Unsa Senf

Stadion Sehnsucht

28.08.2020, 09:26 Uhr von:  Nadja
Stadion Sehnsucht

Der Profi-Fußball ist eigentlich schon lange kein Sport mehr zum richtig liebhaben, doch im Moment ist ihm auch noch alles genommen, was Leute wie mich normalerweise an ihn bindet. Ich bin daher soweit weg von den Spielen, den Resultaten und den Emotionen, wie ich das letzte Mal vermutlich mit 10 Jahren war. Und trotzdem fehlt etwas. Ich habe ein riesen Loch in meinem Herzen.

Die Kommerzialisierung geht so langsam (oder eigentlich ziemlich schnell) in eine Richtung, von der ich hoffe, dass sie der Höhepunkt ist. Der Höhepunkt sein muss. Katar spielt im Finale der Championsleague gegeneinander und kriegt als Belohnung dafür eine Weltmeisterschaft, die nicht nur keiner will, sondern die auch noch im Winter stattfinden muss, um nicht ein komplettes Gesundheitsrisiko für die Spieler darzustellen. Dafür wird dann auch gerne mal die komplette Saison über den Haufen geworfen und alle etwas längerfristigen Planungen von Fans "übersehen".

Immer mehr Vereine ignorieren sowieso alles, was die Fans wichtig finden und fokussieren sich stattdessen auf das, was Sponsoren und Fernsehzuschauer glücklich macht. Oder sie werden gleich gegründet, um ein Produkt zu bewerben, statt um Sport zu betreiben. Dann braucht man sowas lästiges wie Fans ja noch nicht mal.

Der Uhrensohn aus dem Süden deklariert die erste Championsleague-Endrunde komplett ohne Zuschauer zum größten Spektakel, das er je gesehen hat und nimmt dann freudig den Oscar für die beste Kumpelleistung (oder etwas in der Art) von der SportBlöd entgegen für das spektakuläre im-Regen-auf-dem-Mittelkreis-stehen, weil - ja, wer wohl? - die bösen, bösen Fans unartig waren.

Von Länderspielen und Welt- und Europameisterschaften will ich gar nicht erst anfangen. Oder von Korruption und Financial Unfairplay.

Karl-Heinz Rummenigge in Nahaufnahme.
Dem Uhrensohn gefällt es ohne Fans eigentlich viel besser.

Beim BVB haben wir ja noch das Glück, dass der Verein zumindest in einem Maße auf uns Fans zugeht, dass wir uns wenigstens einreden können die Welt sei in Ordnung. Doch auch hier ist von Börsengang bis virtueller Asiatour, von (englischen) Social Media Witzigkeiten wie "Hashtag wir haben Brandt" bis zweiter Leuchtturm sehr vieles sehr weit weg von dem, wie ich mir den Fußball idealerweise vorstelle.

Eigentlich könnte man dann ja sagen, dass ich es einfach lassen sollte und ganz objektiv betrachtet ist das schon seit geraumer Zeit der einzige Schluss, den ich ziehen kann. Zudem genieße ich die freien Wochenenden und die Möglichkeit, jederzeit mit Leuten abzumachen oder in den Urlaub zu fahren (soweit beides im Moment geht), ohne zuerst nach Länderspielpausen zu suchen. Auch die schlechte Laune nach enttäuschenden Spielen oder die nervösen Tage vor wichtigen Spielen habe ich bisher definitiv nicht vermisst.

Doch dann kommt im Radio "Griechischer Wein" und ich heule fast. So viele Auswärtsspiele, die ich mit diesem Lied verbinde. So viele wunderschöne Erinnerungen, die nicht mal immer mit dem Sport Fußball zu tun haben, sondern mit Freunden, Reisen und Eindrücken. Mit Stadien und Emotionen. Die Erinnerungen an ein anderes Leben, ein sehr schönes Leben, zerreißen mir das Herz und gehen einher mit der Angst, dass es in der Form vielleicht gar nicht mehr zurückkommt.

Die Südtribüne in voller Ansicht vor Anpfiff.
Ein so alltägliches Bild und doch so weit weg

Es ist gar nicht so lange her, aber es scheint, als wäre es in einem anderen Jahrzehnt gewesen, als wir zuletzt im Stadion waren.

Könnt ihr euch noch an die Torjubel erinnern? Ich rede nicht vom 3:2 gegen Malaga, sondern vom 1:0 im Heimspiel gegen Augsburg in der 35. Minute. Der Moment, wenn das Spiel in die richtige Richtung geht, wenn der Dosenöffner erzielt ist und man ein Gefühl kriegt, dass es ein guter Samstagnachmittag wird und man später in der Frühlingssonne noch etwas nachfeiern kann. Dieses Gefühl entlädt sich in einem lauten Schrei, einem Sprung in die Luft, man umarmt den Nachbarn, dann den anderen, die restlichen werden abgeklatscht, dann ruft man den Namen des Torschützen - das Leben ist schön. Es ist vor allem schön, weil ich im Stadion Freunde treffe, aber eben nicht nur. Ohne die Emotionen wäre es nichts weiter als das: ein Treffen mit Freunden. Das könnten wir jetzt auch machen und teilweise tun wir das auch und es ist prima. Aber es ist nicht das gleiche, denn erst das Teilen der Emotionen miteinander, mit der ganzen Tribüne, dem ganzen Stadion, macht dieses Erlebnis komplett. Das geht nicht vor dem Fernseher, das geht nicht mit 10.000 Leuten im Stadion, das geht nicht mit Abstand. Das geht im Moment einfach gar nicht. Und es fehlt. Unglaublich. Mehr als ich jemals gedacht hätte. Trotz allem, was im Fußball falsch läuft.

Endlich wieder Westfalenstadion, so wie früher. Stadion Sehnsucht.

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