Unsa Senf

Der Braut, mit dem der BVB sich was traut

06.01.2020, 09:29 Uhr von:  Sascha
Der Braut, mit dem der BVB sich was traut
© Pressefoto BVB

Ok, haben wir den nächsten Wortwitz mit Dortmunds Neuzugang Haaland auf den Weg gebracht. „Braut“ ist nämlich dessen im Deutschen ziemlich kurios wirkender zweiter Vorname. Mit der Verpflichtung des 19-jährigen Ausnahmetalents, das vor allem in der Champions-League bei seinen Einsätzen für den Brauseableger aus Salzburg für Furore sorgte, ist dem BVB der wahrscheinlich spektakulärste Transfer in der Winterpause überhaupt gelungen. Die Konkurrenten in Gestalt von Juventus Turin, Manchester United und Chelsea FC waren nämlich eher sportlich und/oder finanziell in einer höheren Liga als der BVB angesiedelt.

So war es absolut kein Wunder, dass die Einigung mit Haaland und dessen berüchtigten Berater Mino Raiola europaweit mächtig Staub aufwirbelte. Zumal in direkter Folge auf die Verpflichtung Haalands Wechselgerüchte um Paco Alcácer aufkamen. Atletico Madrid scheint durchaus bereit zu sein, für einen Transfer eine größere Geldsumme aufzubringen. Dem Spieler selbst wird nachgesagt, mit seiner deutschen Wahlheimat nie richtig warm geworden zu sein und gerne wieder nach Spanien zurückkehren zu wollen. Kein Wunder, dass sich die Diskussionen also eher darum ranken, wie man Haaland als großgewachsenen Spielertypen in einen Fußballstil integrieren kann, den Favre sogar ziemlich gerne komplett ohne echten Stürmer spielen lassen möchte und ob man dann wieder nur mit einem nominellen Stürmer im Kader die restliche Saison bestreiten kann, oder eine Doppelbesetzung unabdingbar ist.

Bei all diesen Diskussionen bleibt fast unbemerkt, dass der Transfer an sich eine deutliche und bemerkenswerte Abweichung von der bisherigen Transferstrategie bedeutet. Die bestand bislang darin, einige hochtalentierte „Rohdiamanten“, denen man den Sprung auf das Niveau des europäischen Spitzenfußballs zutraute, für überschaubare Summen zu verpflichten. Diejenigen, die diese Erwartungen nicht erfüllen konnten, wie Emre Mor, Mikel Merino oder Alexander Isak, wurden schnell wieder verkauft, um einen Wertverlust so gering wie möglich zu halten, oder ihn gar zu vermeiden. Dafür konnte man mit Ousmane Dembélé eine Rekordeinnahme generieren und bei einem sehr wahrscheinlichen Wechsel von Jadon Sancho wird man sich in ähnlichen Regionen bewegen. Die „Wetteinsätze“ waren dabei stets überschaubar. Selbst die verhältnismäßig teure Verpflichtung von Dembélé bewegte sich mit 15 Millionen Euro in einer Höhe, die Borussia Dortmund mittlerweile verschmerzen kann.

Paco Alcácer scheint in Dortmund nicht mehr so glücklich zu sein

Mit dem Verkauf der „high potentials“ an Clubs aus der obersten Riege des Vereinsfußballs sollten dann etablierte Spieler finanziert werden, die den Kader qualitativ auch in der Breite auf ein stabiles Fundament stellen und uns wieder auf Augenhöhe mit dem Branchenprimus aus München bringen sollten. Funktionierte der erste Teil dieser Strategie mit den jungen Spielern noch vorzüglich, ging der zweite Teil doch teils deutlich in die Hose. Mit Spielern wie Mario Götze, André Schürrle, Andrej Yarmolenko und Ömer Toprak wurden mittlere bis große Millionenbeträge in Spieler investiert, die den BVB kaum nach vorne gebracht haben. Selbst bei Götze, der seinen Vertrag wohl vollständig erfüllen wird und zumindest in der letzten Saison einen passablen Ersatz für Alcácer gab, steht das Gesamtpaket in keinem Verhältnis zum Ertrag für den Verein.

Das System an sich trug sich aber, so lange nur irgendeiner der jungen Neuverpflichtungen eingeschlagen ist. Keiner der Einkäufe bewegte sich in solchen finanziellen Dimensionen, dass er unbedingt funktionieren musste. Es musste nur unterm Strich ein Erfolg dabei rauskommen. Insofern stellt der Kauf von Erling Haaland einen ziemlichen Paradigmenwechsel dar. Die Bandbreite der kursierenden Zahlen in diesem Transfer ist enorm, aber selbst in der unteren range sind die Zahlen bemerkenswert. Zu einer mutmaßlich geringen Ablösesumme in Höhe von 20 Millionen Euro kommt ein Jahresgehalt von 8 Millionen Euro, eine Beraterprovision an Raiola für sogar überschaubare 3 Millionen Euro und eine Zahlung an Haalands Vater über zehn Millionen. Dazu wird, das scheint gesichert, der Vertrag eine Ausstiegsklausel beinhalten. Selbst wenn der junge Stürmer nur anderthalb Jahre in Dortmund verweilen sollte, bis es ihn in sein eigentliches Ziel, die englische Premier League zieht, dürfte diese Zeit den BVB einen Betrag von mindestens 45 Millionen Euro kosten. Dazu ist der „Rahm“, den man bei einem Weiterverkauf abschöpfen kann, anders als bei den Verkäufen von Sancho und Dembélé, gedeckelt. Kurz gesagt: Haaland ist der erste Transfer eines 19-jährigen Toptalentes, das kein „kann funktionieren“-Geschäft ist, sondern eins, das funktionieren muss. Der Wetteinsatz ist also noch einmal gehörig gestiegen.

Gleiche Gehaltsklasse wie Haaland, aber noch deutlich günstiger: Jadon Sancho

Dabei kann man die Verantwortlichen beim BVB nicht einmal wirklich kritisieren, wird man doch selber so ein bisschen Opfer des Fluchs der guten Tat. Neben dem Wechsel von Mbappé von Monaco nach Paris war es nämlich eben der Verkauf von Dembélé an den FC Barcelona, der auch bei den Topclubs den Fokus auf den Bereich der jungen Spieler gerichtet hat. Wo man sie sich vorher bei einem Verein wie eben Borussia Dortmund in Ruhe entwickeln lassen konnte, bevor man sie verpflichtete, werden jetzt Beträge fällig, die auch die Belle Etage ordentlich schlucken lassen und die es interessant machen, die Ausbildung selber zu übernehmen. So sind Haalands acht Tore in der Königsklasse zwar durchaus bemerkenswert, aber vermutlich hätten sich auch mit dieser Referenz die Topclubs noch vor fünf Jahren nicht so intensiv um einen Spieler aus der allenfalls mittelmäßigen Liga in Österreich bemüht. Für Borussia Dortmund ist es somit fast alternativlos, jetzt auch in dieser Altersklasse an die Schmerzgrenze zu gehen. Denn eins ist klar: selbst in einem Alter von unter 20 Jahren haben Dembélé und Sancho in guter Form den BVB sportlich enorm weitergebracht und die Qualitätsspitze dargestellt. Um etablierte Spieler dieser Güteklasse braucht man sich nicht mehr bemühen, weil deren Berater eh nur noch den Hörer abnehmen, wenn die Vorwahl von Barcelona, Madrid, Paris, London, Liverpool oder Manchester auf dem Display angezeigt wird. Verzichtet man aber auf diese große Qualität generell, nimmt man sich selbst die einzige, kleine Möglichkeit, die Lücke zu den Clubs nach oben wieder etwas zu verkleinern.

Die Verpflichtung von Haaland muss also zu einem Erfolg werden, weil Fehlinvestitionen in dieser Höhe für den BVB nur schwer verdaulich sind. Da sind dann auch Trainer und etablierte Spieler gefragt, den jungen Norweger so gut es geht einzubinden. Für uns Fans wäre es sowieso ein Gewinn, weil Haalands erste Auftritte auf dem internationalen Parkett nämlich mächtig gut aussahen. Haaland hat das Potential, einer dieser Spieler zu werden, denen man einfach gerne zuschaut und an die man sich später mit einem „den hab ich früher noch für uns spielen sehen“ erinnern könnte.

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