Im Gespräch mit...

... "Schattenmann" Kruska: "Ich war der kleine Zerstörer"

08.02.2018, 17:57 Uhr von:  Larissa Lionard Seb
... "Schattenmann" Kruska: "Ich war der kleine Zerstörer"
Im Gespräch mit Marc-André Kruska

In 107 Pflichtspielen stand Marc-André Kruska für den BVB auf dem Platz. Warum er immer noch eine besondere Beziehung zum Verein hat, wie er sich seine Zukunft vorstellt und was er macht, wenn es ihm schlecht geht, berichtet er im ausführlichen Interview.

schwatzgelb.de: Nachdem du in der letzten Spielzeit über weite Strecken der Saison Stammspieler warst, wirst du aktuell vor allem in der 2. Mannschaft eingesetzt. Wie beurteilst du deine Situation und Zukunft in Paderborn?

Im Gespräch mit Marc-André Kruska

Marc-André Kruska: Letztes Jahr ist man in Paderborn mit viel Euphorie in die Saison gegangen und hat viele gute, namhafte Spieler geholt. Aber es hat als Mannschaft nicht wirklich funktioniert. Kurz bevor der neue Trainer Steffen Baumgart gekommen ist, habe ich mich am Knie verletzt. Ich hatte das erste Mal etwas am Meniskus und musste operiert werden. Dann war ich quasi unter ihm raus. Nach dem eigentlichen Abstieg wollte der Verein eine neue Philosophie mit anderen Spielern fahren. Dann wurde mir gesagt, dass ich mir etwas anderes suchen soll. Das ist aber nicht so einfach, wenn man nicht gespielt hat und verletzt war. Dann sind die Vereine vorsichtiger. Ich war dann fit, aber Paderborns Plan war, dass ich keine große sportliche Rolle spiele. Um mich fit zu halten, habe ich dann viele Spiele bei der U21 gemacht. Die Situation hat sich aber nicht verändert: Ich habe keine Minute gespielt und war nicht einmal im Kader. Ich bin auf der Suche und mal gucken, was noch passiert. (Inzwischen wurde ein Wechsel zu Werder Bremen II realisiert, Anm. d. Red.) Ich werde aber in Paderborn gut behandelt und bin in der Mannschaft super angesehen. Klar macht man sich Gedanken, was die Zukunft angeht, wenn viele Vereine eher auf junge Spieler setzen. Ich würde gerne im Fußballgeschäft bleiben, das ist mein größter Wunsch. Ich könnte mir gut vorstellen, im Jugendbereich Trainer zu werden. Es ist dann die erste Zielsetzung, Trainerscheine zu machen. Das ist aber nicht so einfach, wenn man noch aktiv ist. Man macht sich aber auch Gedanken, was passiert, wenn das nicht klappt. Da braucht man einen Plan B und C. Dadurch, dass ich die Ausbildung zum Bürokaufmann während meiner Zeit beim BVB gemacht habe, könnte ich auch im normalen Beruf wieder einsteigen. Vielleicht könnte ich aber auch als Spielertrainer in unterklassigen Vereinen anfangen. Ich bin noch fit genug, um noch ein paar Jahre auf gutem Niveau zu spielen. Dafür braucht man aber natürlich auch jemanden, der gerne mit einem zusammenarbeiten möchte. Das ist der Plan, aber es gibt mehrere Optionen.

schwatzgelb.de: Was fasziniert dich an der Position des Jugendtrainers besonders?

Marc-André Kruska: Als ich beim FSV Frankfurt gespielt habe, habe ich hospitiert. Das brauchst du für die DFB-Jugendelite-Lizenz. Da habe ich mit 13- und 14-Jährigen zusammengearbeitet. Diese jungen Leute wollen einfach, die sind ehrgeizig. Die modern nicht rum, die mögen den Fußball einfach. Die lieben das und es ist ein Kindheitstraum für sie. Diesen Anreiz zu sehen, macht einfach Spaß. Ich habe dann gutes Feedback bekommen und wurde gefragt, ob ich da bleiben will. Mir wurde gesagt, dass die Jungs sogar immer nach mir gefragt haben, wenn ich mal nicht da war. Ich trainiere aktuell auch ab und zu eine Jugendmannschaft von einem Freund. Das ist einfach ein Ansporn und macht Spaß.

schwatzgelb.de: Hast du bei der Hospitanz auch zwischendurch das Training geleitet oder warst du eher ein Assistenz-Coach?

Marc-André Kruska: Am Anfang habe ich mich natürlich noch zurückgehalten. Man kommt als Profi dahin, will da aber auch nicht wirklich eingreifen. Irgendwann hat der Trainer gesagt, dass ich auch mal eine Einheit machen soll. Ich glaube, man ist als Profi anders als jemand, der sich so etwas anlernt. Man ist offen zu den Jungs und spricht Fußballer-Sprache. Das mögen die. Ich habe gelernt: Was der Trainer vormacht, klappt irgendwie immer. Das war bei mir auch so.

schwatzgelb.de: Du hast in deiner Karriere schon einige Trainer selbst erlebt. Könntest du sagen, von wem du dir besonders gut was abgucken konntest? Wer hat dich am meisten geprägt?

Im Gespräch mit Marc-André Kruska

Marc-André Kruska: Jeder Trainer hat seine eigene Persönlichkeit. Ich versuche, von jedem Trainer etwas mitzunehmen. Erstmal hat mein Onkel mich immer trainiert. Der hat mich immer am härtesten rangenommen, weil der in der Jugend gesehen hat, dass ich Talent habe. Da lernt man schon diese Härte. Als ich nach Dortmund gekommen bin, hatte ich Lars Tiefenhoff als Trainer. Von dem habe ich gelernt, wie professionell Fußballspielen überhaupt sein kann. Danach hatte ich Theo Schneider und auch von Trainern danach habe ich immer etwas mitgenommen. Van Marwijk, Klopp, Doll, Röber... Man kann von jedem andere Sachen mitnehmen. Alle sagen immer: "Klopp müsstest du ja gehasst haben". Da habe ich ja nicht mehr gespielt, aber das war gar nicht so. Der Fußball, den er hat spielen lassen, war einfach ganz anders. Und das ist für einen als Spieler auch prägend. Ich sage auch nicht: Der Trainer ist schuld, dass ich nicht spiele. Ich hinterfrage mich dann eher selber. Wenn man in die Philosophie eines Trainers nicht reinpasst, dann akzeptiert man das und gibt trotzdem Gas.

schwatzgelb.de: Wir haben im Sommer auch mit Philipp Degen ein Interview geführt. Er hat gesagt, dass Bert van Marwijk von der alten Trainerschule gewesen wäre. Er hat gesagt, diese Art von Trainer hat sich langsam überlebt und es braucht Leute, die die Menschen mitnehmen - nicht nur diesen harten Hund. Siehst du das ähnlich?

Marc-André Kruska: Ich glaube, bei Philipp und mir war das eine andere Situation. Van Marwijk hat mich von der Jugend zu den Profis hochgezogen. Für mich war es überragend. Bei Philipp hat er vielleicht härter zugegriffen. Ich war der Junge mit 17. "Was macht der eigentlich hier? Wir sind voll im Abstiegskampf, aber der steht seinen Mann." Aber als Trainer musst du ein harter Hund sein. Du hast 25 bis 30 verschiedene Charaktere. Klar, musst du die Jungs mit ins Boot nehmen. Die Zeit hat sich geändert und die jungen Spieler sind alle anders geworden. Aber vielleicht hat Philipp schon Recht. Trainer wie Nagelsmann und Tedesco sind eher gefragt als die alten Hunde. Aber die dürfen auch nicht aussterben, weil die auch eine Zeit geprägt und für Erfolge gesorgt haben. Ich glaube, die jüngeren können von den älteren Trainern lernen, aber andersrum auch. Jeder muss sich von jedem ein bisschen was annehmen, dann kriegt man den perfekten Trainer vielleicht hin.

schwatzgelb.de: Du hast gerade schon gesagt, dass du sehr jung zu den Profis hochgezogen wurdest. Kannst du uns beschreiben, wie sowas genau abläuft?

Marc-André Kruska: Wir hatten damals ein Derby in der Roten Erde. Van Marwijk, Zorc und die anderen sportlich Verantwortlichen waren alle da. In dem Spiel habe ich van Marwijk durch meine Art, Fußball zu spielen wohl überzeugt. Da hatte er mich schon im Hinterkopf. Und dann war ich beim Lehrgang in Duisburg und wurde angerufen. Ich sollte am nächsten Tag das erste Mal bei den Profis mittrainieren. Dann geht man dahin und denkt sich so: "Was mache ich hier?". Heute Morgen habe ich mich noch mit Markus Brzenska getroffen, wir haben noch sehr guten Kontakt. Und ich weiß noch: Ich bin ihm die ganze Zeit auf die Nerven gegangen. Er war auch ein junger Spieler. Und irgendwann meinte er zu mir: "Jetzt nerv mich nicht, mach einfach." Und dann ging es relativ schnell. Wir haben in Kaiserslautern gespielt. Wie es der Zufall so ergeben hat, war ich im Kader, weil viele verletzt waren. Und dann hat sich Patrick Kohlmann im Spiel verletzt und ich wurde in der 43. Minute eingewechselt. Ich kann mich noch an viele Kleinigkeiten erinnern, aber viel vergisst man auch. Was wir früher machen mussten, das kannst du heute keinem Jungen mehr erzählen. Der zeigt dir einen Vogel. Brzenska hat heute noch zu mir gesagt: "Kannst du dich noch erinnern?". Im Trainingslager saßen alle im Bus und wir mussten die ganzen Kisten vom Trainingsplatz in den Bus räumen. Oder nach dem Training wurden 30 Bälle mit einer Schuhbürste und einem Shampoo in die Dusche geworfen und dann musste man die Bälle putzen. Dann stehst du da nackt und putzt die Bälle unter der Dusche. Und wenn die Bälle am nächsten Tag nicht sauber sind, kriegst du Anschiss. Es ist nicht schlimm, dass es sich so entwickelt hat. Aber wir haben das vor 13 Jahren erlebt und heute kannst du das keinem mehr sagen. Was da normal war, ist es jetzt nicht mehr.

schwatzgelb.de: Ein schöner Moment war bestimmt dein erstes Bundesliga-Tor gegen Rostock. Wie hast du das noch im Kopf?

Marc-André Kruska: Ich habe ja nicht so viele geschossen. Es war ein wichtiges Spiel für uns und wir haben erst 0:1 zurückgelegen. Dann habe ich einfach draufgehauen und dann ging er gut rein. Das war schon schön und daran erinnert man sich natürlich besonders.

schwatzgelb.de: Damit bist du der achtjüngste Torschütze der Bundesliga. Bedeutet dir das was? Du stehst damit ja in den Geschichtsbüchern.

Im Gespräch mit Marc-André Kruska

Marc-André Kruska: Es bedeutet einem schon was. Aber die werden immer jünger, da muss man aufpassen (lacht). Bald ist man raus. Es ist definitiv noch etwas Besonderes. Für mich bleibt das für immer in Erinnerung. Die Leute heutzutage wissen das nicht mehr so. Und die Mannschaftskollegen wissen das ja zum Teil auch nicht. Wenn die das dann mal irgendwo lesen, sage ich immer: "Seht ihr mal, mit wem ihr da zusammenspielt". (lacht)

schwatzgelb.de: Finanziell war es nicht einfach, als du zu den Profis kamst. Hast du dir große Sorgen gemacht oder warst du beflügelt davon, bei den Profis mitspielen zu dürfen?

Marc-André Kruska: Sorgen hat man sich um den ganzen Verein gemacht. Was damals abgelaufen ist, war schon extrem. Auch für uns Spieler. Vor allem für die, die aus der Nähe kommen und auch Fans sind. Als ich dann richtig in den Spielen drin war, habe ich aber versucht, mich darauf zu konzentrieren. Man hat versucht, das andere dann zu verdrängen, weil man sich auf die nicht gerade einfache, sportliche Situation konzentrieren musste. Es war schwierig, in der Zeit Profi zu werden. Die Zeit war prägend für Borussia Dortmund. Leute, die damals schon die Liebe zum Verein hatten, vergessen das nicht. Ich kenne viele aus Castrop, die eingefleischte BVB-Fans sind. Die sagen: "Ihr seid unsere wahren Jungs, die in den schlechten Zeiten als junge Spieler da waren." Ich war einmal beim Training, da war Klopp noch da. Da habe seit langer Zeit Teddy de Beer mal wieder gesehen. Der hat mich umarmt und gesagt: "Ihr seid die Jungs, die in den schweren Zeiten da waren." Das ist schön, sowas von den Verantwortlichen zu hören. Es ist schade, wenn man als Spieler, der auch im Verein etwas erreicht hat, nicht mehr gefragt ist. Es ist irgendwo normal, aber auch schade. Deswegen freut man sich über sowas. Es war ja nicht nur finanziell, sondern auch sportlich eine krasse Zeit. Als ich gekommen bin, waren wir auf dem 15. Tabellenplatz, fast auf einem Abstiegsplatz. Und dann haben wir unter van Marwijk die beste Rückrunde der Vereinsgeschichte gespielt. Mit Sahin, Smolarek, Brzenska hinten.

schwatzgelb.de: Hattest du einen Notfallplan, wenn es zur Insolvenz gekommen wäre?

Marc-André Kruska: Darüber habe ich mir keine Gedanken gemacht, weil ich noch mitten in der Ausbildung war. Das lief über den Verein und ich war im Autohaus. Ich habe meinen Realschulabschluss gemacht und habe dann die Ausbildung angefangen. Nach einem dreiviertel Jahr bin ich zu den Profis gekommen und dann hat sich alles geändert und ich konnte theoretisch nicht mehr auf der Arbeit sein. Ich musste in der Schule sein, damit ich den Stoff für die Prüfungen lerne. Immer wenn ich mal frei hatte, wurde ich dann ins Autohaus gebracht. Freitags haben die sich immer totgelacht. "Ich habe morgen ein Spiel, ich kann doch jetzt keine Reifen schleppen". Letztens habe ich das vorgemacht bei unserer U21. An einem Tag musste ich Reifen schieben, am nächsten Tag habe ich vor 80.000 gespielt. Die haben sich totgelacht. Aber es war auch normal. Ich wurde so erzogen von meinen Eltern: Du machst Schule und Ausbildung und wenn du Profi wirst, schön und gut, aber du sollst noch ein zweites Standbein haben. Und so habe ich es durchgezogen.

schwatzgelb.de: Wer waren die Führungspersönlichkeiten in der Mannschaft und habt ihr euch über die schwierige Situation unterhalten?

Marc-André Kruska: Definitiv. Wir hatten viele Führungspersönlichkeiten. Kehl, Wörns, Metzelder, Weidenfeller. Diese "deutsche" Gruppe, die Verantwortung in der Mannschaft hatte. Zu denen konnte man immer gehen, die hatten immer ein offenes Ohr für dich. Dann hatte man die Brasilianer und Koller und Rosicky, die viel zusammen gemacht haben. Verständlich, weil sie nicht so gut Deutsch gesprochen haben. Klar, hat man sich darüber unterhalten. Aber die Jungs haben gesagt, dass wir uns nur auf das Sportliche konzentrieren können. Unser Ziel war es, raus aus dem Abstiegskampf zu kommen und dann zumindest noch den UI-Cup zu erreichen. Das war eher unser Gesprächsthema.

schwatzgelb.de: Hast du ein Spiel aus deiner Zeit beim BVB im Kopf, auf das du besonders stolz bist?

Marc-André Kruska: Da gab es einige. Ich war der kleine Zerstörer. Dieses Derby wird man nie vergessen. Bei schwatzgelb.de gab es den Bericht "Schattenmann". Es ging um dieses Derby und dieser Artikel hat beschrieben, wie ich Lincoln als Manndecker aus dem Spiel genommen habe. Wenn es mir schlecht geht, lese ich mir diesen Bericht durch und es geht mir wieder besser. Die hätten bei uns Meister werden können. Weil ich den BVB im Herzen habe, kann ich mich an das Spiel noch besonders erinnern. Ich hatte schon schwierige Zeiten in meiner Karriere, wo ich mir viele Gedanken gemacht habe, wie es weitergeht. Wenn man sich dann den Artikel durchliest, geht es einem wieder echt gut. Weil man weiß, was man leisten kann und geleistet hat. Der ist übertrieben gut geschrieben. Das passt wie die Faust aufs Auge auf meine Person.

schwatzgelb.de: Hast du dich von anderen Medien zu wenig wertgeschätzt gefühlt?

Marc-André Kruska: Nein. Ich war und bin immer bescheiden.

schwatzgelb.de: Was war denn deine bitterste Niederlage beim BVB? War es das Pokalfinale 2008, auch wenn du nur auf der Bank saßt?

Im Gespräch mit Marc-André Kruska

Marc-André Kruska: Ich konnte nicht direkt etwas beitragen, aber wenn man da ist, dann will man das Ding auch gerne gewinnen. Das war schon traurig. Vor allem ist mir aber noch in Erinnerung geblieben, als wir in Bochum gespielt haben. Wir haben wir verloren und nach dem Spiel gab es eine Sitzblockade. Solche Situationen bleiben auch im Kopf. Aber man versucht, sich mehr an die Siege zu erinnern als an die Niederlagen. Unter Doll haben wir in Bremen gespielt. Ich bin kurz vor der Halbzeit reingekommen, weil sich jemand verletzt hat, und wurde in der 60. Minute wieder ausgewechselt. Das war schon eine krasse Situation. Hier haben wir mal gegen Gladbach gespielt und ich habe früh eine Gelbe Karte bekommen. Röber hatte eine Idee und nimmt mich in der 43. Minute raus. Und dann saß ich in der Kabine und habe einfach geweint. Vom Ergebnis her war es gut, aber für mich persönlich bitter.

schwatzgelb.de: War es allgemein in deiner Karriere schwierig für dich, draußen zu sitzen und der Mannschaft nicht helfen zu können oder siehst du dich als jemand, der von außen gut Einfluss nehmen kann?

Marc-André Kruska: Als junger Spieler sieht man das ein bisschen anders. Da kann man nicht so viel Einfluss auf die Mannschaft nehmen, die haben alle schon so viel erlebt. Ich sehe es jetzt dieses Jahr: Ich war da, als kein Erfolg da war und habe gespielt und jetzt ist der Erfolg da und ich spiele gar keine Rolle. Aber ich höre von den Leuten und den Spielern drumherum, dass ich wichtig bin. "Du bist so positiv, obwohl du gar nicht spielst". Das merkt man erst, wenn man schon ein paar Jahre Erfahrungen auf dem Buckel hat. Dann sieht man, was man für Einwirkungen auf die Mannschaft haben kann, auch wenn man nicht spielt.

schwatzgelb.de: In einem Interview hast du angeblich mal gesagt, dass du vor deinem Wechsel nach Brügge in Dortmund keine faire Chance bekommen hast. Stimmt das?

Marc-André Kruska: Ganz so war es nicht. Ich hatte 98 Bundesligaspiele, habe mich aber immer noch als der Junge gefühlt. Das ist ja auch normal, sieht man ja auch an Nuri. Der wurde noch mehr gehyped als ich, weil er schon früh in der Nationalmannschaft gespielt hat. Er hat auch einen Umweg genommen. Nachdem er bei Rotterdam war, kam er als gestandener Spieler wieder und hatte eine überragende Karriere. Klopp hat damals einfach auf einen anderen Fußball gesetzt und ich bereue meinen Wechsel auch nicht. Für die Persönlichkeit war das super. Von mir aus hätte ich aber als Minikicker beim BVB angefangen und würde jetzt immer noch hier spielen. Kevin hätte wahrscheinlich auch am liebsten sein ganzes Leben hier gespielt. Aber manchmal ist das im Fußball so und vielleicht hat die Qualität nicht gereicht.

schwatzgelb.de: Apropos Jürgen Klopp: Sein Umgang mit dem Team wird meistens ziemlich romantisiert. Wie ist es, wenn Jürgen Klopp nicht mehr auf einen Spieler setzt? Wie teilt er ihm das mit?

Marc-André Kruska: Ich war damals regelmäßig im Kader und bin ab und zu mal reingekommen. Für mich war das aber nicht zufriedenstellend, weil ich schon viele Spiele gemacht hatte und ein wichtiger Teil war. Deshalb musste ich aus meinem schönen Umfeld raus und was anderes erleben. Klopp hat nicht gesagt, dass ich unbedingt weg muss. Ich wurde hier nicht vom Hof gejagt.

schwatzgelb.de: Du warst in der U21-Nationalmannschaft zwischenzeitlich Kapitän. Hast du dir damals Hoffnungen auf die A-Nationalmannschaft gemacht?

Im Gespräch mit Marc-André Kruska

Marc-André Kruska: Der Traum war immer da. Gerade dann, als ich erfolgreich beim BVB gespielt und gute Leistungen in der Nationalmannschaft gebracht habe. Kurz vor der U-21-EM 2009 hatte ich einen Teilriss am linken Innenband. Das war nicht dramatisch, aber ich konnte nicht teilnehmen. Ich weiß nicht, ob ich da gespielt hätte, aber man sieht ja, wo die Jungs gelandet sind. Khedira, Özil, Neuer, Hummels, Boateng...

schwatzgelb.de: Wer war der beste Mitspieler in deiner bisherigen Karriere?

Marc-André Kruska: Rosicky war schon krass. Was er am Ball konnte war Wahnsinn. Aber was Dédé aus der Position gemacht hat, war auch Wahnsinn. Auch Kehl, Metzelder, Wörns, Kovac, Petric... Von denen konnte man als junger Spieler viel mitnehmen. Irgendwann kam Petric zu mir, weil ich mir als junger Spieler viele Gelbe Karten wegen doofen Fouls abgeholt habe. Ich habe dem Gegner gerne noch einen mitgegeben, weil ich wollte, dass meine Gegenspieler mich hassen. Er hat mir gesagt, dass ich von hinten nicht immer so reintreten soll und so gut spiele, dass ich das anders lösen kann.

Alle Mitspieler hatten ihre Qualitäten, aber Rosicky hat zum Beispiel mal beim Flankentraining von links mit dem rechten Außenrist geflankt. Der hat so besser geflankt als alle Linksfüßler.

schwatzgelb.de: Es war auch mal im Gespräch, dass du zu Real Madrid hättest wechseln können. Wie war das damals? Hast du dich bewusst dagegen entschieden, weil du keine realistische Chance auf Einsatzzeit gesehen hast?

Marc-André Kruska: Ich hab mir das damals alles angeguckt, bin mit meinem Vater und meinem Berater hingeflogen und habe dann am Abend im Hotel gesagt, dass ich unterschreibe. Da haben beide gesagt, „nein überleg dir das, wir warten noch und fliegen erst nach Hause und du denkst in Ruhe darüber nach". Dann kam das Angebot von Brügge. Das war auch verlockend, weil ich direkt in der höchsten Liga und Europa League spielen konnte und bei Madrid, wer weiß, ob ich da überhaupt eine realistische Chance gehabt hätte. Die haben mir zwar versprochen, dass ich dreimal oben mittrainieren sollte, aber man weiß ja auch nicht, ob das dann wirklich so ist. Wenn ich sage, ich bereue das, dann ist mein Vater immer traurig, weil er meint, dass ich nur wegen ihm zu Brügge gegangen bin. Klar, das wäre schon geil gewesen, aber wer weiß, wie es dann gelaufen wäre.

schwatzgelb.de: Nuri hatte da ja auch Schwierigkeiten. Aber er hat auch gesagt, er hätte es bereut, wenn er es nicht gemacht hätte.

Marc-André Kruska: Genau. Vielleicht hätte ich auch nur in der Zweiten gespielt. Ich hab erlebt, wie die von der Jugend bis zu den Profis handeln. Jede Jugendmannschaft hat einfach ein eigenes Stadion und Gelände, die zweite Mannschaft auch. Wir sind gerade von der Strobelallee nach Brackel umgezogen und das war schon Luxus für uns, aber bei Madrid hat jeder am Trainingsgelände ein eigenes Zimmer! Da fragt man sich, „wo bin ich hier gelandet?". Da war ich 20 oder 21 und dachte mir, „das muss ich machen". Also bereuen vielleicht ein bisschen, aber dem hinterherweinen, auf keinen Fall. Dafür habe ich einfach für meine Verhältnisse, ich bin ja nicht der schnellste, eine gute Karriere gespielt. Wenn ich jetzt Profi werden müsste, dann würde ich nur in der Jugend einen Sprinttest machen und die würden direkt sagen „Nein".

schwatzgelb.de: Gab es auch mal nen Spieler, wo du gesagt hast, „mein Gott, was ne Graupe, warum darf der bei uns mitspielen"? Gab es da Spieler, bei denen du erstaunt warst, dass der bei euch in der Mannschaft gespielt hat?

Marc-André Kruska: Darüber macht man sich eigentlich gar keine Gedanken. Als junger Spieler sowieso nicht, da ist man nur dankbar, dass man mitspielen darf. Beim FSV war vielleicht mal so, dass da ein Spieler war, der gar nichts konnte. In Cottbus sicherlich auch. Im Endeffekt denkt man kurz darüber nach und dann ist es auch wieder egal, weil der Trainer das ja auch merkt und dann spielt der halt nicht und nimmt mir nicht den Platz weg. Namen wüsste ich da jetzt nicht.

schwatzgelb.de: Namen brauchst du natürlich auch nicht nennen.

Marc-André Kruska: (lacht) Würde ich machen, wäre mir ja scheißegal. Aber da fällt mir jetzt keiner ein.

schwatzgelb.de: Du hast ja auch mit Matthew Amoah gespielt. Bei dem dachte ich, dass der richtig einschlägt und am Ende hat er kein einziges Tor geschossen. War der im Training auch so unglücklich?

Marc-André Kruska: So extrem kann ich mich da nicht mehr dran erinnern. Ich bin da schon etwas vergesslich. Aber im Training war der eigentlich recht gut drauf. Aber da haben halt auch oft Ebi und Alex gespielt. Und Amoah ist dann auch nur eineinhalb Jahre geblieben.

schwatzgelb.de: Bei dir stehen aktuell Vertragsverhandlungen an. Hättest du dir in deiner Karriere auch vorstellen können, zu einem Verein wie Leipzig zu gehen oder war dir die Vereinsphilosophie auch wichtig, die dahinter steht?

Marc-André Kruska: Ich konnte mir bezüglich Transfers nie so wirklich Gedanken machen. Ich hatte ja auch nicht so viele Möglichkeiten und wollte mich immer schnell entscheiden. Klar, am liebsten würden jetzt alle Fans hören, dass ich zu so einem Verein nie gegangen wäre. Aber ich kann das nicht abschließend beantworten, weil ich ehrlich gesagt nie in der Position war.

schwatzgelb.de: Kommen wir mal zur aktuellen Situation beim BVB: Verfolgst du Borussia Dortmund noch regelmäßig?

Marc-André Kruska: Auf jeden Fall! Klar, bin ich nicht mehr so nah dran, dass ich nach einer Niederlage sofort weiß, was intern abläuft, aber ich verfolge das schon noch.

schwatzgelb.de: Wie hast du den Trainerwechsel mitbekommen?

Im Gespräch mit Marc-André Kruska
Marc-André Kruska: Ich weiß nicht, was mit Tuchel abgelaufen ist. Als Trainer ist er schon erfolgreich gewesen. Ich weiß nicht, was da passiert ist, dass es so kommen musste. Und Bosz … ich hab mit einem holländischen Mitspieler mal gesprochen, der sehr von ihm geschwärmt und seine Trainerarbeit bei Ajax sehr gelobt hat. Bosz hat halt seine Philosophie und die will er den Spielern einpressen. Ich weiß nicht, ob das in Dortmund der richtige Weg ist. Schade, dass es in diesem Fall nicht geklappt hat, weil holländische Trainer einen guten Plan vom Fußball haben. Dann musste natürlich was passieren, wenn es nicht mehr erfolgreich ist. Das ist jetzt auch für Stöger eine schwierige Situation. Man ist allerdings noch oben dran und das ist eigentlich krass, weil man so viele Punkte hat liegenlassen.


schwatzgelb.de: Dein Tipp für den Rest der Saison?

Marc-André Kruska: Ich glaube schon, dass es ohne Aubameyang schwierig wird. Da muss man gucken, wie der Ersatz einschlägt. Auba war wichtig für die Mannschaft und hat seine Tore gemacht. Aber die Spieler, die schon da sind, haben natürlich auch die Qualität, wenn sie wieder ein bisschen Selbstvertrauen haben. Dann werden die auch wieder bessere Leistungen bringen und auf dem zweiten Platz landen. Leverkusen ist zwar gut drauf, aber die Jungs haben auf jeden Fall die Qualität, den zweiten Platz zu holen. Die Champions League zu erreichen ist drin.

schwatzgelb.de: Du hast gerade Aubameyang angesprochen. Wie geht man mit so einem Spieler um, der öfter mal zu spät ist oder mit Wechseln kokettiert?

Marc-André Kruska: Das wird schon Thema in der Mannschaft sein und Unruhe reinbringen.

schwatzgelb.de: Gab es das bei dir auch mal, dass du einen Mitspieler kritisch ansprechen musstest?

Marc-André Kruska: Gab es natürlich. Es ist halt so: Er macht die Tore und die Mannschaft ist auch ein stückweit abhängig von ihm. Ich weiß nicht, wie er als Typ ist. Kann sein, dass er ein guter Typ ist und ihn viele in der Mannschaft mögen. Nach allem, was ich gelesen habe, kam er ja häufiger mal zu spät und wenn Misserfolg da ist, dann wird es schwierig. Wenn Erfolg da ist, dann ist alles scheißegal. Dann redet keiner darüber. Aber wenn es nicht läuft, dann wird es ein Thema in der Mannschaft. Es wurde auch angesprochen, wenn ich das richtig mitbekommen habe. Du musst es ansprechen als Mannschaft und als Trainer auch. Wenn der Trainer was sagt, dann hat das mehr Gewicht als wenn die Jungs versuchen, auf dich einzureden. Er schießt ja die Tore. Solange er trifft, ist es egal.

schwatzgelb.de: Glaubst du, dass der Fußball egozentrischer oder starlastiger geworden ist? Ist es schwieriger, ein gutes Mannschaftsgefüge aufzubauen?

Marc-André Kruska: Ich glaube, es ist nicht einfach, aber was man so sieht: Die, die als Mannschaft funktionieren, haben immer am meisten Erfolg. Vielleicht Bayern oder auch Real Madrid mal ausgeklammert, weil die einfach eine so große individuelle Qualität und auf jeder Position die besten Spieler haben. Die müssen nicht so stark auf den Teamgeist achten. Aber gerade in der zweiten und dritten Liga, wenn du da als Mannschaft brutal funktionierst, dann wirst du sehr erfolgreich sein. Man sieht es an Paderborn: Letztes Jahr gute Einzelspieler, die viel erreicht haben, aber es hat nicht gepasst. Abstieg, völlig zu Recht muss man auch sagen und jetzt haben wir eine Mannschaft, in der es einfach passt. Da haben die Spieler noch nicht so viel erreicht und haben viel Biss. Es verstehen sich alle sehr gut und sagen sich die Meinung, wenn es mal nicht so läuft. Wer hätte gedacht, dass Paderborn so durchmarschiert? Es gibt schon viel Ego mittlerweile, aber als Mannschaft hast du den meisten Erfolg. Davon bin ich fest überzeugt.

schwatzgelb.de: Wie entsteht Teamgeist? Habt ihr da besonders dran gearbeitet, auch im Hinblick auf die verschiedenen Stationen? Gibt es da Zielgespräche?

Marc-André Kruska: Ja, die gibt es auf jeden Fall und zusätzlich dann noch Teambuildingmaßnahmen. Ich glaube, Teamgeist entwickelt sich durch Erfolg und Misserfolg. Im Erfolg entwickelt sich der Teamgeist und im Misserfolg siehst du dann, wie stark er wirklich ist. Dann kannst du das unter Beweis stellen. Man sieht das ja, wenn ein paar Spiele verloren gehen, dann siehst du von außen, wann sie übereinander reden und wann sie auseinander brechen. Man kann natürlich nicht einfach sagen: Wir gehen mal in den Klettergarten oder ein Bier trinken und dann haben wir Teamgeist. Das muss sich über einen längeren Zeitraum entwickeln und wie gesagt, Erfolg und Misserfolg sind da wichtige Punkte in der Entwicklung.

schwatzgelb.de: Wie war das beim BVB? Wann war der Zusammenhalt am besten?

Marc-André Kruska: Ich glaube, dass hat uns echt zusammengeschweißt. Wir standen mit dem Rücken zur Wand, finanziell und sportlich. Und dass wir dann da rausgekommen sind, das hat uns als Team geformt. Wir hatten Spieler, die meinungsstark waren und auch mal den Mund aufgemacht haben, das hat geholfen. Da kamen natürlich dann neue Spieler dazu, andere sind gegangen, aber wir haben das eigentlich immer gut hinbekommen und hatten einen guten Zusammenhalt in der Situation.

schwatzgelb.de: Vielen Dank für das Interview!

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