschend zügig durch den Eingang, scheint deutlich mehr Frauen-Kontrollen zu geben, sehr gut.

Hätte schlechter laufen können. 

Unter der Westtribüne überlege ich gerade, ob ich lieber Brezel oder Bratwurst möchte, da erklingt Aida aus den Lautsprechern. Aber anstatt mich zu ärgern, dass ich noch nicht an meinem Platz bin...

Jetzt läuft es schlechter.

...schießen mir die Tränen in die Augen. In meinem Kopf höre ich meinen Papa singen, aus voller Kehle. Er war ein richtig guter Sänger. Früher. Er hat das Ende der letzten Saison "abgewartet", dann ist er nach langem Leiden gestorben und ich war an dem Tag trotzdem zu spät. "Was macht unsere Mannschaft?" hat er jedes Mal gefragt. Die Tränen fließen noch bevor ich die Kurve mit den Pommes erreiche.

Es läuft schlechter.

Pommes habe ich mir immer mit Mama geteilt. Für sie Mayo, für mich Ketchup. Mama war länger mit im Stadion als Papa, aber Mama ist länger nicht mehr da, hat schon die letzte Saison verpasst. Ihr Diamant hängt um meinen Hals, sie wollte weiter mit ins Stadion.

Noch mehr Vermissen, noch mehr Zusammenreißen. Irgendwie durch die Tränen und die Leute navigieren. 

Es läuft schlechter.

Auf den Treppen erinnere ich mich, wie schwer die zuletzt zu bewältigen waren für meine Eltern. Jetzt werde ich immer wieder langsamer, die Schritte schwerer, aber die Hoffnung ist noch, dass es an unserem Platz schon gehen wird. Ich zeige die Karte am Zugang vor und blicke die Stufen im Block hoch. Choreo. Meine Mama hätte gejubelt. Borussia war immer ein Familiending...

Jetzt bin nur noch ich da. Innerlich bricht alles. 

Es geht nicht.

Ich drehe um und gehe wieder. Ich weiß nicht welche Treppen, welche Wege, nur dass ich am Eingang zwischen den herein kommenden Fans Ordner fragen muss, wie ich überhaupt raus komme. Ein erstes Mal. Das ändert aber nichts. Ich will weg. Raus.

Ich weiß auch nicht mehr so richtig wie ich zum Parkplatz gekommen bin, nur Autopilot.

Aber ich weiß, dass ich - von Aida bis ich die Autotüren verriegelt habe - Angst hatte, dass mich jemand fragt, was los ist und dass der ganze Damm bricht, dass ich dann gar nichts mehr kann. Reden, laufen, atmen.

Andererseits hätte ich auch jemand sein können, den man fragen MUSS, was passiert ist... Aber von all den Menschen um mich herum hat niemand etwas gesagt. Niemand hat mich angesprochen, obwohl ich (leider) offensichtlich geweint habe. Wenn ich die Frage gebraucht hätte, wäre ich einfach nur einsam unter tausenden Menschen gewesen und möglicherweise hätte das alles noch viel, viel schlimmer gemacht.

Deshalb: Bitte, bitte sprecht die Menschen an oder bittet Ordner darum. Lasst sie nicht alleine, seid BVB Familie. 

Auch wenn es auf dem Weg in den Block, zum Bierstand oder auf die Toilette einen Moment aufhält.

Gleiches gilt fürs Ordnungspersonal.

Bitte schaut nicht weg!

Ich bin unfallfrei zum Auto und nach Hause gekommen, habe Schokoladenkuchen gekauft, die Hunde gekuschelt und Netradio gehört. 

Mir geht's wieder gut. 

Aber es hätte so viel schlechter laufen können. 

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