Unsa Senf

Quo Vadis, Revierderby?

31.12.2022, 14:59 Uhr von:  janniksch
Spieler des BVB und der Blauen geraten im vergangenen Derby aneinander
Das Derby stand immer für Emotionen

Dortmund gegen Gelsenkirchen. Revierderby. "Die Mutter aller Derbys". Ist es immernoch das elektrisierende Spiel, was es vor Jahren gewesen ist? Der sportliche und dann tatsächliche Abstieg der Blauen fügte der Brisanz dieses Duells einen herben Dämpfer zu. Und zumindest subjektiv freuen sich immer weniger Fans auf dieses Spiel. Stimmt das?

Smolarek beim Derby 2007 auf dem Zaun der Süd
Smolarek beim Derby 2007 auf dem Zaun der Süd

Es ist 2007. Für den BVB ist die Saison praktisch am vorletzten Spieltag ohne nennenswerten Erfolg gelaufen. Die Blauen aus Gelsenkirchen dagegen sind auf dem Weg zur Meisterschaft und kann diese in Dortmund klar machen. Gerald Asamoah wollte die Meisterschaft mit einem Lauf über die Autobahn Richtung Gelsenkirchen feiern. Es sollte anders kommen. "Metzelder überläuft Kurányi!" Dieser Satz hat sich in mein Gedächtnis eingebrannt wie kein Zweiter im Bezug auf das Derby. Am Ende versauten wir den Blauen die Meisterschaft und die Saison 2006/07 endete in Dortmund doch versöhnlich.

Ich, gerade einmal 9 Jahre alt und keine Chance das Spiel live zu sehen, warf mich dennoch in schwarz-gelbe Schale und verfolgte das ganze im Radio. Natürlich war mir damals bereits klar, dass das Revierderby eine besondere Bedeutung hat, aber das war mein Funke, der das Feuer für das Spiel schwarz-gelb gegen blau-weiß entgültig entfachte. Und so einen Funken werden sicher viele BVB-Fans gehabt haben.

Auch in den folgen Jahren stand das Derby wie kein anderes Bundesligaspiel für ein Duell mit eigenen Regeln. Erst war Gelsenkirchen dauerhaft Favorit, dann ab den 10er-Jahren der BVB. Der Gewinner stand dennoch nie vor dem Spiel fest. Selbst in den Jahren des blauen Mittelmaßes hatte das Derby noch seinen Reiz, denn gegen uns machte 04 immer sein Spiel der Saison.

Corona und der Abstieg

Als 2020 Corona die Stadien leerte, war Herne-West sportlich bereits angeschlagen. Hinzu kamen finanzielle Sorgen.

Die Corona-Derbys waren im Ergebnis so eindeutig wie nie und zeigten den Klassenunterschied, den die beiden Vereine inzwischen trennte. Was die Derbys in den Jahren vorher noch spannend machte war die Stimmung durch die Fans, die gewisse Dynamiken auf dem Platz erzeugen konnte. Ohne Fans, das muss man festhalten, konnte Gelsenkirchen die Derbys nicht gewinnen, die Klasse nicht halten und stieg ab. Sehr zur Freude der meisten BVB-Fans.

Es entstanden scheinbar zwei Lager: die einen, die das Derby vermissen würden und die anderen, die froh waren das blaue Pack zumindest für ein Jahr los zu sein. Medial schien die erste Gruppe deutlich überrepräsentiert zu sein. Man sei in Dortmund im Großen und Ganzen traurig, dass es vorläufig kein Revierderby mehr gebe. Auch von der Vereinsführung wurde das so kommuniziert.

Ich dagegen glaube an etwas anderes: der BVB hat sich vom Derby emanzipiert.

Die Gründe für die Emanzipation

Moukoko wird gefeiert
Derbyheld 2022

Das Derby lebte in den letzten Jahren von der Stimmung in den Fanblöcken. Es war zur reinen Folklore geworden. Sportliche Dinge rückten in den Hintergrund und es zählte im Grunde viel mehr welcher Block wieder mehr abreißt. Das konnte so lange gut gehen wie eben Fans im Stadion waren. Ohne Fans rückte logischerweise der Sport in den Vordergrund und als BVB erkannte man, dass GE ein Scheinriese war. Und auch wir Fans erkannten das. "Mit denen haben wir uns die letzten Jahre so rumgeplagt?"

Das kann man als Überheblichkeit verstehen, klar, und wir als BVB tun uns ja sowieso immer schwer damit mal ein gesundes Selbstbewusstsein aufzubauen. Anderes Thema.

Aber Tatsache ist: die letzten 4 Derbys gewann der BVB relativ klar. Und das soll man jetzt noch als Rivalität verstehen?

Als BVB denkt man inzwischen in anderen Dimensionen als "Derbysieg ist wie Meisterschaft". Man will tatsächlich die Meisterschaft und das Derby verliert einfach durch das Fehlen einer sportlichen Relevanz an Brisanz.

Wie die Fans das sehen zeigt meine kleine Umfrage.

Die Umfrage

Vor einigen Wochen machte ich auf diversen Social-Media-Plattformen von schwatzgelb und privat eine 24-stündige Umfrage zum Thema Revierderby. Die Ergebnisse sind nicht repräsentativ und sollen nur einen Eindruck vermitteln. Mir ist auch klar, dass sich online ganz andere Fans tummeln und diese Umfrage im Stadion ganz anders ausfallen könnte. Dennoch zeigen die Zahlen ein recht interessantes Bild. Danke an alle, die sich beteiligt haben.

Gefragt wurde:
"Das Revierderby ist für mich...
a) ...das wichtigste Spiel
b) ...ein wichtiges Spiel
c) ...ein normales Spiel
d) ...einfach nurnoch nervig"

Instagram (9.816 Stimmen)
a) 63%
b) 33%
c) 1%
d) 3%

Reddit in r/borussiadortmund (902 Stimmen)
a) 34%
b) 56%
c) 6%
d) 4%

Twitter (662 Stimmen)
a) 42%
b) 44%
c) 5%
d) 10%

Mastodon bei @Gelbschwatzer (11 Stimmen)
a) 9%
b) 55%
c) 18%
d) 18%

Es hat mich letztlich doch überrascht wie stark nach wie vor die Position "das wichtigste Spiel" vertreten ist. Es ist eine klare Tendenz zu "ein wichtiges Spiel" zu erkennen und ich bin sicher, dass in 5 oder 10 Jahren immer weniger Fans das Revierderby als "das wichtigste Spiel" sehen werden, aber ich finde diese Umfrage zeigt deutlich, dass das Spiel immernoch einen besonderen Stellenwert bei vielen Fans hat. Mit diesem Ergebnis hatte ich nicht gerechnet.

Aber warum ist das Derby noch so wichtig? Ich hatte oben bereits erläutert wieso es eigentlich immer weniger wichtig sein sollte. Das Derby vermittelt immernoch Emotionen, die tatsächlich vom sportichen zu trennen sind. Emotionen, die bei der Rivalität zu Bayern München nicht aufzukommen vermögen, wegen der absoluten Unangreifbarkeit der Münchener und wohl auch wegen der geographischen Distanz.

Fazit

Pyrotechnik auf der Südtribüne
Die Süd beim Heimderby 2022/23

Das Revierderby bedeutet den meisten Boruss*innen noch sehr viel. Mehr als ich dachte. Mein subjektives Umfeld wünscht die Blauen zur Hölle, aber insgesamt in der Fanschaft scheint es anders zu sein. Ich bekam jedoch auch Rückmeldungen, dass das Revierderby zwar das wichtigste Spiel oder ein wichtiges Spiel sei, aber gleichzeit super nervig sei. Es herrscht sicher bei vielen eine Ambivalenz zum Derby. Möglicherweise wegen der Favoritenposition, die der BVB inne hat. Denn am Ende kann der BVB beim Derby nicht wirklich gewinnen, sondern nur nicht verlieren. So geht es auch mir. Mir hat das Spiel in der Zweitligasaison von Gelsenkirchen nicht gefehlt, aber wenn es stattfindet, ist es ein wirklich wichtiges Spiel. Folklore hin oder her.

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