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Farbsehschwäche im Fußball In der letzten Saison hatte jedes dritte Spiel Konfliktpotential

21.02.2023, 21:28 Uhr von:  kha
Das Bild zeigt drei Kreise, die die Grundprinzipien von Exklusion, Integration und Inklusion verdeutlichen sollen.

Bei jedem Spiel des BVB sitzen nicht nur viele Menschen im Stadion, sondern (ob man will oder nicht) auch vor dem Fernseher oder anderen Geräten. Darunter befinden sich mit Sicherheit auch Menschen, die Probleme in der Farbwahrnehmung haben. Also entweder gar keine Farben wahrnehmen können oder rot und grün oder rot und blau nicht voneinander unterscheiden können. Wenn dann eine Mannschaft in einem Trikot spielt, das nicht genug Kontrast zum gegnerischen hat, ist es fast unmöglich dem Spiel zu folgen. Vom nötigen Kontrast zum Rasen oder dem Ball mal ganz zu schweigen.

Über diese Thematik und was dagegen getan werden kann sprachen wir mit Markus Stahmann, 1. Vorsitzender des Interessenverbandes der Farbsehschwachen und Farbenblinden, der sich erstaunlicherweise erst im Jahr 2022 gegründet hat.

Wie habt Ihr Euch kennengelernt und wie seid Ihr auf das Thema aufmerksam geworden?

Als Betroffene werden wir irgendwann mit dem Thema konfrontiert, weil wir Farben nicht oder für andere Menschen falsch sehen. Das Thema Fußball begleitet uns schon einige Jahre. Durch die Pandemie-Situation mit leeren Stadien ist das Thema nochmal bei mir besonders in den Fokus gerückt, da ich bei Fernsehübertragungen meist mehr Probleme habe. Als ich merkte, dass das Thema doch größer ist, fing ich an, mehr auf Twitter darüber zu schreiben. So sind meine Mitstreiter auf mich aufmerksam geworden und uns war klar, dass wir etwas tun müssen und wollen.

Wie viele Menschen sind von der Sehbehinderung Farbsehschwäche betroffen?

Genaue Zahlen gibt es nicht. Man geht davon aus, dass in etwa 8% der Männer und nur 0,5% der Frauen betroffen sind. Konkret wären das etwa jeder 12. Mann und jede 200. Frau. Auf die Bundesrepublik hochgerechnet, kann man hierzulande von etwa 4 Millionen Betroffenen ausgehen. Im Fußballstadion sind pro Partie mehrere tausend Fans betroffen: Für das Westfalenstadion wären es zum Beispiel deutlich über 5600 farbsehschwache Fans.

Rein statistisch mehr als 5600 Fans mit Farbsehschwäche bei jedem Spiel im Westfalenstadion

Ist Farbsehschwäche als Sehbehinderung anerkannt?

Die eigentliche Farbsehschwäche an sich nicht. Bei der „richtigen“ Farbenblindheit, der Achromasie, bei der die Umwelt nur in Grautönen wahrgenommen wird, sieht es anders aus: Sie ist als Sehbehinderung anerkannt und kommt oft mit einer höheren Lichtempfindlichkeit und verminderten Sehstärke daher.

Wie kam es zur Gründung des Interessenverbandes "Farbsehschwäche" und war es nicht merkwürdig, dass es so viele Interessenverbände gibt, aber keinen zum Thema "Farbsehschwäche"?

Wie eingangs erwähnt war für uns klar, dass wir etwas ändern wollen. Nachdem schnell deutlich wurde, dass die Auswirkungen der Farbsehschwäche im Alltag größer sind, als uns selbst bewusst war, fingen wir an, das Thema im Gesamten und nicht nur auf den Fußball bezogen zu betrachten. Zunächst hatten wir damit gerechnet, dass es eine Interessensvertretung für uns gibt. Das war nicht der Fall und erklärte sich für uns darin, dass vielen Betroffenen selbst gar nicht klar ist, in welchen Formen uns die Farbsehschwäche beeinträchtigt und sicherlich irgendwo dann auch die Impulse fehlten etwas anzustoßen.

Und wie hat der Verband der Blinden und Sehbehinderten auf die Gründung reagiert?

Wir hatten mit dem Verband bisher noch keinen Kontakt, sehen allerdings einen größeren Unterschied zwischen unseren Zielgruppen. Für gewöhnlich haben wir kein Problem mit unserer Sehstärke, sondern „nur“ mit dem Farbempfinden. Da gibt es mehr Überschneidungen mit der Selbsthilfegruppe Achromatopsie, also der kompletten Farbenblindheit. Hier wurde uns signalisiert, dass unsere Aktivitäten positiv gesehen werden, da komplett Farbenblinde nochmal andere Anforderungen haben. Generell differenzieren wir hier nicht und wollen Lösungen, die mit Farbsehschwäche oder kompletter Farbenblindheit funktionieren und auch Normalsichtige oder anderweitig Sehbeeinträchtigte von ihnen profitieren.

Wie viele Mitglieder vertretet Ihr aktuell?

Da wir uns in diesem Jahr gegründet haben und uns in der formalen Gründungsphase des Vereins befinden, bestehen wir aktuell aus den sieben Gründungsmitgliedern. Wir haben ein Kernteam von momentan vier Personen, die aktiv an der Website und der übrigen Verbandsarbeit mitwirken. Jede weitere Mitarbeit oder auch Unterstützung in Form einer Mitgliedschaft ist natürlich herzlich willkommen!

Mehr Wissenswertes zum Thema „Farbsehschwäche im Sport“, besonders im Fußball, findet Ihr auf der Seite farbsehschwaeche.de

Kommen wir mal zu dem, was unsere Leser am meisten interessiert: Was bedeutet Farbsehschwäche im Fußball? Also wo wird das Thema Farbsehschwäche relevant?

Der erste und naheliegendste Punkt sind die Trikots. Wenn Teams in rot und grün gegeneinander antreten, gibt das für uns in der Regel Probleme. Kombinationen wie gelb gegen grün oder rot und schwarz sind für uns ebenfalls problematisch. Das zeigt: Es betrifft nicht nur rot und grün. Grundsätzlich kann man sagen, sobald der Hell-Dunkel-Kontrast nicht mehr ausreicht, gibt es für uns Probleme. Als nächster Punkt wäre das Stadionumfeld zu nennen. Oft sind Blöcke oder Wege nur durch Farben codiert. Besonders problematisch ist dies in Stadionplänen und beim Ticketing, wo wir nicht erkennen, in welcher Kategorie wir Karten kaufen oder ob sie verfügbar sind.

Um den Blick nochmal auf das Spielfeld zu werfen: Hier kann es vorkommen, dass wir erst durch die Reaktion von anderen Fans Platzverweise mitbekommen, da wir die rote Karte nicht oder nur schwer also solche sehen. Beim roten Ball im Winter fehlt der farbliche Unterschied zum Rasen.

Was war das extremste Beispiel, das bisher aufgetreten ist?

Spontan fällt mir der BVB gegen Wolfsburg ein. Der BVB spielte in den gelben Heimtrikots und Wolfsburg in Neongrün, das war wenn überhaupt nur durch die Hosen zu unterscheiden. Werder gegen Augsburg war in dieser Saison auch äußerst problematisch, da beide Teams einen Weiß-Anteil in ihren Trikots haben und nahezu identisch aussahen. Schwierig wird es vor allem, wenn Hosen und Stutzen „in derselben Farbe“, also ohne Kontrast zueinanderstehen. Da eine Farbsehschwäche individuell unterschiedlich stark ausgeprägt sein kann, ist es schwierig, von dem extremen Beispiel zu sprechen. Manchmal können Einflüsse wie Nebel, Rauch oder Flutlicht entscheidend sein.

Ist es da ein Unterschied, ob man im Stadion oder vor dem TV bzw. Tablett oder Handy das Spiel verfolgt?

Es macht bereits im Stadion einen Unterschied, ob das Geschehen vor der eigenen Kurve oder gegenüber in 100 Meter Entfernung stattfindet. Je kleiner die Trikots und je schneller und dynamischer die Bewegungsabläufe sind, umso problematischer wird es für uns. Ihr müsst euch das so vorstellen: Wir sehen die Teams in Farben, allerdings ist es keine komplett andere Farbe zueinander, sondern eher dieselbe, nur einen Tick heller oder dunkler – statt rot und grün: zwei Rot-Töne gegeneinander, die sich nur leicht im Farbton unterscheiden. Das beantwortet auch die Frage: Es gibt einen Unterschied zwischen Stadion und TV, Handy oder Tablet. Je kleiner das Endgerät, desto schwieriger wird es in der Regel. Subjektiv hilft im Stadion zusätzlich die Atmosphäre beim Einschätzen von Situationen, aber unbeschwert dem Spiel folgen und Situationen sofort einschätzen können ist nicht möglich.

"Solange das Kontrastverhältnis stimmt, gibt es keine Probleme"

Wie kann man den auftretenden Problemen begegnen? Und gibt es da Vorbilder in anderen Ländern oder anderen Ligen?

Wichtig ist vor allem der Hell-Dunkel-Kontrast. Im Idealfall wäre das schwarz gegen weiß, aber natürlich funktioniert das auch mit einem dunklen rot gegenüber einem hellen gelb. Solange das Kontrastverhältnis stimmt, gibt es für uns keine Probleme. Da die Teams mindestens drei Trikotsätze haben, sollte es genug Kombinationen geben, um die Probleme abzufangen.

Bereits vor einigen Jahren hat die englische FA zusammen mit der UEFA einen Leitfaden für Farbsehschwächen im Fußball herausgegeben. Hier wird der gesamte Themenkomplex behandelt, also nicht nur die Trikots, sondern z. B. das bereits angesprochene Ticketing oder Probleme bei der Kleidung des Ordnungsdienstes. Die EFL hat zu dieser Saison ihre Ligen angewiesen, auf die Probleme Rücksicht zu nehmen und z.B. auch Kombinationen der jeweiligen Trikotsets zu nutzen, also das z.B. einmal mit der Hose des Auswärtstrikots zu Hause gespielt wird, um Konflikten vorzubeugen.

Wie stellt Ihr Euch eine Regelung vor, die die Probleme die es aktuell in der Bundesliga gibt beseitigt?

Grundsätzlich sollte das Kontrastverhältnis ausreichend sein und das Heimteam immer das Vorrecht auf die Wahl des Trikots haben. Die Gäste sollten sich danach richten. Wir finden hier den Ansatz der EFL gut, die anregt, die Trikotsätze als Ganzes zu sehen und möglicherweise hierbei mehr zu kombinieren.

Uns ist es wichtig zu betonen, dass wir keine Vereins- oder Trikotfarben verbieten wollen. Wir fordern nur einen bewussten Umgang mit ihnen.

Gibt es schon Anzeichen, dass sich dort etwas tun könnte? Und wann könnte das passieren?

Wir haben die vergangene Saison 2021/2022 für die 1. und 2. Bundesliga analysiert und festgestellt, dass mindestens jedes dritte Spiel Konfliktpotential geboten hat. Das sieht in der aktuellen Saison leider nicht viel besser aus. Wir suchen weiterhin den Kontakt zu Vereinen, Verbänden und zur Liga und wollen das Thema in das Bewusstsein rücken. Besonders mit der DFL sind wir hier in einem konstruktiven Austausch. Ob sich zur neuen Saison schon etwas verbessert, werden wir sehen müssen, da die neuen Trikots bereits meist feststehen sollten. Wir hoffen und appellieren hier an die Clubs, dass sie bereits in naher Zukunft bewusster mit der Thematik umgehen.

Vielen Dank an Markus Stahmann für das ausführliche Interview

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