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Die Ruhe nach dem Sturm - Eine Zwischenbilanz

09.10.2018, 23:27 Uhr von:  Sascha Michael
Die Ruhe nach dem Sturm - Eine Zwischenbilanz

Die ersten 7 Spieltag sind vorbei und die Liga steht vor ihrer zweiten Länderspielpause. Zeit, eine erste Zwischenbilanz zu ziehen.

Vergleicht man die Fakten mit der letzten Saison, fällt das erste Fazit eher negativ aus. Letzte Saison: Tabellenführer, 19 Punkte, 21:2 Tore, diese Saison 17 Punkte 23:8 Tore. Interessanterweise war auch damals das Spiel vor der Pause ein knapper Sieg gegen Augsburg. Nun ist allgemein bekannt, wie die letzte Saison weiter verlief. Also warum optimistisch sein?

Doch es gibt einiges, dass einen in dieser Saison darauf hoffen lässt, dass diesmal kein Absturz erfolgt.

Verbesserte Zusammenarbeit in der Defensive

Die defensive Stabilität ist deutlich höher als letzte Saison. Zwar hat der BVB schon 6 Treffer mehr als letzte Saison kassiert, doch die großen Lücken zwischen Abwehr und Mittelfeld sucht man diese Saison vergebens. Insbesondere das Verschieben der einzelnen Mannschaftsteile läuft viel harmonischer. Dies lässt sich an allen defensiven Mannschaftsteilen festmachen, angefangen beim Torwart, bis zum defensiven Mittelfeld.

Eine der größten Überraschungen dieser Saison ist zweifelsohne Roman Bürki. In der letzten Saison fiel er in erster Linie durch seine dünnhäutige Reaktionen auf die, teilweise berechtigte, teilweise überzogene, Kritik auf. In dieser Saison glänzt er nicht nur mit starken Reaktionen auf der Linie, sondern auch mit einer guten Spieleröffnung. Stellvertretend sei hier die Einleitung des 2:2-Ausgleichtreffers in Leverkusen genannt. Auch von der Ausstrahlung her wirkt Bürki ruhiger als letzte Saison. Das regelmäßige Zusammenstauchen der Abwehr fällt aus. Es sei hier nur der Vollständigkeit halber angemerkt, dass auch ein Weidenfeller lange Zeit hauptsächlich durch regelmäßige Schimpftiraden gegen seine Abwehr auffiel...

Das Innenverteidiger Duo Akanji/Diallo überzeugte in den ersten Spielen und auch Zagadou zeigte in seinen ersten Einsätzen seit März, dass er mehr als eine Notlösung ist. Zusammen mit dem derzeit verletzten, erfahrenen Toprak, braucht einem auf dieser Position wenig Angst und Bange werden. Dass den jungen Innenverteidigern Fehler unterlaufen liegt dabei in der Natur der Sache, aber in jüngerer Vergangenheit hat man ja mit zwei jungen Innenverteidigern durchaus gute Erfahrungen gemacht.

Auch die Außenverteidiger scheinen sich wieder gefangen zu haben. Auf der rechten Seite zeigt Hakimi insbesondere offensiv starke Partien, mit Lukasz Piszczek steht ein weiterer zuverlässiger Defensivmann bereit, auch wenn man ihm mittlerweile die vielen Verletzungen der letzten Jahre durchaus anmerkt.

Links überraschte Marcel Schmelzer bis zu seiner Verletzungspause einmal mehr fast alle Kritiker. Von der Bürde der Kapitänsbinde befreit, beackerte er unermüdlich die linke Seite. Auch wenn er nicht mehr der Edeltechniker werden wird, sein Einsatzwillen und seine Laufbereitschaft machen ihn auch unter Lucien Favre zur ersten Wahl auf links.

Das defensive Mittelfeld hat die größte Veränderung erfahren. Mit Thomas Delaney und Axel Witsel sind zwei Typen dazugekommen, die beide durchaus robust im Zweikampf agieren. Eine Eigenschaft, die im Mittelfeld der letzten Jahre schmerzhaft vermisst wurde. Julian Weigl ist hingegen nach seiner Verletzung noch nicht wieder bei 100%. Besonders im Spiel gegen Augsburg unterliefen ihm einige Fehler, die das Dortmunder Aufbauspiel ins Stocken brachten. Mahmoud Dahoud ist auf einem guten Weg, eine starke Alternative zu werden, falls mehr Zug zum Tor benötigt wird.

Stabil in der Defensive

Offensiv - flexibel, variabel, effizient

Die offensiven Außenspieler machen wahnsinnig Spaß. Was Jadon Sancho und Christian Pulisic technisch auf den Platz zaubern, hat sich letzte Saison schon angedeutet, was Jacob Bruun Laarsen vor dem Tor zeigt, war so nicht zu erwarten.

Mit Marius Wolf hat man zudem noch einen Kämpfer in der Hinterhand, der zwar technisch nicht mit den Edeltechnikern mithalten kann, dafür aber Vorzüge in der Defensivarbeit auf den Platz bringt.

Im Sturm zeigt Paco Alcacer einmal mehr, wie wichtig ein gelernter Stürmer auf dem Platz ist. Maximilian Philipp ist zwar in Sachen Einsatzbereitschaft kein Vorwurf zu machen, doch den Killerinstinkt eines Alcacers sucht man bei ihm vergebens. Zur Statistik von Alcacer gibt es nichts weiter zu sagen, der Mann ist bislang einfach Wahnsinn.

Doch der überragende Spieler der ersten Wochen ist weder Sancho oder Alcacer, sondern der neue Kapitän. Marco Reus präsentiert sich derzeit sowohl auf dem Platz als auch neben dem Platz als Leader. Zugegeben, auch wir waren sehr skeptisch, ob Marco Reus der Richtige für diese Rolle ist, aber er hat mittlerweile auch die letzten Zweifel beseitigt. Auf dem Platz an vielen Treffern direkt oder indirekt beteiligt und neben dem Platz mit der souveränsten Antwort, die Loddar Maddäus je erhalten hat.

Der Kapitän geht voran

Und dann war da noch...

Mario Götze. Egal wie man zu ihm steht, das was in den vergangenen Wochen passiert ist, muss jedem Dortmunder Fan wehgetan haben. Mario Götze wurde von den Medien am Nasenring durch die Manege gezogen. Wer sich in diesen Momenten an den Mario Götze von 2011 erinnerte, der nach seinem Tor gegen Hannover ein Dede-Shirt unter dem Trikot präsentierte, dem konnte er nur leid tun. Auch wenn er nicht unschuldig an seiner Situation ist, bleibt es ihm zu wünschen, dass er wieder in die Spur findet. Seine Leistung gegen Augsburg war sicher ein erster Schritt in die richtige Richtung. Und die Mannschaft ließ kein Zweifel daran, dass sie hinter Götze steht. Nun liegt es in erster Linie an Götze selbst, sich wieder zum wichtigen Teil des Teams zu machen.

Favres Einfluss und die Ruhe im Team

Zur Mentalität der Mannschaft und zum Teamgeist blieben in den letzten Wochen keine Fragen mehr offen. Egal ob der Rückstand unglücklich (wie gegen Augsburg) oder verdient (wie gegen Leverkusen) ist, egal ob es die kalte Dusche nach 31 Sekunden (gegen Leipzig) oder der Rückstand mit einem Mann weniger (wie gegen Hoffenheim) ist, die Mannschaft sucht nach Lösungen und findet sie derzeit. Diese Mentalität ist eng verbunden mit zwei Faktoren:

Der Trainer, sein Spielsystem und seine Auswechslungen

Lucien Favre schafft es derzeit mit fast jeder Auswechslung, neue Impulse zu setzen. Das liegt zum einen an der Wahnsinnsqualität, die beim BVB derzeit zum Anstoß auf der Bank Platz nimmt, zum anderen scheint Favre aber auch das richtige Gespür zu haben. Manchmal hat man als Zuschauer glatt das Gefühl, dass es geplant ist, dass Maximilian Philipp 60 Minuten die Abwehr müde läuft und Paco Alcacer dann frisch die Tore machen kann.

Während das letztjährige System unter Peter Bosz nur genau so lange funktionierte, wie die Gegner noch nicht auf seinen eigenwilligen Taktikansatz reagierten, gelingt es dem BVB mehr und mehr, seinerseits das Spieltempo zu kontrollieren und ihm seinen Rhythmus aufzuzwingen. Über weite Strecken ruhig und überlegt, manchmal sogar fast behäbig, nur um dann im entscheidenen Moment das Tempo brutal anzuziehen. Das gelingt noch nicht perfekt und über 90 Minuten und kann, wie gegen Leverkusen in der ersten Halbzeit, auch zu sehr darin abgleiten, passiv zu werden und dem Gegner das Spiel zu überlassen, aber es scheint, als hätte Favre einen sehr interessanten Weg gefunden, den Spielverlauf zu kontrollieren, ohne sich in ermüdenden Ballbesitzphasen zu verlieren.


Die Ruhe in der Mannschaft

Die Mannschaft auf dem Platz lässt sich derzeit von nichts aus der Ruhe bringen. Augsburg geht in Führung? Egal, wir machen weiter. Augsburg hat nach dem 1:1 zwei Riesenchancen und geht wieder in Führung? Egal, wir machen weiter. Augsburg macht das 3:3? Egal, wir machen weiter. Augsburg spielt die gesamte zweite Halbzeit am Rande des Erlaubten? Egal, wir machen weiter.

Man stelle sich einen solchen Verlauf in der letzten Saison vor. Die Mannschaft hätte vermutlich schon nach dem 0:1 die Köpfe hängen lassen. Und Augsburg hätte mit ihrem aggressiven Spielstil Dortmund weiter den Schneid abgekauft.


Auch gegen Monaco zeigte sich die neu entdeckte Ruhe. Paco Alcacer vergibt beim Stande von 1:0 einen Elfmeter, Jadon Sancho vergibt die nächste Großchance auf das 2:0. In der letzten Saison hätte man zu diesem Zeitpunkt sicher einen 10er auf Monaco setzen können. Doch in dieser Saison bleibt die Nervosität aus und das Spiel wird souverän nach Hause gespielt. Und das mit einer Mannschaft, die deutlich unerfahrener ist, als das Team letzte Saison.

Diese Ruhe ist derzeit das größte Plus im Spiel des BVB. Aber, auch das ist klar, im weiteren Verlauf der Saison wird es Rückschläge geben. Nicht immer wird man Rückstände drehen können, nicht immer wird der Ball wie in Leverkusen beim 0:2-Rückstand an den Pfosten gehen, nicht immer wird Hoffenheim den Ball in der letzten Minute aus 2 Metern über das Tor dreschen. Und dann sind wir Fans gefragt: Geben wir dieser jungen Mannschaft auch dann den Rückhalt, den sie braucht. Verzeihen wir ihnen Fehler und unterstützen wir sie auch dann. Und vielleicht...ganz vielleicht werden wir dann Zeugen einer Mannschaft die zu Großem fähig ist.

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