Unsa Senf

Zu gut für die Mittelklasse, noch nicht gut genug für die Spitze

16.10.2017, 21:31 Uhr von:  Sascha
Zu gut für die Mittelklasse, noch nicht gut genug für die Spitze

Nach der Niederlage gegen Leipzig wurde erneut Kritik am zu offensiven Spielstil von Bosz laut. Das ist einerseits nicht richtig, andererseits täten kleinere Modifikationen in den Topspielen vermutlich gut.

Jetzt ist sie dahin, die schöne Serie ungeschlagener Heimspiele. Aber neben der Tatsache, dass man speziell gegen diesen Gegner sehr gerne zumindest nicht verloren hätte, wirft das Spiel auch in taktischer Hinsicht Fragen auf. Der Unterschied zwischen Spielen gegen Gegner ab Mittelklasse abwärts und gegen Mannschaften, die gleichwertig, oder gar besser sind, ist zumindest nach zehn Spielen in Bundesliga und Champions-League gravierend. Sechs Siege, ein Unentschieden und 21:2 Tore, wenn es gegen „schlagbare“ Teams ging. Im Gegensatz dazu stehen drei Niederlagen und 5:9 Tore gegen Real Madrid, die Tottenham Hotspurs und Rasenball Leipzig.

Zwar gab es auch nach der eindeutigen und verdienten 1:3-Niederlage zuhause gegen Real Madrid auch schon kritische Stimmen bezüglich der enorm risikoreichen Spielweise gegen die Madrilenen, aber in diesem Spiel war man eindeutig auch in Sachen individueller Qualität unterlegen. Was keine Schande ist, weil das aktuelle Real derzeit einfach das beste Team der Welt ist, wenn sie, so wie gegen uns, alles abrufen, was sie drauf haben. Eine eindrucksvolle Demonstration von Ball- und Passsicherheit, die uns in jeder taktischen Formation ausgehebelt hätte.

Legen wir den Fokus also auf die beiden Spiele in London und zuhause gegen Leipzig. Beides Gegner, gegen die man verlieren kann, aber nicht muss. Und eben zwei Gegner, für die eben das von Bosz favorisierte und gewünschte Gegenpressing ebenfalls ein fundamentales Stilmittel ist. Das zeigt einerseits, dass die Aussage, man könne mit dieser risikoreichen Variante keine Spitzenspiele gewinnen, ziemlicher Quatsch ist. Pressing hat immer ein hohes Risiko, weil zu einem erfolgreichen Pressing ein hohes Aufrücken der Mannschaft gehört, so dass in diesen Situationen die eigene Spielhälfte zwangsläufig sehr verwaist ist. Richtiger ist, dass „Wir“ mit unserer Variante bislang kein Topspiel gewinnen konnten – grundsätzlich funktioniert diese Spielart allerdings auch auf hohem Niveau.

Andererseits, und das ist auch eine sehr wichtige Erkenntnis, haben die Spurs und Raba Leipzig nicht einfach nur gegen uns gewonnen, sondern uns über längere Phasen hinweg ihr Spiel brutal aufgedrückt. In beiden Begegnungen waren unsere Borussen rudimentär damit beschäftigt, den Ball irgendwie über die Pressinglinie des Gegners hinweg zu kriegen, so dass an einen geplanten Spielaufbau nur selten zu denken war. Und wenn man selber nicht geordnet das Spiel aufbauen kann, gibt es eben auch nur sehr wenige Situationen, in denen man strukturiert auf einen Ballverlust reagieren und den Spielaufbau des anderen Teams stören kann. Dass eigentlich beide Mannschaften eine ähnliche Philosophie verfolgen, konnte man in den beiden Begegnungen jedenfalls kaum feststellen.

Zur Erforschung der Ursachen kann man aus dem Spiel gegen Leipzig zwei fast identische Szenen herausnehmen, die die Schwierigkeiten im eigenen Spiel sehr gut veranschaulichen. In Halbzeit eins wurde Nuri Sahin, der alleinige Sechser, rund zehn Meter vor der Strafraumkante von einem der beiden Innenverteidiger angespielt und brauchte einen Augenblick, um Möglichkeiten für einen Ball nach vorne abzuklären. Diesen Augenblick nutzten gleich zwei Leipziger, um ihn unter Druck zu setzen. Zu Sahins Glück erhörte Schiedsrichter Aytekin sein Flehen um einen Freistoßpfiff, so dass er mit einem ziemlich plumpen Umfaller aus der Situation herauskam. In Halbzeit zwei hatte Julian Weigl leider weniger Glück, als er von drei Gegenspielern angegangen wurde und den Ball verlor. Die Folgen sind bekannt. Elfmeter und eine rote Karte für Sokratis. Natürlich gehört zu dieser Szene auch, dass Weigl nach seiner Verletzung aus der letzten Saison noch viel Spielpraxis und somit auch Handlungsschnelligkeit fehlt. Aber er war auch sehr alleine auf weiter Flur und hatte wenig klare Anspielstationen.

Und dieses Problem hatten die beiden nicht exklusiv. In einigen Szenen schienen die Abstände zwischen den Mannschaftsteilen sehr hoch und der ballführende Innen- oder Außenverteidiger nur eine sichere Passoption zu haben, wenn er die Kugel nicht einfach nach vorne pöhlen oder zu Bürki zurückgeben wollte. Alle übrigen Anspielstationen waren nur mit mehr oder weniger risikoreichen Pässen über längere Distanzen zu erreichen. Und an dieser Stelle kommen wir dann doch zur Bosz’ favorisierter Grundordnung im 4-3-3 mit nur einem Sechser und zwei vorgezogenen Spielern im Mittelfeld. Damit sind bei uns insgesamt fünf Spieler damit beauftragt, den Ball aus der eigenen Defensive ins Mittelfeld auf die fünf eher offensiv ausgerichteten Feldspieler zu tragen. Erschwert wird das ganze durch unsere aktuelle Verletztenmisere auf den Außenverteidigerpositionen, die dafür sorgt, dass mit Toljan und Zagadou zwei blutjunge Spieler ohne internationale Erfahrung fast eine Stammplatzgarantie haben. Darüber hinaus ist Zagadou bekanntermaßen ein Innenverteidiger, der dort nur als Notnagel auf der linken Seite aufläuft.

Leipzig dagegen spielt mit einer Doppelsechs, beziehungsweise einem Sechser und einem Achter, ähnlich unseren früheren Kombinationen mit Bender/Kehl und Sahin/Gündogan. Tottenham läuft dagegen mit einer Dreierkette in der Abwehr und einer Viererkette im Mittelfeld auf. Dabei lassen sich die Außenspieler bei Bedarf nach hinten fallen und verkürzen so den Passweg ins Mittelfeld. Der numerische Unterschied ist eindeutig. Leipzig und Tottenham hatten jeweils eine Anspielstation mehr für den eigenen Spielaufbau und es somit deutlich leichter, sich unserem Pressing zu entziehen als umgekehrt.

Natürlich kann man jetzt einwenden, dass die Mehrzahl der Gegentore aus beiden Spielen nicht direkt dem Pressing des Gegners entsprungen sind und individuelle Fehler eine wichtige Rollen spielen und dieser Einwand ist auch berechtigt. Allerdings schafften die Gegner es, viel Druck auf uns auszuüben und jeder Spieler wusste, dass er sich kaum Fehler erlauben durfte. Vielleicht führte am Ende dieser Druck in der Summe mit zu diesen Fehlern. Druck rausnehmen könnte Peter Bosz schon mit einer kleinen Korrektur, indem er bei eigenem Ballbesitz einen weiteren Spieler aus dem Mittelfeld weiter nach hinten beordert, der als zusätzliche Anspielstation dient. Das vermindert zwar die Offensivpower, weil man nach Überspielen der Pressinglinie des Gegners im ersten Moment eine Anspielstation nach vorne weniger hat, aber im Zweifelsfall ist das immer noch sinnvoller, als erst gar nicht hinten raus zu kommen und den Gegner das Spiel dominieren zu lassen.


Zumindest für die Topspiele wäre diese geringfügige Variation eine Überlegung wert und sie sollte auch ohne umfangreiche Systemänderung und Taktikschulung umsetzbar sein.

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