Spielbericht Profis

Verzagter Favre, frustrierte Fans

24.10.2019, 21:04 Uhr von:  SSC
Verzagter Favre, frustrierte Fans

Deutschen sagt man gerne nach, großen Wert auf Vorbereitung zu legen. Besonders penible Zeitgenossen probten selbst einen Festakt, heißt es in einem Bonmot, um auch wirklich jede Belastung durch nicht im Vorfeld geplante Freude zu vermeiden. Insofern hätte das Spiel, das der zaudernde Zampano Lucien Favre und seine mentalen Monster mit angezogener Handbremse bei Inter Mailand aufzogen, kaum deutscher sein können. Bis zum gegnerischen Strafraum vorbereitend, stets den Quer- oder Rückpass zum freistehenden Hintermann im Blick, simulierten die Schwarzgelben Fußball aus dem Sicherheitsbeiblatt (DIN EN 748, EN 15330, EN 13061, EN 16027, EN 13200-1, EN 12193 et al.).

Fähnchenchoreografie im Gästeblock

Das uninspirierte Spiel passte ins leidvolle Bild, das der BVB seit nunmehr fast einem Jahr abgibt. Zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel, dümpelt der BVB durch sämtliche Wettbewerbe und tut sich erheblich schwerer, als mit dem in Breite und Tiefe besten Kader seit Jahren zu erwarten gewesen wäre. Waren null Tore in fünf der vorangegangenen sieben Champions League Partien (Prag 2:0, Monaco 2:0 vs. Barcelona 0:0, Tottenham 0:3 und 0:1, Brügge 0:0, Atletico 0:2) schon kein Ruhmesblatt, weckte der behäbige Beamtenfußball der vergangenen Monate gegen ein gut eingespieltes Inter Mailand wenig Hoffnung. Immerhin freuten sich die rund 4.400 mitgereisten Borussen über eine der rar gesäten Gelegenheiten, das legendäre Stadion in San Siro vor dem bevorstehenden Abriss noch einmal von innen zu sehen.

Die Pressekonferenz am Vortag des Spiels geriet grotesk gehaltvoll, passend zur aktuellen Stimmung. Während halb Fußballdeutschland sich den Kopf zerbrach, wann der moutige Maestro endlich seinen Weg in die Bundesliga finden würde, übten sich der angezählte Eidgenosse Favre und sein sicherer Sicherheitssalamander Julian Weigl in bedeutungsschwangeren Allgemeinplätzen. „Samstag war ein anderer Tag, Sancho war nicht da. Jetzt er ist wieder da“ war nur eine der vielen Erkenntnisse, über die sich die pilgernden Pressereisenden freuen durften. Auch weitere Statements boten tiefe Einblicke in die Welt des rassigen Rasenschachs: „Jede Mannschaft hat ihre Stärken und Nicht-Stärken“, „es sind noch vier Spiele, es ist viel möglich“ predigte der zaghafte Zeremonienmeister würdevoll im Bauche Giuseppe Meazzas, nicht weniger als einer Kathedrale des Fußballs.

Kultur ist in Mailand Pflichtprogramm

Die mitgereisten Fans hatten sich derweil in der Stadt verteilt, meist in Nähe des Doms oder des Arco della Pace. Am Spieltag fanden sich dort größere schwarzgelbe Massen ein, tranken günstigen Rotwein oder weniger günstiges Bier und zelebrierten den wahrscheinlich attraktivsten Fußballsport des Tages. Ein Ball in der Mitte des großen Platzes, von Passanten unter Jubel des umhersitzenden Anhangs beherzt über den Platz gebolzt – wer es nicht zum Youth League Spiel geschafft hatte, um kultig beschalt in voller Trikotage „Hurra, hurra, die Dortmunder sind da“ zu grölen, konnte hier seinen privaten Fernsehgarten erleben.

Auf dem großzügigen Gästeparkplatz hatten sich die ersten Busse, Bullis und Dullis eingefunden, fliegende Verkäufer verkauften vorzügliches Fangetränk („Eine Dose 3 Euro, drei Dosen 10 Euro!“) sowie allerhand Tand. Vollauf zu begeistern wusste die italienische Organisation rund um das Stadion, lebhafte Diskussionen zwischen Fanbeauftragten und Ordnungsdienst, welche Farbe Plastik wohl haben dürfe, und pedantisch penible Personenkontrollen inklusive. Im Stadion ging es die stolzen Schneckentürme in etwa einem Dutzend, gefühlt aber 150 Schleifen nach oben in den Gästeblock, der unsinnigerweise in zwei Bereiche geteilt war. Im rechten Block fanden sich Ultras und jene Fans ein, die während des Spiels für einigen Alarm sorgen sollten, im linken Block wirkten ebenso viele Fans ohne wirklichen Kontakt zum Stimmungskern etwas verloren. So war zwar schon ordentlich Gesang auf Höhe der Spielfeldmitte zu hören, doch wäre in einem gemeinsamen Block sicherlich noch mehr drin gewesen.

Axel Witsel gegen Barella

Der hitzköpfige Helvete Favre hatte sich für das Spiel gegen die defensivstarken Italiener indes besondere Gedanken gemacht. Wie könnte Fußball zünftiger zelebriert werden, als gegen eine starke Defensive mit einer eigenen Fünferkette zu verteidigen? Mit dem fantasielosen Flügelspieler Achraf Hakimi, dem fahrigen Favreliebling Manuel Akanji, der personifizierten Passmaschine (quer) Julian Weigl, dem schönredenden Schleicher Mats Hummels und dem herzzerrissenen Halbitaliener Nico Schulz (schlief als Kind in Inter Mailand Bettwäsche), rührten gleich fünf Verteidiger brüchigen Beton an. Im Mittelfeld bemühten sich der dürftige Dirigent Axel Witsel und der desillusionierte Däne Thomas Delaney darum, Ruhe in das defensive Feuerwerk zu bekommen, vor ihnen hingen mit dem ausgebrannten Ausnahmespieler Julian Brandt, dem begnadigten Begnadeten Jadon Sancho und dem für kniehoch geschossene Ecken zuständigen, unsichtbaren Unterschiedsspieler Thorgan Hazard gleich drei filigrane Fußballästheten in der Luft. Hinter dem Hochgenuss für gemächliche Rück- und Querpässe sorgte wie gewohnt der stabile Schnapper Roman Bürki für Ruhe.

Da alle Spieler die für sie vorgesehenen Rollen über 90 Minuten mustergültig ausfüllen sollten, verdienten sie sich nach Spielende nicht nur wohlwollende Worte ihres kritikresistenten Klassensprechers Hummels, sondern auch des zufriedenen Zausels Favre und ihres fidelen Frühstücksdirektors Sebastian Kehl. Das Konzept sei gut aufgegangen und man habe das typische 0:0 über 80 Minuten ordentlich verteidigt, wenngleich mit dem Schönheitsfehler, dass das 0:1 bereits nach 22 Minuten gefallen war – toll! Stefan de Vrij hatte da das Dortmunder Defensivbollwerk in der ersten und lange Zeit einzigen sehenswerten Aktion mit einem hohen Ball überspielt, Lautaro Martinez mustergültig den Ball vorbei am machtlosen Bürki in die Maschen geschoben. Dass der Torjubel erst mit gefühlten sieben Minuten Verspätung einsetzte, als auch der Videoschiedsrichter aus seinem wohlverdienten Nickerchen erwacht war und gnädigerweise Zeit gefunden hatte das Spiel wieder freizugeben, war das Sahnehäubchen auf dem bisherigen Fußballabend, zeigte sich doch wieder einmal, welch grandiose Emotionen diese Gerechtigkeitsmaschine VAR auslösen kann.

Jadon Sancho sorgte wieder für Torgefahr

Es dauerte bis zur 31. Minute, bis der BVB seinerseits zum ersten Torschuss anzusetzen gedachte. Der überspielte Überflieger Sancho hatte ausnahmsweise mit Nachdruck agiert und den gut positionierten Witsel erspät, der mangels Anspielstation aus rund 25-30 Metern abzog. Ein satter Sunday Oliseh/Uli Hoeness Gedächtnisschuss in die dritte Etage, aber allemal sehenswerter, als das grausame Gegurke rundherum. Vor dem Pausentee, für den beide Mannschaften nicht allzu viel hatten tun müssen, markierte Martinez den sterbenden Schwan im Dortmunder Fünfmeterraum und durfte Romelu Lukaku die gleiche Szene, die bereits zum 1:0 geführt hatte, aufgrund einer Absatzstellung nicht mehr in Richtung eines zweiten Tors ausspielen.

Die zweite Halbzeit begann unverändert, wenngleich der BVB nun zumindest etwas mehr Drang nach vorne zeigen wollte. Die gesamte Mannschaftsausrichtung wurde folgerichtig um ca. einen Meter in Richtung des gegnerischen Tors verschoben (kontrolliert-defensive Offensive), doch blieb der erhoffte Einschüchterungseffekt aus. Das mag auch an Szenen wie in der 50. Minute gelegen haben: Hakimi hatte sich endlich einmal durchgesetzt und einen klugen Pass auf Sancho gespielt, der rechts freie Fahrt hatte und sich zwischen Pass, Flanke und eigenem Lauf entscheiden konnte. Leicht überfordert von dieser Vielfalt an Varianten rannte er stumpf in Kwadwo Asamoah und überließ ihm den Ball direkt zur weiteren Verwertung.

Martinez gegen Julian Weigl

Es schlug die Stunde des hilflosen Hazard. Ecke um Ecke segelte ins absolute Nichts, obwohl der hochgewachsene Hummels stets über das halbe Spielfeld nach vorne getrabt war. Warum der BVB 30 Mio. Euro in Hummels Kopfballstärke investiert hatte, um seit Wochen unfähig einer einzigen vernünftigen Ecke jeden Ball ins Nirvana zu jagen, ist bis auf weiteres nicht nachvollziehbar. Möglicherweise wäre es sogar eine Überlegung wert, Verstehen Sie Spaß durch Standardtraining zu ersetzen?

Grundsätzlich hatte man bis dato jedenfalls nicht das Gefühl, Inter müsse sich besonders anstrengen, um den BVB kleinzuhalten. Es reichte uninspirierter Dienst nach Vorschrift und Borussia würde den Rest schon selbst erledigen. Eine der sehr wenigen Ausnahmen war in der 64. Minute zu sehen: für wenige Augenblicke konnte Inter den Strafraum nicht sauber halten und bot dem sonst vor allem als Fehlpasskönig auffallenden Brandt die Chance zum Abschluss – einmal kurz den Ball zurecht gelegt, zog er aus rund 10 Metern ab und bereitete Samir Handanovic direkt Probleme. Es war ein deutlicher Fingerzeig, wie viel hier möglich gewesen wäre, wenn man es nur einfach mal versucht gehabt hätte. Dass im Anschluss Delaney, einer der noch besseren Borussen, das Feld verlassen musste, passte ins Bild.

Mats Hummels bringt Esposito zu Fall und es gibt Elfmeter für Inter

So plätscherte das Spiel seinem Ende entgegen, ohne rechten Spannungsbogen mit einem mäßig erhöhten Tempo, dafür aber mit noch einigen wenigen Aufregern. Sowohl Inter (73.), als auch der BVB (75.) vergaben eine gute Torchance – Martinez hatte aus 20 Metern abgezogen und knapp links vorbeigezielt, auf Dortmunder Seite hingegen sich einfach keiner gefunden, der dem durch den Fünfmeterraum kullernden Ball den letzten Tritt verpassen wollte/konnte. Den Italienern boten sich nun einige Freiräume, die sie geschickt für gelegentliche Konter nutzten: Sebastiano Esposito nutzte Abstimmungsprobleme zwischen Weigl und Hummels, ging ins Laufduell und tankte sich bis in den Strafraum, wo er sich nach leichtem Gezupfe und einer ungestümen Grätsche Hummels gerne zum Elfmeter fallen ließ – der engagierte Elfmeterkiller Bürki parierte den ordentlich platzierten und harten Schuss mit einer echten Glanzparade. Eine weitere Heldentat durfte der starke Schlussmann in der 85. gegen Martinez vollbringen, der abermals frei durchmarschiert war, bevor der Ball dann doch zum 2:0 Endstand im Netz zappelte: diesmal hatte Marcelo Brozovic Antonio Candreva aus dem Mittelkreis geschickt, der den Ball im 1:1 gegen Bürki eiskalt rechts oben versenkte.

Roman Bürki ist bedient Candreva dreht jubeln zum 2:0 ab

Die heimische Kurve, die gelegentlich amtliche Lautstärke erreichte, im Vergleich zu unserem Gastspiel in Neapel vor einigen Jahren aber in nahezu jeder Hinsicht den Kürzeren zog, feierte ihren Sieg mit kurzem Jubel. Im Gästeblock schluckte man den Frust herunter und sang sich für das Derby warm, das am Samstag über den weiteren Saisonverlauf entscheiden wird: dass die Mannschaft nicht einmal eine Minute vor dem Gästeblock stehen blieb, sondern nach pflichtschuldigem Klatschen direkt in Richtung Kabine abdrehte, setzte der mauen Leistung dabei die Krone auf. Wer nach dieser Partie und so kurz vor einem richtungsweisenden Derby eine solche Wurschtigkeit an den Tag legt, sollte am Wochenende jedenfalls keine Niederlage einfahren – falls doch, dürfte mindestens der Trainer nicht mehr länger zu halten sein und der Ton ein ganzes Stück rauer werden. Möge kein Spieler behaupten, er habe ja gar nicht geahnt, was da auf dem Spiel stehen könnte...

Statistik

Internazionale Milano: Handanovic - Godin, de Vrij, Skriniar - Brozovic, Candreva, Gagliardini, Barella, Asamoah - Lukaku, Martinez

Wechsel: Esposito für Lukaku (62.), Biraghi für Asamoah (80.), Borja Valero für Martinez (90.)

BVB 09: Bürki - Akanji, Weigl, Hummels - Hakimi, Witsel, Delaney, Schulz - Sancho, Brandt, Hazard

Wechsel: Dahoud für Delaney (65), Bruun Larsen für Akanji (74.), Guerreiro für Hazard (84.)

Tore: 1:0 Martinez (22.), 2:0 Candreva (89.)

Gelbe Karten: Brozovic, Barella, Godin, Candreva – Weigl, Hummels

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