Unsa Senf

Felix Nmecha wechselt zum BVB Chancenwucher

05.07.2023, 12:38 Uhr von:  Larissa
Zeigt das Banner "Gemeinsam gegen Homophobie" aus der Saison 16/17

Die Kommunikation vor, um und nach der Vollendung des Transfers von Felix Nmecha zum BVB zeigt: Ein Problembewusstsein sucht man an (zu) vielen Stellen vergebens.

"Ich denke, ein paar Sachen waren aus dem Kontext genommen" - Worte von Felix Nmecha bei seiner Vorstellung, gesagt mit einem leichten Lächeln auf den Lippen und einer "Schwiegermuttis-Liebling"-Attitüde. Welcher Kontext das bei einem transfeindlichen Video, kommentiert mit den Worten "wenn wir nicht sehen, was falsch ist” sein soll, das verrät er nicht. Es sind Worte, die einen ratlos zurücklassen. Das wars? Mehr kommt da jetzt nicht? (Was darf Satire?)

Und es sind Worte, die gnadenlos offenbaren: Ein Problembewusstsein ist nicht vorhanden. Nicht einmal wandte sich Nmecha bei seinen Beschwichtigungsversuchen an die Betroffenen, nicht ein Wort der Entschuldigung war zu finden. Der Spieler scheint immer noch nicht verstanden zu haben, wie verletzend seine Posts wirklich waren, welchen Hass er damit unter seinen nunmehr über 80.000 Followern verbreitete. Queerfeindlichkeit ist keine woke Spinnerei, sie richtet reellen Schaden an, ob nun durch tätliche Angriffe (welche im schlimmsten Fall tödlich enden, wie im Falle Malte C. im Rahmen des Münsteraner CSD 2022) oder durch das im Vergleich zu nicht-queeren Menschen vier- bis sechsfach erhöhte Risiko, einen Suizidversuch zu unternehmen*.

Das alles tangiert scheinbar weder Nmecha noch die meisten Verantwortlichen beim BVB. Oder man fühlt sich einfach nicht angesprochen. War ja nicht so gemeint. Und alle Kritik wird wegignoriert (ebenso wie die Flut an menschenverachtender Gülle, die aktuell sowohl bei uns als auch beim BVB die Kommentarspalten auf Social Media flutet. Herzlichen Glückwunsch, ich hoffe, ihr schaut euch genau an, welchen Menschen ihr gerade den Weg ebnet), denn es ist ja sowieso nur ein kleiner Teil der Fans, die sich über so etwas Gedanken machen. Eine unwichtige Minderheit, die “Nicht-Normalen”, wenn man Aki Watzkes Wording mal ganz pedantisch auf die Goldwaage legen möchte.

Wie wenig (beziehungsweise in der Öffentlichkeit gar nicht) der BVB auf die doch recht laute und mit großem Medienecho behaftete Kritik reagierte – noch etwas, das ratlos zurücklässt. Muss man daraus jetzt den Schluss ziehen, dass man im Verein ganz genau weiß, was man da fabriziert und sich bewusst ist, dass nichts sagen immer noch besser ist, als das zuzugeben, weil dann wenigstens noch ein paar Naive auf das Gute im Verein hoffen? Ich hoffe nicht. Doch aktuell scheint es so: Der BVB hat seine Prioritäten gesetzt und entschieden, dass man für die Möglichkeit auf Erfolg halt dann doch auf die Minderheiten scheißt, deren Wohlwollen man sonst gerne durch Kampagnen und clever platziertes Merch sammelt.

Bei Nmecha geht es übrigens noch weiter: “Ich hoffe, die Fans werden mir die Chance geben, dass wir uns kennenlernen, und sehen, dass ich ein hoffentlich toller Mensch bin.” Auch Präsident Dr. Reinhold Lunow, von dem man mitunter den Eindruck erhielt, dass er ausbaden muss, was die sportliche Leitung im Schulterschluss mit Aki Watzke verbockte, beschwört die Fans in einem Statement, dem Neuzugang bitte diese eine Chance einzuräumen - setzte sich im selben Atemzug mit der Formulierung "interpretiert werden können" jedoch selbst in die Nesseln. Sowohl hier als auch bei der - nach feinster Nonpology-Manier - Beschwörung des Kontextes von Nmecha fragt man sich, warum das beim BVB eigentlich keiner der durchaus vorhandenen Leute mit Einblick in die Materie mal gegengelesen hat.

Aber ganz ehrlich? Nmecha hatte mehr als genug Chancen. Er hatte die Chance, überhaupt erst keinen queerfeindlichen Müll zu posten. Er hatte nach der Kritik auf das Video von Matt Walsh die Chance, sich mit der Thematik auseinanderzusetzen, sie aufzuarbeiten und den Fehler nicht zu wiederholen. Er hatte nach dem Wiederholen des Fehlers erneut die Chance dazu. Er hatte im Vorfeld des Transfers die Chance, den Kritikern zu zeigen, dass er es verstanden hat. Er hatte im Zuge des Vorstellungsvideos für den BVB die mit Abstand dickste Chance, die goldene Gelegenheit, die Betroffenen anzusprechen und eine tatsächliche Entschuldigung zu formulieren. Er nutzte keine dieser Chancen.

Und trotzdem ist ein Gros der mir bekannten Kritiker/innen (mich eingeschlossen) immer noch bereit, ihm einzuräumen, dass man mit 22 seine Meinung auch noch ändern kann - wenn, ja wenn denn mal irgendwas aus seiner Richtung kommen würde, wenn er bereit wäre, Aufklärungsangebote anzunehmen. Da herrscht jedoch völlige Fehlanzeige. Selbst nach all der Kritik zeigte Nmecha wenig bis gar nichts, was davon überzeugen könnte, dass er gewillt ist, sich mit den Folgen seiner Posts auseinanderzusetzen.

Wie soll ich einen solchen Spieler anfeuern? Die Kunst vom Künstler trennen - das mag bei Kandidaten wie Hummels funktioniert haben, die sich ihr “Vergehen” halt nur im Verständnis des Fußballer-Kosmos‘ geleistet haben. Bei einem Tor von ihm einfach nicht jubeln? Den Jubel offiziell zurücknehmen, falls er erst später als Torschütze ersichtlich wird? Für ein Ignorieren fehlt mir bei diesem Thema die Kompromissbereitschaft.

Ich habe keine Lust, keine Kraft, jedes zweite Wochenende aufs Neue einen inneren (und äußeren, denn die Diskussion wird auch auf der Tribüne aufkommen) Kampf auszutragen. Andere Mannschaften haben auch schöne Spieler/innen. Ich bin ratlos, enttäuscht - und müde. Ein Nicht-Betroffener wird sich kaum vorstellen können, wie kräftezehrend und emotional belastend die letzten Wochen waren. Das über eine ganze Saison hinweg? Nein danke. Stand jetzt (man darf den letzten Rest Hoffnung, dass doch noch irgendetwas Substanzielles vom Verein und der Nmecha-Front kommt, ja nicht aufgeben) wird mein Platz im 13er von jemand anderem besetzt sein. Das ist meine Konsequenz.

Die ganze Angelegenheit offenbart gnadenlos, wie wenig das oft aufgerufene "Borussia Verbindet" tatsächlich gelebt wird und hinterlässt den schönen Leitspruch als leere Hülle. Sie zerstörte jahrelang erarbeitetes Vertrauen innerhalb einiger Tage. Die Leute werden nicht vergessen, wie man mit Minderheiten umgegangen ist, als es darauf ankam. Wenn der Verein diese bereits eingebrochene Kuh jemals vom Eis kriegen will, dann muss er sich an vielen Stellen hinterfragen. Es gibt theoretisch genug Mitarbeiter/innen beim BVB, die "Borussia verbindet" mit Leben füllen - man müsste halt auf sie hören.




*di Giacomo E, Krausz M, Colmegna F, Aspesi F, Clerici M. Estimating the Risk of Attempted Suicide Among Sexual Minority Youths: A Systematic Review and Meta-analysis. JAMA Pediatr. 2018;172(12):1145–1152. doi:10.1001/jamapediatrics.2018.273

Unterstütze uns mit steady

Weitere Artikel