Unsa Senf

​Borussias neuer Bosz

07.06.2017, 10:19 Uhr von:  Nadja
​Borussias neuer Bosz
Peter Bosz
© Foto: Ruhr Nachrichten

Anfangs wirkte er bei der Vorstellung auf der Pressekonferenz etwas zurückhaltend und wortkarg, doch je länger es dauerte, umso mehr taute Borussias neuer Trainer auf. Elegant umseilte er die lästigen Fragen aus den Niederlanden zu seinem abrupten und wohl nicht ganz Dissens- (Achtung, neues Dortmunder Lieblingswort!) freien Abschieds von Ajax Amsterdam. Er wolle sich auf Dortmund konzentrieren. Nach vorne schauen, nicht zurück.


Nach vorne ist dann auch ein gutes Stichwort. Der neue Übungsleiter entspricht dem von Zorc vor ein paar Tagen veröffentlichten Anforderungsprofil sehr genau: er mag und spielt offensiven, attraktiven Fußball und integriert dabei vorzugsweise junge Talente. Dabei war er selber als Spieler, wie er sagt, ein “Zerstörer“. Ein defensiver Mittelfeldspieler, der vor allem dafür gesorgt hat, dass Tore verhindert wurden.

In einem Interview mit einer holländischen Zeitung hat er mal gesagt, dass er in seinen bisherigen Vereinen immer mit einer sechs gespielt hat. Mit einem “echten Fußballer“, nicht einem verteidigenden Mittelfeldspieler. Oder wie Bosz es ausdrückte: “Ich will auf der Position einen Wim Jonk (technisch versierter Mittelfeldspieler, a.d.R.) und nicht einen Peter Bosz. […] Der 10er von früher spielt in meinem System auf der sechs.“

Im heutigen Kader der Borussia dürfte damit vor allem Julian Weigl gute Chancen auf einen Stammplatz auf dieser Position haben.

Aber auch sonst ist das System von Peter Bosz sehr deutlich und zieht sich durch seine bisherigen Trainerstationen. Die (Innen-)Verteidiger (bisher immer in einer Viererkette angeordnet) rücken sehr weit auf, bringen sich in den Spielaufbau mit ein, müssen das Spiel über weite Distanzen verlagern können.

Das birgt auch gewisse Risiken, wie die erste Saisonhälfte bei Ajax sehr gut gezeigt hat. “Was die Leute naiv nennen, ist, dass meine Defensive so weit vorne steht. Aber wenn man gut organisiert ist, hast du fünf Sekunden Zeit nach einem Ballverlust. Dann musst du sofort pressen.“

Das sofortige Gegenpressing ist dann auch der Schlüssel im Spiel. Alle Spieler sind miteinbezogen. Sie müssen mental und physisch fit sein. Nach einem Ballverlust sollte laut Bosz nicht die Enttäuschung überwiegen, weder über sich selbst noch über den Teamkollegen. Dies ist für ihn der Moment zum Pressen. Für das ganze Team. Denn die ersten fünf Sekunden nach einer Balleroberung ist der Gegner unsortiert, in der Zeit muss man den Ball zurückerobern. Nach einem Ballverlust sollten die Spieler also nicht an die Defensive, sondern an die Offensive denken. Nach vorne denken. Da ist es wieder, fast wortwörtlich so hat er es auch auf der Pressekonferenz gehalten.

Bosz wird als Perfektionist beschrieben. Stundenlang kann er über die kleinsten Fehler brüten. “Es gibt kein perfektes Spiel. Es existiert nicht. Es wird niemals existieren.“ Seine Mutter sagt ihm, er solle häufiger lachen im Fernsehen. Er selbst sieht sich eigentlich gar nicht so ernst. “Ich wusste schon mit 16, dass ich einmal Trainer werden würde. Ich habe mich vorbereitet. Ich habe alles aufgeschrieben, was meine Trainer richtig gemacht haben. Und ich habe alles von Johan Cruyff gelesen. Meine Freunde und ich haben sozusagen unser eigenes Buch geschrieben mit allen Artikeln und Interviews mit ihm – und wir haben es geordnet.“ Johan Cruyff ist sein einziges Vorbild. Während seiner Zeit bei Maccabi Tel Aviv hat er ihn kennengelernt. “Wir haben eine Woche zusammen verbracht. Es war unglaublich. Anstelle des Buches, das ich gemacht hatte, redete er mit mir. Und ich hab nur zugehört. Ich habe in einer Woche genug gelernt für zehn Jahre.“ Er ist darauf erpicht, seine Detailbesessenheit für sich zu behalten und die Spieler nicht zu überfordern. Ihnen nur die wichtigsten paar Dinge mit auf den Weg zu geben und nicht alle 50, an die er selbst vor dem Spiel rumgetüftelt hat.

Nicht immer funktioniert das von Anfang an. Veltman, Verteidiger von Ajax, sagt über die Anfangszeit mit Bosz: “Es war schwer, wenn der linke Flügel angreift, gehst du mit ihm. Ich dachte anfangs, das ist doch unmöglich über die ganzen 90 Minuten. Aber es macht Spaß. Manchmal stand ich auf dem Feld und hab es genossen wie ein Fan von außen. Dann habe ich Gänsehaut bekommen.“

Bosz mag gerne intelligente Spieler. Nicht die mit dem Uni-Abschluss, wie er sagt, sondern die antizipierenden. “Unintelligente Spieler reagieren nur. Wenn du schneller denkst, dann bist du schneller auf dem Platz. Wenn du reagierst, bist du immer zu spät. Du musst wissen, was passieren wird, nicht was gerade passiert.“

Um den Spielern seine Philosophie nahezubringen, hat er auch seinen Assistenten Hendrie Krüzen. Kennengelernt haben sie sich 2000 bei AGeV, einem Amateurverein in Bosz' Heimatstadt Apeldoorn im Osten Hollands. Sie ergänzen sich perfekt. Krüzen ist der gefühlvolle, empathische Typ, der den Spielern die komplizierten Gedankengänge und Schachzüge von Bosz übersetzt, vereinfacht. Er spricht die Sprache der Spieler. Er versteht die Körpersprache. “Spieler kommunizieren auch an der Geschwindigkeit, mit der sie den Ball spielen. Krüzen erkennt das.“, sagt ein ehemaliger Wegbegleiter aus der Zeit bei Vitesse, Terry Peters. Bosz sagt über Krüzen: “Er weiß genau, was ich wissen muss und zum Glück auch genau, was ich gar nicht wissen will.“

Und Krüzen überredet Bosz auch mal dazu, sich etwas zu gönnen. Nach dem 4:1 im Halbfinale gegen Lyon zwang Krüzen Bosz auf dem Feld zu bleiben und mitzufeiern. “Das brauche ich manchmal. Ich denke den Abend dann noch an alles, was falsch lief, dann kommt Hendrie und sagt: ‘Genieße es doch auch einfach mal!’“

Die Spieler haben nach dem Spiel zu Protokoll gegeben, dass nach dem Finaleinzug noch bis drei Uhr gefeiert wurde. Bosz habe eine Flasche Wein geöffnet, die Spieler (zumindest die über 18-jährigen) haben mit Bier gefeiert. Ob das auch von Krüzen ausging, ist nicht überliefert. Sicher ist jedoch, dass Borussia Dortmund zwei kompetente, sich ergänzende Trainer bekommt, die offensiven Fußball spielen und junge Spieler einbinden können. Die Spielweise ist der von Thomas Tuchel auf dem Papier nicht unähnlich. Und in der Pressekonferenz hat Bosz angedeutet, dass er Karten spielt, wenn auch nicht Skat.

Einer erfolgreichen Zukunft steht also eigentlich nichts mehr im Weg.

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