Spielbericht Profis

Von Abschieden und Neuanfängen

15.05.2022, 15:54 Uhr von:  Ida
Michael Zorc mit erhobenen Armen

Aus schwatzgelber Sicht war das Spiel sportlich bedeutungslos, emotional dafür ein Highlight. Für Berlin war es genau andersrum. Unser Spielbericht zum letzten Spiel der Saison 2021/2022.

Es ist kurz nach halb sechs als sich ein gerührter Michael Zorc in der gelben Abendsonne vor die Süd stellt, um sich bei all jenen zu verabschieden, die mit ihm über Jahrzehnte die Farben geteilt haben, geflucht haben (auch über ihn) und gejubelt haben (vor allem dank ihm). Und es spricht für ihn, dass seine ersten Worte nicht von sich und seinen zahlreichen Erfolgen in schwarzgelb handelten, sondern von einem anderen Borussen, der auch an diesem Tag verabschiedet wurde. Denn an diesem Tag sollten nicht nur zahlreiche verdiente Spieler des BVBs ihren letzten Einsatz in schwarzgelb abliefern, sondern ein weiterer ganz großer Borusse beendete offiziell seine aktive Karriere: Marcel Schmelle Schmelzer.

Schmelzer mit erhobenen Armen vor der Süd
Marcel Schmelzer nach Abpfiff vor der Südtribüne

Als Ersatz für die legendäre 17 wurde er einst eingesetzt, um in den Folgejahren die Borussia insgesamt 17 Jahre zu leben und sie in den emotionalen und glorreichen Jahren der Klopp-Ära entscheidend mit zu prägen. Auch danach, als die Stimmung in Dortmund stürmischer wurde und die Einsatzzeiten von Schmelzer weniger, verhielt er sich vorbildlich, beklagte sich nicht und setzte sich ein Denkmal in den Herzen der Fans: einmal Borusse, immer Borusse. Ich habe schon einige Abschiede von verdienten Spielern in schwarzgelb miterlebt. Viele sind geprägt von der Anerkennung für das Geleistete. Und dann gibt es eben die, bei denen am Ende kaum ein Auge trocken bleibt. Heute hat sich Marcel Schmelzer dort eingereiht. Unter tosendem Applaus, lauten Sprechchören und vielen Tränen wurde er vor und nach dem Spiel gebührend verabschiedet. Und wie es sich für einen echten Borussen gehört, tauchte er nach dem Spiel auch in die Süd ein, wie es ein Borusse eben tun muss.

Und dann war da noch Michael Zorc. Als Junge stand er selbst jubelnd auf der Süd, danach jubelte er vor und mit und später dann neben ihr: in der Relegation, bei Meisterschaften, in Champions League und Pokal Spielen, bei Derbys und am Ende am Tag seiner Verabschiedung. Mit einer wunderbaren Choreo auf der Süd, einem Spielerspalier auf dem Platz und nicht weniger lautem Applaus sorgte das Westfalenstadion für den Abschied, den Susi Zorc so sehr verdient hatte. Nur die Anzahl der Jahre beim BVB bedürfen einer ordentlichen Kosmetik. Wer will schon zwei mal 3+1 schreiben?

Große Choreografie auf der Südtribüne vor Anpfiff

Auch Reinier Jesus, Marin Pongracic, Erling Haaland, Marwin Hitz, Roman Bürki, Axel Witsel und Dan-Axel Zagadou wurden an diesem Tag verabschiedet. Vor allem Bürki, der sich in den vergangenen Monaten ohne jegliche Einsatzmöglichkeiten vorbildlich verhalten und die sportliche Entscheidung akzeptiert hatte, bekam vom gesamten Stadion den Abschied, den er sich über die Jahre erarbeitet hatte. Auch hier bebte das Stadion einmal mehr und zeigte, dass auch Personen, die nie komplett unumstritten in schwarzgelb gespielt haben, voller Wertschätzung verabschiedet werden.

Überhaupt zeigte das Westfalenstadion und vor allem die Südtribüne an diesem Tag einmal mehr, was sie ausmacht und wie viel Fingerspitzengefühl sie besitzt. Spieler kommen und gehen, ein besseres Beispiel als Haaland kann es dafür kaum geben. Und für (bis dahin) 85 Tore in 88 Spielen bekommt man selbstverständlich den entsprechenden Applaus. Aber es braucht mehr, um sich in die Herzen der Fans zu spielen. Und so war es nicht verwunderlich, dass vor allem bei Bürki, Witsel und Zagadou noch einmal eine andere Wertschätzung erkennbar war. Letzterem wird sicherlich auf einigen SG-Auswärtsfahrten im Bus gesanglich noch einmal besonders gehuldigt werden. Die Münchener Freiheit lässt grüßen.

Und dann war da noch…

Bellingham grätscht gegen einen Berliner, Witsel schaut zu.
Der K(r)ampf der ersten Halbzeit

…Fußball. Richtig. Fußball wurde an diesem Samstag auch noch gespielt. Und in der ersten Halbzeit noch dazu exorbitant schlecht. Klar, für uns ging es um nichts mehr, für die Hertha aus Berlin dafür umso mehr. Fand man sich vor dem Spiel noch auf dem 15. Platz der Tabelle wieder, sah es nach dem Spiel schon ganz anders aus. Aber der Reihe nach. Bereits nach 18 Minuten flatterte der Ball in unserem Tornetz. Nachdem Schiedsrichter Stieler nach einem Foul von Zagadou an Belfodil zunächst auf den Elfmeterpunkt zeigte und von seinem Linienrichter aber durch eine Abseitsentscheidung überstimmt wurde, schaltete sich per Knopf im Ohr das Ungemach aus Köln ein, hob die Abseitsentscheidung auf und motivierte Stieler zur Selbstprüfung der Szene am Monitor. Die Entscheidung? 1:0 für die Hertha nach verwandeltem Elfmeter. Die Süd quittierte die Entscheidung mit einem lauten „Ihr macht unsern Sport kaputt“. Viel mehr war von ihr in der ersten Halbzeit neben dem üblichen Bemühen des „harten Kerns“ aber auch nicht zu vernehmen. Und die Spielweise der Schwarzgelben animierte den Rest auch nicht gerade etwas daran zu ändern. In der 42. Minute zeigte die Anzeigetafel 70 Prozent Ballbesitz auf Seiten der Dortmunder, kontinuierlich mauernde Berliner und den ersten Torschuss der Borussen in Form von Julian Brandt an. Das war zu wenig.

Haaland jubelt mit erhobener Faust, dahinter Bellingham
Erling Haaland bejubelt sein letztes Tor für den BVB

Auch die zweite Halbzeit lies nicht zwangsläufig viel Bedauern über das baldige Ende der Saison aufkommen, dafür aber eine erneute Erinnerung daran, dass der VAR einfach scheisse ist. Die erneute Überprüfung im Strafraum, diesmal in dem der Hertha, führte zu Haalands 86. Tor im Trikot der Borussia und etwas mehr Zug im Spiel. Plötzlich wachte auch die Süd wieder auf, wurde lauter und begleitete die Borussia bis zum Ende entsprechend. Auch von den Dortmunder Spielern kam fortan mehr. Für blankes Entsetzen in den Gesichtern der Hertha sorgte in der 84. Moukoko, der nur eine Minute nach seiner Einwechslung und einem brillanten Pass von Bellingham zum 2:1 einnetzte. Nur wenige Minuten später hallte ein lautes „Absteiger“ durch das Stadion. Stuttgart hatte gegen Köln den 2:1-Siegtreffer erzielt und Hertha hatte weder die Zeit, noch die Energie diesem Spiel noch die Wende zu geben. Und so jubelten am Ende die Schwarzgelben über den letzten Sieg, den 69. Punkt und das 85. Tor der Saison.

Ausblick

Aktion zur zweiten Halbzeit für Marcel Schmelzer

Das Spiel endete, wie es angefangen hatte: viele Tränen, noch mehr Applaus und trotz der schwierigen Saison und der mitunter traurigen Abschiede mit strahlenden Gesichtern und Emotionen pur.

Auch für mich war dieses Spiel ein Abschied. Ein Abschied von über zwei Jahren ohne Live-Fußball vor Ort. Ohne Westfalenstadion. Ohne Südtribüne.

Viele Leute haben bei ihrem ersten Spiel zurück im Stadion die Tage gezählt, die seit dem letzten Stadionbesuch vergangen waren. Ich weiß nicht, wie viele Tage seit dem letzten Heimspiel der Saison 2019/20 ins Land gezogen sind. Es waren dutzende. Aber Zahlen waren noch nie meine Welt. Emotionen hingegen schon. Und um diese habe ich mir in den letzten zwei Jahren große Sorgen gemacht. Klar, da war dieses euphorisierende Pokalfinale, welches viel Wehmut in mir ausgelöst hatte, aber Fußball rückte, auch aus privaten Gründen, mehr und mehr in den Hintergrund. Irgendwie kam ich nicht umhin mich zwischendurch zu fragen, ob es jemals wieder so wird wie vor der Pandemie. Und ich hatte Angst. Fußball war meine halbe Welt. Seit meinen Kindesbeinen stehe ich auf der Süd. Die wichtigsten Menschen meines Lebens habe ich hier kennengelernt. Würde dieses Gefühl nach zwei Jahren Abstinenz wieder zurückkommen? Ich bin froh, dass ich diesen Spieltag für den Wiedereinstieg gewählt habe- einen besseren hätte ich mir nicht aussuchen können: Bei strahlendem Sonnenschein die Strobelallee hochlaufen, an der Roten Erde vorbei- und da war er: der vertraute Blick der gelben Pylonen und die unbändige Vorfreude auf das, was dahinter auf einen wartete. Rein in die Süd, singen, klatschen, jubeln und die geballte Ladung an Emotionen. Zumindest für dieses Jahr dürfte ich alle verfügbaren Tränen bereits vergossen haben. Einen besseren Neuanfang hätte es nicht geben können. Es ist schön, wieder zurück zu sein, Ballspielverein.

Spielstatistiken können beim Kicker nachgelesen werden.

Unterstütze uns mit steady

Weitere Artikel