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Die Abseitsposition in Zeiten des Videoassistenten

26.02.2019, 09:41 Uhr von:  Sascha
Die Abseitsposition in Zeiten des Videoassistenten

Es war die 63. Minute im Spiel gegen Bayer Leverkusen. Unsere Borussen eroberten in der eigenen Hälfte den Ball und kombinierten sich ebenso schnell wie ansehnlich über die Mittellinie. Ein Pass in die Tiefe auf den durchstartenden Paco Alcácer, der recht mühelos den Bayer-Keeper Hradecky umkurvte und zum vermeidlichen 4:1 einschob. Und während die Zuschauer jubelnd hochsprangen, hob auch der Assistent an der Seitenlinie die Fahne, um Schiedsrichter Dingert eine Abseitsposition des spanischen Stürmers zu signalisieren. Kurze Rücksprache mit Köln und der Mann in Schwarz entschied endgültig auf Freistoß für die Werkself.

Um es kurz zu machen: der gesamte Ablauf entsprach geradezu mustergültig dem Regelwerk und der Anweisung zur Anwendung der Regel im Zusammenhang mit dem VAR. Der Assistent zeigte das Abseits erst an, nachdem der Ball im Tor untergebracht und das Spiel unterbrochen war, damit der Videoassistent die Richtigkeit dieser Entscheidung bestätigen oder korrigieren konnte. Hätte Dingert das Spiel auf Hinweis seines Linienassistenten unterbrochen und Alcácer den Ball nach diesem Pfiff in den Maschen untergebracht, hätte diese Entscheidung nicht wieder revidiert werden können.

Die kalibrierten Linien auf dem Monitor des Videoassistenten zeigten dann auch wirklich eine Abseitsposition gemäß DFB-Regeln, die da lauten:

Ein Spieler befindet sich in einer Abseitsstellung, wenn

• er sich mit irgendeinem Teil des Kopfs, Rumpfs oder der Füße in der gegnerischen Hälfte (ohne die Mittellinie) befindet und

• er mit irgendeinem Teil des Kopfs, des Rumpfs oder der Füße der gegnerischen Torlinie näher ist als der Ball und der vorletzte Gegenspieler. Die Hände und Arme aller Spieler, einschließlich der Torhüter, werden dabei nicht berücksichtigt.

Im normalen Sprachgebrauch des Fußballalltags werden „Teile des Kopfs, des Rumpfs, oder die Füße“ einfach mit „Körperteile, mit denen man ein Tor erzielen kann“ summiert. Diese Definition hat auch durchaus seinen Sinn gehabt. Für den Assistenten dürfte die Entscheidung, ob eine Abseitsposition vorliegt, oder nicht zu den schwierigsten gehören, die er zu fällen hat. Er muss in dieser Situation gleich zwei, teils deutlich voneinander entfernt liegende, Positionen berücksichtigen. Die des Passgebers und die des Passempfängers. Je größer die Entfernung der beiden voneinander ist, desto mehr wird das zu einer Entscheidung aus dem Augenwinkel heraus. Der Startpunkt der Bewertung ist der Pass, also muss er hier zuerst darauf achten, wann die Szene genau startet. Er kann sich somit erst in zweiter Linie auf den Standort des Empfängers konzentrieren. Deshalb ist es natürlich sinnvoll, die „strafbare Körperfläche“ des Angreifers so groß wie möglich zu definieren, damit er überhaupt die Chance hat, eine Entscheidung nach besten Wissen und Gewissen zu treffen. Die Ausprägung der Regel orientiert sich also eher an der Grenze des körperlich Machbaren, denn an einer wirklich sinnvollen Anwendung im Sinn des Fußballs.

Der VAR, was immer man sonst von ihm halten mag, mit seinen kalibrierten Linien böte hier allerdings die Chance zu einer sinnvollen Änderung. Dabei handelt es sich nicht um eine Art Ermessensspielraum analog der bisherigen „im Zweifel für den Angreifer“- Interpretation. Misst man die Situation millimetergenau aus, dann gibt es nur eine Entscheidung: 0 oder 1. Also Abseits oder kein Abseits. Eine Erweiterung um eine Bewertung, wann eine 0 doch noch eine 1 ist oder andersherum, wäre eher schizophren.

Trotzdem kann man die Frage stellen, warum man nicht einfach die Position der Füße als festen Ankerpunkt der Entscheidung um eine Abseitsstellung festlegt. Für einen Stürmer gehört es dazu, genau an der Grenze zum Abseits auf Höhe der Innenverteidiger auf seine Gelegenheit zu lauern. Wenn er den Moment des Abspiels vermutet, rennt er los, um vors Tor zu gelangen. In dem Moment entspricht seine Körperhaltung der eines Sprinters, der sich aus dem Startblock katapultiert. Den Oberkörper nach vorne gebeugt, um sich mit den Beinen nach vorne abstoßen zu können. Die Verteidiger wiederum befinden sich in einer eher statischen Position mit einem erhobenen Oberkörper, weil sie in ihren Aktionsmöglichkeiten möglichst variabel sein müssen und zum Beispiel mit aufgerückte Gegner auch beachten müssen.

Es ist also situativ eine notwendige Körperhaltung, die vor allem Kopf und Rumpf des Angreifers deutlich näher in eine Abseitsposition bringen, denn die Absicht, mit diesen Körperteilen auch wirklich ein Tor zu erzielen. In den allerwenigsten Fällen der Entscheidungen ob eine zu sanktionierende Position vorliegt, geht es um Tore, die wirklich mit dem Kopf oder dem Oberkörper erzielt werden. Eine Festlegung der Füße als Bewertungskriterium wäre deutlich praxisbezogener und sportlich sinnvoller als das Ausmessen, ob sich eventuell die linke Brustwarze des Angreifers einskommadrei Millimeter im Abseits befunden hat, auch wenn das für den weiteren Verlauf der Szene überhaupt keine Rolle mehr spielt.

Es wäre auch keine wirkliche Neuerung, wenn man die natürlichen Bewegungsabläufe bei der Regelanwendung berücksichtigt. Vor allem Abwehrspieler profitieren im Gegenzug davon, dass bei der Bewertung, ob ein strafbares Handspiel vorliegt oder nicht, auch beachtet wird, ob der Arm absichtlich in den Weg gestellt wurde, oder es sich einfach um eine ganz normale und notwendige Körperhaltung handelte.

Wäre es da nicht ebenso sinnvoll, dem Angreifer zuzugestehen, dass er sich in diesem Moment nach vorne legen muss, um die notwendige Geschwindigkeit aufzunehmen, der wirkliche Startpunkt aber, nämlich die Position, von der er zu sprinten anfängt, mindestens auf gleicher Höhe zum verteidigenden Spieler liegt?

Der VAR im Kölner Keller bietet diese Möglichkeiten und es wäre durchaus sinnvoll, wenn man nicht einfach nur die elektronischen Hilfsmittel auf die bestehenden Regeln anwenden, sondern eher weiterdenken würde, in wie weit neue Möglichkeiten es ermöglichen, Regeln im Sinne des Fußballs weiter zu entwickeln.

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