Im Gespräch mit...

"Dadurch entfremdet sich der Fußball auch gerade wieder" Interview mit dem Fanprojekt Dortmund

12.12.2020, 17:56 Uhr von:  Nicolai Larissa Daniel
Thilo Danielsmeyer sitzt rechts neben Stella Schrey. Beide tragen grau und beige gedeckte Pullover. Thilos hat verschränkte Arme und Stella hängt lässig über die Stullehne.
Thilo Danielsmeyer und Stella Schrey

sg.de: Wir fangen am besten noch einmal mit einer kurzen Vorstellungsrunde für die Leser an.

Thilo: Ich bin Thilo Danielsmeyer und bin seit 1992 beim Fanprojekt Dortmund. Ich habe das lange Zeit mit meinem Kollegen Rolf Arndt Marewski alleine gemacht. Mittlerweile haben wir aber ein großes und starkes Team.

Stella: Seit dem ersten August gehöre ich jetzt auch zu diesem großen und starken Team. Ich habe auch vorher im Kontext der Fanprojekte gearbeitet. Zuletzt bei der Koordinationsstelle Fanprojekte in Frankfurt, das ist quasi der Dachverband der Fanprojekte.

Johannes Bagus sitzt am Tisch mit einem Puma Zipper und gestikuliert beim Reden.
Johannes Bagus

Johannes: Ich bin seit 2015 im Fanprojekt Dortmund. Ich habe damals Sportwissenschaften in Köln studiert und habe mein Praktikum im Rahmen meines Studiums hier in Dortmund gemacht. 2017 habe ich hier dann zusammen mit Florian und Thorsten über das Sonderprojekt „Fanszenen im Wandel“ fest angefangen.

sg.de: In diesem Jahr gab es im Fanprojekt einige Änderungen. Könnt ihr vielleicht mal einen Überblick über das Team geben und eure Schwerpunkte in der täglichen Arbeit?

Thilo: Das können wir gerne machen. Ich habe hier als Dienstältester die Leitung. Ansonsten haben wir ein Team Streetwork mit Johannes, Florian, Thorsten und seit neuestem Stella. Dazu kommt der Streetworkchef Davud, der aber leider seit längerem erkrankt ist. Das Team wird von Laura als Teilzeitkraft unterstützt.
Dann haben wir noch einige Projekte. Dort wäre das BVB Lernzentrum zu nennen, dass von Johannes Böing geleitet und mit Daniel Schröder und Janina Fuhr als Teilzeitkräfte unterstützt wird. Dazu gibt es die Straßenfußballtour die von Nils Gosmann geleitet wird. Gleichzeitig betreut Nils auch noch die „Young Generation“. Das ist ein pädagogisches Angebot für jugendliche BVB Fans zwischen 13 und 17. Wir machen da Angebote über die Saison hinweg inklusive des Besuchs von Auswärtsspielen.

Johannes: Dazu möchte ich gerne ergänzen, dass für die U17 Fans nicht nur die pädagogisch begleiteten Auswärtsfahrten angeboten werden, sondern auch natürlich unter der Woche Angebote gemacht werden. Das sind Bildungsangebote im Fanprojekte, Bildungsfahrten, offene Treffs oder sportliche Aktivitäten.

Thilo: Verlassen hat uns Stefan Kalisch in Richtung seiner Geburtsstadt Oberhausen. Stefan war seit 2014 hier sehr erfolgreich, hat ganz wichtige Arbeit geleistet und insbesondere im Bereich Fanpolitik Meilensteine gesetzt.

sg.de: Wenn man so auf andere Standorte schaut, ist das Fanprojekt Dortmund mit viel Personal gesegnet.

Thilo: Das stimmt. Wie bereits erwähnt haben Rolf und ich lange Zeit zu zweit gearbeitet. In dieser Zeit wurden wir von jungen Sozialarbeiter*innen unterstützt. Vor dreieinhalb Jahren haben wir einen Projektantrag gestellt, bei dem uns die LAG NRW in Person von Patrick Arnold sehr unterstützte. Hintergrund war, dass die Arbeitsbelastung hier in Dortmund zu hoch wurde. Wir haben eine riesen Fanszene und haben, als einige der wenigen Fanprojekte, auch noch die zweite Mannschaft begleitet. Das führte natürlich zu der doppelten Zahl an Spielen, die begleitet werden müssen. Unter der Last sind zwei Mitarbeiter langfristig krank geworden.
Der Antrag hat dann zum Glück Früchte getragen – dank der Unterstützung des Landes NRW. Zu der Zeit war die Fanszene in Dortmund auch in Unruhe. Die Riots waren auf dem Höhepunkt ihres zweifelhaften Rufes in Deutschland. Die Polizei war beunruhigt und wie es halt so ist: es muss immer erst etwas passieren. Dann hat man sich aber entschlossen, dass bei einem so großen Fußballstandort wie Dortmund mehr Betreuung notwendig ist als bei durchschnittlichen Standorten. Wir haben dann 2,5 zusätzliche Stellen bekommen und das war für uns ein Quantensprung. Eigentlich sind wir dieses Jahr richtig gut aufgestellt gewesen, um den BVB durch ganz Europa zu begleiten.

Wir sind in Deutschland bekannt für unser Motto „Immer die ersten zu sein und erst dann zu fahren, wenn der letzte BVB Fan die Stadt verlassen hat“.


Thilo

sg.de: Mit Stella und Johannes sind zwei vom Streetworkteam da. Könnt ihr einen Einblick in eure Arbeit rund um Borussia Dortmund geben?

Thilo: Ganz kurz vorneweg: Streetwork ist eigentlich unser Ding. Wir sind in Deutschland bekannt für unser Motto „Immer die ersten zu sein und erst dann zu fahren, wenn der letzte BVB Fan die Stadt verlassen hat“. Das ist ein ganz wichtiger Arbeitsbereich. Wir sind bei Heim- und Auswärtsspielen vor Ort. Wir sind im Stadion ansprechbar. Wir haben immer viele Fans im Fanladen zu Gast – auch ganz besonders vor und nach den Spielen. Auch bei Heimspielen haben einige Kollegen in der Regel erst weit nach Mitternacht Feierabend, wenn wir die Ultra Gruppen in ihre Räumlichkeiten begleitet haben und alle auswärtigen Fans abgereist sind.

Johannes: Der Arbeitsschwerpunkt ist ganz klar die Spieltagsbegleitung. Das kann aber nur funktionieren, wenn du eine Beziehung zu den Fans hast – besonders zu unserer Fokusgruppe, der aktiven Fanszene, welche hier in Dortmund viel größer ausfällt als an vielen anderen Standorten. Dadurch unterscheidet sich unsere Arbeit auch von anderen Standorten. In der originären Fanarbeit haben wir eine Reihe von Angeboten für die Fans. Das teilt sich auf in die Angebote für die u18 BVB Fans, aber eben auch für die aktive Fanszene, insbesondere die Ultras Gruppen bzw. ihre Mitglieder. Das sind dann etablierte freizeitpädagogische Angebote wie der Montagskick in der Soccer Halle. Das haben wir in den vergangenen Jahren ausgeweitet mit sportpädagogischen, bildungspolitischen und kulturellen Angeboten. In der Coronaphase im Sommer haben wir dann bspw. Museen besucht und Führungen am Borsigplatz angeboten, um da in der Zeit auch den jungen Fans alternativen anzubieten.

Thilo: Die Streetworkarbeit hat immer unsere Arbeit bestimmt. Unter der Woche werden die Wochenenden aufgearbeitet. Da gibt es dann im Rahmen der Einzelfallhilfe auch immer wieder den Bedarf für Beratung und Unterstützung von jungen Fans.
Daneben ist der Fanladen auch unter der Woche ein wichtiger Begegnungsort. Fanclubs, Ultragruppen oder die Fanhilfe treffen sich hier. Es gibt kaum eine Gruppe, die sich nicht mal hier im Laufe des Monats trifft, ob Fanladen, im Hof oder hinten im Atelier. Diese Angebote gehören einfach dazu.

Johannes: Noch einmal im Bezug auf die Einzefallhilfe – hier ist ein großer Aufgabenbereich die Einzelfallhilfe bei Stadionverboten. Leider passiert da fast an jedem Wochenende etwas in den Stadien. Das sind Dinge wie Pyrotechnik oder Becherwürfe. Darauf folgt dann meist eine Strafanzeige der Polizei und damit einhergehend eine Anhörung bzgl. eines Stadionverbotes. Da sind viele junge Fans auch überfordert, weil das schon eine besondere Situation ist. Da sind wir dann erster Ansprechpartner, wir kennen uns in dem Bereich gut aus, sind gut vernetzt und wissen was die jungen Leute dann zu tun. Wir haben da gute Kontakte zur Fanhilfe und arbeiten da eng zusammen, um die Jugendlichen gut durch den Prozess zu begleiten. Auf Wunsch begleiten wir die Fans dann gerne zur Anhörung beim Verein und versuchen uns für sie einzusetzen. Natürlich beinhaltet der Bereich Einzelfallhilfe mehr als nur die Begleitung bei Stadionverbotsverfahren. Gerade in diesem Jahr hatten wir unheimlich viel mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu tun, die aufgrund der Corona-Pandemie mit beruflichen oder finanziellen Problemen zu kämpfen hatten.

Stella und Thilo nebeneinander am Tisch. Thilo fässt sich nachdenklich an die Lippe, während Stella gestikuliert während sie ihre Pläne schildert.
Stella Schrey hat 2020 im Fanprojekt Dortmund im Streetwork Team begonnen

Stella: Ich möchte gerne noch ein recht neues Angebot ergänzen. Mit Laura und mir haben zwei Frauen diesen Sommer neu beim Fan-Projekt angefangen. Wir möchten gerne die Zielgruppe etwas ausdifferenzieren und mehr Angebote ausschließlich für Mädchen und junge Frauen schaffen.

sg.de: Das ist ein spannendes Thema, was sich mit neuen Personen vielleicht ändert. Stefan war sehr bekannt, jetzt seid ihr neu hier und hattet einen recht schweren Start mit der Pandemie. Wie hätte denn euer Start ausgesehen, wenn alles normal gewesen wäre?

Stella: Ich glaube, ich fand das gar nicht so negativ. Ich konnte durch den offenen Treff und die sportpädagogischen Angebote erst einmal kleine Gruppen und Einzelpersonen kennenlernen. Das eröffnet die Möglichkeit so auch persönlicher in das Gespräch zu kommen. Das wäre an Spieltagen schwieriger gewesen. Der Nachteil ist natürlich, dass man erstmal mit ganz viele Menschen nicht arbeitet, die man sonst an Spieltagen getroffen hätte.

sg.de: Was werden denn deine Schwerpunkte sein?

Stella: Wie erwähnt werden wir versuchen neue Angebote zu etablieren. Die gehen in die Richtung von geschlechterreflektierender Fanarbeit. Auch den Themenkomplex Sexismus und sexualisierte Gewalt werde ich weiter bearbeiten. Die ganz normale Spieltagsbegleitung und Netzwerk und Gremienarbeit werden aber natürlich genauso zu meinen Aufgaben zählen wie die Durchführung von sport- und bildungspolitischen Angeboten.

sg.de: Wie haben das Thema bereits angeschnitten, aber wie sieht euer Alltag in der Pandemie aktuell aus?

Thilo: Ich gebe mal kurz einen Überblick. Die Pandemie hat unsere Arbeit hammerhart getroffen. Der wichtigste Bereich unserer Arbeit, bei dem wir die meisten Fans sehen und die meisten Kontakte haben, bricht plötzlich weg. Wir haben uns direkt nach dem Shutdown intern zusammengesetzt und waren uns einig, dass wir jetzt nicht zumachen können. Dafür ist uns unsere Fanszene zu wichtig, dafür haben wir zu viele Kontakte. Wir müssen sehen, dass wir am Ball bleiben. Wir haben in den ersten Wochen ohne Ende telefoniert. Wir haben mit vielen Fangruppen und Einzelfans gesprochen, bis wir uns dann auch technisch besser aufgestellt hatten. Wir konnten über Konferenzen den Kontakt zu den Fans aber auch Fanbeauftragten und den Netzwerkpartnern halten.
Wir haben, soweit es uns möglich war, probiert, die Fanszene zusammen zu halten. Wir haben Bildungsangebote entworfen. Was überhaupt nicht abgerissen ist war die Einzelfallhilfe. Es sind immer noch viele Personen mit Problemen und Nöten gekommen. Da haben wir immer die Tür offengehalten. Das ging von finanziellen Problemen über Unterstützung im Alltäglichen. Wir hatten wirklich soviele Einzelfallhilfen wie nie.
Daneben haben wir die Fangruppen beispielsweise logistisch unterstützt. Die haben teilweise ihre Räumlichkeiten renoviert, welche wir dann mit den Fahrzeugen unterstützen konnten.
Als es dann wieder möglich war, mit Kleingruppen zu arbeiten, haben wir alle Möglichkeiten ausgeschöpft, die erlaubt waren. Als dann zehn Personen wieder erlaubt waren, haben wir den Hof aufgemacht. Der Sommer war glücklicherweise warm und wir haben mit der Unterstützung der BVB das Hygienekonzept schnell umsetzen können. Dadurch war es uns möglich eigentlich jeden Abend den Hof als Treffpunkt für BVB Fans zu nuten. Mit dem offenen Treff hatten wir dann so viel Erfolg, dass uns der Andrang fast über den Kopf gewachsen ist. Daran sieht man aber, wie wichtig das war. Wir haben sportpädagogische Angebote wie ein Tischtennis- und Beachvolleyballturniere, ein Lauftreff oder Standup Paddeling gemacht. Ich glaube es gab nichts, was wir mit kleinen Fangruppen nicht gemacht haben. Dadurch hatten wir viele Kontakte.

Johannes: Diese Angebote haben sich zu früher natürlich unterschieden, da sie alle den Corona-Auflagen entsprechen mussten. Beim offenen Treff haben wir bspw. einzelne Inseln aufgebaut, um die Abstände zu wahren und mit den Namenslisten gearbeitet.

Stella: Vielleicht noch ergänzend prüfen wir ständig unsere Angebote auf die aktuelle Situation und versuchen uns da anzupassen. Mit der kommenden Vortragsreihe versuchen wir Angebote in die Online-Welt zu verlagern.

Johannes: Wir haben dann digitale Angebote geschaffen. Wir haben unter anderem Onlineveranstaltungsreihen geplant, haben Vorträge über eine englische Fankultur präsentiert, haben Lesungen gemacht. Da ist auch konkret etwas in Planung für Dezember, dass wir in Kooperation mit euch vorhaben. Wir hatten ein Online Dartsturnier mit Kameras organisiert, die alles übertragen haben. Für unseren u18 Leute haben wir ein Online FIFA Turnier organisiert.
Was man vielleicht noch hervorheben kann ist ein Workshop zum Thema Antidiskriminierung, den wir gemeinsam mit den BVB Fanbeauftragten und dem BVB Lernzentrum veranstaltet haben. Das ist ein Workshop, der vom Lernzentrum als Online-Angebot konzeptioniert wurde. Dort konnten sich dann alle BVB Fanclubs anmelden, um über Diskriminierung im Fußball zu sprechen. Da wurde den Fans an Hand von Beispielen aus dem Fußballkontext ein Bildungsangebote gemacht. Der Workshop war ein großer Erfolg und hat auch seine Runde gemacht. Da haben mittlerweile fast 200 Fans mitgemacht und wird noch weiterhin angefragt.

Flyer zur digitalen Vortragsreihe über Fankulturen: 03.12. über Isreal, 10.12. Syrien, 17.12. England
Die digitale Vortragsreihe vom Fanprojekt Dortmund

sg.de: Was bekommt ihr da für ein Feedback aus der in der aktuellen Situation? Gerade auch für junge Fans bricht da eine ganze Menge weg. Vieles was sonst auch neben dem Wochenende möglich war, ist aktuell nicht möglich.

Thilo: Wir bekommen das schon mit. Die Fans waren auch dankbar für die Angebote. Der Verein war da sehr passiv, die hatten natürlich auch ganz andere Sicherheitsvorkehrungen als wir hier. Wir als Streetworker sind da etwas mehr Risiko gegangen. Wir können unseren Job nicht nur von zu Hause machen.
Wir haben dann eine unglaubliche Dankbarkeit erfahren, dass jemand was für sie macht. Das war die eine Seite. Auf der anderen Seite merkt man schon, dass das gerade bei den jungen Menschen eine ganz neue Erfahrung ist. Viele von den jungen Leuten merken, dass es am Wochenende auch was anderes gibt als Fußball. Das spürt man schon. Dazu kommt, dass bei einigen eine Resignation da ist. Insbesondere im Sommer hat man gespürt, dass der Fußball nicht so ein großes Thema wie sonst in Dortmund ist. Viele haben gesagt, sie würden die Spiele nicht gucken: „Das ist so nichts für uns.“
Inzwischen hat sich das vielleicht auch mit dem sportlichen Erfolg etwas gewandelt. Es wird wieder mehr über Fußball geredet als wir im Vorfeld erwartet hatten. Dennoch wird es mit unserer Zielgruppe nicht mehr so sein wie vor einem Jahr. Es steht zu befürchten, dass es junge Leute auch im nächsten Jahr keine Möglichkeit gibt ins Stadion zu kommen. Für eine Südtribüne wie wir sie vorher war fehlt mir aktuell etwas die Phantasie. Vielleicht gibt es eine Zeitlang auch nur Sitzplätze. Das würde viele junge Leute auf Dauer ausschließen. Das ist für uns natürlich eine Horrorvorstellung und das alles wird unsere Arbeit im kommenden Jahr natürlich auch noch sehr schwierig machen.

Johannes: Alles in allem möchte ich aber auch noch einmal sagen, dass die aktiven Fanszenen allgemein und von Borussia sehr vorbildlich mit der Situation umgegangen sind. Das fängt an mit dem Geisterderby, bei dem große Sorgen auf Seiten der Stadt und Polizei vorherrschten, dass die Fangruppen zum Stadion kommen und die Auseinandersetzung suchen. Das hat sich dann in Endeffekt null bewahrheitet. Alle sind mit der Situation verantwortlich umgegangen. Es gab seit dem keinen Vorfall im Zusammenhang mit Fußballspielen. Daraus kann man schließen, dass die Fanszene sehr verantwortlich und reflektiert gehandelt hat. Das geht dann darüber noch hinaus, dass bspw. das Fanbündnis Nachbarschaftshilfe angeboten hat. Dort wurden Personen unterstützt, die nicht alleine einkaufen gehen konnten. Unseres Wissens nach wurden mit der Aktion eine dreistellige Anzahl an hilfsbedürftigen Personen erreicht.

Thilo: Gut, uns allen war das alles klar und keine Überraschungen. Jeder der sich ein bisschen auskennt in der Fanszene, dem war das klar - nur wieder einigen von der Polizei nicht.

sg.de: Wie hat sich das bei euch denn gewandelt? Haben sich mehr an euch gewandt?

Thilo: Es haben sich sehr viele an uns gewandt. Wir haben aber natürlich auch viele Kontakte, die wir nur an Spieltagen sehen. Das wisst ihr selbst. Viele eurer Stadionnachbarn kommen nicht direkt aus Dortmund. Da sind auch viele Kontakte abgebrochen. Teilweise zu Personen, welche man seit 25 Jahren jedes Wochenende gesehen hat. Diese Kontakte fehlen uns. Aber sie zu halten, ist dann auch sehr schwer. Das merkt man schon. Diese Personen wurden bei den paar Spielen mit Zuschauern auch nicht berücksichtigt. Unsere Sorge ist da schon, wie über soviele Jahre gewachsenen Strukturen aufrecht gehalten werden können. Im nächsten Jahr wird es sicherlich nicht nur unsere Aufgabe, sondern auch vom Verein, Fanorganisationen und uns allen sein, das wieder aufzubauen.

Johannes: Gerade die 13-, 14- und 15-Jährigen, die im Erwachsen werden sind, bekommen erst durch das Stadion den Anschluss an die Fangruppen. Die können da das erste Mal Luft schnuppern und gerade über die Amateure Kontakte knüpfen. Das fällt jetzt erst einmal komplett weg.
Was machen die jungen Leute jetzt? Die haben keinen Bezug zum Fußball aktuell. Der Fußball hat sich eine Sonderrolle in der Coronazeit geschaffen, aber die Fans haben in dieser keine Rolle gespielt. Warum sollten sich die Jungendlichen sich für die Fankultur interessieren, wenn alles gerade stillsteht.

Thilo: Es ist schwierig. Neulich war ein Journalist da und fragt, ob sich nach den Jubos eine neue Ultragruppe bildet. Wo soll sich gerade eine Gruppe bilden? Wie soll das gehen? Das wird eine schwierige und spannende Entwicklung, ob der Fußball wieder an die jungen Leute rankommt.

Alles in allem möchte ich aber auch noch einmal sagen, dass die aktiven Fanszenen allgemein und von Borussia sehr vorbildlich mit der Situation umgegangen sind.


Johannes zum Umgang der Fanszene mit der Pandemie

Johannes gestikuliert mit weit geöffneten Armen
Johannes, Streetworker seit 2015 beim Fanprojekt Dortmund

sg.de: Was versucht ihr da, um speziell die jungen Leute zu halten oder wieder zu erreichen?

Johannes: Wir können das nur über den persönlichen Kontakt versuchen. Das man im Gespräch bleibt und Angebote schafft, soweit es möglich ist. Dazu kann man über die Netzwerkpartner fußballinteressierte Jugendliche ranholen und die Werte einer positiven Fankultur beibringen.

Stella: Ich denke, mit den schon vorhandenen Kontakten läuft das über die Streetworkangebote, mit den Älteren über die Einzelkontakte und die Onlineangebote.

sg.de: Wisst ihr denn, wie es an den anderen Standorten läuft? Es ist ja fast kein Fanprojekt so ausgestattet wie ihr hier in Dortmund.

Thilo: Die tun sich schon unheimlich schwer. Die haben teilweise den Kontakt zur Fanszene verloren.

Stella: Ich würde sagen, jedes Fanprojekt macht im Rahmen der eigenen Möglichkeiten das Beste. Natürlich haben wir hier sehr gute Bedingungen mit der Infrastruktur. Da gibt es andere Standorte, die das nicht so haben. Die haben dann andere Angebote, um den Kontakt zu halten. Aber natürlich ist das eine große Herausforderung für uns alle.

sg.de: Wir habt ihr denn so „das Ganze drumherum“ wahrgenommen? Es hat zum Teil sehr harsche Kritik am Fußball gegeben. Es war eine Task Force und die große Läuterung des Fußballs angekündigt. Jetzt werden die TV Gelder wieder im kleinen Kreis verteilt. Wie ist da die Sicht der Fanprojekte drauf?

Thilo: Es ist schon schwierig. Als es dem Fußball sehr schlecht ging, hat er sich versucht anzunähern und es hat sehr viel Hoffnung gegeben. Nach dem Vorstoß mit Rummenigge kam jetzt relativ wenig Protest. Das fand ich schon sehr bedenklich.
Vor zwei bis drei Monaten war noch Euphorie da. „Es ändert sich was im Fußball und wir werden mitgenommen“ – und jetzt kam das deutlich Signal, dass ist alles so nicht. Da gab es dann wenig Proteste.

sg.de: Weil natürlich die Plattform fehlt.

Thilo: Klar, die Plattform Spiele fehlt da ganz stark. Wenn der Fußball da jetzt seine Nummer durchzieht, steht zu befürchten, dass er ganz viele junge und kritische Fans verlieren wird. Das befürchten wir ganz stark.

Johannes: Das ist auch eine Rückmeldung aus der Fanszene. Der Fußball bekommt wieder eine Sonderrolle. Das geht mit den Corona-Tests los, alles in Deutschland wird stillgelegt aber die Spiele können stattfinden. Es finden auch aus Fansicht viele unnötige Spiele statt. Dadurch entstehen Belastungen auf die Testkapazitäten und auf die Spieler. Das Verstehen viele Leute nicht mehr. Dadurch entfremdet sich der Fußball auch gerade wieder.

sg.de: Was ist eure Perspektive? Es wird ja wahrscheinliche diese Saison nicht mehr normal werden.

Thilo: Wir hatten uns eigentlich vorgenommen zu jedem Heimspiel eine Fangruppe einzuladen. Dafür haben wir uns einen riesen Fernseher besorgt. Das hat jetzt zweimal stattgefunden. Es hatten sich bis Weihnachten eigentlich schon zwölf Gruppen angemeldet – wir waren also ausgebucht. Wir haben jetzt aber sagen müssen, dass wir für Dezember keine Öffnung verantworten können. Es gab auch schon Coronafälle im Umfeld.
Daher verlagern wir uns Angebote wieder ins Digitale. Wir hoffen im Januar wieder Angebote aufstellen zu können, im Rahmen der Möglichkeiten. Aktuell könnten sich im Hof nur 10 Leute inklusive der Mitarbeitern mit Abstand und Mundschutz treffen. Das macht keinen Sinn. Wir hoffen nächstes Jahr in kleinen Schritten wieder öffnen zu können.

Stella: Ergänzend dazu – wir sind sehr stark von den kommunalen Vorgaben abhängig. Und in dem Rahmen versuchen wir Angebote zu machen.

sg.de: Wir war es denn im Stadion? Von uns war keiner drin.

Johannes: Es ist natürlich was komplett anderes. Ich war damals im Stadion als 11500 Zuschauer zugelassen waren. Das ist natürlich komplett anders als der Fußball den wir kennen und wie wir in wollen. Da wurde hin und wieder mal etwas angestimmt, aber das ist dann schnell wieder verflacht. Man wusste auch nicht genau, was erlaubt ist und was nicht. Der BVB hatte da natürlich ein grandioses Schutzkonzept, aber du merkst die allgemeine Unsicherheit. In dem Moment habe ich persönlich gemerkt, wie wichtig die aktive Fanszene für die Stimmung ist. Das bringt das Stadion erst zum Leben.

sg.de: Was glaubt ihr, wie es werden wird, wenn die Stadien wieder offen sind?

Thilo: Es wird sich erst einmal nichts ändern an der Situation. Es wird noch eine Weile Schalke bleiben. Wir hoffen, dass es gegen Sommer wieder möglich ist, mehr anzubieten.
Wir erwarten, dass es ganz langsam wieder normalisiert wird. Das wird schwierig werden. Ich habe wirkliche Bedenken, dass viele junge Leute erst einmal ausgeschlossen sind. Eventuell wird es keine Stehplätze geben am Anfang. Bis wir die Südtribüne wieder haben, wie wir sie kennen – ich weiß es nicht.

sg.de: Seht ihr denn eine Gefahr, dass das was die Fankultur ausmacht, eingeschränkt bleibt? Seien es die eingeschränkten Auswärtsfahrten, personalisierte Tickets oder fehlende Stehplätze? Sodass eine Rückkehr zu vor der Pandemie komplett gefährdet ist?

Thilo: Im Fußball auf jeden Fall. Es werden auch Sachen sicherlich nicht mehr komplett zurückgenommen. Bei den Stehplätzen bin ich in Dortmund sehr optimistisch. Was wäre der BVB ohne Südtribüne? Das weiß der Verein natürlich auch ganz genau. Da werden die nicht drangehen. Aber es gibt sicherlich Vereine, die da anders denken. Für die ist eine Lösung ohne Stehplätze viel einfacher und das lässt man dann so. Zuletzt waren die Stehplätze wieder auf dem Vormarsch und das ist vielleicht gestoppt worden. Das steht zu befürchten. Wir waren schon fast dabei, das nach England zu exportieren. Das ist definitiv ein Rückschlag.
Wie wirkt sich es denn bei euch so aus?

sg.de: Es ist schon scheiße, dass man sich kaum noch sieht. Die redaktionellen Sachen laufen eigentlich immer schon online aber es fehlen halt die Rituale rund um die Spiele. Das ist komplett weg. Wir versuchen uns jetzt auch online zu treffen - wir haben da ähnliche Befürchtungen wie ihr.

Vielen Dank für das Interview.

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