Unsa Senf

Gescheiterter Boykott? Was für ein Unsinn!

09.08.2016, 20:24 Uhr von:  Clemens Malte S.
Gescheiterter Boykott? Was für ein Unsinn!
Einzig richtige Antwort für Leipzig

Was war das für ein hämischer Aufschrei. Aus Leipzig. Natürlich. Aber auch von der zwitschernden Journaille. Der BVB-Gästeblock in Leipzig ist ausverkauft. Innerhalb von 23 Minuten. Hah! Nehmt das, ihr Fußballtraditionalisten! Nehmt das, ihr die es wagt, in diesem Geschäftszirkus noch eine eigene Meinung zu vertreten. Nehmt das, ihr Boykottierenden. Ausverkauft trotz Boykott, hah!

Der WAZ-Sportchef sieht via Reviersport einen „kläglich geendeten Protest“, das RB-Organ Leipziger Volkszeitung jubelte: „Die Ultras von Borussia Dortmund verzichten auf das Spiel gegen RB Leipzig, der Gästeblock war am Dienstag dennoch nach 23 Minuten ausverkauft.“ Das Zitieren irgendwelcher RB-Fanblogs ersparen wir euch an dieser Stelle.

Wieso der Boykott noch kein Misserfolg sein kann

Nachdenken wird heutzutage halt überwertet. Nachlesen scheinbar auch. Der nüchterne Fakt: Das Bündnis Südtribüne Dortmund, mit seinen rund 60 angeschlossenen Fanclubs, hat nicht zu einem Boykott aufgerufen. Zu keinem Zeitpunkt gab es Aufforderungen an andere BVB-Fans, keine Tickets für das Spiel in Leipzig zu kaufen. In der Stellungnahme blieb es bei der Ankündigung, dass die im Bündnis organisierten Ultragruppen und Fanclubs der Partie fernbleiben werden und stattdessen eine Alternativveranstaltung in Dortmund organisieren möchten. In der Vergangenheit – beispielsweise beim Kein-Zwanni-Protest gegen Stuttgart – begeisterten sich mehrere tausend Borussen an solch einer Aktion. Kreuzen am 10. September zum Spiel der Dortmunder U23 gegen den Wuppertaler SV nun nur ein paar hundert Menschen auf, darf Pit Gottschalk seinen Reviersport-Kommentar noch mal ausgraben, doch bis dahin lautet die Benotung jedoch: Thema verfehlt, sechs, setzen.

BVB-Fans in der Roten Erde.

Denn man darf nicht zu dem Trugschluss kommen, dass der Erfolg eines Protestes davon abhängt, wie viele Gästetickets verkauft werden. Auch den Organisatoren des Protest war klar: Einen leeren Gästeblock wird es in Leipzig nicht geben. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Neben dem Südtribüne-Bündnis gibt es noch etwa rund 700 weitere BVB-Fanclubs. An diesem Punkt hat sogar Gottschalk recht: die Protestierenden von Südtribüne Dortmund repräsentieren mit ihrer Meinung eine Minderheit. Gerade im Osten des Landes stellt der BVB eine beachtliche Fan-Basis, die jahrelang mindestens bis Berlin oder Wolfsburg pendeln musste, um Borussia mal live im Stadion zu sehen. Die Erfolge der jüngeren Vergangenheit haben die Mitgliederzahlen explodieren lassen, rund 140.000 konnten am Dienstagmorgen an der Hotline versuchen, eines der 4.300 Tickets im Leipziger Gästeblock zu ergattern. Weil für sie egal ist, gegen wen der BVB spielt. Oder weil Leipzig für sie die beste Gelegenheit ist, den BVB zu sehen. Oder weil sie sich freuen, überhaupt mal irgendwie an Auswärtskarten für den BVB gelangt zu sein. Denn während die Leipziger Volkszeitung den 23-Minuten-Verkauf abfeiert, weiß der leidgeplagte BVB-Fan: für 80 Prozent aller Auswärtsspiele ist der Vorverkauf wesentlich schneller beendet.

Borussia Dortmund hat mehr mit Schalke und Bayern gemein, als mit RB Leipzig

Trotzdem geben einige Journalisten und Fans nun vor, vom kompletten Verkauf des Leipzig-Kontingents überrascht zu sein und setzen dies mit einer „Niederlage für die Boykottierenden“ gleich. Beides wirkt wie ein plumper Versuch, die unbequeme Meinungshaltung der Protestler schlecht zu machen. Um noch einmal den Bogen zu den Kein-Zwanni-Protesten zu schlagen: Auch damals waren solche Kommentare – gerne unter Hinweis auf die Borussia Dortmund GmbH & Co. KGaA – an der Tagesordnung. Heute profitieren zehntausende Fans von den Erfolgen der Proteste gegen hohe Ticketpreise.

Dieses mal wurde das Lied vom Aktienkonzern, dem wir BVB-Fans angeblich angehören, jedoch besonders laut gesungen. Auch bei dieser Thematik fehlt scheinbar der Durchblick. Borussia Dortmund ist auch weiterhin ein eingetragener Verein, der im Übrigen gleichzeitig auch (als Komplementär) die Entscheidungshoheit über das Börsenunternehmen hält. Die oben genannten 140.000 sind allesamt Mitglieder dieses eingetragenen Vereins, der Anteil der Vereinsmitglieder im Südtribüne-Bündnis dürfte immens sein. Diese Fans sind Mitglieder eines Vereins, der sich über Jahrzehnte entwickelt hat und heute einen Aktienkonzern ablegt, welcher im Fußballgeschäft kräftig mitmischt. Darüber hinaus ist Borussia Dortmund für sehr, sehr viele Menschen aber eben weiterhin und an erster Stelle besagter Verein. Mit eigenem Leben. Eigenen Aktivitäten. Einiger Atmosphäre. Zuletzt: Mit vielfältigen Meinungen.

Das alles unterscheidet Borussia Dortmund – oder auch Schalke 04, Werder Bremen und den FC Bayern München – elementar von RasenBallsport Leipzig. Dieser Klub ist als Werbeinstrument für einen Konzern ins Leben gerufen wurden. Während die Borussia Dortmund GmbH & Co. KGaA ähnlich wie die FC Bayern München AG auf zahlreichen gewachsenen Pfeilern steht, ist RB ein wackliges, marketinggetriebenes Konstrukt, das einzig auf der Gönnerschaft eines österreichischen Milliardärs und seines Energie-Getränks basiert – die Red Bull GmbH hält 99% der RasenBallsport Leipzig GmbH. Steigt Red Bull in Leipzig aus, ist das ganze Abenteuer beendet.

Was fehlt: Respekt für Fans

BVB-Fans und Medienvertreter diskutieren bei den Fantagen.
Teilt man diese Meinung, ist letztlich nur konsequent, diesen Klub, der nicht mehr als ein Instrument ist, nicht mit einem Stadionbesuch zu beehren. Aber: genauso verständlich ist es, wenn der geneigte BVB-Fan aus Bautzen endlich mal weniger als vier Stunden für ein BVB-Bundesliga-Spiel im Auto sitzen möchte. Ein Richtig oder Falsch gibt es für uns Fans in dieser Sache nicht. Nur eine Haltung, die jeder Borusse für sich selbst finden muss und für die er weder Spott noch Häme, sondern viel mehr Respekt oder zumindest Toleranz verdient.


Pit Gottschalk lässt beides in seinem Kommentar vermissen. „Die Protestler stehen, so laut und medienwirksam ihr Getöse auch gewesen sein mag, mit ihrer Meinung ziemlich alleine da. Die Mehrheit der BVB-Fans will offenbar das tun, wofür Fans da sind: Ihre Mannschaft, die den größten Umbruch seit zehn Jahren erlebt, beim zweiten Saisonspiel unterstützen. Das und nur das ist Echte Liebe.“ So schreibt es der Sportchef der größten Regionalzeitung dieses Landes.

Fans sind nur zum Anfeuern da? Jeder BVB-Fan, der mal eben in sein Portmonee schaut und dort einen Mitgliedsausweis findet, sollte spätestens jetzt erbost aufschreien. Mitglieder haben Stimmrecht bei wichtigen Entscheidungen, sie entlasten und wählen den Vorstand und können eigene Anträge stellen. Überhaupt: Fußballfans sind längst nicht mehr nur die konsumierenden Stimmungsmacher, sondern bestehen auf ihr Recht, den Sport, in den sie viel Freizeit und Geld stecken, nach ihren Wünschen mitzugestalten. Auch das verdient weder Spott noch Häme, sondern Respekt.

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