Im Gespräch mit...

...Hans-Joachim Watzke - Das Alles-außer-Fußball-Interview

29.10.2016, 10:12 Uhr von:  Redaktion
...Hans-Joachim Watzke - Das Alles-außer-Fußball-Interview
Aki Watzke im Gespräch

BVB-Geschäftsführer Watzke über 50+1, zunehmende Entfremdung und die neue Hooligangruppe

schwatzgelb.de: In den letzten Tagen gab es Interviews von Ihnen unter anderem bei den Ruhr Nachrichten, im kicker und im Aktuellen Sportstudio. Gibt es einen Hintergrund für die aktuell starke Präsenz in den Medien?

Watzke: Ich hatte in der Zeit zuvor relativ wenig in dieser Hinsicht gemacht, und ich nehme traditionell in den Wochen vor den beiden großen Versammlungen keine Gespräche außerhalb der Spieltagsberichterstattung mehr wahr. Also hatten sich ein paar Anfragen angestaut, und zumindest das Interview im kicker samt Redaktionsbesuch war bereits seit Monaten geplant. Es gibt außerdem ein paar Anfragen, die man ungern absagt. Dazu gehört zum Beispiel eine Einladung ins Sportstudio, bei der man zwei Millionen Zuschauer direkt mit BVB-Themen erreicht. Das ist wichtig für uns.

"Das Wichtigste für uns ist, dass unsere Fans nicht das Gefühl haben, Kunden zu sein."

schwatzgelb.de: Wir würden gern erst einmal beim Gespräch mit dem Kicker einhaken, wo sie gesagt hatten, dass die 50+1-Regelung für den deutschen Fußball sehr wichtig sei. Können Sie das noch einmal näher ausführen?

Watzke: Es wird oft der Fehler gemacht, kurzfristig aufs Geld zu schielen. Etwas, das man uns aus meiner Sicht zu Unrecht auch manchmal vorwirft. Ich glaube, das Wichtigste für den deutschen Fußball ist, dass er konzeptionell stark ist. Das bedeutet zum einen, dass Ausbildung nicht nur unter Gesichtspunkten der Profitmaximierung stattfindet. Man sollte also nicht hoffen, Geschäfte zu machen, indem man in extremem Maße mehr Jugendspieler von außen an den Verein bindet, als auch tatsächlich später in der ersten Mannschaft spielen können. Wir bilden bei Borussia Dortmund für den eigenen Bedarf aus, und ich glaube, dass sich das auch sehen lassen kann. Siehe aktuell Passlack, Pulisic, Burnic, Larsen, Götze, Schmelzer, Sahin.

Den Investoren in England, die ja allesamt gar nicht aus England kommen, liegt der der dortige Fußball in der Regel nicht am Herzen. Was man in letzter Konsequenz vielleicht ja auch an den Leistungen der englischen Nationalmannschaft erkennt. Ich glaube, dass auch die Menschen in England irgendwann merken werden, dass sie von Fans zu Kunden mutiert sind. Wir dagegen spielen nur für unsere BVB-Gemeinschaft. Deshalb bin ich im Moment auch sehr sensibel, was die Stimmung rund um Borussia Dortmund angeht, und ich mache mir sehr viele Gedanken über kritische Stimmen. Das Wichtigste für uns ist, dass unsere Fans nicht das Gefühl haben, Kunden zu sein. Das unterscheidet uns diametral vom englischen Fußball, und das müssen wir bewahren. Gibt man 50+1 auf, bewegt man sich automatisch vom Fan zum Kunden. Da bin ich sehr sicher.

schwatzgelb.de: Aber wie ernst nimmt die Liga 50+1 denn noch? Neben den traditionellen Ausnahmen Wolfsburg und Leverkusen gibt es mit Hoffenheim und Leipzig ja längst zwei weitere Fälle, wo höchstens noch die formale Konstruktion irgendwie 50+1 entspricht. Hat die Liga sich da nicht selbst beschnitten?

Watzke: Leverkusen und Wolfsburg zuzulassen war damals sicher eine schwierige Entscheidung. Auch wenn beide als Werkssportvereine eine lange Tradition hatten. Heute gibt es eine grundsätzliche Angst bei der Liga, dass eine zu rigorose Sanktionierung im Fall von Graubereichen dazu führt, dass man sich vor Zivilgerichten wiederfindet. Und der aktuelle Kompromiss bietet zumindest einen Schutz vor einer gewissen Art von Investoren, die man gar nicht haben will.

Hoffenheim zum Beispiel habe ich früher ja stark kritisiert, vermutlich stärker als die meisten meiner Kollegen. Aber wenn ich mir ansehe, wie Herr Hopp seine Rolle heute ausfüllt, dann ist das – wenn man ehrlich ist – nicht weit davon entfernt, wie es die meisten Traditionsvereine auch gern machen würden: Hoffenheim hat eine sehr gute Jugendarbeit, und es wird zumindest nicht so viel Geld in den Verein gepumpt, dass es unbedingt von 0 auf 100 bis in Europas Spitze gehen muss. Herr Hopp geht mit seinem Vermögen sehr bewusst um, und ich nehme ihm die Verbindung zum Verein und zur Region auch ab.

Mir persönlich wäre es natürlich am liebsten, wenn alle Vereine 50+1 auch dem Geiste nach erfüllen würden. Sollte es irgendwann zu einem Schlagabtausch in Deutschland zwischen den Traditionsvereinen und den anderen Clubs kommen, dann hätten wir Möglichkeiten, um uns zu wehren. Es ginge dabei übrigens gar nicht nur um Geld, denn diese Vereine haben mit ihren schlanken Strukturen auch die Fähigkeit, schnell reagieren und sich verändern zu können. Das kann man im Speedboat deutlich schneller als im traditionellen Tanker, in einem Verein wie Borussia Dortmund kostet das Alltagsgeschäft schon einiges an Energie. Aber wenn es darauf ankommt, insbesondere wenn es besonders gut oder auch besonders schlecht läuft, dann entwickeln wir Traditionsvereine einen unfassbaren Schub. Schon deshalb sehe ich nicht, dass uns die Konkurrenz aus England so sehr enteilen wird, dass wir in den nächsten Jahren die Waffen strecken müssten.

schwatzgelb.de: Wie ist das denn auf nationaler Ebene zu sehen, wenn sie zum Beispiel bei Hoffenheim etwas zurückrudern ...

Watzke: Ich rudere kein bisschen zurück.

schwatzgelb.de: So hörte es sich aber an.

Watzke: Um das noch einmal klarzustellen: Ich hatte mir die Entwicklung in Hoffenheim deutlich krasser vorgestellt, als sie eingetreten ist. Die Gründe habe ich Ihnen ja ausführlich dargelegt. Das ändert an meiner Position zu 50+1 aber rein gar nichts. Ich bin weiter dafür.

schwatzgelb.de: Aber täuscht der Eindruck denn wirklich, dass Borussia Dortmund öffentlich schon einmal härter mit Fällen wie RB Leipzig ins Gericht gegangen ist? Wenn man das etwa mit ihrer Reaktion damals zu Hoffenheim vergleicht?

Watzke: Ich habe persönlich auch aus dem lernen müssen, was ich damals zu Hoffenheim gesagt habe. Das war zwar meine ehrliche Meinung, aber wenn die dazu führt, dass man das Konterfei von Dietmar Hopp ins Fadenkreuz nimmt, dann ist das für mich ein Problem. Weil ich das nicht will, und weil manche Medien das auch so in den Kontext stellen, als ob ich dazu aufgerufen hätte. Das hat meinem Ansehen geschadet, und es hat mich auch persönlich belastet. Wenn wirklich einmal etwas passiert, und ich kann mir das in der heutigen Zeit im Fall von Einzelpersonen durchaus vorstellen, dann fällt das nämlich auch auf mich und den BVB zurück. Diese Verantwortung will ich nicht tragen.

schwatzgelb.de: Aber trauen Sie das der Dortmunder Fanszene denn wirklich zu?

Watzke: Ich rede nicht von der Dortmunder Fanszene, sondern von einzelnen Verrückten. Und das müssen keine Leute aus unserer Fanszene sein. Man muss hart in seiner Kritik sein, aber man muss das richtige Maß finden.

Und um auf Leipzig zurückzukommen: Das Modell dort widerstrebt mir, aber man muss auch sagen, dass die Menschen in Leipzig und vielleicht generell in Ostdeutschland auf normalem Weg in den nächsten zehn Jahren vermutlich keinen Bundesligafußball gesehen hätten. Ich war im Sommer beim 25-jährigen Jubiläum der Ostborussen zu Gast, vor sicher 500 anwesenden Leuten, und dort wirkte die Kritik an RB Leipzig auf mich bei Weitem nicht so stark, wie wir das hier in Dortmund empfinden. Da freuten sich viele eher, dass sie ihren BVB bald vor der eigenen Haustür spielen sehen können. Den Standort Leipzig zu wählen war daher rein marketingtechnisch brillant. Aber sowas kann dieser Konzern ja auch.

schwatzgelb.de: Das klingt ja schon fast nach Wohltätigkeit. Red Bull hatte ja durchaus auch Interesse, andere Vereine zu übernehmen.

Watzke: Mit Wohltätigkeit hat das für mich nichts zu tun. Alles, was Red Bull macht, wird unter Marketinggesichtspunkten gemacht. Und mir fällt zu diesem Zweck als Außenstehender, der dieses Konstrukt nicht schätzt, objektiv zumindest kein besserer Standort als Leipzig ein.

schwatzgelb.de: Wobei dieser Aspekt des Marketings oft vergessen wird, wenn das Argument kommt, dass Ostdeutschland nun endlich mal einen vernünftigen Bundesligisten hat.

Watzke: Aber das steht für die Menschen, die dort vor Ort Fußball sehen wollen, vielleicht nicht so weit oben auf der Prioritätenliste wie bei uns. Und vor diesen Leuten habe ich Respekt. Nochmal: Das Konstrukt schätze ich überhaupt nicht.

schwatzgelb.de: Aber müssten Sie als Konzernchef mit einem Verein wie Leipzig nicht eigentlich besser leben können, wenn es um die Verteilung der TV-Gelder geht, weil Leipzig da mit Sicherheit weniger von abfängt als diese Mittelstandsvereinigung mit Köln, Gladbach oder einem Verein wie Mainz?

Watzke: Ich habe mir in früheren Phasen meines Lebens mehr Gedanken darüber gemacht. Aber die Klubs, für die ich eigentlich damals gesprochen habe, die haben es nicht verstanden. Und von daher habe ich damit auch wieder aufgehört. Wir sind als Borussia Dortmund – und da haben ja nun sehr viele zu beigetragen, unter anderem natürlich auch in ganz großem Maß die Fans – mittlerweile eine richtige Bewegung geworden und gemeinsam aus dieser Krise von damals herausgekommen. Inzwischen haben wir uns ein Standing erarbeitet, das dazu führt, dass es für uns fast egal ist, welches Verteilungsmodell angewandt wird – wir sind immer ziemlich weit oben. Wir sind, was wirtschaftlichen Erfolg angeht, oben. Wir sind aber auch, wenn es um andere Dinge, um weichere Themen geht, immer weit oben.

Wenn Borussia Dortmund mit 50+1 aktuell auf Platz 7 im UEFA-Ranking steht, kann doch nicht alles falsch gewesen sein. Und im Übrigen stehen da noch ein paar Clubs, die sogar eingetragene Vereine sind, die heißen Real Madrid und Barcelona. Müssen wir jetzt nicht drüber reden, aber am Ende des Tages haben die trotzdem mehr demokratische Sitten und Gebräuche in ihrem Club als andere. Und insofern lasse ich mir auch von diesen ganzen hochgestochenen Wirtschaftstheoretikern und allen, die gerne den Fußball kaufen wollen, nicht erklären, dass 50+1 veraltet ist. Ich finde das nicht veraltet und werde da immer für streiten, aber mit Maß und Mitte, das ist wichtig.

Ich persönlich würde keinen Finger mehr krümmen, wenn Borussia Dortmund in dieser Hinsicht anders strukturiert wäre. Die Geschäftsführungs-GmbH von Borussia Dortmund gehört zu 100 Prozent nur dem e.V., und das ist auch nicht verhandelbar. Das ist das, was viele Außenstehende nicht kapieren, weil sie sich mit dem Thema nicht beschäftigen Und wenn irgendwann die Mitglieder von Borussia Dortmund der Meinung wären, das müsste geändert werden, die Möglichkeiten dazu gäbe es ja, dann wäre es nicht mehr mein Thema. Das ist auch klar. Ich bin nur für 50+1 zu haben.

schwatzgelb.de: 50+1 ist ja nicht nur ein Thema für Borussia Dortmund. Es sind noch 14 Vereine, die heute noch zumindest 50+1 formell einhalten. Wenn es dann aber um die Verteilung der neuen TV-Gelder geht, und, wie Sie im kicker gesagt haben, dass zwei europäische Top-10-Vereine der Bundesliga davon stärker profitieren müssten – das geht aber doch auch zu Lasten der anderen Vereine?

Watzke: Zu Lasten geht erstmal gar nichts, weil jeder Verein mehr haben wird als vorher. Es geht nur darum: Wer bekommt wie viel mehr? Die Masse, die zu verteilen ist, ist ja viel größer. Das heißt, wenn der Kuchen doppelt so groß ist und du teilst den in 18 Stücke, bekommst du am Ende mehr.

schwatzgelb.de: Aber relativ betrachtet.

Watzke: Wir haben ja einen Ligavorstand, der sehr einmütig gewählt worden ist, und deshalb glaube ich, dass der auch einmütige Lösungen hinbekommt. Nur gibt es natürlich einen klassischen Zielkonflikt: Je gleicher du verteilst, desto mehr schwächst du deine Spitze im europäischen Vergleich. Das ist eine ganz einfache Regel. Umgekehrt ist es allerdings auch so: Es darf nicht dazu führen, dass du überhaupt keine Möglichkeiten mehr hast, als mittlerer Verein die Großen zu ärgern. Dazwischen wird es einen Kompromiss geben, und da bin ich auch für. Aber wenn Bayern und Dortmund nur abgeben, können wir unsere internationalen Aufgaben nicht mehr erfüllen. Ihr freut euch doch auch, wenn wir in Lissabon gewinnen. Wenn wir den Wettbewerb ausschalten wollen, indem wir sozialistisch alles gleich verteilen, dann ist das kein Fußball mehr. Das geht auch nicht.

Übrigens: Borussia Dortmund – und deshalb habe ich da überhaupt keine Hemmungen – ist das lebende Gegenbeispiel. Gerade wir haben doch gezeigt, dass es geht. Alle Traditonsklubs, die heute in der Bundesliga seit Jahren gegen den Abstieg spielen oder schon abgestiegen sind, haben doch vor sieben, acht Jahren über uns gelacht. Wir waren total pleite – und die waren auf den arrivierten Positionen. Gucken Sie sich Stuttgart und Hamburg an. Wir haben unsere Umsätze in dieser Zeit von 75 auf 377 Millionen gesteigert. Das ist originäres Geldverdienen, und wir haben uns mit vernünftiger und kluger Transferpolitik, Personalpolitik, Trainerauswahl nach oben gebeamt. Das ist auch weiterhin möglich. Auch für andere. Beispiel 1. FC Köln: Da wird momentan, seit offensichtlich die richtigen Personen an den Schalthebeln sind, sehr gute, nachhaltige Arbeit geleistet. Aber hat das denn in irgendeiner Weise etwas mit der TV-Geldverteilung zu tun gehabt? Das ist doch nur ein Alibi, um dann auch die ein oder andere Minderleistung zu kaschieren. Ich glaube nicht, dass sich mit einer anderen Form der nationalen Fernsehgeldverteilung irgendwelche großen Änderungen ergäben.

Ich bin allerdings auch der Meinung, dass die Clubs, die für internationale Erlöse sorgen, dafür entsprechend entschädigt werden müssen. Denn die Fernsehrechte in China oder in Amerika werden zu einem hohen Prozentsatz wegen Bayern München, wegen Borussia Dortmund erworben. Wenn wir den Weg der Gleichverteilung gehen, dann freuen sich Real Madrid und der FC Barcelona. Dann dauert es auch nicht mehr lange, bis wir hier gegen Real keine Chance mehr haben. Ich glaube, dass wir in Deutschland mit dem 2:1-Modell immer gut gefahren sind!

schwatzgelb.de: Ich habe auch nicht von Gleichverteilung gesprochen. Ich stelle mir einfach nur die Frage, wie andere Vereine zwischen Borussia Dortmund und Bayern München auf der einen und Bayer Leverkusen oder Leipzig auf der anderen Seite langfristig noch erfolgreich arbeiten wollen.

Watzke: Man darf die Geldverteilung nicht als Entschuldigung für alles anführen. Wenn wir die Spitzenmannschaften schwächen, dann holen wir nicht mehr so viele Punkte in der UEFA-Wertung, dann verliert Deutschland irgendwann einen Platz, dann verliert die Liga. Denn das Geld, das beim BVB und den Bayern reinkommt, bleibt ja nicht bei diesen beiden Klubs, sondern es fließt ja auch wieder in die anderen Clubs über Ablösesummen und Co. Insofern glaube ich, dass alle davon profitieren.

Das Schlimmste ist eine Entwicklung wie in Italien. Du lieferst keine Ergebnisse mehr, verlierst den nächsten internationalen Startplatz – und dann ist auf einmal immer weniger Geld da. Das darf uns nicht passieren. Aber wir haben ja nun den großen Vorteil, gut verhandelt und nun mehr Geld zu haben. Das hat Herr Seifert gut gemacht.

Aki Watzke im Gespräch

schwatzgelb.de: Merken Sie, dass es bei vielen – ich nenne es jetzt einfach mal „alteingesessenen Fans“ – im Moment ein Gefühl der Entfremdung gibt? Namentlich häufig die Fans, die Sie dann in den Interviews als kleine Minderheit bezeichnen, was sie quantitativ auch sind, aber was ihnen qualitativ oder ihrer Rolle in den letzten Jahren im Verein vielleicht nicht so gerecht wird. Bekommen Sie das mit?

Watzke: Natürlich bekomme ich das mit. Ich kenne ja auch das eine oder andere Klischee über mich, das aber nicht stimmig ist, weil die, die mich wirklich kennen, genau wissen, dass ich immer noch die gleichen Gewohnheiten pflege, auch noch die gleichen Attitüden habe, die ich schon vor zwölf Jahren hatte. Ich kenne meine Schwächen, aber auch meine Stärken. Und ich weiß, dass ich eines ganz bestimmt nicht verloren habe: den Kontakt zur Basis. Weil ich jede Woche unendlich viele Gespräche mit Fans führe. Ich habe noch nie einem einzigen Fan von Borussia Dortmund ein Foto verweigert, ein Gespräch verweigert, ein Autogramm verweigert. Ich gehe nach wie vor jede Woche in Dortmund einkaufen, spreche mit den Leuten, und ich bekomme das mit. Und ich mache mir sehr viele Gedanken darüber. Was das das Zitat mit der kleinen Minderheit angeht: Es ging um das Spruchband, auf dem stand, dass ich vor lauter Internationalisierungswahn den Anstand verloren hätte. Nur darum ging es in dem Gespräch.

Was ich häufig höre: Ja, uns fehlt dieser emotionale Faktor wie Jürgen Klopp. Das ist klar, aber das ist eben so. Und die ganzen Gerüchte um Neven Subotic und Kuba, die waren ja auch so ein Thema. Ich kann Euch sagen: Da habe ich persönlich ein total reines Gewissen und weiß, dass wir keinem in irgendeiner Weise Unrecht getan haben. Nur kann man diese Prozesse, die dann hinter den Kulissen ablaufen, nicht immer öffentlich machen. Kuba haben wir aufgrund seiner Verdienste wirklich einen großen Gefallen getan, weil er unbedingt nach Wolfsburg wechseln wollte, obwohl wir viel bessere Angebote für ihn hatten. Wir wollten ihn in allen Ehren verabschieden, es ging aber nicht. Ob er nicht konnte oder nicht wollte, das hat sich mir nicht erschlossen, aber wir hatten schon einen Antrag bei der DFL gestellt, das Podium war bereitet. Bei Neven wiederum gab es überhaupt keinen Grund, ihn zu verabschieden, weil er niemals zu verabschieden war. Wir haben ein Top-Verhältnis zu ihm.

Zu diesem diffusen Gefühl der Unzufriedenheit bei manch einem kommt auch hinzu: Wir haben immer mehr Fans, wir haben immer mehr Mitglieder, nämlich fast 150.000, und wir haben immer mehr Mitarbeiter. Als ich angefangen habe, hatten wir 130, die hatten alle Angst, ob sie nächste Woche noch einen Job haben. Jetzt haben wir fast 1000. Ich bin eigentlich stolz drauf, denn 1000 Leuten und 1000 Familien eine Existenzgrundlage zu geben, ist ja per se nichts Schlechtes. Aber es wird schwieriger, allen gerecht zu werden, alle Wünsche zu befriedigen, die Community wird immer größer. Ich bin deshalb bei Ihnen: Wir müssen sensibel mit den Sorgen der Fans umgehen.

"Jede Minderheit hat bei Borussia Dortmund das Recht, ihre Meinung zu äußern, und sie wird auch ernst genommen. "

schwatzgelb.de: Es sind ja nicht mal unbedingt nur diese konkreten Fälle. Davon kann man jeden Einzelnen für sich schon erklären, auch wenn man bei so Sachen wie z.B. Trainingslager eine andere Meinung vertritt. Vermutlich ist das eher abstrakter, ein Grundgefühl, und die Leute, die dieses Gefühl haben, freuen sich darüber ja auch nicht, dass eine gewisse emotionale Distanzierung vom Verein entstanden ist. Das macht‘s schwieriger …

Watzke: Ja …

schwatzgelb.de: Da ist dann eben die Frage, inwieweit ist der Verein bereit, darauf einzugehen? Natürlich quantitativ ist es eine Minderheit. Das wissen die Leute selbst.

Watzke: Wir nehmen sie trotzdem ernst.

schwatzgelb.de: Wir wollen uns auch gar nicht so sehr an diesem Wort aufhängen.

Watzke: Jede Minderheit hat bei Borussia Dortmund das Recht, ihre Meinung zu äußern, und sie wird auch ernst genommen. Das Thema Fannähe ist bei uns ein großes, und wir diskutieren es intern auch regelmäßig. Wenn ich mit Fans spreche, ist dieses diffuse Gefühl auch häufig Thema. Klar, es kommen vermutlich viele Dinge zusammen. 2011/2012/2013, das waren natürlich auch Jahre, da lief alles. Dazu kommen – wie geschildert – dann noch verschiedene andere Punkte. Wir werden eine Projektgruppe einrichten, die sich genau mit diesem Problem befasst und daraus idealerweise Handlungsempfehlungen ableitet. Allerdings müssen wir auch noch ein bisschen Fleisch an den Knochen kriegen. Wir haben das Thema aber erkannt. Und wir nehmen das Thema sehr ernst.

Man kann mir vorwerfen, dass ich eine schlechte Entscheidung getroffen habe oder, dass ich alles falsch mache, aber mir vorzuwerfen, dass ich den Kontakt zur Basis verliere, das ist der elementarste Vorwurf, den man mir machen kann. Und der fuchst mich.

schwatzgelb.de: Aber es geht vielleicht gar nicht um Sie als Person, sondern einfach um ein grundsätzliches Gefühl.

Watzke: Aber da wird mittlerweile – so mein Eindruck – doch häufig gar nicht mehr so direkt unterschieden. Ich nehme das schon sehr ernst.

"Was ich mir wirklich wünschen würde: dass beidseitig, die Spieler und die Fans, wieder unvoreingenommener aufeinander zugehen."

schwatzgelb.de: Wenn man jetzt mal von Ihrer Fanvita ausgeht: Sie waren ja auch eher eine kritische Stimme im Vereinsleben. Wenn Sie jetzt mal aus Fansicht auf den BVB gucken: Gibt es im Moment etwas zu kritisieren?

Watzke: (überlegt lange) Ich hätte als reiner Fan sicherlich auch das eine oder andere zu kritisieren, weil ich immer gut im Kritisieren war. Aber es ist schwer für mich in der jetzigen Rolle, weil ich die andere Seite kenne. Viele, die einzelne Vorgänge von außen anders beurteilen, kennen nicht ansatzweise alle Fakten und Gemengelagen, weil wir die mitunter ganz bewusst verschweigen, um zum Beispiel die Persönlichkeit der beteiligten Personen zu schützen. Insgesamt würde ich aber auch sagen, dass wir wieder eine etwas größere Emotionalität bei Borussia Dortmund benötigen. Die würde mir als Fan zurzeit auch ein Stück weit fehlen. Bestes Beispiel sind ja öffentlichen Trainingseinheiten, die jeder gerne hätte — aber die schießen dir das Arbeiten inzwischen komplett kaputt. Stichworte: Handyvideos, neue Medien, keine Chance mehr, professionell, vertrauensvoll zu arbeiten…

schwatzgelb.de: Dazu ist inzwischen aber wohl auch alles gesagt.

Watzke: Ja, stimmt. Was ich mir wirklich wünschen würde: dass beidseitig, die Spieler und die Fans, wieder unvoreingenommener aufeinander zugehen. Das ist immer eine Wechselbeziehung, und ich glaube, dass viele unserer Spieler diese Vorgänge im Frühjahr um Mats Hummels als ein wenig befremdlich wahrgenommen haben und daraus eine gewisse, ich weiß nicht, wie ich das sagen soll, eine gewisse Hemmschwelle entstanden ist. Das muss man von beiden Seiten wieder aufbrechen. Die jüngeren Spieler kennen das ja noch gar nicht. In anderen Ländern ist das auch gar nicht üblich, dass das Verhältnis zwischen Mannschaft und Fans so eng ist. In England war es, bevor Jürgen Klopp da hingekommen ist, nicht mal üblich, dass die Spieler sich von den Fans verabschieden. Der hat das gerade quasi eingeführt. Die anderen Clubs sind, glaub‘ ich, auch ein bisschen sauer drauf (lacht). Dieses Gefühl der Nähe und Gemeinschaft müssen wir aber gerade bei den jüngeren Spielern wecken. Wir haben uns der Thematik übrigens längst angenommen: Jens Volke kümmert sich als Mitglied der Kommunikationsabteilung um die Neuzugänge und bringt ihnen Borussia Dortmund, die Geschichte und die Fankultur, näher. Und das sehr intensiv, glauben Sie mir!

Den Zusammenhalt zwischen den Fans im Stadion und der Mannschaft würde ich mir enger wünschen. Ich werde das definitiv auch in der Mannschaft ansprechen. Der Funke muss beidseitig wieder komplett überspringen. Jeder, der bei Borussia Dortmund arbeitet, die Spieler, die Trainer, die Mitarbeiter auf der Geschäftsstelle – einfach jeder muss die Sinne dafür geschärft bekommen, was der BVB für ein großartiger Verein ist. Aus Fansicht wäre das wahrscheinlich mein Wunsch an die Geschäftsführung.

"Die Stimmung in einem so tollen Club wie dem BVB darf nicht vom emotionalen Typus des Trainers abhängig sein, sonst machst du alles falsch. "

schwatzgelb.de: Sie haben gerade gesagt, dass vieles auf Ihre Person projiziert wird. Teilen Sie die Sorge, dass, wenn es mal sportlich nicht so gut läuft, solche Sachen auch auf Thomas Tuchel projiziert werden könnten, weil er eben noch ein anderes Standing als Jürgen Klopp hat?

Watzke: Ich finde diese Vergleiche unfair und nicht zielführend. Thomas ist ein völlig anderer Mensch als Jürgen. Thomas ist jemand, der durch seine Arbeit überzeugt. Jürgen hat diese Aura und ist eigentlich ein geborenes Showtalent. Du kannst aber in die Aufgabenbeschreibung eines Trainers nicht reinschreiben, dass er auch Schauspieler oder Entertainer sein muss. Insofern darf man dem Thomas nicht den Rucksack aufsetzen, er solle Jürgen Klopp sein.

schwatzgelb.de: Aber es passiert vielleicht automatisch, das ist vielleicht eher das Problem.

Watzke: Aber es ist meine Aufgabe, darauf hinzuweisen, dass es ungerecht ist. Und ich glaube, dass der BVB-Fan, und das ist es, was ich an diesem Verein neben vielen anderen Dingen so liebe, eine ziemlich feine Antenne dafür hat.

schwatzgelb.de: So war das auch nicht gemeint. Sie sprachen aber gerade davon, dass Sie sich mehr Emotionalität wünschen, und dann hat man in der exponierten Trainerposition jemanden, der das versucht auszublenden. Viele Fans suchen ihren Anker in Leuten wie Neven Subotic oder Nuri Sahin. und auf der anderen Seite trägt in dem Fall Thomas Tuchel dieses „Außen vor lassen der emotionalen Befindlichkeiten“ so vor sich her.

Watzke: Er ist einfach nicht der Typ dafür, weil er ein zutiefst sachlicher Mensch ist, der eben nicht so leicht zu emotionalisieren ist. Ich fände es viel schlimmer, wenn er sich verstellen würde. Und gerade ihr seid doch auch Leute, die diese gewisse Authentizität zu schätzen wissen. Warum soll er sich verstellen, warum soll er den Hampelmann machen, wenn er keiner ist? Ernst Happel war der beste Trainer, den der HSV je hatte, der hat zwar den Europapokal der Landesmeister gewonnen, aber nach euren Maßstäben hätte der Verein eigentlich in Schutt und Asche liegen müssen. Das ist im Prinzip eine Luxusdiskussion, die wir führen, und trotzdem ist es wichtig, dass wir sie führen. Und zum Thema Nuri Sahin: Geht mal schwer davon aus, dass wir um Nuris Verdienste und Bedeutung wissen und dass das einzigartige Verhältnis von Nuri zu diesem Klub seine aktive Karriere überdauern wird!

Aki Watzke im Gespräch

schwatzgelb.de: Aber es ist ja auch so, dass der Verein die Emotionalität von Klopp gerne aufgegriffen immer wieder in dieses Horn gestoßen hat.

Watzke: Ja, das war ja auch so, solange er da war, aber jetzt ist eben ein anderer da! Wenn wir emotional zwanghaft daran festhalten wollen, müssen wir uns umbenennen. Dann müssen wir uns Klopp-Jünger nennen! Ottmar Hitzfeld zum Beispiel, ist doch das krasse Beispiel dafür: Wir haben doch, auch ohne dass wir wussten, dass alles auf Sand gebaut war, als Fans die sportlichen Zeiten genossen, mit einem Trainer, der dich nicht annähernd emotionalisiert hat. Sogar das Schiedsrichterbeschimpfen hat ja Michael Henke übernommen (lacht).

schwatzgelb.de: Wir haben ja nur die Außenansicht, und was man von Thomas Tuchel in der Außendarstellung sieht, ist halt dieses sehr Tugendhafte, was er ja auch immer wieder betont. Ich weiß nicht, wie oft er auf seinen ersten Pressekonferenzen betont hat, wie höflich er die Mannschaft findet, und auf der anderen Seite hört man Dinge aus Mainz, die dem widersprechen, was er versucht vorzuleben oder nach außen darstellen will. Dadurch ist er ein bisschen eine Blackbox. Wir wollen es ja nicht mal daran aufhängen, aber wir haben ja gerade darüber gesprochen.

Watzke: Wir müssen als Borussia Dortmund aufpassen, dass wir uns nicht zu klein machen. Die Stimmung in einem so tollen Club wie dem BVB darf nicht vom emotionalen Typus des Trainers abhängig sein, sonst machst du alles falsch. Thomas Tuchel ist ein sehr guter, akribischer, engagierter Trainer, der sich voll für den BVB reinhaut. An jedem einzelnen Tag! Aber jeder Trainer in jedem Verein ist eine temporäre Erscheinung, das ist einfach so. Das dauert mal sehr lange wie bei Jürgen, kann aber auch mal schneller gehen. Das Wohl und Wehe eines Vereins, für was du stehst, was du willst, für was auch der Verein da ist, das darf nicht von einem Trainer oder einem Geschäftsführer abhängig sein. Wir wussten, dass es eine Herkulesaufgabe wird, einen Jürgen Klopp zu verlieren. Es gab aber keine Alternative dazu, denn auch Klopp wurde nach Jahren im Rausch auf einmal nach Niederlagen beschimpft, was er übrigens sehr wohl registriert hat. Heute will das keiner mehr gewesen sein, aber ich habe das auch gesehen. Er wollte einfach nicht mehr. Er hat gesehen, dass die Geschichte zu Ende ist. Nach einer solch herausragenden Persönlichkeit überhaupt den Mut zu haben, hier Trainer zu werden, ist aller Ehren wert. Die meisten Trainer hätten dir abgesagt. Thomas hat dann 78 Punkte geholt, dadurch wurde vieles einfacher. Von außen betrachtet, nicht von Dortmund aus, sagen alle Leute: „Unfassbar gut, wie ihr das gelöst habt.“ Andere Vereine sagen: „Wie macht ihr das? Wir haben viel größere Städte, viel mehr Geld in der Region, und bei uns läuft es schlecht.” Thomas macht das auf seine Art – und erstklassig. Jürgen Klopp ist in der Art und Weise, wie er emotionalisiert, nicht eins zu eins zu ersetzen. Das Anforderungsprofil für uns ist aber nach wie vor die Trainerarbeit, und damit können wir sehr zufrieden sein. Obwohl er noch ein junger Trainer ist, der selbstverständlich Erfahrungen sammeln muss. Und noch einmal: Diese Vergleiche sind unfair.

schwatzgelb.de: Sie sagten gerade, man könne einen Jürgen Klopp, was seine Emotionen angeht, nicht eins zu eins ersetzen. Wie kann man diese Emotionalität, die er mit hineingebracht hat, denn wieder herstellen?

Watzke: Man muss schon beachten, dass die Emotionalität des BVB nicht durch Jürgen entstanden ist. Die 80-Jährigen, die gegen Benfica Lissabon im Stadion waren, berichten von ähnlichen Szenen wie gegen Málaga. Oder denken Sie nur an 1995 und die Deutsche Meisterschaft. Ich glaube, dass der Club schon immer emotional war, aber Jürgen hat natürlich nochmal mehr rausgekitzelt. Trotzdem kann man ihn nicht klonen. Es gibt viel mehr gute Trainer als gute Entertainer im Fußball. Jürgen konnte beides und damit ist er fast allein, denn wenn ich mir die letzten Champions-League-Sieger-Trainer ansehe, hatte ich nie das Gefühl, dass das jetzt besonders große Entertainer waren. Weder Ancelotti, noch Zidane, Guardiola oder Heynckes. Wir müssen uns davon lösen, Dingen nachzuweinen, die wir mal wie ein Geschenk hatten. Das darf uns nicht runterziehen, auch wenn es für mich als einen von Jürgens engen Freunden auch sehr schwer war.

"Natürlich brauchen wir im Kampf gegen Gewalt und Rechtsextremismus, die Ultraszene und eine glasklare Trennung zur neuen Gruppe. "

schwatzgelb.de: In der Vergangenheit wurde eine neue, rechtsoffene Hooligan-Gruppe vermehrt in der Öffentlichkeit thematisiert. Was unterscheidet die Riots von den Neonazis, mit denen es der BVB vor drei Jahren zu tun hatte, und warum ist es wichtig, diese voneinander abzugrenzen?

Watzke: Diese Gruppe setzt sich nach meinem Kenntnisstand nicht nur aus Neonazis zusammen, sondern ist eher als Hooligan-Gruppe mit Überschneidungen zur rechten Szene zu beschreiben. Dieser Umstand macht es noch schwieriger für viele Fans sich zu distanzieren, es gibt auch gute persönliche Kontakte in die Ultraszene, da die Mitglieder der Riots aus den bestehenden Gruppen kommen. Fakt ist, dass Borussia Dortmund sich immer sehr stark gegen Rechtsextremismus und Gewalt eingesetzt hat und einsetzen wird. Wir haben eine große Verantwortung, wobei uns die Gesellschaft da nicht unbedingt in die Karten spielt. Stichwort No-Go Areas im Ruhrgebiet, in denen der rechte Sumpf gedeiht. Da brauchen wir die Hilfe der Politik, dann wird auch das gesellschaftliche Klima besser. Wir müssen trotzdem alles tun, diese schlimmen Entwicklungen einzudämmen, beispielsweise zur Zivilcourage ermuntern, auch wenn das sicher durch die Vorkommnisse schwierig ist, aber da müssen wir zusammen stehen und uns gegenseitig Sicherheit geben.

Wir wollen diese neue Gruppe nicht und werden an jeder Stelle klar machen, dass wir Gewalt strikt ablehnen. Da ist es dann auch wichtig, dass die Ultraszene diese Auffassung teilt, und ich hoffe, dass man sich nicht radikalisieren lässt. Unter anderem darum wird es das Fanhaus geben, in dem wir mit vier in Vollzeit angestellten Sozialpädagogen planen, um genau dort anzusetzen. Überall dort präventiv zu arbeiten, wo es nur geht. Je mehr sich eingebracht und vernetzt werden kann, desto mehr können wir vermitteln, wofür wir stehen – und dafür ist diese Begegnungsstätte wichtig.

schwatzgelb.de: Wo sehen Sie Grenzen im Wirken auf die Gruppe?

Watzke: Die juristische Grenze endet mit der Stadiongrenze. Das ist ein Problem, weshalb wir auf die Unterstützung des Staates hoffen. Wir brauchen eine Zusammenarbeit aller Institutionen, wobei wir wirklich nur ahnden können, was im Stadion passiert. Wir haben viele Stadionverbote im Rahmen unserer Möglichkeiten ausgesprochen. Jeden nachvollziehbaren Vorfall, der einer Einzelperson nachgewiesen werden kann, ahnden wir. Daher hat sich die Gruppe auch bei Heimspielen stark zurück gezogen.

schwatzgelb.de: Sie haben die Ultras ja bereits angesprochen, die eine große Rolle in diesem Kampf spielen. Einerseits hat der Verein im Sommer Konsequenzen aus verschiedenen Vorkommnissen der vergangenen Saison gezogen, andererseits muss der Verein aber auch die Ultras schützen, da sie von den Riots bedroht werden. Wie gelingt dieser Spagat?

Watzke (lacht): Wir machen ja im Moment offenbar nur noch Spagate (Anm. der Redaktion: Dortmunder Ultras zeigten zuletzt ein Spruchband mit der Aufschrift „Haltungsnoten Watzkespagat: 0 - 0 - 0. Kläglich gescheitert.”) Nein, im Ernst: Das ist wirklich schwierig. Ob die Ultraszene das jetzt glaubt oder nicht, den ursprünglichen Ultragedanken finde ich spannend, und er ist auch eigentlich von meinem Fußballgefühl gar nicht so weit weg. Nur haben wir leider ein paar Probleme, die ich aus Sicherheitsgründen nicht gut finden kann und auch nicht gut finde. Nach diesen Vorkommnissen mussten Konsequenzen folgen, obwohl wir auch ein Stück weit aufeinander angewiesen sind. Wir befinden uns ja auch nicht in einer permanenten Gegnerschaft. Wir haben nur zwei große Probleme: Erstens Pyrotechnik, die uns unfassbar viel Geld kostet, zuletzt in Gänze 400.000 Euro. Und zweitens Gewalt. Dennoch müssen wir den richtigen Umgang miteinander finden und differenzieren. Ich wünsche mir, dass wir wieder einen gemeinsamen Weg finden, denn diese grundsätzliche Rückbesinnung auf das Wesentliche finde ich, wie gesagt, nicht schlecht. Natürlich brauchen wir im Kampf gegen Gewalt und Rechtsextremismus, die Ultraszene und eine glasklare Trennung zur neuen Gruppe. Und diese Trennung ist für mich im Moment ehrlich gesagt nicht immer und überall erkennbar. Wenn die Ultraszene geschlossen dagegen ist, haben wir eine ganz andere Durchschlagskraft. Wir werden alles tun, um diesen Kampf gemeinsam zu bestreiten, auch wenn das kein einfacher Kampf ist.

schwatzgelb.de: Noch einmal kurz zum Entzug der Auswärtsdauerkarten. Es gab in Warschau und Lissabon erneut Vorfälle mit Pyrotechnik. Sehen Sie sich dennoch in Ihrem Schritt bestätigt?

Watzke: Ich glaube, für eine Einschätzung ist es noch zu früh. Und ich verstehe den Sinn und Mehrwert solcher Pyro-Aktionen auch immer noch nicht. Lange guckt sich die UEFA das sicher nicht mehr an und sanktioniert uns womöglich irgendwann mit Teilausschlüssen. Dennoch ist der Entzug der ADK nicht das bloße Ergebnis von mehrmaligem Abbrennen von Pyrotechnik. Es geht um mehr als das! Wer nicht weiß, was ich meine, der kann sich gerne die Protokolle der Deutschen Bundesbahn zukommen lassen. Ich warne davor, jetzt, wo die Grenze in der Bundesliga fast erreicht ist, UEFA-Spiele als Bühne zu nutzen. Die UEFA lässt noch weniger mit sich spaßen. Eigentlich könnten wir mit dem Geld auch viel mehr gute Sachen tun. Schade…

schwatzgelb.de: Hat man die Befürchtung, durch den Entzug Kräfte zu stärken, die man eigentlich nicht stärken will?

Watzke: Ich sehe dafür bis jetzt kein Indiz, auch wenn wir das zuvor durchaus bedacht haben.

schwatzgelb.de: Sie hatten eben die Strafen angesprochen, die durch den DFB zum Beispiel für Pyrotechnik ausgesprochen werden. Inwiefern gibt es da Spielraum, eine solche Strafe zu akzeptieren oder auch nicht zu akzeptieren?

Watzke: Das ist eine gute Frage. Du kannst sie natürlich „nicht akzeptieren“, aber nach langjähriger Erfahrung weiß ich, dass es besser ist, es trotzdem zu tun.

"Wovor ich dabei Angst habe und was ich als extrem schädlich für Borussia Dortmund empfände, wäre, wenn wir irgendwann mit einem Teilausschluss der Tribüne konfrontiert würden."

schwatzgelb.de: Halten Sie die Strafen für willkürlich?

Watzke: Nein. Die Frage ist ja, was der Maßstab ist. Und wenn man sich für einen Maßstab entschieden hat, ist es irgendwann einigermaßen nachzuvollziehen. Ich kenne keinen beim DFB, der Freude daran hat, Vereine zu verknacken. Aber solange Pyrotechnik sanktioniert wird, und das wird aus Haftungsgründen immer so sein, wird es in diesem Umfang geschehen. Wovor ich dabei Angst habe und was ich als extrem schädlich für Borussia Dortmund empfände, wäre, wenn wir irgendwann mit einem Teilausschluss der Tribüne konfrontiert würden. Dann würde die ganze Fangemeinde von Borussia Dortmund womöglich gespalten. Es würden Schuldige gesucht, und es gäbe eine gedankliche Konfrontation, von der ich immer noch hoffe, dass wir sowas nie erleben. Borussia Dortmund ist in jeder Facette stark, und da gehört auch die Ultrabewegung zu. Wir müssen versuchen, die gesamte Kraft des Vereins zu bündeln.

schwatzgelb.de: Zu der DFB-Sportgerichtbarkeit gab es ja Ende September ein Urteil vom Bundesgerichtshof, dass grundsätzlich Vereine vom DFB-Gericht verhängte Strafen auf ermittelte Einzeltäter abwälzen können. Wie steht Borussia Dortmund in der Praxis dazu?

Watzke: Grundsätzlich finde ich das nicht verwerflich. Es kommt ja immer drauf an, um was es geht. Das Urteil ist noch sehr jung, wir lassen es prüfen, aber natürlich haben wir auch schon das ein oder andere Mal jemanden persönlich für einen größeren Schaden zur Rechenschaft gezogen.

schwatzgelb.de: Trotzdem gibt es daran massig Kritik. Vereine, die eine höhere Wirtschaftskraft besitzen, bekommen höhere Strafen. Auch solche, die bereits in der Vergangenheit negativ aufgefallen sind. Ein identifizierter Einzeltäter würde also für den Bockmist seiner Vorgänger mitzahlen. Und hat auch noch Pech, wenn er nicht Fan des FC St. Pauli oder VfL Bochum, sondern des BVB ist. Hinzu kommt die Doppelbestrafung durch Verein beziehungsweise DFB und gegebenenfalls ein staatliches Gericht.

Watzke: Gerade deshalb lassen wir das Urteil ja auch von unseren Juristen prüfen. Übrigens: Viele Strafen, wie zum Beispiel Bußgelder im Straßenverkehr, werden nach Tagessätzen ausgesprochen. Das ist das gleiche Prinzip: Wer mehr verdient, zahlt auch mehr. Genauso ist es, wenn du als Verein ein gewisses „Vorstrafenregister” besitzt. Trotzdem ist es für eine fundierte Einschätzung unsererseits noch zu früh.

schwatzgelb.de: Wir bedanken uns für das Gespräch.

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