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Die WM der Genies 1974 - Eine Buchrezension 1974 - Die WM der Genies

19.11.2023, 15:50 Uhr von:  DocKay
Schwarzweißbild einer Szene des Eröffnungsspiels des Westfalenstadions. Horst Bertram nimmt den Ball auf und "Hoppy Kurrat" schirmt ab.
Bei der Einweihung des Westfalenstadions am 2. April 1974 unterlag der Regionalligist Borussia Dortmund den Blauen mit 0:3. Die Mannen um Horst Bertram gehörten damals nicht unbedingt zu den Genies des Jahres.
© Archiv Gerd Kolbe

Innerhalb von zwei Jahren fanden in Deutschland die Olympischen Spiele in München und die Fußball-Weltmeisterschaft der Männer statt. Eine Zeit, in der die Kicker ihren Marktwert realisierten und durch ihren Lifestyle aufhorchen ließen.

Dietrich Schulze-Marmeling und Hubert Dahlkamp berichten in ihrem Buch zunächst im Prolog über die damalige Prämien-Diskussion im deutschen Team und anschließend ausführlich über die sportlichen und politischen Ereignisse im Jahr 1973.

So war die Zeit vor der WM 1974 im eigenen Land von revolutionären Ereignissen geprägt. Es eskalierte ein Streit zwischen dem DFB und den Spielern der Nationalelf, die auf Titelgewinn programmiert werden sollten. Die zum Teil noch durchsetzte Struktur des DFB durch Funktionäre mit eindeutiger brauner Vergangenheit verschloss ihre Augen vor Prämienforderungen, die durchaus im Trend der Zeit lagen. Die Niederländer, aber auch die Italiener waren da schon etwas weiter. In Deutschland setzte man die Spieler unter Druck und drohte sogar mit einer Freistellung. Im Buch wird dann auf den folgenden Seiten akribisch die Zeit bis zum Beginn der WM aufgearbeitet.

Das Cover zeigt neben dem Titel zwei Bilder. Das eine zeigt Beckenbauer und Cruyff beim Wimpeltausch vor dem Finale, das andere Helmut Schmidt und Willy Brandt beim Machtwechsel
© DIE WERKSTATT

Am 16. Januar 1973 fand zum ersten Mal ein Finale um den europäischen Supercup statt. Ajax Amsterdam und De Telegraph waren die Vordenker und gemeinsam mit den Rangers aus Glasgow veranstalteten sie das Spiel im Ibrox Park in eigener Regie. Damals wurde eine Schirmherrschaft von der UEFA abgelehnt. Fast zur gleichen Zeit wurde nach langen Diskussionen durch die ARD ein Film ausgestrahlt, der an Aktualität bis heute nichts verloren hat. Er stellte die Situation homosexueller Männer in der Bundesrepublik Anfang der Siebziger dar und hatte den Titel:

Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt.


Rosa von Praunheim

Das Werk von Rosa von Praunheim wurde, wie es zu erwarten war, in Bayern nicht ausgestrahlt. Pink Floyd veröffentlichte im Frühjahr 1973 ihr Album „The Dark Side oft the Moon“ und gestalteten ein historisches Werk, das mehr als 50 Millionen Abnehmer fand. Ajax Amsterdam dominierte den europäischen Fußball und mit 58.220 toten US-Soldaten im Gepäck verließ der letzte amerikanische Soldat Südvietnam. Den Autoren gelingt es perfekt die sportlichen, kulturellen und politischen Ereignisse in der Zeit vor der WM 1974 in Szene zu setzen, ein sehr spannendes Kapitel. Viele Gedanken an schon vergessene sportliche und geschichtliche Ereignisse werden dadurch ins Bewusstsein zurückgeführt.

Nach 100 aufschlussreichen Seiten betritt man dann in dem Buch das Jahr 1974. Mit dabei sind der Fußballer Europas Johann Cruyff, der inzwischen beim FC Barcelona für Furore sorgt und der deutsche Fußballer des Jahres, Günter Netzer, der in Diensten von Real Madrid steht. Cruyff wird zum weltweit teuersten Transfer aller Zeiten, Netzer reiht sich in dieser Liste auf Platz sechs ein. Zum Jahreswechsel werden sie von ACDC begleitet, die am Silvesterabend in Sydney ihren ersten Auftritt haben, genauso wie Kiss in New York.

Die WM in Deutschland rückte nach Abschluss der Qualifikationsspiele näher und mit ihr der Auftritt der Genies. Bis zu ihrem Start mit dem Eröffnungsspiel des Weltmeisters Brasilien gegen Jugoslawien am 13. Juni im Frankfurter Waldstadion, das übrigens 0:0 endete, erfolgt die sportliche, politische und kulturelle Aufarbeitung im Tagestakt. Die letzten 100 Seiten des Buches beschäftigen sich dann mit der Fußball WM, an deren Ende der Titelgewinn des deutschen Teams mit ihrem Kapitän Franz Beckenbauer stand. Die spielerisch beste Mannschaft des Turniers um ihren Leader Johan Cruyff hatte mit 1:2 das Nachsehen.

Ich glaube nicht, dass sie gewonnen haben. Ich glaube, wir haben verloren


Johann Cruyff

So sahen die Weltmeister aus:

J. Maier - Vogts, Beckenbauer, Schwarzenbeck, Breitner - U. Hoeneß, Bonhof, Overath - Grabowski, G. Müller, Hölzenbein

Das Buch 1974 – Die Welt der Genies basiert auf einer akribischen Aufarbeitung der Jahre 1973 und 1974. Es verknüpft sportliche mit politischen Ereignissen beim Lesen nahezu im Sekundentakt. Dabei werden auch kulturelle Meilensteine keineswegs vergessen. Energiepolitische Themen und Rezession der Wirtschaft liegen kaum von den heutigen Problemen entfernt. Ich fand es spannend und kurzweilig, die 345 Seiten zu lesen. Das gebundene Buch von Dietrich Schulze-Marmeling und Hubert Dahlkamp ist im Verlag DIE WERKSTATT erschienen und kostet 29,90€. Es kann über den Verlag, bei amazon.de* oder über den Buchhandel bezogen werden und eignet sich gut als Geschenk unter dem Weihnachtsbaum.

Mit dem Jahreswechsel beginnt das Jahr 2024. Es ist ein besonderes Jahr für alle Borussen, denn wir feiern das 50-jährige Jubiläum des Westfalenstadions. Am 02.04.1974 wurde es durch Oberbürgermeister Günter Samtlebe und BVB-Präsident Heinz Günther inoffiziell eröffnet, offiziell vom DFB dann zwei Wochen später mit dem Länderspiel Deutschland-Ungarn. Es war das vorletzte Testspiel der DFB Elf vor der Heim-WM. Die 54.000 Zuschauer fassende Arena wurde nach kontroversen Diskussionen im Vorfeld eigens für die Fußball WM 1974 errichtet. Vier Spiele fanden im Westfalenstadion satt, unter anderem das Halbfinalspiel Brasilien-Niederlande. Im Moment ist es ruhig geworden um dieses Jubiläum. Es liegt auf der Hand, dass dies versicherungsrechtliche Gründe hat. Tradition wird wieder einmal zur Seite geschoben und in Zusammenarbeit mit einer Versicherung unter der Führung von Ulrich Leitermann bastelt man im Hinterzimmer an einem faulen Kompromiss. Seit 1974 bleibt man sich im Fußball dem Grundsatz treu: Geld regiert die Welt und insbesondere das runde Leder!

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