Spielbericht Profis

Borussia Dortmund und Wembley – kein Stoff für eine Romanze

16.02.2019, 00:28 Uhr von:  SSC
Borussia Dortmund und Wembley – kein Stoff für eine Romanze

Die Auslosung wollte das große deutsch-britische Duell: Alle verbliebenen Bundesligisten zogen einen Club aus der Premier League, Borussia Dortmund von allen dreien den zurzeit wahrscheinlich machbarsten Gegner. Zweifelsohne war damit ausreichend Material für wirre Geschichten über einen Fußballgott geboten, der es doch bestimmt ganz witzig fände, drei Wochen vor dem Brexit einen Verbleib gleich dreier englischer Teams im Europapokal zu sehen. Und natürlich war es auch eine wunderbare Vorlage für Küchenpsychologie der banalsten Art, wusste nach La Coruna und Malaga doch jeder, wie groß der Vorteil eines Rückspiels vor heimischer Kulisse auch diesmal wieder sein würde (völlig außer Acht lassend, wie wichtig gerade der Rückenwind aus den Heimspielen gegen Manchester United, den AC Mailand oder Real Madrid für den Einzug ins UEFA Cup Finale 2002 oder die Champions League Finals 1997 und 2013 war). Doch wie sagt man so schön: Erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt…

Dabei war in den Wochen vor dem Spiel jedoch etwas ganz anderes durcheinander geraten. Während die Mannschaft nicht ganz überraschend in ihre erste Krise der Saison rutschte, weil Verletzungen von Schlüsselspielern, Schwächephasen junger Talente und in mancher Situation auch fehlendes Glück zusammenfielen, sah sich so manch einer schon längst wieder zu höheren Weihen berufen.

Macht aus nah und fern einen schicken Eindruck, wird aber sicher nicht mehr der Lieblingsort des BVB - das Wembley Stadium.

In der Bundesliga wollte eine richtige Fußballstimmung zuletzt nicht aufkommen, waren Siege für manchen Fan doch längst wieder zur festen Routine geworden. Trainer Lucien Favre vermittelte mit seiner Rotationsankündigung vor dem Pokalspiegel gegen Werder Bremen den Eindruck, den Wettbewerb nicht unbedingt gewinnen und stattdessen Tempo herausnehmen zu wollen, obwohl die später von ihm aufgebotene Mannschaft abgesehen von Verletzungsausfällen keinen Aderlass zeigte. Und in der Merchandiseabteilung hatte man sich nicht entblödet, ausgerechnet zu diesem Spiel eine Perücke auf den Markt zu werfen, um dem Strippenzieher des kommenden deutschen Triplegewinners mit einem zweifelhaften Gimmick zu huldigen. Abgesehen von der Idee, die als solche bereits eher lahm war, mit dem natürlich nicht ganz kleinen Schönheitsfehler, dass zu diesem Zeitpunkt der Saison noch rein gar nichts gewonnen oder zu bejubeln war. Im Gegenteil standen das Berauschen an der eigenen Großartigkeit, das Schulterzucken zum sportlichen Programm und perückte Zirkusaktionen (bei Metzelder und Calmund in Perücke wollte man vor Scham im Boden versinken) symptomatisch für einen BVB, der seine angenehme Bodenständigkeit und Arbeitsethik der Hinrunde schrittweise aus den Augen zu verlieren drohte (wer einen lauwarmen Perückengag, den man zu einer Titelfeier vielleicht sogar hätte bringen können, ohne jedes Fingerspitzengefühl als Witz-komm-raus-du-bist-umzingelt-PR mitten in die Saison platziert, möge zukünftig bitte von jeglichem Einfluss auf irgendwelche Merchandise- oder Fanangelegenheiten ferngehalten werden).

Während die einen also Schreckliches befürchteten, erhofften sich die anderen nun ausgerechnet vom Spiel bei Tottenham Hotspur sportliche Linderung, das ohne seine Superstars Dele Alli und Harry Kane zuletzt selbst ins Schwimmen geraten war. So war es trotz einiger Londonsättigung im schwarzgelben Lager mitunter ziemlich schwer gewesen, an eines der begehrten Tickets zu kommen. Nicht wenige Fans hatten sich auch zu einer früheren Anreise entschieden, um sich in Pubs am goldenen Fangetränk zu laben oder am Vorabend den munteren Zweitligakick Millwall – Sheffield Wednesday mitzunehmen. Dieser entpuppte sich als wüstes Gebolze vor halbleeren Rängen, auf denen eigentlich nur deutsch gesprochen wurde. Mit einem meilenweit überlegenen Gastgeber, der passend zum 20. Tabellenplatz in der zweiten Liga von gefühlten 40 Flanken nicht eine einzige an den Mann brachte, und einem Gegner, der in 90 Minuten nichts weiter hinbekam, als in zwei Szenen wahrscheinlich aus Zufall mit sensationeller Technik zu überraschen. Ein 0:0 der unglaublicheren Sorte, bei dem das einheimische Publikum (sofern vorhanden) rund um die 75. Minute auftaute und letzten Endes fast durchdrehte, wie harmlos das eigene Team seine Überlegenheit verspielte. So gesehen tatsächlich keine ganz schlechte Vorbereitung auf das, was den BVB am Folgetag widerfahren sollte…

Nicht unbedingt die beste Ecke Londons, aber immerhin mit einem gewissen Charme - der Weg zum Stadion des Millwall FC.

Während Tottenham Roman Bürki in einer an Torchancen armen Halbzeit nur einmal zu einer Rettungstat zwang (eine Reingabe von links klärte der Schweizer vor dem bereitstehenden Lucas Moura), brachte der BVB Lloris immerhin noch ein zweites Mal in Bedrängnis. Nach kurz ausgeführter Ecke flankte Sancho Flank an die 5m-Linie, wo Dan-Axel Zagadou den Ball nur noch ins freie Tor nicken musste – da blöderweise aber auch noch Juan Foyth seine Rübe dazwischen kam, konnte Lloris den in seiner Dynamik deutlich geschwächten Ball auf der Linie parieren. Borussia hatte bis zu diesem Zeitpunkt mehr vom Spiel gehabt, auch auf der Tribüne mit einem lauten Wechselgesang phasenweise Gesänge der Engländer ordentlich gekontert und war keineswegs dabei, in diesem Spiel auf die falsche Spur zu geraten.

Doch es folgte eine zweite Halbzeit, die bereits denkbar ungünstig begann. Achraf Hakimi, der in der ersten Halbzeit ein zumindest ordentliches Spiel gemacht hatte, verlor den Ball mit einem läppischen Fehlpass in Nähe des eigenen Strafraums an den Gegner. Von dort gelangte der Ball hinter die schwarzgelbe Abwehr, Hakimi bemühte sich nur zögerlich um Wiedergutmachung seines Fehlers und sah letztlich tatenlos zu, wie eine Flanke ihren Weg auf Heung Min Sons Schlappen und der Ball von dort seinen Weg vorbei am machtlosen Bürki ins nur noch zwei Meter entfernte Tor fand.

Schon lange vor Anpfiff war der Gästeblock ordentlich gefüllt.

Denn da wollte Borussia im Wembleystadion den ersten Sieg einfahren. Während mit Julian Weigl, Paco Alcácer und Lukasz Piszczek gleich drei wichtige Spieler fehlten, war zumindest der Gästeblock proppenvoll und von der ersten Minute hellwach. Die Hausherren, die gewohnt englisch nichts als zwei Gesänge zu bieten hatten und beim gelegentlichen Anstimmen nicht zu überhören waren, konnten den schwarzgelben Anhang bis in den letzten Winkel hören und wirkten wieder einmal überrascht, was in einem solchen Stadion gesanglich alles anzustellen war. .

Der BVB erlebte dann auch einen recht passablen Start. In einem körperbetont geführten Spiel waren die Borussen keinesfalls unterlegen, hielten gut mit und erarbeiteten sich die insgesamt besseren Chancen. Nach einer ersten Viertelstunde, die insbesondere durch Abtasten geprägt war, zog Christian Pulisic aus kurzer Entfernung ab und zwang Hugo Lloris zu einer ersten Parade. Ein Freistoß in der 19. Minute brachte genauso wenig ein wie ein Schuss Thomas Delaneys und schlampig ausgespielte Flanken Jadon Sanchos, der in seiner Heimkehr nach Wembley naturgemäß unter besonderem Druck stand und diesem nicht durchwegs gewachsen schien. Dennoch war er in einer Schlüsselszene involviert, die den weiteren Spielverlauf deutlich hätte verändern können: Steil geschickt und mit ordentlichem Tempo unterwegs, wurde Sancho kurz vor dem Strafraum zu Fall gebracht. Mit einem guten halben Meter Vorsprung vor seinem Gegenspieler, hätte es entweder einen Freistoß für den BVB oder eine gelbe Karte für eine dreiste Schwalbe geben müssen – der Schiedsrichter entschied sich hingegen für die Variante, die überhaupt keinen Sinn ergaben, und ließ das Spiel einfach weiterlaufen. Eine klare Fehlentscheidung, die den BVB letztlich um eine hervorragende Torchance brachte (38.).

Er sorgte durchgehend für Alarm...

Von nun an ging das Spiel fast nur noch in eine Richtung – die falsche. In der 54. Minute konnte sich Delaney nur noch eines Fouls behelfen, um Son vor dem Eindringen in den Strafraum abzuhalten – der Freistoß aus ca. 21m landete in der Mauer. In der 61. Minute musste Zagadou den Ball in höchster Not über das Tor köpfen – seine Kollegen hatten zuvor nach einem Freistoßpfiff tief in der gegnerischen Hälfte viel zu lange gemeckert, die schnelle Ausführung vollkommen verpasst und nur noch hinterhersehen können, wie eine steiler Pass vorbei an jedem Borussen zur höchsten Gefahrenstufe geführt hatte.

Das Spiel flachte nach diesem kurzen Zwischenhoch wieder ab. Borussia fiel in der Offensive einfach nichts ein – Sancho und Pulisic vertändelten immer wieder den Ball, Mario Götze sah gegen seine bulligen Gegenspieler einfach kein Land. Auf der Gegenseite konnte Tottenham ganz gut mit dem Ergebnis leben und auf Konter warten, für die sich der BVB wiederholt anfällig gezeigt hatte. An dieser Stelle wäre nun Lucien Favre gefordert gewesen, für neue Impulse zu sorgen und mit Raphael Guerreiro frischen Wind für eine Schlussoffensive einzuwechseln. Doch im Gegensatz zur Hinrunde, in der Favre mit viel Mut das Spiel nach vorne belebte und wiederholt den Sieg einwechselte, entschied er sich für das Gegenteil: Wie schon gegen Hoffenheim, als Ömer Toprak für Stabilität in der Defensive sorgen sollte und in seinen zehn Spielminuten gleich zwei Gegentreffer miterleben musste, erlebte nun auch Marcel Schmelzer eine bittere Viertelstunde.

... doch am Ende brachte es alles nichts: der BVB ging baden und darf sich nun wohl aus der Champions League verabschieden.

Dabei traf ihn am 2:0 nicht keine Schuld: Davison Sanchez hatte den Ball erobert, Götze blieb stehen und beschränkte sich aufs Zusehen. Serge Aurier fand Jan Vertonghen, den Hakimi im Strafraum allein gelassen hatte. Eine weitere direkte Abnahme fand ihren Weg knapp vorbei an Bürki und der BVB seinen nächsten Nackenschlag. Dass nur drei Minuten später der nächste Treffer folgte, war umso ärgerlicher: Ein Disput zwischen Hakimi und Abdou Diallo, wer denn nun wen bei einer Ecke zu decken habe, führte ins Leere – während sich mehrere Borussen gegenseitig auf den Füßen rumstanden, untersprang Schmelzer die Ecke und musste zusehen, wie hinter ihm Fernando Llorente den Ball aus kürzester Distanz ins Tor nicken konnte. Dass Guerreiro allen Ernstes noch in der 88. Minute eingewechselt wurde und in der 90. Minute die einzige Dortmunder Chance der zweiten Halbzeit nur knapp am Tor vorbeigesetzt hatte, half da auch nicht mehr weiter.

Die Defensivschwäche gepaart mit offensivem Unvermögen gegen robust aufspielende Gegner hatte zum schlechtesten Zeitpunkt der Saison zugeschlagen und in Liga, Pokal wie auch Champions League Blessuren hinterlassen. Den Spielern ist dabei kein besonderer Vorwurf zu machen, da Leistungsschwankungen gerade in ihrer Altersgruppe normal erscheinen. Sowohl Trainer, als auch sportliche Leitung sollten aber gesehen haben, dass mehr Körperlichkeit sowie ein echter zusätzlicher Stürmer in der nahen Zukunft keinen übertriebenen Luxus darstellen dürften.

Statistik

Hotspur: Lloris - Foyth, Sanchez, Alderweireld - Aurier, Sissoko, Winks, Vertonghen - Eriksen - Son, Moura

Wechsel: Llorente für Moura (84.), Lamela für Son (89.), Wanyama für Sissoko (90.).

BVB: Bürki - Hakimi, Toprak, Zagadou, Diallo - Witsel - Dahoud, Delaney - Sancho, Pulisic - Götze

Wechsel: Schmelzer für Zagadou (77.), Bruun Larsen für Pulisic (87.), Guerreiro für Sancho (88.)

Tore: 1:0 Son (47.), 2:0 Vertonghen (83.), 3:0 Llorente (86.)

Gelbe Karten: Aurier, Delaney

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