Spielbericht Profis

​Lotterie auf dem Kartoffelacker

01.03.2017, 11:35 Uhr von:  Redaktion

Der Weg zum StadionMan kann natürlich Witze machen über den Provinzverein und alles, was an Klischees damit zu tun hat und vielleicht werde ich das auch noch. Vorab möchte ich aber klarstellen, dass wenig von dem, was heute passiert ist, auf schlechte Organisation oder falsche Planung zurückzuführen war. Lotte hat Pech gehabt. Aber fangen wir von vorne an.

Selten traf der Ausdruck Provinz mehr zu, als in Lotte. Inmitten von Rasen, Äckern und Bauernhöfen, entlang eines Restaurants (gutbürgerliche Küche) und einer Tankstelle, ging es von der Autobahn in Richtung Stadion. Das Stadion selbst war ebenfalls eingezäunt von Feldern und ein paar Wellblechbaracken. Als ich auf die Strasse zum Gästeparkplatz gefahren bin, war ich das drittletzte Auto das noch durchgelassen wurde. Wohlgemerkt zwei Stunden vor Spielbeginn. Der provisorisch (?) eingerichtete Gästeparkplatz war bereits voll besetzt. Ich dachte, ich hätte Glück gehabt, als ich den schmalen Asphaltweg nach hinten fuhr, in ein kleines Wäldchen kam und dann auf den ersten Kartoffelacker an dem Tag einbog. Spätestens jetzt wurde mir etwas mulmig. Die restlichen Autofahrer hatten aber keine Bedenken und umkehren war absolut unmöglich, also musste ich da auch runter. Die restlichen Gästefans hatten eben auch nicht gesehen, was ich gesehen habe. Auf den 70km die ich von der holländischen Grenze bis nach Lotte Richtung Osten gefahren bin, hatte es aus Eimern geschüttet (respektive eine Steigerung dessen) und teilweise geschneit. Und das Wetter kommt ja bekanntlich aus dem Westen. Doch dazu später mehr.

Diese Schlammgrube (aka Gästeparkplatz), die wahrscheinlich vor der Invasion der Borussen noch als Rasen durchgegangen wäre, führte ganz hinten auch noch ziemlich steil nach unten. Dort hinten, wo wir hin mussten. Die letzten Autos die noch auf den Parkplatz konnten. Spätestens jetzt war mir klar, dass ich den Parkplatz mit meinem kleinen Fiesta nicht ohne fremde Hilfe verlassen würde. Doch dazu später mehr.

Schneetreiben im Stadion

Als ich ausstieg fing es bereits leicht an zu regnen. Auf dem gut ein Kilometer weiten Weg zur anderen Seite des Stadions, wo ich meine Karte abholen konnte, schüttete es bereits dermassen, dass ich völlig durchnässt ankam und zuerst mal gemütlich sitzen und trocknen wollte. Im Laufe der Zeit zeigte der Blick aus dem Fenster immer deutlicher, dass der holländische Regen sich in der westfälischen Provinz in Schnee verwandelt hatte. Ob der Regen einen Unterschied gemacht hätte, ist natürlich stark anzuzweifeln, besser wurde es durch den Schnee aber jedenfalls auch nicht. Und so reifte in mir auch schnell der Gedanke “das kann heute nicht gut gehen”. Die ersten Meldungen, die kurz nach acht Uhr die Runde machten, waren dann auch: “Spiel abgesagt”. Zuerst noch von skeptischen “Hahahaha! Neeeeein...” Sprüchen begleitet, kam es aus immer mehr Ecken und füllte den Vorplatz vor dem Stadion. Das Spiel ist abgesagt. Ein komisches Gefühl. Etwas, was einen als Fan eines Bundesligavereins selten passiert. Wir nahmen es mit Humor, weil wir alle irgendwie tief drin damit gerechnet hatten, auch wenn man es doch irgendwie nicht glauben mag, wenn es dann soweit ist.

Beim Vorbeigehen am Stadion hörte man dann auch noch die Lautsprecher (ohne was davon zu verstehen) und ein gellendes Pfeifkonzert. “Jetzt wissen die es auch.”, war meine erste Reaktion. Gefolgt von einem laut ausgesprochenen “Einmal "Fussballmafia DFB" kriegen wir aber hin, oder?” und kaum hatte ich den Satz beendet, schallte er auch schon aus dem Stadion. Ich bin weit davon entfernt, den DFB gegen irgendwelche Vorwürfe zu verteidigen. In dem Fall war es aber eine richtige Entscheidung.

Auf dem Kartoffelacker

Dies sollte sich kurz später sehr deutlich zeigen. Als ich nämlich auf den Parkplatz kam, bewahrheitete sich, was in meinem Kopf schon lange Gewissheit war. Nicht nur mein kleiner Fiesta, sondern auch die grossen Audis und BMWs kamen nicht gegen den Lotter Schlamm an. Es war sehr amüsant zu beobachten, wie Autos wie auf Seife unkontrolliert rumrutschten, sich selbst immer tiefer in den Morast bohrten und dabei die Chancen da nochmal raus zu kommen weiter verringerten. Nur mit Müh und Not und mindestens drei schiebenden Helfern gelang es nach und nach, einzelne Fahrzeuge den Hügel rauf zu bekommen. Doch dort war der Grund mittlerweile auch so tief, dass auch auf dem geraden Gelände immer mehr Autos feststeckten. In der Zwischenzeit war der Bauer von Nebenan auch gekommen und hatte freundlicherweise Holz und seinen Traktor mitgebracht. Einen nach dem anderen konnte er so wieder auf den richtigen Weg bringen. Der Rest wurde mit vereinten Kräften und viel Geduld aus dem Schlammassel befreit. Es war sehr schön zu sehen, wie die Leute ruhig blieben, grösstenteils amüsiert waren und vor allem einander halfen. Einander jeden Raum gönnten. Wenn man sieht, wie es normalerweise nach Abendspielen auf den Parkplätzen rund ums Westfalenstadion zugeht, wo man sich gegenseitig keinen Zentimeter Raumgewinn gönnt, war das für mich eine sehr bemerkenswerte Atmosphäre. Ziemlich genau eine Stunde nachdem ich in mein Auto gestiegen war, hatte auch ich wieder Asphalt unter den Rädern und war auf dem Weg aus der Provinz zurück in die Zivilisation. Jeder von uns nahm aber unter den Rädern ein gutes Stück Gästeparkplatz mit.

Es mag viele Leute geben, gerade in Lotte, die die Spielabsage für falsch halten. Wer auf dem Parkplatz war, kann nicht zu diesem Schluss kommen. Wie dort, wäre das Spiel eine Lotterie auf dem Kartoffelacker geworden. Nur statt Blech und Zeit hätte man im Stadion dabei die Gesundheit der Spieler riskiert.

Der BVB darf wahrscheinlich am 14. oder 15. März wieder zurück in die Provinz. Es ist zu hoffen, dass der Kartoffelacker dann nicht wieder überflutet wird.

Nadja, 01.03.2017

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