Unsa Senf

Doping im Fußball - Schluss mit den Nebelkerzen!

06.03.2015, 10:11 Uhr von:  Redaktion

Es ist ein Ärgernis. Jürgen Klopp ist nicht nur einer der erfolgreichsten deutschen Fußballtrainer der Gegenwart, sondern auch diplomierter Sportwissenschaftler. Seine herausragende Rhetorik ist oft nicht nur Hülle, sondern transportiert auch bedenkenswerten Inhalt. Doch sobald die Sprache auf das Thema Doping kommt, redet er Unsinn. Bereits 2009 sagte er in einem Interview mit der Zeit auf die Frage, ob dem Fußball das Bewusstsein für die Dopingproblematik fehle: „Das Bewusstsein fehlt dem Fußball absolut nicht. Es ist ganz einfach: In den vergangenen Jahren gab es reichlich Kontrollen im Training, in den Spielen, in Trainingslagern – und keine war positiv. Und wenn, dann waren es Abnehm- oder Haarwuchsmittel, die jemand gedankenlos eingenommen hatte. Doping gibt es offenkundig also nicht. Aber wir gehen trotzdem sehr sorgfältig und pflichtbewusst mit diesem Thema um und wollen unseren guten Ruf behalten.“ Angesichts der Erfahrungen in anderen Sportarten, die ebenso viele negative Dopingtests vorweisen können, bei denen dann aber auf anderen Wegen Doping nachgewiesen wird, erscheint eine solche Aussage wenig nachvollziehbar.

Es passte dann aber in diese Argumentation, dass Klopp nun angesichts der neuesten Dopingenthüllungen in der Sportschau sagte: „Also, Fußballer sind in dem Bereich wirklich nicht systematisch unterwegs. Ich glaube, in keiner Zeit gewesen. Im Fußball ist sich viel zu wenig drum gekümmert worden. Aber wenn man sich zu der Zeit in Freiburg häufiger hat behandeln lassen, dann, glaube ich, kann das passiert sein, ohne dass das jemand mitbekommen hat. Ich glaube, die haben da ein bisschen vor sich hin getestet. Die haben über Jahrzehnte einen Riesenruf gehabt, und der ist relativ schnell dann auch komplett kaputt gemacht worden. Ich bin mir ganz sicher, die Spieler, die damals beim VfB Stuttgart gespielt haben, da war überhaupt keiner dabei, dem man das auch nur im Ansatz zutrauen würde.“

Die Hinweise auf Doping im Fußball sind zahlreich

Haarwuchsmittel oder Versuchskaninchen für überambitionierte Wissenschaftler. Das sollen wir ernst nehmen? Fußball ist ein Millionenspiel, und der Wettkampf wird mit harten Bandagen geführt. Sowohl zwischen den Klubs als auch zwischen den um Stammplätze oder Vertragsverlängerungen kämpfenden Spielern. Die Hinweise auf Doping im Fußball sind zahllos. Sie reichen von den Fußballweltmeistern 1954 über die zahlreichen Fußballerautobiographien, in denen zu lesen ist, wie Spieler sich verschiedene Dopingmittel spritzen (Disclaimer: Es waren immer die anderen), zu den 31 Bundesligaspielern, die 1987 in einer Umfrage des Kicker angaben, dass in der Bundesliga gedopt werde. Das systematische EPO-Doping von Juventus Turin in der Mitte der 1990er Jahre ist juristisch belegt. Und der spanische Fußball wurde wohl nur von einem gigantischen Dopingskandal bewahrt, weil sämtliche Untersuchungen von Hinweisen des Dopingarztes Fuentes mit nachdrücklicher staatlicher Unterstützung unterblieben.

Und nun die neuen Enthüllungen. Der VfB Stuttgart und der SC Freiburg stehen besonders am Pranger, weil bei ihnen die Dopingpraxis wohl als bewiesen gelten kann. Hinzu kommen aber auch zahlreiche andere süddeutsche Vereine, die mit Armin Klümper kooperierten, und die prominente Riege einzelner Spieler, die bei ihm in Behandlung waren. Hier besteht noch ein hoher Aufklärungsbedarf; der Verdacht von flächendeckendem Doping ist jedoch selten so konkret geäußert worden wie in der bislang nur in Auszügen bekannten Studie. Klümper war demnach sicher kein Doktor Frankenstein, der reihenweise sportliche Monster ohne deren Wissen schuf. Sondern bei Klümper besteht der dringende Verdacht der unerlaubten Leistungssteigerung für Spitzensportler. Dass dies, wie von Klopp angenommen, stets ohne Mitwissen der Spieler geschehen sein soll, erscheint angesichts vergleichbarer Fälle im Radsport zumindest zweifelhaft. Dies gilt es zu untersuchen, nicht wegzudiskutieren. Dabei ist es durchaus von Vorteil, dass die Vorfälle so weit zurückliegen. Eine Sanktionierung steht aufgrund der Verjährung nicht zur Diskussion. Es existiert stattdessen die Chance zu verstehen, wie Doping im Profisport funktioniert. Wir sollten sie ergreifen.

Klopp hat auch einmal etwas Kluges zum Thema Doping gesagt, als er zu Lance Armstrong befragt wurde: „Das ist aber auch uns allen geschuldet, die die Fahrer nach Alpe d'Huez hochnageln sehen wollen. Wir wollen keinen sehen, der das Rad da hochschiebt. Wir haben alle stillschweigend akzeptiert, dass da was nicht mit rechten Dingen zugehen kann."

Aber gilt das nicht auch für den Fußball? Wir wollen immer mehr, immer besseren Fußball sehen. Schwache Leistungen werden nicht akzeptiert. Warum sollte dann ausgerechnet der Fußball frei von Doping sein? Weil Doping im Fußball nichts bringt? Das ist Blödsinn und jeder weiß es. Es hilft bei der Regeneration zwischen den Spielen und nach Verletzungen. Dass beim Fitspritzen von Spielern schon lange nicht mehr die medizinische Betreuung, sondern allein die Leistungsfähigkeit im Vordergrund steht, kann nicht einmal mehr als offenes Geheimnis bezeichnet werden. Im Rahmen des Legalen werden Schmerzen unterdrückt, soweit es die Gesundheit zulässt – und teilweise noch darüber hinaus. Und im professionell betriebenen Fußballsport ist reichlich viel Schmerz vorhanden. Anders, so scheint es, geht es kaum. Aber ist dort auch immer Schluss?

Doping kann die Ausdauerleistung unterstützen, die gerade in den letzten Minuten eines Spiels entscheidend sein kann, und es hilft bei Spielern, die zu bis zu 30 Sprints pro Spiel ansetzen. Natürlich ist der Fußball komplex, was das Doping komplizierter machen mag. Aber im Fußball wird so viel Geld bewegt, dass ausgefeilte Dopingmethoden leicht zu finanzieren sind. Mehr noch: Im Fußball steckt so viel Geld, dass der Gedanke geradezu aberwitzig ist, ausgerechnet diese Branche sei frei von widerrechtlichen Versuchen, sich einen Vorteil zu verschaffen.

Das muss noch nicht einmal flächendeckend und organisiert geschehen. In Fußballmannschaften gibt es schließlich nicht nur willensstarke und moralisch einwandfreie Charaktere, sondern auch schwache und fiese, die jederzeit zu unfairen Aktionen bereit sind, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Der halbseidene Hofstaat, der einzelne Profis bisweilen umschwirrt, tut da sein Übriges. Wer will da wirklich seine Hand dafür ins Feuer legen, dass es keine eindeutigen Angebote in Richtung eines Spielers gibt und kein Profi ein solches auch annimmt?

Fußball ist Konkurrenzkampf. Es geht in jedem einzelnen Spiel und in jedem einzelnen Zweikampf darum, besser zu sein als der Gegenspieler. Zwischen den Spielen ist es der teaminterne Wettkampf um Stammplätze und Verträge. Wer schneller und ausdauernder rennen, wer auch in der 80 Minuten noch einen Sprint anziehen kann und wer auch kurz vor Schluss noch mental frisch und handlungsschnell ist, hat einen entscheidenden Vorteil. Einen Vorteil, der Millionen wert sein kann. Der Sprung in den Profikader. Der interne Wettkampf um Einsatzzeiten. Die Berufung in Auswahlmannschaften bis hin zur Senioren-Nationalelf. Vertragsverlängerung oder der ganz große Vertrag beim Branchenprimus oder einem Traumklub im Ausland. Da, sollen wir glauben, gehen durch die Bank alle fair und sauber zu Werke? Zumal die Kontrollen im Fußball, verglichen mit Sportarten, in denen viel geringere Werte bewegt werden, lächerlich lasch sind. Die wesentlichen Kontrollen drehen sich um das Spiel, selten ums Training. Es gibt kaum Meldepflichten und nur wenige Bluttests. Den meisten Leichtathleten dürften da Tränen in die Augen steigen, wenn sie das mit ihrem Alltag vergleichen.

Für einen sauberen Sport!

Jürgen Klopp ist ein selbsternannter Gerechtigkeitsfanatiker. Manche Kritiker würden zwar behaupten, das gelte nur für die eigenen Spieler, aber das ist uns in diesem Fall egal. Er selbst propagiert Fair Play, und tatsächlich fällt unsere Mannschaft erfreulich selten durch Fouls und Schwalben auf. Dasselbe Verhalten wünschen wir uns für den öffentlichen Umgang mit dem Thema Doping. Wir wollen nicht, dass im Fußball mittels Doping betrogen wird. Wir wollen uns nicht über Siege und Titel freuen und dann nach einigen Jahren erfahren, dass das damals alles nur ein zusammengepanschter Betrug war – oder nach Jahren einen Titel rückwirkend am grünen Tisch erhalten, weil der Gegner sich mit Eigenblut versorgt hat. Wir wollen Fair Play. Für unsere Mannschaft und für die des Gegners. Die Zeit zum Bullshit-Reden ist vorbei. Wir brauchen eine umfassende Diskussion über das Thema Doping. Aufklärung über Gefahren für die Spieler, Diskussionen, wie Kontrollen verbesserten werden können, aber auch darüber, wie der Leistungsdruck kalibriert werden kann. Und wenn der sehr konkrete Verdacht von systematischem Doping im Raum steht, wie in Stuttgart oder Freiburg vor einigen Jahrzehnten, dann wollen wir, dass darüber offen und mit aufklärerischem Interesse diskutiert wird. Und nicht, dass mit Reflexen jeder Dopingverdacht vom Tisch gewischt wird, als wären wir beim Radsport – der übrigens mittlerweile weit schärfere Maßnahmen gegen Doping ergreift, als dies beim Fußball der Fall ist.

Hans-Joachim Watzke betont gerne, wie sympathisch der BVB sei. Wir erwarten vom BVB, dass er dieses Selbstverständnis nicht nur mit #EchterLiebe pflegt, sondern auch dadurch, dass er der hässlichen Fratze des Leistungssports entgegentritt. Wir erwarten vom BVB, dass er im Kampf gegen Doping ganz vorne mitmarschiert, anstatt mit dem Rest der Branche reflexartig eine Wagenburg zu errichten. Schließlich haben wir doch wohl nichts zu verbergen.

Arne und PatBorm, 06.03.2015

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