Unsa Senf

VAR abschaffen

08.12.2019, 10:28 Uhr von:  Sascha
VAR abschaffen

Eine kleine Warnung vorab: Dieser Text enthält keine neuen Gedanken, überraschende Wendungen oder überhaupt nur irgendetwas, das nicht schon an anderer Stelle gesagt oder geschrieben wurde. Warum er trotzdem geschrieben wurde? Weil es wichtig ist, die Kritik aufrecht zu erhalten, in der verzweifelten Hoffnung, dass es irgendwann wieder zu einem Umdenken führt.

Der Fußball als Stadionerlebnis stirbt nämlich gerade. Schuld daran ist die Einführung des Video Assistant Referees, dank dem es die Bezeichnung „Kölner Keller“ in kürzester Zeit zu einem geflügelten Wort unter Fußballfans geschafft hat.

Klar, dass der Fußball stirbt, ist keine neue Prophezeiung. Genau das hatte man nämlich auch schon früher als Folge von zunehmender Kommerzialisierung, oder Zerstückelung der Spieltage in immer beklopptere Zeiträume vorhergesagt. Ehrlicherweise muss man zugeben, dass man mit all diesen Unkenrufen nicht ganz richtig lag. Warum sollte es also bei dem VAR anders sein und das alles nicht einfach nur Schwarzmalerei sein? Weil man sich auch bei den beklopptesten Werbeaktionen montagabends um 20.30 Uhr immer noch auf das Spiel an sich einlassen und das Wechselbad der Emotionen durchlaufen konnte. Es wurde massiv in die Rahmenbedingungen des Stadionbesuchs eingegriffen, der Kern aber blieb unberührt.

Der Moment, der jeden Torjubel verstummen lässt

Genau dieser Kern wurde aber mit der Einführung des VAR angegriffen. Zu Beginn ging es noch um Fragen, ob dadurch mehr Gerechtigkeit geschaffen werden kann, indem das Regelwerk einheitlicher und gerechter angewendet werden kann – oder man damit nicht gerade die Diskussionen tötet, die den Fußball zu einem Thema auch weit nach Abpfiff machen. Im Nachhinein muss man sagen, dass das eine völlig nebensächliche Diskussion war, weil wohl niemand erahnen konnte, wie massiv die externe Überprüfung der Schiedsrichterentscheidungen die Gefühlswelt des Fußballs beschneidet. Wer jubelt denn heute wirklich noch unbeschwert, wenn der Ball im Netz zappelt und schaut nicht erst sekundenlang zum Schiedsrichter und wartet, ob er sich nicht doch ans Ohr greift? Weil irgendwo im Spielaufbau bis dahin ein unbemerktes Foulspiel entdeckt wurde, die Hacke eines Angreifers ein mµ im Abseits war oder der Ball auf dem Weg Richtung Tor völlig belanglos einen Oberarm gestreift hat. Erst wenn der Wiederanstoß erfolgt ist, kann man sich wirklich sicher sein, dass das Tor zählt. Das Spontane, die Eruption der Freude, das große Glückgefühl – all das köchelt dann schon wieder auf Sparflamme vor sich hin.

Und anfühlen sollte es sich so

Ein Tor unter den Augen des VAR zu erzielen ist so, als wenn man mit seinem Partner oder seiner Partnerin gerade richtig leidenschaftlich wird, sich die Klamotten vom Leib reißt – und sich dann ruhig hinsetzt und ausdiskutiert, ob man jetzt nicht eigentlich eher das Bad putzen müsste, weil die Zeit so knapp ist und außerdem könnte jeden Moment der Paketbote mit der für den Nachmittag angekündigten Lieferung klingeln. Entscheidet man sich dann doch dafür, gemeinsam in die Kiste zu hüpfen, wird das Ergebnis niemals so ausfallen, als wenn man sich sofort einfach hätte mitreißen lassen. Der VAR macht den Torerfolg im Endeffekt zu einem öden Wahr-oder-Falsch-Wert. Zu einem beliebigen Ereignis in der Spielstatistik. Er nimmt den Leuten die Möglichkeit, sich unkontrolliert fallen zu lassen und sich der Freude des Moments hinzugeben. Das betrifft nicht nur die Fans. Mario Gomez, dem in einem Spiel gleich drei Treffer nachträglich aberkannt wurden, mag ein Extrembeispiel sein, aber selbst den Spielern dürfte es mittlerweile kräftig auf die Nerven gehen, den Torjubel abzubrechen und verständnislos Richtung Schiri zu blicken, weil da gerade eine Überprüfung läuft.

Gerade wird wieder diskutiert, wie man die Handregel oder das Abseits regeltechnisch weiter ausarbeiten kann. Alles nachranginge Probleme, die nach hinten geschoben werden können. Am dringlichsten ist es, den Fußball als Stadionerlebnis zu retten und die Entscheidungsgewalt wieder ganz alleine in die Hände der Schiedsrichter und seiner Assistenten zu legen. Kein Ärger über ein Gegentor, das sich im Nachhinein als aus einer regelwidrigen Abseitsposition heraus erzielt entpuppt, keine Empörung über ein übersehenes Handspiel kann den Verlust der spontanen Freude kompensieren. Die Einführung des Videoassistenten entpuppt sich mehr und mehr zur katastrophalsten Regeländerung in der Geschichte des Fußballs, weil er ihn dort absterben lässt, wo er entsteht.

Der VAR macht den Fußball nicht gerechter – nur trister. Weg damit!

Unterstütze uns mit steady

Weitere Artikel