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Es ist angerichtet - oder: was habt ihr da angerichtet?

07.06.2016, 21:48 Uhr von:  Sascha
Es ist angerichtet - oder: was habt ihr da angerichtet?
Westfalenstadion im Sommerschlaf

Es ist Sommerpause. Für den Fußballfan eigentlich die Zeit, in der man samstags den Grill anschmeißt und etwas die Seele baumeln lässt, während im TV vielleicht nebenbei ein europäisches Fußballturnier läuft. Eigentlich. Für uns Borussen läuft paradoxerweise gerade jetzt die interessanteste Zeit der Saison 2015/2016. Und das, wo die sie schon seit fast drei Wochen beendet ist.

Zugegeben, die Messlatte liegt, was den Spannungsfaktor angeht, auch ziemlich tief. Seit der Winterpause war der zweite Tabellenplatz nicht einmal annähernd in Gefahr und nach vorne hat es genau die eine Woche vor dem Spiel gegen die Bayern etwas gekribbelt, mit dem wir den Rückstand auf zwei Punkte hätten verkürzen können. Ansonsten haben wir so einsam unsere Runden gedreht, wie der Schulstreber beim Klammerblues während der Klassenfete.

Dafür kribbelt es jetzt. Für viele Fans könnte die Saison Samstag bereits wieder starten. Zu spannend ist das, was gerade beim BVB passiert. Zu ungewiss, welche Art von Fußball wir bald zu sehen bekommen. Und vor allem ist ungewiss, wer diesen Fußball spielen wird.

Als ziemlich wahrscheinlich darf dabei gelten, dass sich die Ankündigung von Aki Watzke, wonach der gleichzeitige Weggang der Spieler Hummels, Gündogan und Mkhitaryan ausgeschlossen sei, als das entpuppt, was es von vornherein war: bloßes Klappern, das zum Handwerk gehört. Das ist nicht despektierlich gemeint. Die Vertragsverlängerungen der drei Spieler zogen sich in die Länge, die dabei im Raum stehenden Summen blockierten vermutlich andere Transferentscheidungen und die Druckmittel des BVB waren begrenzt. Folgerichtig, dass der Verein etwas aufs Gaspedal drücken und die wenigen dafür zur Verfügung stehenden Mittel nutzen musste. Letztendlich erfolgreich, konnte bei den Personalien Hummels und Gündogan doch eine Hängepartie über die Länge der Sommerpause vermieden werden. Und rund 60 Millionen Euro Einnahmen für zwei Spieler, die in einem Jahr ablösefrei zu haben gewesen wären, sind mehr als ordentliche Verhandlungsergebnisse. Bleibt also Henrik Mkhitaryan, der mit seinem Berater Mino Raiola die letzte ungelöste Großbaustelle darstellt. Es sollte nicht überraschen, dass der gewiefte Raiola, der auch noch andere Branchengrößen wie „Ibra“ und Paul Pogba zu seinen Klienten zählt, eine viel härtere Nuss ist als Hummels und Gündogan, die mit Familienmitgliedern zu Vertragsgesprächen aufgelaufen sind. Da beide Seiten wissen, dass ein Wechsel des Armeniers ablösefrei nach Ende der nächsten Saison für den BVB wohl die am wenigsten geliebte Variante darstellt, reizt Raiola sein Blatt zum Äußersten. Dass die kolportierten Klauseln, wonach er bei Interesse eines Topclubs oder Weggang von Trainer Tuchel sofort ohne Festlegung irgendwelcher Mindestsummen wechseln dürfe, für uns inakzeptabel sind, liegt auf der Hand.

Hummels und Mkhitaryan

Wenn die sportliche Führung ihm jetzt bedeutet, dass er entweder auf das äußerste Angebot des BVB einsteigen oder ansonsten bitte einen solventen Verein, der ihn kaufen möchte, anschleppen möge, ist kein Wortbruch, sondern nur logisch und wirtschaftlich vernünftig.

Abseits dieser drei großen Wechselshowbühnen stehen in der Sommerpause noch weitere Kaderveränderungen ins Haus. Einige werden wir Fans eher achselzuckend hinnehmen, andere werden für einen Kloß im Hals sorgen. Joo-Ho Park und Moritz Leitner werden dabei ganz oben auf Zorcs To-do-Liste stehen. Hinter Ginter und Ramos werden zumindest Fragezeichen vermerkt sein. Alles Personalien, bei denen man als Fan den Spielern aufrichtig viel Glück und Erfolg wünscht, die aber ansonsten emotional schnell verarbeitet werden können. Anders sähe es bei Nuri Sahin und vor allem Neven Subotic aus. Während Nuri wohl nach der EM zumindest wird zeigen dürfen, dass er sein altes Niveau wieder erreichen kann, sprechen die Aktivitäten auf der Innenverteidigerposition klar gegen Neven. Und das wäre einfach traurig, den wohl großartigsten Menschen im Profifußball zu verlieren. Als Fan darf man es aufrichtig ungerecht finden, dass soziales Engagement nicht mit sportlichem Erfolg belohnt wird, während Ich-AGs, die Urlaubsfotos von Mauritius posten, zu gefeierten und hofierten Stars werden. Karma ist manchmal einfach ein Arschloch.

Vor diesem Hintergrund erscheinen Jürgen Klopps Worte zum Abschied, dass er nicht in der Lage gewesen sei, notwendige Veränderungen einzuleiten, vor einem ganz anderen Licht. Nachdem Tuchel den Kader im Kern unverändert übernommen hat, geht er jetzt, zum Teil gezwungen und zum Teil aus eigenem Antrieb, fast mit der Abrissbirne zu Werke. Gingen alle neun zuvor genannten Spieler, wären das mal satte 40 % des 23er-Kaders aus der Vorsaison. Die Wahrscheinlichkeit ist sehr hoch, dass wir nächste Saison Spiele haben, bei denen kein einziger Spieler der 2012er Double-Mannschaft mehr in der Startelf steht. Kein Wunder also, dass sich bei manchen Fans und auch Medienvertretern der was-wird-nur-aus-dem-BVB-Blues breit machte. Wir brechen auf in unbekanntes Terrain.

Senkrechtstarter Pulisic

Zwei Neuzugänge durften sich bereits in der letzten Saison präsentieren. Die frischgebackenen A-Jugend-Meister Felix Passlack und Christian Pulisic durften nicht nur in den Kader reinschnuppern, sie besetzten gleich mal die freigewordenen hinteren Kaderplätze von Jonas Hofmann und dem angeblichen Rohdiamanten Adnan Januzaj. Vor allem Pulisic ist richtig durchgestartet und über seine ersten Startelfeinsätze und Bundesligatore direkt im US-Kader der Copa America gelandet. Darüber hinaus hat das Duo Watzke/Zorc bereits fünf Transfers für die nächste Spielzeit getätigt, die reichlich Raum für Fantasie lassen. Mit Mikel Merino vom spanischen Zweitligisten Osasuna, Emre Mor vom FC Nordsjaelland und vor allem Ousmane Dembélé aus Rennes stehen gleich drei maximal 19 Jahre alte Spieler im Kader, die sich bei unserer Borussia zu echten Topspielern entwickeln sollen. Die zwei Verpflichtungen der letzten Tage stehen dafür eher für den Bereich der soliden Spieler, die ihre Eignung für den Profifußball bereits unter Beweis gestellt haben. Die großen Namen der abgebenden Vereine sollten bei Marc Batra (FC Barcelona) und Sebastian Rode aber nicht darüber hinweg täuschen, dass man sich in deren zweiten Reihe bedient hat. Das ist nichts ehrenrühriges, sollte bei manchen Fans allerdings das Selbstverständnis wieder etwas gerade rücken.

Während Bartra dank einer Ausstiegsklausel mit einer Ablösesumme von rund acht Millionen Euro als echtes Schnäppchen gilt, verursachten die irgendwas um die 13 Millionen für Rode bei vielen Leuten Stirnrunzeln. Seine Krankenakte hat mit einem Knorpelschaden und einem Kreuzbandriss zwei der wohl schlimmsten Fußballerverletzungen zu bieten und auch sportlich erschien er für Guardiola nicht gerade unverzichtbar. Wobei man ihm allerdings zu Gute halten muss, dass die Konkurrenz mit Alonso, Thiago und Vidal auf dieser Position auch ziemlich exquisit war.

Das spannende an diesen Personalien ist dabei schlicht und ergreifend, dass man kaum einschätzen kann, wie der Fußball unserer Borussia in der nächsten Saison aussehen wird. Marc Bartra soll ebenfalls ein Innenverteidiger sein, der über die technische Schiene kommt, aber in der Spieleröffnung natürlich nicht an Mats Hummels herankommt. Es gibt nicht viele Spieler auf dieser Position, die an guten Tagen so ganz nebenbei auch noch den Spielmacher geben. Dass Tuchel hier auch eigentlich andere Pläne hat, sieht man schon allein daran, dass man immer noch starkes Interesse an Ömer Toprak haben soll. Toprak dürfte wiederum nur wenigen Fans sofort eingefallen sein, wenn es um das Thema Verstärkung geht.

Ab jetzt Mannschaftskamerade: Sokratis und Rode
Auch die Verpflichtung Rodes ist ein Fingerzeig dafür, dass Tuchel „was am planen dran“ ist. Dieser Typ kämpfender Spieler im defensiven Mittelfeld schien nämlich in Dortmund mit Kehls Karriereende schon ausgestorben zu sein. Sven Bender wurde in die Innenverteidigung beordert und ansonsten haben sich Youngster Weigl und der bereits zur Vorsaison als Gündoganersatz verpflichtete Gonzo Castro das Mittelfeld unter sich aufgeteilt. Beides Spieler, deren Stärken eher im Passspiel liegen. Rode und Tuchels bislang praktizierter Ballbesitzfußball scheinen da auf den ersten Blick nicht so ganz zueinander zu passen.

Dagegen hat man mit Dembélé einen Spieler verpflichtet, bei dem Thomas Tuchel wohl glänzende Augen bekommen hat. Gutes Passspiel, interessiert an Defensivarbeit und ein hervorragendes Dribbling. Schafft er es, seinem Ruf als eines der Toptalente Europas gerecht zu werden, kann er zu einer Verstärkung im offensiven Mittelfeld werden. Wobei man als Fan schon jetzt einpreisen sollte, dass er dann vermutlich nicht bis zum Ende aller Tage in Dortmund verbleiben wird. Ähnliches dürfte für den neuen türkischen Nationalspieler Mor gelten. Zwar werden Vergleiche zu Lionel Messi bei jungen Spielern mittlerweile fast inflationär verwendet, aber wenn Otto „Ohne T und ohne D – OOAO“ Addo den offensiven Mittelfeldspieler mit warmen Worten in Dortmund anpreist, dann darf man ein gewisses Potential erwarten.

Es ist diese Mischung aus Talenten, die noch am Anfang ihrer Entwicklung stehen und Spielern, die es ganz oben nicht geschafft haben, die den BVB für die nächste Saison so spannend macht. Irgendwie scheint momentan alles möglich. Wir können einen BVB sehen, der sich von der Double-Borussia emanzipiert hat und mit neuem Gesicht einen erneuten Angriff auf ganz vorne wagt. Möglich ist aber auch, dass der Umbruch misslingt und unsere Borussia veritabel abstürzt. Man sollte das Risiko nicht unterschätzen, mit Hummels, Gündogan und vielleicht Mkhitaryan auf einen Schlag gleich das komplette Korsett der Mannschaft ersetzen zu müssen. Wir haben dann viele junge Spieler im Kader, die ein hohes Niveau erreichen und auch konstant halten müssen. Spieler von größeren Vereinen, die sich erst integrieren und begreifen müssen, dass sie sich auch in Dortmund über Leistung in den Vordergrund zu spielen haben. Und natürlich auch „die Alten“, die sich jetzt auch erst in einer neuen Mannschaft und mit neuen Teamkollegen zurechtfinden müssen.

Von einer noch besseren Borussia bis hin zu einem Absturz scheint irgendwie alles möglich. In der nächsten Saison geht es wieder raus aus der Komfortzone als „natürlicher Zweiter“ hinter den Bayern. Und gleich vom ersten Spieltag an wird es extrem spannend, in welche Richtung die Reise geht. Wird geil.

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