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Hoffenheim im Kopf

21.05.2019, 08:27 Uhr von:  Sascha
Hoffenheim im Kopf

Wenn man die vergangene Saison durchgeht, kommt Fan immer irgendwie auf die gleichen Spiele als vermeindliche Knackpunkte auf dem Weg zur verpassten Meisterschaft. Ein Spiel wird dabei immer genannt: das Heimspiel gegen Hoffenheim. Wir haben 3:0 geführt, hatten das 4:0 auf dem Fuß und sind am Ende daran gescheitert, diese Führung über jämmerliche 15 Minuten hinweg ins Ziel zu retten. Wie ist das möglich? Das sind doch alles gestandene Profis, für die das ein Klacks sein müsste. Der Stammtisch weiß da schnell bescheid und erzählt etwas von „nicht den Arsch aufgerissen“, oder „die wollen ja gar nicht“. Es ist ja auch schwer nachvollziehbar, wie man so etwas noch verlieren kann.

Ich möchte mich da gar nicht ausschließen. Eine 3:0-Führung muss man in einen Sieg verwandeln. Das stand für mich unumstößlich fest. Am Wochenende habe ich aber selber auf bitteren Wege erfahren müssen, wie viel beim Sport im Kopf statt findet, auch wenn er direkt mit Füßen, Beinen oder den Händen ausgeübt wird. Man kann sich im Kopf zu Hochleistungen aufschwingen, aber an diesem Punkt zwischen den Ohren auch grandios scheitern.

Mein Hobby, neben dem Fußball, ist Laufen. Ursprünglich mal angefangen, um etliche der überflüssigen Kilos loszuwerden, mache ich das seit letztem Jahr intensiver und nehme auch an Wettkämpfen teil. Natürlich ist mir klar, dass ich niemals um den Sieg mitlaufen werde. Selbst andere Läufer meiner Altersklasse Ü40, die das vermutlich schon seit ihrer Jugend machen, legen teilweise Zeiten aufs Tableau, die mir wie andere Welten erscheinen. Ich laufe meine Rennen gegen mich und gegen die Uhr. Dabei bin ich auch noch weit entfernt von Freunden, die das teilweise als „Hobbyleistungssport“ betreiben, sich minutiös mit Plänen von Fachleuten auf ihre Wettkämpfe vorbereiten und Bücher über die richtigen Lauftechniken lesen. Trotzdem versuche auch ich, immer besser zu werden. Mittlerweile laufe ich den Halbmarathon privat im Training immer deutlich unter 2 Stunden. Ein Mal habe ich sogar eine für mich große Grenze, die Zeit von 1:50 Stunden unterboten. Das war auch das Ziel im ersten, offiziellen Halbmarathon im letzten Jahr. Es war ein dummer Anfängerfehler, mich an die falschen Leute zu hängen und das Rennen viel zu schnell anzugehen, der mich in der Mitte des Laufes zu Schwindelgefühlen und am Ende zu einer Zeit von 2:08, die mich gar nicht zufrieden stellte, gebracht hat.

Letzten Sonntag sollte es besser werden. Der Vivawest-Halbmarathon stand auf dem Programm. Angemeldet mit dem charmant-kuttigen Ansatz als frischgebackener Meister durch Gelsenkirchen laufen zu können. Aber das ist ein anderes Thema. Ich habe mich auf diesen Lauf vorbereitet. Zwei Wochen vorher bei einem 10-Kilometer-Lauf am Kemnader See meine persönliche Bestzeit pulverisiert. Vorher nie unter 50 Minuten gelaufen, stand da am Ende eine 48:06. Zwei Tage später nach Feierabend 17 Kilometer im avisierten Halbmarathon-Tempo gelaufen, weitere 2 Tage später ein Intervalltraining eingestreut. Bewusst noch einmal nah beieinander „Beißeinheiten“ gesetzt, die mir verinnerlichen sollten, dass es geht – auch wenn die Beine schwer werden. Alles ohne Hörbücher oder Musik, weil ich den inneren Schweinehund so laut wir möglich hören wollte, um ihn zu besiegen. In der Woche davor ganz lehrbuchäßig Kraft gesammelt. Mich vernünftig ernährt, in der Nacht vor dem Wettkampf früh ins Bett gegangen und gut geschlafen. Mit anderen Worten: ich habe mich vorbereitet, mich angestrengt, mir den „Arsch aufgerissen“ für diesen Wettkampf.

Und nach vier Kilometern war sie da. Die Stimme im Hinterkopf, die sagte, dass es heute viel zu warm sei zum Laufen. Dass ich mich ja jetzt schon quäle und auch diese kurze Strecke bereits in den Beinen fühlen würde. Am bittersten aber der Satz: „Wie beim letzten Mal“. Ab da war mir klar, dass ich verlieren werde. Ich bin weitergelaufen, habe versucht, positive Gedanken in den Kopf zu kriegen und meinen Laufrhythmus wieder zu finden. Aber nach sieben Kilometern bin ich stehen geblieben. Mehr noch, ich wollte den Lauf abbrechen und zurück gehen. Was mich abgehalten hat, war dann der entsetzliche Gedanke, ausgerechnet an GE komplett gescheitert zu sein. Also habe ich die Uhr ausgestellt und bin losgejoggt. Zeit war mir egal, Hauptsache durchstehen. Gerne würde ich jetzt ein Heldenepos beginnen. Von wegen, dass ich ohne Druck auf einmal super klar kam und ein tolles Rennen gelaufen bin. Fakt ist aber, dass es eine einzige Qual und Krampf war. Eine Mischung aus schnellen Gehen und Joggingabschnitten.

Da haben dann auch die Anfeuerungsrufe vom Streckenrand rein gar nicht geholfen. Wer schon einmal bei einem größeren Laufevent dabei war, der kennt den freundlichen Volksfestcharakter. Es stehen Familien am Straßenrand, lesen den Namen auf deinem Schild mit der Startnummer und rufen Sachen wie: „Super, Sascha. Weiter so.“ Alles lieb und nett gemeint. Wer so einen Lauf aber schonmal verkackt hat, weiß vermutlich auch, dass man diese Menschen in diesem Moment aufrichtig hassen kann. Wenn einem völlig bewusst ist, dass man gerade auf ganzer Linie versagt, hören sich die Worte „super“ und „weiter so“ wie blanker Hohn an. Auch das eine Erkenntnis, die ich für den Stadionbesuch in der nächsten Saison mitnehme. Natürlich ist es schön, wenn die Mannschaft auch nach schlechten Leistungen Aufmunterung und Zuspruch erfährt – aber damit ist auch für die Profifußballer vermutlich nicht wieder alles gut und das Wissen um die eigene, schwache Leistung wird weiter an ihnen nagen. Die Verarbeitung kann ihnen niemand abnehmen, oder sie einfach "wegklatschen".

Am Ende bin ich mit einer für mich völlig indiskutablen Zeit von 2 Stunden und 25 Minuten über die Ziellinie gekrochen. Eine halbe Stunde unter dem, was ich mir eigentlich als Minimalziel gesetzt habe. Das Verrückte daran ist: ich war im Ziel wirklich platt. Meine Beine waren schwer und im Kopf habe ich mich entsetzlich müde gefühlt. Dabei war ich im ganzen Lauf nicht ein Mal auch nur annähernd an meiner Leistungsgrenze. Einer meiner ersten Gedanken im Ziel war, dass sich so die letzte Viertelstunde gegen Hoffenheim für die Mannschaft angefühlt haben muss. Ohnmächtig vor einer eigentlich leichten Aufgabe zu stehen, die sich auf einmal übergroß anfühlt.

Ich habe den Lauf bereits nach vier Kilometern verloren. Im Kopf. Durch den Gedanken an eine vorherige Niederlage, der alles gelähmt, schwer und unüberwindbar gemacht hat. Natürlich ist Profisport noch etwas ganz anderes als ein Hobby und natürlich gibt es auch große Unterschiede zwischen Mannschafts- und Einzelsportarten, aber doch glaube ich, dass wir „Sportler“ im Kopf alle ähnlich ticken. Insofern muss ich da Abbitte leisten für so manch böses Wort im Nachgang an einige Saisonspiele.

Im Oktober geht es weiter. Der Phönixsee-Halbmarathon. Ich werde mir Techniken und Abläufe überlegen müssen, die beiden Niederlagen aus dem Kopf zu streichen. Um wieder mein Rennen zu laufen, wie ich es kann und mir zu beweisen, dass der innere Schweinehund in den entscheidenden Momenten nicht doch stärker ist als ich. So geht es auch für die Mannschaft weiter. Eine neue Saison, ein neue Chance, es noch besser zu machen als zuletzt.

Dafür zu sorgen, dass es beim nächsten Mal kein Hoffenheim im Kopf mehr gibt, sondern einen gepflegten Arschtritt für den Gegner.


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