Eua Senf

Wir halten fest und treu zusammen?

27.06.2018, 00:00 Uhr von:  Gastautor
Peter Stöger hat das Minimalziel Champions League erreicht

Was momentan sich bei Spielen unserer Borussia abspielt, ist für viele völlig nachvollziehbar, bei manchen lässt das ganze ziemliche Kopfschmerzen zurück.

Wenn man es ziemlich nüchtern betrachtet, spielen wir eine durchwachsene Saison mit einem Trainerwechsel, aber stehen nächste Saison in der Champions League. Klingt auf den ersten Moment ziemlich nach einem normalen Bundesligisten. Jedoch stehen auf der anderen Seite ziemlich verunsicherte Spieler auf dem Platz, die diese Saison von zwei Trainern trainiert wurden, Leistungsträger, die die Mannschaft verlassen haben und der komplette Verein noch ziemlich unter dem Anschlag im vergangenen Jahr leidet.

Die Frage, die ich mir dabei stelle, ist, kann man diese Saison einfach rein sportlich und nüchtern betrachten? Meiner Meinung nach nicht.

Identifikationsfiguren wie Marc Bartra und Sven Bender verließen den Verein

Im Profifußball hat man für eine nüchterne Betrachtung wenig Zeit. Die Spieler und Mannschaft müssen funktionieren, sonst kippt die Stimmung ziemlich schnell. Für Menschlichkeit ist dort leider immer weniger Platz. Vor knapp einem Jahr hat man den DFB-Pokal noch mit einer intakten Mannschaft geholt – ein Jahr später komplett auf die Mannschaft eingeprügelt, als gäbe es kein Morgen mehr. Identifikationsfiguren wie Marc Bartra und Sven Bender verließen den Verein, da sie nach dem Anschlag einen Neuanfang benötigt haben. Dembele hat sich freiboykottiert und bei Aubameyang war es der eigene Wunsch, den Verein zu verlassen.

Die Verantwortlichen von Borussia Dortmund haben in den letzten Jahren nicht immer ein glückliches Händchen bewiesen. Kuba und Subotic wurden eiskalt abserviert und im Gegenzug wurde ein Mario Götze, der nach seinem Wechsel sehr umstritten ist, wieder in den Verein integriert. Es wurden Transfers in Millionenhöhe für Spieler, die diese Summen nicht Wert sind, getätigt und mit Thomas Tuchel wurde wohl ein Trainer nach Dortmund geholt, der die Fans, Mannschaft und Führungsetage gespalten hat.

Nach dem Anschlag im April wurde in der Presse mehrfach berichtet, dass dieser Anschlag den BVB wohl stärker macht. Solch ein Ereignis würde die Mannschaft und die Fans noch mehr zusammenschweißen. Jedoch ist das Gegenteil eingetreten. Schon bei den ersten Spielen unter Bosz machte sich dieser Unmut auf den Rängen breit. Viele konnten sich nach den schmerzhaften Abgängen von Identifikationsfiguren nicht mehr so richtig mit dem Team anfreunden und daher fiel es vielen nicht schwer, ständig Frust an der Mannschaft abzulassen und es wurde ihnen nicht mal eine wirkliche Chance eingeräumt. Marcel Schmelzers und Nuri Sahins werden nach schwächeren Spielen unmenschlich durchs Dorf gejagt – schon komplett vergessen, wie wichtig sie als Baustein in den Klopp-Jahren fungierten.

Spielern wie Dahoud wird keine Zeit gegeben, sich in dieser Mannschaft zurechtzufinden.

Spielern wie Toprak, Dahoud, Isak und Sancho wird keine Zeit gegeben, sich in dieser Mannschaft zurechtzufinden. Sie müssen sofort funktionieren und in die Fußstapfen ihrer Vorfahren eins zu eins treten.

Nun hört man ja immer wieder unter den Fans „Wie lange soll denn der Anschlag noch Thema sein?“

Darauf kann keiner eine definitive Antwort geben. Aber diese Saison und noch die weitere sollten noch nicht mit normalen Maßstäben bewertet werden. Bürki hat es im Dezember versucht, indem er mahnend auf die Fans zuging nach den verständnisvollen Rückpässen in manchen Spielen. Marcel Schmelzer sagte aus, dass sein Puls höher schlage und er sich nicht mehr auf Fußball konzentrieren könne, wenn Pyro gezündet wird. Ginter bricht vor Gericht in Tränen aus und die weiteren Bilder des Prozesses kennen wohl die meisten. Roman Weidenfeller, der am Samstag euphorisch verabschiedet wurde, nimmt selbst psychologische Hilfe in Anspruch und sagte selbst aus, immer noch schreckhaft zu sein, wenn ein Teller herunterfällt.

Ein psychisch stabiler Mensch kann einen Mordanschlag wahrscheinlich unbeschadeter verarbeiten als ein psychisch instabiler Mensch. So kann auch ein in sich stabiler Verein leichter mit der Situation und deren Folgen umgehen als schon ein fragiler Verein. Ein Paradebeispiel für einen fragilen Verein sehen wir Woche für Woche beim BVB. Wenn der Verein, Veranwortliche, Mannschaft und Fans weiter so auseinanderleben, laufen wir Gefahr, dass diese Risse zu Gräben werden.

So ist es doch jetzt zu beobachten.

Wir halten fest und treu zusammen - auch in der neuen Saison 2018/19

Resultat: Der Attentäter hat leider sein Ziel letztlich doch erreicht.

Die Sommerpause steht nun vor der Tür. Nichts wünschen sich nun viele mehr herbei. Wir sollten alle unsere Hausaufgaben machen. Die Mannschaft sollte sich hinterfragen genauso wie die Führungsetage. Aber auch wir Fans sollten uns hinterfragen, ob in dieser Saison alles richtig gelaufen ist, ob wir mit Pfiffen und Raunen für unseren Verein nach diesem Jahr behilflich waren oder ob wir nicht frühzeitig der Mannschaft ihren Charakter abgesprochen haben.

Ich hoffe, diese Hausaufgaben werden von allen erledigt und wir können in die neue Saison wieder als eine Einheit auf dem Platz und auf den Rängen auftreten.

Wir sollten unserem Verein wieder eine Chance geben und so schmerzhaft es wohl ist – vielleicht würde es uns gut tun, an unserer Erwartungshaltung zu arbeiten.

geschrieben von Josef

ACHTUNG: Beiträge von Gastautoren müssen nicht die Meinung der Redaktion widerspiegeln, wir sind jedoch der Auffassung, dass auch solche Stimmen hier ein Forum finden sollten.

In der Rubrik „Eua Senf“ veröffentlichen wir in unregelmäßigen Abständen Texte, die uns von unseren Lesern zugesandt wurden.

Dir brennt auch ein Thema unter den Nägeln und Du möchtest einen Text auf schwatzgelb.de veröffentlichen? Dann schick ihn an gastautor@schwatzgelb.de.

Unterstütze uns mit steady

Weitere Artikel