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Polizei schickt BVB-Fans nach Schlägerei zurück Verlorenes Vertrauen

19.09.2023, 09:00 Uhr von:  Nina T.
Ein Transparent aus Mai 2023 auf der Südtribüne gegen Gladbach: "Der Zug hält, aber die Reise geht weiter. Durchhalten, Freunde."
Diese Reise ging nicht für alle weiter

Unsere Autorin hat mittlerweile große Probleme "Meldungen" zu trauen und das ist kein Zustand. Ihr Blick auf die Ereignisse vom Wochenende, worin der sich begründet und was sich wünschenswerterweise ändern sollte.

Am Samstag, den 16.09.2023, kam es am Mannheimer Bahnhof auf dem Weg nach Freiburg zu Ausschreitungen in einer Unterführung zwischen BVB und HSV Fans - unterwegs nach Elversberg.

So weit, so unbestreitbar kacke. Und natürlich waren auch Unbeteiligte betroffen. Denn zwei Haltestellen später in Herbolzheim sollten alle BVB Fans den Zug verlassen.

Aber für diesen Text ist das nur der Anlass.

Mit dem Vorfall selbst beschäftigen sich Artikel von neutral über gemäß polizeiliche Pressemitteilung bis klassisch reißerisches Hetzblatt. Dass es einen neutralen Artikel gibt, ist schon fast Anlass zur Freude…

Weil es noch keinen Monat her ist, dass ein Artikel zu dem Schuss auf einen Gladbacher Fanbus in Augsburg notwendig war.

Mein Status Quo

Und damit wären wir auch schon beim Ursprung meiner trust issues:

Ich glaube der Polizei nicht mehr.

Nicht wenn es um Fußballfans geht. Nicht wenn Teenager erschossen werden. Nicht wenn es um Chatgruppen geht. Nicht wenn… Das ist nur der Anfang der Liste, begründet durch eigene Erfahrungen und Erfahrungsberichte.

Wären wir, die Polizei und ich, in einer Beziehung, müsste ich sofort Schluss machen. Ein so zerrüttetes Vertrauensverhältnis ist schlicht keine Basis mehr.

Ich lese die oben verlinkten Artikel und bin komplett misstrauisch, stehe erstmal auf Seiten der Beschuldigten.

Fragezeichen

Wieso war die Polizei überhaupt in ausreichender Stärke für 250-300 Fans an diesem Bahnhof? Hängt man da Samstagmorgen einfach mal so rum oder kannte man die Reiserouten und ein mögliches Konfliktpotential? Warum stellt man dann keine Trennung sicher? Und warum setzt man auf Deeskalation mit Pfefferspray und Schlagstöcken? Wie konnte es gelingen, dass niemand verletzt wurde? Wenn es doch unter normalen Umständen - wie gerade in Frankfurt - in halb geschlossenen Räumen immer Verletzungen gibt.

Die Antwort ist relativ einfach: Es waren nur zwei Polizisten vor Ort - einer hatte Pfefferspray, der andere einen Schlagstock. Und der Konflikt hat sich letztlich ohne deren Zutun, nur mit den beteiligten Parteien, nach kurzer Zeit wieder aufgelöst.

Diese Form der verzerrenden Statements, diese Berichterstattung schadet mehr als sie hilft.

Nun ist das aber keine Beziehung zwischen zwei Personen, die beendet werden könnte und man ginge sich in der Folge so gut es eben geht aus dem Weg.

Es geht um eine gesamtgesellschaftliche Beziehung, in der sich ein paar noch sicher fühlen, aber viele nicht mehr. Daran kann nicht nur eine Seite arbeiten! Zu argumentieren, dass man halt "keinen Anlass" geben dürfe, ist zwar nicht komplett falsch, aber trotzdem zu einfach gedacht. Wo hört das denn auf?

Zweifelhafte Zahlen, zweifelhafte Maßnahmen

Am Samstag sollten später erstmal alle BVB Fans den Zug verlassen, obwohl sonnenklar war, dass nicht alle verdächtig sein können! Hätten diese einfach Folge geleistet, wären viel zu viele Unbeteiligte betroffen gewesen.

Aber auch so wie es gelaufen ist, haben unbeteiligte Fans aus Solidarität mit ihren Freunden den Zug verlassen, weil sie das so machen: Gemeinsam oder gar nicht.

Die Zahl der angeblich verdächtigen BVB Fans ist also zu hoch. Es sind zwar ca. 200 zurückgefahren, aber es waren nicht alle beteiligt. Auch das sollten wir uns vor Augen halten!

Dass man nach dem Vorfall in der Masse untertaucht, ist ebenfalls logisch - nicht prädestiniert für Applaus, trotzdem nur logisch.
So steht zum Beispiel in Deutschland, Österreich und der Schweiz sogar die Flucht aus dem Gefängnis nicht unter Strafe, weil sie dem natürlichen Freiheitsdrang des Menschen entspricht. Aus ähnlichen Gründen gilt die Flucht auch übrigens nicht als Widerstand leisten.

Wer nicht auf frischer Tat gefasst werden kann, ist zumindest vorläufig aus dem Schneider.
Das mag nicht zufriedenstellen, das ist aber Fakt.

Transparent beim Pokal in Mainz: "Justice for Mouhamed - Rest in Power! Für eine unabhängige Kontrolle der Polizei!"

Rechtsverständnis in Schieflage

Normalerweise halten wir es gut aus, dass nicht alle Übergriffe aufgeklärt und nicht alle Verdächtigen gefunden werden können. Das ist einfach so, wenn man nachweisbar die Richtigen treffen will.
Nur wenn man es auf eine verdächtige Gruppe eingrenzen kann, entwickelt sich anscheinend ein übertriebener Ehrgeiz, man wähnt sich irgendwie "zu nah dran", um noch vernünftige rechtliche Maßstäbe anzusetzen. Da werden plötzlich "Kollateralschäden" akzeptabel. "Man darf halt nicht mit den falschen Leuten rumhängen." Auch gesellschaftlich kommt der Gedanke immer wieder auf, obwohl es komplett unserem Rechtsverständnis widerspricht.

Beispielsweise: Aktuell ist wieder Oktoberfest und es gäbe wohl jeden Tag Gelegenheit, unter dem gleichen Konzept Zelte zu schließen und jeden Menschen in Lederhosen zur Feststellung der Personalien festzuhalten.

Und dabei sollte klar werden: Sippenhaft und Kollektivstrafen sind weiterhin keine Lösung.

Dir muss nach wie vor bewiesen werden, dass du etwas falsch gemacht hast, nicht du musst nachweisen, dass du nichts getan hast - egal wer zeitgleich in deiner Umgebung war.

Lösungsteile

Was aber Teil der Lösung werden kann, verlorenes Vertrauen wieder aufzubauen, wäre Transparenz durch eine unabhängige Stelle, die mutmaßliche Fälle von Polizeigewalt und -willkür prüft und die Ergebnisse einer Staatsanwaltschaft vorlegt. Das wäre unglaublich wichtig! Weiterhin braucht es Verhältnismäßigkeit: Die große Masse der Fußballfans ist nicht bewaffnet und dagegen stehen Panzerung, Schlagstöcke, unkalkulierbares Pfefferspray, Schusswaffen und Wasserwerfer… Einschüchterung ist die Parole. Provokation ist leider keine Seltenheit und wer sich ungerecht behandelt fühlt, reagiert oft irrational.

Und da könnte die Presse tatkräftig mithelfen, denn die Forderungen nach größeren Aufgeboten, die ungefilterten Übernahmen von Statements sind nicht hilfreich. Auch wenn wir alle Menschen sind, Provokation unter allen Umständen zu vermeiden, ist wortwörtlich der Job der Profis in dieser Situation.

Der Status des Misstrauens ist zu lang, zu gründlich erarbeitet worden, um schnell behoben zu werden. Umso schneller muss man aber jetzt handeln.

Es ist dringend an der Zeit, das Vertrauen wieder aufzubauen. Fangt endlich an!

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